KÖPFE DER GEGENWART

"Eine Mischung aus Telefon, Kneipe und Tageszeitung"
 

TEXT: BJÖRN BRÜCKERHOFF
BILD: DAMASCHKE.DE

"Das Internet wird nicht deshalb wachsen, weil es so schön bunt und lustig wäre, wie es die Apologeten multimedialer Spaßwelten in enorm kostspieliger Verkennung der Realität behaupten, sondern weil es so überwältigend nützlich ist." sagt der Fachautor für Computer- und Netzthemen, Giesbert Damaschke, im Gegenwart-Interview über die multimediale Zukunft der Datennetze.

Brückerhoff: Herr Damaschke, "das allerhübscheste Talent nützt nichts, wenn der Autor nicht in der Lage ist, sich an den Tisch zu setzen und sehr entschlossen dort sitzenzubleiben." Das steht als Einleitung auf Ihrer Homepage. Sind Sie immer sitzen geblieben?

Giesbert Damaschke: Das Motto steht gewissermaßen zur Selbstmotivierung, wo nicht gar -therapierung auf der Homepage; ich bin ein eher unsteter und chaotischer Arbeiter mit starker Verzettelungstendenz.

Brückerhoff: Sie haben unter anderem auch vergleichende Religionswissenschaft studiert. Welche Rolle spielt - Ihrer Meinung nach - die Religion im Internet und kann ihr Einfluss durch die weitere Verbreitung des Netzes verändert werden?


Giesbert Damaschke: Sieht man sich in Foren, Listen und Newsgroups um, bemerkt man eine doch recht erstaunliche Häufung metaphyischer bzw. religiöser Fragen wie "Gibt es Gott?", "Was ist der Mensch?" oder "Gibt es ein Leben nach dem Tod?" Zum Teil scheint die
Virtualität des Internet es vielen Menschen zu erleichtern, Fragen zu stellen, die zu stellen man sich im Alltag vielleicht nicht traut. Zum anderen artikuliert sich hier wohl auch eine Unsicherheit angesichts einer immer mächtiger werdenden Digitalisierung aller Lebensbereiche. Je intelligenter die Maschine wird, je perfekter Lebenssimulation, desto näher liegt die Frage, was eigentlich den Menschen ausmacht. In sofern spielt das metaphysische Grundbedürfnis im Netz eine größere Rolle als im analogen Offline-Alltag. Das wird sicherlich nicht ohne Folgen für die etablierten Religionen bleiben. Zumindest erleichtert das Stimmenvielfalt im Internet die Bildung unzähliger Kleinstsekten und Glaubenszirkeln: Im Netz kann tatsächlich jeder nach seiner Facon selig werden.

Brückerhoff: Im Gegenwart-Interview  sagte der Chefredakteur der von Ihnen kritisierten Zeitschrift "Tomorrow",
Willy Loderhose: "Wo es in der Anfangsphase fachliche Probleme gab, haben wir nachgebessert." Wie ist Ihre Meinung dazu? Würden Sie heute auch für das Blatt schreiben, wie es viele ehemalige Kritiker tun?

Giesbert Damaschke: Keine Frage - Tomorrow ist fachlich heute deutlich besser als vor ein oder gar zwei Jahren und man findet doch immer häufiger  kenntnisreiche Fachartikel. Aber schreiben würde ich wohl immer noch nicht für sie. Nehmen Sie z.B. Nr. 22 (ich greife da wirklich ein beliebiges Heft aus dem Stapel). Titelstory: "Die schmutzigen Geschäfte mit den Stars im Internet". Da regt sich die Redaktion in einer natürlich passend bebilderten Geschichte über das Geschäft mit gefälschten Pornobildern von Promis auf und nachdem so das Über-Ich beruhigt wurde ("Unterste Schublade, gestörte Seelen, unzulässig, obszön" etc.), gibt's gleich auf der nächsten Seite eine Anleitung für "Die besten Erotiksuchmaschinen", damit dem Leser nun auch ja kein Fake/Fuck-Bildchen entgeht. Ich hab nichts gegen die beiden Artikel (lassen wir mal die Frage nach dem Stil der Texte billigerweise außen vor) - aber ihre Kombination verlangt doch ein größeres Maß an Chuzpe, als mir eigen ist.

Brückerhoff: Internet-Deutschland - Entwicklungsland?

Giesbert Damaschke: Ach, welches Land wäre das nicht?

Brückerhoff: Wer ist für Sie der wichtigste Deutsche im Internet - und sollte es eine derartige Einstufung überhaupt geben?

Giesbert Damaschke: Für mich ist der wichtigste Deutsche im Internet Giesbert Damaschke. Das ist für andere anders. Ansonsten ist ein solches Ranking Unfug.

Brückerhoff: Was muss ein guter Chefredakteur können?

Giesbert Damaschke: Einerseits bin ich davon überzeugt, dass einen Chefredakteur vor allem die Fähigkeit auszeichnen sollte, ein gut funktionierendes Team zu bilden und zu leiten, der Rest folgt von selbst. Andererseits haben wir - Barbara Mooser und ich - seiner Zeit mit pl@net eine saubere Bruchlandung hingelegt: Vielleicht sollten Sie also besser jemanden fragen, der sich damit auskennt.


Brückerhoff: Und was würden Sie jungen Menschen raten, die heute planen, den Beruf eines Journalisten zu ergreifen?

Giesbert Damaschke: Man braucht einen langen Atem, hohe Frustrationstoleranz und ein gewisses Maß an Größenwahn. Einsteiger sollten versuchen, möglichst schnell möglichst viel praktische Erfahrungen zu sammeln - der Kontrast zwischen einer universitären Ausbildung und den alltäglichen Zumutungen und Erfordernissen des journalistischen Alltags kann man sich gar nicht grell genug denken. Im Zweifelsfalle sei His Bobness zitiert: "If you need somebody you can trust / trust yourself."

Brückerhoff: Haben Sie Vorbilder?

Giesbert Damaschke: Ein ganzes Pantheon voll, aber darunter ist kein einziger Journalist. Alles weitere würde unweigerlich in ein eher albernes Name-Dropping münden.

Brückerhoff:  Wie sah Ihr erster Computerkontakt aus?

Giesbert Damaschke: Mein älterer Bruder hatte einen Tandy TRS-80, das muss so vor rund 25 Jahren gewesen sein. Auf dem durfte ich gelegentlich "Wurmi" spielen (man steuerte einen Wurm mit den Cursor-Tasten durch ein Labyrinth aus Futter und Gift, heute gibt's dergleichen auf Handys) und erste Basic-Programme ausprobieren. Mein erster eigener Computer war ein C128D (eine aufgebohrter C64 mit). Damit bin dann für einige Monate etwas vom Weg abgekommen (offiziell hatte ich mir den Computer als bessere Schreibmaschine gekauft, eine nur zu durchsichtige Rationalisierung), habe gespielt (Ultima III und IV), programmiert (zum Beispiel ein Programm zum Grafikausdruck auf meinem Typenrad-Drucker und einen Editor für die Ultima-Karten, beides wurde benötigt, um das Spiel auszutricksen), Raubkopien eingesetzt, einfache Programme geknackt und in der U-Bahn Assembler-Listings gelesen wie andere Leute Zeitschriften.

Brückerhoff: Wenn Sie nicht Journalist geworden wären - was dann?

Giesbert Damaschke: Ich wollte nie Journalist werden (bin es auch nicht wirklich geworden) und hatte eigentlich eine Platz im akademischen Mittelbau einer philologischen Fakultät irgendeiner Uni im Auge. Das hat glücklicherweise nicht geklappt.

Brückerhoff: Was macht einen Nerd aus? Sind Sie einer?

Giesbert Damaschke: Ein Nerd ist ein hochspezialisierter Volltrottel, der sich zügig einem schwarzen Loch am Horizont nähert, in dem er verschwindet, um als ganz normaler Durchschnittsdepp wieder heraus zu kommen. Womit klar ist, dass ich natürlich keiner bin.

Brückerhoff: Was fasziniert Sie besonders am Internet (insbesondere im Hinblick auf das Projekt "w3history")?

Giesbert Damaschke: Das Netz kann vieles sein - für mich ist es vor allem ein dezentrales Kommunikations-medium. Digitale Diskussionsrunden, die handfeste Nützlichkeit von E-Mail und der einfache Zugriff auf die unterschiedlichsten Informationen sind für mich jedem Lifestyle- oder Unterhaltungsaspekt überlegen.

Brückerhoff: Wie geht es weiter mit dem Netz? Wie sieht es in Zukunft aus?

Giesbert Damaschke: Es wird weiter wachsen und zu einer Mischung aus Telefon, Kneipe und Tageszeitung werden. Es wird nicht deshalb wachsen, weil es so schön bunt und lustig wäre, wie es die Apologeten multimedialer Spaßwelten in enorm kostspieliger Verkennung der Realität behaupten, sondern weil es so überwältigend nützlich ist. Wer sich heute fragt, warum er eigentlich einen Intenetzugang haben sollte, warum er ein Telefon hat. Wobei der Witz darin besteht, daß das Netz gerade für hartnäckige Telefonverächter das ideale Medium ist.

Brückerhoff: Wie hat das Netz Ihr Leben verändert?

Giesbert Damaschke: Es ist wie keine andere Technologie zum wichtigen Bestandteil meiner Lebensführung geworden und erlaubt mir ein großes Maß an persönlicher Freiheit. Das betrifft nicht nur meinen Brotberuf als Fachautor für Computer- und Netzthemen, den ich ohne Internet gar nicht so ausüben könnte, wie ich das tue, sondern reicht von
banalen Dingen wie Zeitungslektüre im Netz über Reiseplanung & -buchung via Internet bis in scheinbar eher netzferne Gefilde.

Brückerhoff: Wenn Sie eine Woche Zeit hätten - was würden Sie machen?

Giesbert Damaschke: Schlafen und lesen.

Brückerhoff: Giesbert Damaschke: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft?

Giesbert Damaschke:
YVONNE: Where were you last night?
RICK: That's so long ago, I don't remember
YVONNE: Will I see you tonight?
RICK: I never make plans that far ahead.





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