KÖPFE DER GEGENWART

Information ist schnell,
Wahrheit braucht Zeit

 

TEXT: BJÖRN BRÜCKERHOFF
BILD: PETER GLASER



Seit 20 Jahren kennen sie sich: Peter Glaser und der Computer. Glaser, Jahrgang 1957, vom ersten Moment an fasziniert von diesem Gerät, hat das Thema gefunden, dass ihn im Laufe seiner journalistischen und schriftstellerischen Laufbahn nie losgelassen hat. Das "Mastermind" (Der Spiegel) hinter dem inzwischen eingestellten stern-Magazin "konr@d" arbeitet seit 1983 als Schriftsteller in Hamburg, war Chefredakteur der "Datenschleuder" – dem Fachorgan des Chaos Computer Clubs – und schreibt für Blätter wie "Der Spiegel", "Stern", "Die Zeit", "Die Woche", "Süddeutsche Zeitung", "Neue Zürcher Zeitung" oder "Vogue". Im Gegenwart-Interview erzählt Peter Glaser von seinem ersten Kontakt mit der Maschine.

Brückerhoff: Sie schrieben, dass Sie als Bleistift in Graz geboren wurden und jetzt als Schreibprogramm in Hamburg leben. Was ist Peter Glaser in der Zukunft?

Peter Glaser: Schriftsteller, wie seit jeher. Ich freue mich im übrigen, daß die digitale Technologie den Glanz des Neuen verliert und wir wieder unsere Arbeit an der Welt im Ganzen fortsetzen können, nicht nur die Arbyte.

Brückerhoff: Wie sah Ihr erster Computerkontakt aus?

Peter Glaser: Bei einem Freund in Düsseldorf begegnete ich im Sommer 1980 zum ersten Mal einem sogenannten Mikrocomputer. Zu dieser Zeit hatte ich noch die Vorstellung von einem Computer als einem schrankgroßen Elektronengehirn. Um so erstaunlicher, daß auf Matthias' Schreibtisch nichts weiter zu sehen war als ein Fernseher und eine Tastatur, die aussah wie eine plattgefahrene Schreibmaschine (ein Tandy TRS-80). Ich sah, wie die Maschine von einem Bandgerät ein Programm einlas. Es war, als sauge sie sich voll mit einer sonderbaren Kraft. Lautlos hauchte sie danach Lichterzeilen auf den Bildschirm. Ich lernte: Hardware ist das, was einem auf die Füße fallen kann, also die Geräte. Software ist das, was einem auf die Nerven fallen kann, also die Programme. Ich durfte etwas eintippen: "HALLO". SYNTAX ERROR, erschien auf dem Bildschirm. Ich war hingerissen. Schon das Eintippen war ein epochales Erlebnis. Ein Fernseher (den Begriff Monitor gab es damals nicht, Bildschirm = Fernseher) war bis zu diesem Augenblick ein geschlossenes System gewesen, dem wirklichkeitsmächtigen Programm der öffentlichrechtlichen Sender vorbehalten. Nun hatte ich in den Computer ein Wort eingegeben, und es erschien sofort im Fernsehen, so kam das an. Ich hatte die wunderbare Empfindung, daß die Kraft des Computers mich nun befähigte, in das Innerste des Fernsehers hineinzugreifen und wie bei einer Hinterglasmalerei mit eigener Hand HALLO auf die Innenseite der Bildröhre zu malen. Diese Kraft ist unter anderem die Quelle dessen, was man Hacken nennt.

Brückerhoff: Was macht einen Nerd aus? Sind Sie einer?

Peter Glaser: Nerds lesen Wired, mögen UFOs und reißen sich darum, Software-Betatester zu sein. Sie veröffentlichen Hacking-Exploits auf www.bugtraq.com oder www.rootshell.com  und sie haben die Lösungen Monate bevor unsereins überhaupt die Probleme kennt. Wenn ein Nerd nachts in einer unübersichtlichen Kurve zwischen Felswand und Steilküste auf nasser Fahrbahn ins Rutschen kommt, sucht er den "Zurück"-Knopf, wie er ihn von seinem Browser kennt. Sein Hund und sein Goldfisch haben eine eigene Homepage, und wenn er eine Zeitschrift liest, verspürt er den unbezähmbaren Zwang, unterstrichene Passagen anzuklicken. Ich bin kein Nerd, aber ich bin ständig gefährdet.

Brückerhoff: Was fasziniert Sie am Internet?

Peter Glaser: Was die Menschen daraus und damit machen.

Brückerhoff: Können Sie ohne Computer leben?

Peter Glaser: Na klar. Es wäre bei bestimmten Dingen ein wenig unbequemer, aber kein Problem.

Brückerhoff: Welche Perspektiven sehen Sie für den Journalismus im Internet?

Peter Glaser: Information ist schnell. Wahrheit braucht Zeit.

Brückerhoff: Welche Frage wird Ihnen am häufigsten gestellt?

Peter Glaser: Mein Sohn/Neffe/Stiefzwilling möchte sich einen Computer kaufen. Kannst du mir einen Rat geben? (Macintosh G4 kaufen, dazu Virtual PC inkl. Windows = eierlegende Wollmilchsau).

Brückerhoff: Drei Dinge, die Sie auf eine einsame Insel mitnehmen würden?

Peter Glaser: Das Buch "Der Fremde" von Albert Camus, ein Go-Spiel und ein solarbetriebenes Notebook mit drahtlosem Highspeed-Internetanschluss.

Brückerhoff: Was machen Sie 2020?

Peter Glaser: Keine Ahnung. Wahrscheinlich schreiben.

Brückerhoff: Angenommen, jemand schenkt Ihnen eine Woche Zeit. Was machen Sie?

Peter Glaser: Ich sehe mich um, ob es schon ein Startup gibt, das Zeit-Eiswürfel produziert, die man bei Bedarf - wenn man gerade mal wieder keine Zeit hat - auftauen kann.

Brückerhoff: Haben Sie Vorbilder?

Peter Glaser: Lewis Mumford, der das Buch "Der Mythos der Maschine geschrieben hat. Wenn dieses Buch ein Schulbuch wäre, würde die Welt besser. Und Leonard Cohen - ein Herr, der zeigt, wie man in Würde älter werden kann.

Brückerhoff: Gibt es eine Zeit, in der Sie lieber leben würden?

Peter Glaser: Heute ist schon ok.

Brückerhoff: Ihr Motto?

Peter Glaser: "Man muss als Mann den Ernst wiederfinden, den man als Kind beim Spielen hatte." (Nietzsche)

Brückerhoff: Chronische Abwechslung: Das Hauptproblem des modernen Menschen? Leiden Sie auch darunten?

Peter Glaser: Ja, wie alle modernen Menschen. But I can handle it.

Brückerhoff: Virtuelle Communities: Können sie einmal den gleichen Einfluss wie Politik, Religion oder heutige Massenmedien erreichen?


Peter Glaser: Ja.

Brückerhoff: Ihre "Freunde": Sind all die Gesprächspartner Ihrer Geschichten aus der modernen Welt erfunden oder existieren Sie tatsächlich (Helmholtz, Karlchen, Pet, ...)?

Peter Glaser: Natürlich gibt es die, aber nicht im journalistischen, sondern im literarischen Sinn.

Brückerhoff: Internet-Euphorie: Welchen Satz sagen Sie einem Internet-Euphoriker, der das Netz in den höchsten Tönen lobpreist?

Peter Glaser: Find ich auch, Alder, super. Realität ist was für Leute, die nicht mit dem Netz klarkommen.





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