KÖPFE DER GEGENWART

Der beschleunigte Mensch
 

TEXT: BJÖRN BRÜCKERHOFF
BILD: UNIVERSITÄT ST.GALLEN



Vielen ist Professor Peter Glotz noch als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD geläufig, doch die politische Tätigkeit war nur eine von vielen Stationen des Kommunikationswissenschaftlers. Heute lehrt Glotz am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement in St. Gallen und prägt seit Jahren wirkungsmächtige Begriffe wie "Zweidrittelgesellschaft" oder "Die Innenausstattung der Macht".

In seinem neuen Buch "Die beschleunigte Gesellschaft" beschreibt Peter Glotz vier Tendenzen der neuen Ökonomie, die er "Digitalen Kapitalismus" nennt. Informations-Verwertung treibt die Wirtschaft an, Der Schnelle frisst den Langsamen, alte Produkte werden schnell von  neuen "kannibalisiert". Dezentralisierung: Die digitale Vernetzung führt zu flachen Hierarchien, Just-in-Time-Produktion, Outsourcing sind die Folge.
Stichwort Globalisierung: Die kulturellen Milieus werden zahlreicher und die Macht der Nationalstaaten schwindet.

Sich selbst bezeichnet Glotz als "beschleunigten Menschen" - bereit für die Herausforderungen des "digitalen Kapitalismus."

Brückerhoff: Was muss der Medienmanager im "digitalen Kapitalismus" beherrschen?

Peter Glotz: Er muss die technischen Neuerungen der nächsten Jahre einschätzen können, braucht ein solides Fundament an strategischem Management und sollte die Entwicklungen in den einzelnen Mediensparten, aber auch die Cross-Media-Relations gut kennen. Dazu kommen natürlich Banalitäten wie gute Englischkenntnise und Softskills: Complexity Management, Kommunikations-fähigkeit.

Brückerhoff: Welche Ausbildung braucht dieser Medienmanager?

Peter Glotz: Am besten einen MBA in New Media and Communication in St. Gallen. Von dieser Eigenwerbung abgesehen: Eine solide betriebswirtschaftliche Ausbildung ist hilfreich, aber nicht ausreichend. Märkte, die bisher getrennt waren, finden zusammen, zum Beispiel Telekommunikation und Medien. Diesen Prozess muss man sich ansehen.

Brückerhoff: Wie erkennen Sie Bewerber mit Medienmanager-Potential?

Peter Glotz: Wir machen dazu ausführliche persönliche Interviews. Natürlich steht niemandem auf der Stirn geschrieben, dass er das Potential hat, um Vorstandsvorsitzender der Telekom oder von Bertelsmann zu werden. Notwendig ist Sensibilität, Beweglichkeit, interkulturelle Begabung.

Brückerhoff:  Der Medienmanager ist offen, kommunikativ und denkt in komplexen Zusammenhängen. Muss er dann zwingend eine universitäre Ausbildung absolvieren? Reichen nicht Lehrjahre in einem Medienunternehmen und eine betriebswirtschaftliche Ausbildung, um erfolgreich im Sinne des Medienmanagers der Zukunft werden zu können?


Peter Glotz: Zwingend ist überhaupt nichts. Selbstverständlich kann einer auch als Lehrling in einer Bank angefangen haben und anschliessend Vorstandsvorsitzender eines Medienunternehmens werden. Das muss dann aber ein sehr selbstbewusster Mensch sein, denn er wird dann Scharen von Akademikern unter sich haben.

Brückerhoff: In Ihrer Rede auf dem "Klartext-Forum" im Mai 1998 sprachen Sie vom "digitalen Kapitalismus". Was zeichnet den "digitalen" Kapitalismus aus?


Peter Glotz: Vier Basistrends: Dematerialisierung, Beschleunigung, Dezentralisierung, Globalisierung. Der wichtigste Trend heisst Beschleunigung. Deswegen habe ich mein letztes Buch auch "Die beschleunigte Gesellschaft" genannt. Der digitale Kapitalismus ist anarchischer, dehnbarer, spekulationsgetriebener als der Industriekapitalismus. Er gebiert sich seine eigenen Gegenkräfte. Die konnte man bei den Protesten gegen die World Trade Organisation oder gegen das World Economic Forum in Davos schon erleben.

Brückerhoff: Wenn Sie heute Ihre Karriere beginnen würden - wo würden Sie studieren wollen und können?

Peter Glotz: Wollen in Stanford oder an der London School of Economics. Das mit dem Können hängt natürlich von den persönlichen Verhältnissen ab. Ich musste mir von 20. Lebensjahr an meine Brötchen verdienen und hatte dazu zufällig einen Arbeitsplatz bei einer Münchner Versicherungsgesellschaft ergattert. Deshalb blieb ich lange in München. Das ist heute auch nicht viel anders als Ende der 50er Jahre.

Brückerhoff: Thema Studiengebühren: Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Erhebung von Studiengebühren nicht zur Versammlung eine Reichen-Elite an den Universitäten, sondern zur Bildung einer geistigen Elite führt?

Peter Glotz: Durch Stipendien. Deutschland muss sehr viel mehr Stipendien vergeben als derzeit. Ich mache einen sehr teuren Kurs in St. Gallen, der rund 50.000 sFr. für elf Monate kostet. Aber ich habe für 47 Plätze auch 18 Stipendien von grossen Firmen eingeworben. 18 Leute zahlen also keinen Pfennig. So etwa muss man dass machen.

Brückerhoff:
Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um in einem sozial finanzierten Förderungssystem auch intelligente Menschen schwächerer sozialer Schichten zur Bewerbung zu animieren (die das vielleicht aufgrund ihrer Sozialisation gar nicht von selbst machen würden)?

Peter Glotz: Wir müssen jeden Tag klarmachen, dass in einer Wissensgesellschaft Wissen das Wichtigste ist. Es ist also wichtiger, in die Bildung seiner Kinder zu investieren als in ein Eigenheim. Das müsste jeder Politiker trommeln. Aber natürlich gibt es das Phänomen, dass in einem sozial schwachen Haushalt der Küchenfussboden im Eigenheim wichtiger ist als das Gymnasium für das Kind. Der Staat kann, ich wiederhole das, mit Stipendien arbeiten. Psychologische Profile kann er natürlich nur sehr begrenzt beeinflussen.

Brückerhoff: Das deutsche Bildungsideal ist: Bildung für alle. Durch den Massenansturm auf die Unis leidet das Niveau der Ausbildung insgesamt. Sollte dann nicht - bevor man einzelne Top-Unis schafft -   insgesamt der Standard erhöht werden?

Peter Glotz: Genau. Die Europäer sind Dummköpfe, weil sie zulassen, dass die grossen Wissenszentren eben in Cambridge Massachusets oder in Palo Alto stehen. Es kann ihnen passieren, dass ihre grossen Aktiengesellschaften künftig von lauter Absolventen dieser zwei oder drei amerikanischen Spitzenuniversitäten geleitet werden. Das wäre dann töricht.

Brückerhoff: Was halten Sie von einem Studium per Internet? Wo sollten Schwerpunkte eines solchen Studiums liegen?

Peter Glotz: Sehr viel. Ich glaube zwar nicht, dass Distant Learning das Direktstudium völlig ersetzen sollte. Man braucht das Netzwerk, dass man sich nur im persönlichen Kontakt erarbeiten kann. Man braucht auch den direkten Kontakt mit einem Lehrer. Aber wichtige Elemente des Studiums können über Tools abgearbeitet werden. Leider sind die Amerikaner den Europäern auf diesem Feld weit voraus.

Brückerhoff: Was prognostizieren Sie für die Zukunft der Demokratie im digitalen Zeitalter?

Peter Glotz: Eine grosse Frage. Allzu gross. Deswegen antworte ich darauf nur mit einem Wischer: Wir müssen aufpassen, dass unsere Staatschefs sich künftig nicht zu stark aus dem Ensemble des Burgtheaters oder aus Schauspielschulen rekrutieren.

Brückerhoff: Wo sehen Sie Möglichkeiten der politischen Mitbestimmung der Bevölkerung via Internet?

Peter Glotz: Noch ist die digitale Signatur nicht wirklich eingeführt, noch gibt es Sicherheitsprobleme. In zehn Jahren kann man Wahlen auch über das Netz durchführen, das gilt im Übrigen auch für Volksabstimmungen wie in der Schweiz.

Brückerhoff: Wie sah Ihr erster Computerkontakt aus?

Peter Glotz: Kümmerlich. Ich bin heute noch kein Heavyuser.

Brückerhoff: Nehmen wir an, jemand würde Ihnen eine Woche Zeit schenken. Was machen Sie?

Peter Glotz: Ins Hotel Elmau bei Mittenwald oder ins Hotel Waldhaus im Engadin gehen, mit meinem kleinen Sohn und ein paar Büchern.

Brückerhoff: Nutzen Sie das Internet auch privat? Haben Sie schon einmal etwas im Netz gekauft?

Peter Glotz: Ja. Ich kaufe alle englische Literatur über Amazon.

Brückerhoff: Sie blicken auf eine sehr abwechslungsreiche Karriere zurück: was machen Sie in zehn Jahren?

Peter Glotz: Wenn es nach meinen Plänen geht: Nur noch schreiben.





ZUM SEITENANFANG



AKTUELLE STARTSEITE

NEWSLETTER DER GEGENWART
PRESSE: WAS IST DIE GEGENWART?
IMPRESSUM




Diesen Artikel drucken Diesen Artikel an einen Freund senden


Diesen Artikel an einen Freund senden

DIESE SEITE EMPFEHLEN


Bitte geben Sie hier die E-Mail-Adresse des Empfängers ein.
 

 

© BJÖRN BRÜCKERHOFF 1998-2003 | IMPRESSUM | PRESSE | KONTAKT | DISCLAIMER