KÖPFE DER GEGENWART

Der Morgen-Mann
 

TEXT: BJÖRN BRÜCKERHOFF
BILD: TOMORROW



"Grober Unfug", "atemberaubender Dilettantismus", "Schaumschlägerei ungewöhnlichen Ausmaßes". So wetterte nach der elften Ausgabe der Zeitschrift "Tomorrow" im August 1999
der Journalist Giesbert Damaschke bei Spiegel.de. Aller Anfang war schwer für die Redaktion von Tomorrow. Aber die Zeitschrift mit dem zukunftsweisenden Titel, gegründet als "Internet-Illustrierte" und gerichtet an jene, die nicht sofort wissend lächeln, wenn von "ASCII", "Wysiwyg", "Mime" und "Breitband" die Rede ist, hält sich wacker. Und viele der Kritiker, die anfangs den schnellen Tod des Magazins vorauszusehen glaubten, schreiben heute für das Zukunftsblatt. Tomorrow never dies? Chefredakteur Willy Loderhose erklärt, wohin sich Tomorrow entwickeln wird und warum Wettbewerber wie Konr@d scheiterten.

Brückerhoff: Herr Loderhose, welche Frage erwarten Sie in Interviews immer zuerst?

Loderhose: Es ist die Frage "Welches sind Ihre persönlichen Internet-Bonbons?" Sie haben das erst als dritte Frage.

Brückerhoff: Aller Anfang ist schwer? Was sagen Sie heute zu Kritikern wie Giesbert Damaschke, die Ihr Magazin "Tomorrow" bereits kurz nach dem erfolgreichen Start als "zu oberflächlich" und "inkompetent" bezeichneten?

Loderhose: Wir wollten stets ein populäres Magazin machen und von vielen verstanden werden. Das bedeutet, daß wir nach Themen suchen, die von einer breiten Zielgruppe angenommen werden. Daneben finden sich aber auch relevante Themen, die eine spitzere Zielgruppe ansprechen. Kompetent haben wir immer zu sein - nicht nur für die Kritiker.Wo es in der Anfangsphase fachliche Probleme gab, haben wir nachgebessert. Übrigens: viele Kritiker, die uns damals nur ein kurzes Leben vorhersagten, schreiben heute für uns.

Brückerhoff: Für Tomorrow ist das Internet "eine Wundertüte". Was sind darin Ihre persönlichen Bonbons?

Loderhose: Das Zeitalter der Wunder im Netz ist vorbei. Das Netz ist eine durch und durch nützliche Angelegenheit. Ich maile, mache Homebanking, lese News und Aktienkurse und kaufe immer häufiger ein im Netz. Wenn ich lesen will oder Musik hören, ziehe ich den Buchhandel und den Konzertsaal vor.

Brückerhoff: Ist Deutschland - Ihrer Meinung nach - noch immer Entwicklungsland in Sachen Computer und Internet?

Loderhose: Nein, im weltweiten Vergleich sind wir schon recht weit. Trotzdem: Wenn die Politik und der ein oder andere Monopolist sich noch offener verhalten würden, wären noch mehr Schulen endlich am Netz und wir hätten billigere und schnellere Internet-Zugänge.

Brückerhoff: Der Blick nach vorn: Wohin wird sich Tomorrow entwickeln?

Loderhose: Zu einer Internet-Programmzeitschrift. Wobei Programm meint, daß jeder sich aus den für ihn interessanten Sparten-Themen leicht und übersichtlich das richtige herauspicken kann und dabei auch die Gesamtübersicht und –entwicklung im Blick behält.

Brückerhoff: Tomorrow schafft die Synthese aus Lifestyle und WWW. Wie geht das, Herr Loderhose?

Loderhose: Alle interessanten Themen, die „draußen" ankommen, gehen im Internet weiter. Um diese Inhalte geht es uns. Wir wollen zwar mithelfen, die Menschen mit neuer Technik und neuen Medien vertraut zu machen, aber hauptsächlich möchten wir Ihnen zeigen, was sie da konkret erwartet.

Brückerhoff: Warum sind Magazine wie der Stern-Titel "Konr@d" gescheitert?

Loderhose: Sie waren für eine breite Leserschaft, wie sie ein großer Verlag anpeilt, einfach zu spitz und zu schwer verständlich. Und sie haben, zumindest in der frühen Phase, kaum Nutzwertiges geboten. Der Mensch lebt nicht von Visionen allein. Ich persönlich war traurig, das Konrad eingestellt wurde, ich habe es immer gerne gelesen. Als Konkurrenz habe ich die Kollegen nie empfunden.

Brückerhoff: Wie sah Ihr erster Computerkontakt aus?

Loderhose: Ich bin 1983 am Knie operiert worden und habe im Krankenhaus mit einem Sinclair Spectrum mit 48 k herumgedaddelt.

Brückerhoff: Was kaufen Sie über Internet-Bestelldienste?

Loderhose: Elektronische Geräte, Fachbücher, Schallplatten, DVDs. Kürzlich habe ich mir ein Auto über ein Gebrauchtwagenportal angeschafft. Wenig Kilometer, rund 40% unter Neupreis. Auch unser letztes Ferienhaus hab´ ich übers Netz gemietet. Lebensmittel, Bücher und Klamotten bestelle ich gelegentlich, da ich gerne bummeln gehe, kaufe ich diese Dinge aber lieber meistens „wie früher".

Brückerhoff: Wann zog Sie das Netz in seinen Bann und weshalb?

Loderhose: Ich habe vor ca. 11 Jahren mit BTX begonnen und bin Homebanker der ersten Stunde (wenngleich auch keiner der ersten mailbox-Freaks). Ich habe das Netz früh als Werkzeug begriffen, das einem viele Dinge erleichtern kann.

Brückerhoff: Können Sie ohne Computer leben?

Loderhose: Können ja, wollen nein. Ich gebe zwar zu, dass es Fähigkeiten gibt, die aufgrund der vorhandenen Technik verkümmern, das wird aber durch deren Möglichkeiten wieder wettgemacht. Beispiel: Es fällt mir heute schwer, einen Text mit der Hand zu schreiben, ohne die Möglichkeit der sofortigen Korrektur zu haben.

Brückerhoff: Welche Perspektiven sehen Sie für den Journalismus im Internet?

Loderhose: Hervorragende. Die journalistische Qualität im Netz ist heute noch dürftig (na ja, anderswo leider oftmals auch) – doch mit zunehmendem Vertrauen der User an die besten Online-Angebote wird sich das in den nächsten Jahren ändern.

Brückerhoff: Wenn Sie nicht Journalist geworden wären - was dann?

Loderhose: Mein Traum bis heute ist es, nach Rom zu gehen und Geschichte zu studieren. Irgendwann mach ich das auch.

Brückerhoff: Angenommen, jemand schenkt Ihnen eine Woche Zeit. Was tun Sie?

Loderhose: Ich fahre mit meiner Familie auf einen Bauernhof.

Brückerhoff: Haben Sie Vorbilder? Im journalistischen Bereich hab ich mich immer daran orientiert, was mich gerade am meisten interessierte. Letztlich arbeite ich in der Unterhaltungsbranche und nicht auf einer Intensivstation. Meine Vorbilder sind z.B. Mitarbeiter in Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen" etc.

Brückerhoff: Willy Loderhose - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft?

Loderhose: Vergangenheit: Studium Publizistik, Philosophie zum M.A., also lernen; Gegenwart: Chefredakteur Tomorrow, also lernen; Zukunft: siehe oben, also weiter lernen!

Brückerhoff: Gibt es eine Zeit, in der Sie lieber leben würden?

Loderhose: Nein.

Brückerhoff: Dann bis morgen, Herr Loderhose.





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