Magazin für Medienjournalismus. Ausgabe 62
Seit 1998 herausgegeben von Björn Brückerhoff

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Ausgabe 62: Schwerpunkt Qualität

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Fünf-Sterne-Journalismus

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Für einen Einkauf bei Amazon ist die Fünf-Sterne-Bewertung ein wesentlicher Hinweis bei der Kaufentscheidung. Gleiches gilt für einen Download im App-Store. Nicht verwunderlich also, dass Google vor einigen Jahren bei redaktionellen Inhalten in den Suchergebnissen ebenfalls – sofern vorhanden – ein „Five-Star-Rating“ anzeigte. Die Suchmaschinenoptimierer in den Redaktionen hatten wieder zu tun. Nur: Während bei einem Produkt bei Amazon oder einer App auf dem Handy die Sterne tatsächlich so etwas wie „Qualität“ darstellen können, war das bei redaktionellen Inhalten mitnichten der Fall.

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Thomas Rebbe

Thomas Rebbe

Thomas Rebbe, geb. 1976 im Sauerland, ist Chefredakteur von Web.de und GMX. Er studierte Kommunikationswissenschaft, Markt- und Werbepsychologie und Theaterwissenschaft in München. Nach Stationen in Print-, Hörfunk- und TV-Redaktionen ist er seit über 20 Jahren im Online-Journalismus tätig.

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Bei der Analyse des Fünf-Sterne-Ratings in unserem News-Bereich von Web.de und GMX zeigte sich, dass die meisten Inhalte eine mittlere Bewertung aufwiesen. Diese kam aber insbesondere bei politischen Themen sehr häufig durch eine starke polarisierende Bewertung der Leserinnen und Leser zustande: Viele maximal gute und maximal schlechte Bewertungen führten zu einem Drei-Sterne-Durchschnitt. Ausnahmen nach oben gab es in der Regel bei positiv emotionalen Nachrichten („XY besiegt den Krebs“), Ausnahmen nach unten fanden sich gerne bei negativ konnotierten Aussagen („Stromanbieter drehen an Preisschraube“). Ergo: Die Leserinnen und Leser bewerteten augenscheinlich nicht die Qualität eines Artikels, sondern vielmehr dessen Inhalt bzw. ihre Einstellungen und Gefühle zu einem bestimmten Sachverhalt. Weder Google noch unsere Webseiten zeigen die Sternebewertung heute noch an.

Die Messbarkeit – nein, schon die Definition – von Qualität gehört im Journalismus zu den viel diskutierten Fragen. Dieser Werkstattbericht wird einige Aspekte aufzeigen, wie wir in der Redaktion von Web.de und GMX versuchen, Qualität zu verbessern und zu messen. Weder sind die Maßnahmen vollständig, noch sind sie auf jedes andere Medium übertragbar. Der Qualitätsbegriff definiert sich nicht selten über den Diskurs und ist einer ständigen Veränderung unterworfen. 

Warum Qualität? 
Die Digital News Studie des Reuters Institute untersucht seit vielen Jahren regelmäßig die Entwicklungen im Journalismus weltweit. Eines der Ergebnisse lautete in diesem Jahr, dass in Deutschland nur 45 Prozent der Befragten den Medien in der Regel vertrauen. Das erscheint erschreckend gering, ist allerdings im internationalen Vergleich schon fast eine Spitzenposition. In den USA liegt dieser Wert bei gerade einmal 29 Prozent, im Vereinigten Königreich bei 28 Prozent.

In Zeiten von Fake News und Verschwörungsmythen stellen diese Werte eine tatsächliche Gefahr für die Demokratie dar. Einzelne Akteure stehen den klassischen und neuen Medien mit teilweise erheblichen Reichweiten gegenüber und können ungeprüft und unwidersprochen über soziale Netzwerke ihre Leserinnen und Leser direkt ansprechen. Journalistinnen und Journalisten können dem nur mit höchstmöglicher Professionalität und Qualität gegenübertreten.

In einer eigenen Studie haben wir 2018 unseren Leserinnen und Lesern die Frage gestellt, wie wichtig Vertrauen für die Nutzung eines Internetangebots ist. Und welche Treiber für Vertrauen es gibt. Wir konnten dabei eine erhebliche Korrelation zwischen Qualitätswahrnehmung und Vertrauen in verschiedene Medienangebote feststellen. Gute Qualität kann ein Treiber für ein höheres Vertrauen in Internetangebote – und Medien – sein. 83 Prozent der Befragten gaben an, dass die journalistische Qualität der Inhalte für sie ein Kriterium für Vertrauen sei, 85,4 Prozent nannten den Wahrheitsgehalt und bestätigte Inhalte als Treiber. Ein Grund für uns, die eigene Qualität zu hinterfragen, zu verbessern und messbarer zu machen.

Textqualität
Dass korrekte Rechtschreibung als eine Minimalanforderung an gute Qualität gelten darf, ist eine Binse. Dennoch beginnen bereits hier manche Diskussionen. So folgen auf jeden Artikel, der das Wort „Albtraum“ beinhaltet, garantiert Zuschriften unserer Leserinnen und Leser, die einen „Fehler“ anmerken. Der Duden erlaubt auch die Schreibweise „Alptraum“, in einer redaktionsinternen „Textsprache“ legen wir für Worte, die mehrere Schreibweisen zulassen, daher eine Konvention fest.

In diesem Nachschlagewerk finden sich aber auch Hinweise zum Umgang mit anderen Begriffen, zum Beispiel dem „Gute-KiTA-Gesetz“. Wir haben für uns festgelegt, solche Begriffe, die bereits ein wertendes Framing beinhalten, mindestens in Anführungszeichen zu setzen und gegebenenfalls mit einem „sogenannt“ zu ergänzen.

Wir legen für uns in diesem Dokument ebenso fest, eine nicht diskriminierende Sprache zu verwenden, beispielsweise von „Menschen mit Behinderung“ statt von „Behinderten“ zu sprechen. Menschen als „schwarz“ und nicht „farbig“ zu bezeichnen. Statt von einer „Geschlechtsumwandlung“ von einer „Geschlechtsanpassung“ zu schreiben. Und viele Beispiele mehr. Die intensive Auseinandersetzung mit Sprachregeln und Schreibweisen stellt bereits ein nicht unwesentliches Qualitätsmerkmal von Medien dar.

Transparenz
Zeit Online nennt es „Glashaus“ , der Spiegel „Backstage“ , sogar die Bild ist mit blog.Bild  vertreten: Sehr viele Medien haben in den letzten Jahren Transparenz-Blogs oder Hintergrundartikel über die eigene Arbeitsweise veröffentlicht. Jüngst kam die Schwäbische Zeitung mit „Einsichten“ hinzu, und auch bei Web.de und GMX berichten wir, „wie wir arbeiten“ .

Nicht jeder Transparenzblog wird mit dem Enthusiasmus weitergeführt, mit dem solche Projekte gewöhnlich starten, dennoch hat sich an der Grunderkenntnis wenig geändert: Um das Vertrauen in den Journalismus zu verbessern, um zumindest ansatzweise auf einer „Augenhöhe“ mit den Leserinnen und Lesern zu kommunizieren, müssen wir unsere Arbeit besser erklären. Das reicht vom Unterschied zwischen Nachricht und Meinung bis hin zur für langjährige Journalistinnen und Journalisten vermeintlich trivialen Frage, nach welchen Kriterien wir in den Redaktionen Nachrichten auswählen und gewichten.

Wir können dabei gar nicht zu viel erklären, denn der Konsum von Nachrichten findet in teilweise völlig anderen Lebenswirklichkeiten statt, als wir es uns in der täglichen Arbeit vergegenwärtigen. Das hat übrigens nichts mit „dummen“ Leserinnen und Lesern zu tun. Nein, wir machen uns einfach oft nicht die Mühe, aus anderen Perspektiven zu denken.

Dabei muss es gar nicht um Weltanschauung oder politische Positionierung gehen. Fehlinterpretationen fangen bereits im Kleinen an: Bei einem Workshop zusammen mit Leserinnen und Lesern, zu dem wir außerhalb der Corona-Pandemie regelmäßig einladen, mussten wir lernen, dass wörtliche Zitate als Headline von vielen der Teilnehmenden trotz entsprechender Anführungszeichen gar nicht als Zitat erkannt wurden. Die Zitate wurden uns als Medium zugeschrieben. Aus dem Merkel-Zitat “Wir schaffen das“ wurde „Web.de sagt, dass wir das schaffen“. Seitdem dürfen Zitate bei uns nur noch im Zusammenhang mit der Urhebernennung als Zeile genutzt werden.

Das Problem bei Transparenzblogs: Sie müssen erst einmal auf der Webseite gefunden werden. Das Problem bei Leser-Workshops: Es können nur wenige daran teilnehmen. Transparenz sollte für Leserinnen und Leser daher schon beim ersten Aufruf eines Artikels erfahrbar werden.

Hilfreich dabei sind die „8 Trust Indicators“ vom „The Trust Project“ , einem internationalen Zusammenschluss verschiedener Medienorganisationen. Dazu gehören beispielsweise die klare Kennzeichnung der Art des Inhalts (Meinung, Nachricht), der Hinweis auf die Autorin oder den Autoren des Artikels und ihre bzw. seine Biografie. Aber auch die Nennung der Quellen – etwas, das leider nach wie vor nur von wenigen Medien in Deutschland konsequent umgesetzt wird. Und: eine direkte Möglichkeit für die Leserinnen und Leser, Feedback zu den Inhalten geben zu können. Jeden Tag erreichen uns so 500 bis 700 Mails mit Hinweisen, Lob und Kritik, die uns besser machen.

Messbarkeit von Qualität
Die oben genannten Merkmale stellen nur einen kleinen Ausschnitt zahlreicher Kriterien dar, die Qualität beschreiben können. Der Schweizer Journalistik-Professor Vinzenz Wyss et al. nennen darüber hinaus Wahrhaftigkeit/Richtigkeit, Relevanz, Aktualität, Vielfalt, Vollständigkeit, Orientierung, Verständlichkeit, Originalität, Rückkoppelung, Unabhängigkeit, Sachlichkeit und Rechtmäßigkeit. Da verwundert es nicht, dass sich auch die Messbarkeit dieser Kriterien schwer auf ein oder zwei „Key Perfomance Indices“ reduzieren lässt.

Von „Gewinnern“ und „Verlierern“ wird berichtet, wenn der Medienanalyst „Mediatenor“ sein regelmäßiges Zitate-Ranking veröffentlicht; also, welche Medien von anderen Medien besonders häufig zitiert werden. Wer weit oben steht, nutzt die Daten gerne als Ausweis seiner „Qualität“. Freilich nur mit begrenzter Aussagekraft: Die „Codebücher“, nach denen die Zitate bewertet werden, sind nicht öffentlich, zudem wird nur eine Auswahl an Medien und Ressorts berücksichtigt.

Auch Journalistenpreise werden gerne als qualitative Aushängeschilder betrachtet. Doch nicht erst seit dem Relotius-Skandal gibt es Zweifel, ob es noch zeitgemäß ist, dass sich Medien so feiern. Ist ein Journalistenpreis für die Qualitätswahrnehmung einer Leserin oder eines Lesers entscheidend? Ist eine qualitativ gute Arbeit im nachrichtlichen Tagesgeschäft nicht viel wichtiger als einzelne Leuchtturmprojekte? Denn der Einfluss auf die Meinungsbildung geht stärker als von einem einzelnen Inhalt von der Reichweite und Nutzung der Medien aus, die auch im Medienvielfaltsmonitor erhoben wird.

Die meisten Redaktionen setzen auch bei der Beurteilung von Qualität zunehmend auf nutzerzentrierte Metriken. Insbesondere im Online-Journalismus stehen vielfältige Daten zur Verfügung. Nutzungszahlen wie Page Impressions oder Visits sind als Qualitätsmaßstab aber wenig aussagekräftig, da sie leicht durch Klickbait-Teaser oder besonders umfangreiche Bildergalerien „optimiert“ werden können. Aussagekräftigere Daten bieten beispielsweise die Nutzungsdauer, der Anteil wiederkehrender Nutzer oder – bei Bezahlangeboten – die Konvertierung von Inhalten in Abos. Viele Redaktionen ermitteln daraus „Scores“, die die Qualität und Wertigkeit einzelner Inhalte bewerten können.

Während eine starke Zahlenorientierung in Printredaktionen vielerorts immer noch unüblich ist, sind entsprechende Metriken in Online-Redaktionen selbstverständlich. Bei Web.de und GMX wird beispielsweise jede Redakteurin und jeder Redakteur an der Nutzerzufriedenheit gemessen. Monatlich werden entsprechende Werte bei unseren Leserinnen und Lesern erhoben, die Ergebnisse fließen in variable Gehaltsbestandteile ein.

Neben allen Zahlen bedarf es aber einer – schwer messbaren – berufsethischen Basis, um Qualität im Journalismus zu sichern. Und auch, wenn er nicht zu Unrecht als „zahnloser Tiger“ bezeichnet wird, so setzt der Deutsche Presserat mit dem Pressekodex doch einen entscheidenden Rahmen. Die Öffnung des Presserats auch für reine Online-Medien (Web.de und GMX haben sich 2019 der freiwilligen Selbstkontrolle angeschlossen) war ein wichtiger Schritt, um Qualitätsstandards auch in der digitalen Welt zu gewährleisten – abseits von Klicks und Fünf-Sterne-Bewertungen.


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Weiterführende Informationen

  • Arnold, Klaus (2016): Qualität im Journalismus. In: Meier, Klaus; Neuberger, Chirstoph (Hrsg.): Journalismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Studium, Nomos, S. 141-157.
  • Der Spiegel (Hrsg.) (2020): Die Spiegel-Standards.
  • Die Medienanstalten: Medienvielfaltsmonitor.  
  • Rebbe, Thomas (2018): Wie Klicks die Redaktionsarbeit beeinflussen. In: Mast, Claudia (Hrsg.): ABC des Journalismus. Herbert von Halem, S. 461 f.  
  • Seethaler, Josef (Hrsg.) (2015): Qualität des tagesaktuellen Informationsangebots in den österreichischen Medien. Schriftenreihe der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH, Band 1.  
  • Web.de (Hrsg.) (2020): Ihre Mails. Ihre News. So sieht unser redaktionelles Leitbild aus.
  • Wyss, Vinzenz; Studer, Peter; Zwyssig, Toni (2012): Medienqualität durchsetzen. Orell Füssli.
  • Zeit Online (Hrsg.) (2018): Leitlinien der Redaktionen von Zeit und Zeit Online.
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Empfohlene Zitation:
Rebbe, Thomas (2021). Fünf Sterne-Journalismus. In: Brückerhoff, Björn (Hrsg.):
 Neue Gegenwart. Magazin für Medienjournalismus. Schwerpunkt Qualität. 24. Jg., H. 62. Permalink

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