Text: Marcus Bölz
Welche Fehlerkultur ist notwendig für eine innovative Redaktion?
Es gilt, den Druck zu absorbieren. Herausforderungen, Chancen und Probleme transparent zu benennen. Dabei sollten Paradoxien und Konflikte in klarer Sprache angesprochen und die (in unserer Betrachtung) Redaktionsmitglieder am Lösungsprozess beteiligt werden. Damit dies gelingt, bedarf es einer professionellen Fehlerkultur. Leider ist es (insbesondere in Deutschland) anscheinend gelebte Praxis, dass Menschen, aus Furcht heraus einen Fehler begehen zu können, lieber nichts machen als zu „scheitern“. Eine fatale Haltung, denn mit dieser (leider in Schulen und Familien schon bei den Jüngsten erstaunlich häufig eingeübten) Vermeidungsstrategie raubt sich der Mensch als von seinen Fähigkeiten eigentlich permanent lernendes Wesen die Möglichkeit der organischen Entwicklung.
Der konstruktivere Weg im Umgang mit Fehlern beginnt damit, dass Fehler nicht vertuscht werden. Vor allem sind sie nicht mit Schuldzuweisungen verbunden und sie werden auch nicht missbraucht, um Machtverhältnisse in einer Organisation zu zementieren. Ein Verhalten, was man leider in Redaktionsstuben ab und an erleben kann. Es beginnt auch keine Suche nach einem vermeintlichen Sündenbock. In einer innovationsfreundlichen Arbeitskultur werden Fehler als Chance wahrgenommen, die eigenen Prozesse auf den Prüfstand zu stellen. Fehler sind Prozessstarter, nach den Ursachen für Entwicklungen zu forschen. Sie dienen somit als perfekte Chance, in der Zukunft noch bessere redaktionelle Beiträge, Dienstleistungen oder Produkte entwickeln zu können.
Eine gesunde Fehlerkultur integriert somit zwei Komponenten. In erster Linie sollte dem Mitarbeiter klar gemacht werden, dass es erlaubt, menschlich, und in einigen Fällen sogar sehr produktiv ist, Fehler zu machen. Die zweite Komponente wiederum ist die professionelle Analyse des Fehlers.
Selbstverständlich muss das Ziel dann sein, dass nicht der Einzelne, sondern alle Redaktionsmitglieder aus dem Fehler tatsächlich lernen und so ein Optimierungsprozess gestartet wird, der wiederum die Chance besitzt, ein gewisses Innovationspotenzial in sich zu tragen. Sie merken: Fehler können Organisationen zukunftsfit machen. Dafür ist es aber wichtig, die Leitfrage zu stellen: „Was waren die Ursachen für das Problem“ und nicht „Wer ist der Schuldige und wie kann ich ihn zur Verantwortung ziehen?“
Zahlreiche Redaktionen verknüpfen ihr Engagement um eine konstruktive Fehlerkultur mit ihrem Beschwerdemanagement. Zum Beispiel durch die Einsetzung eines sogenannten Ombudsmannes. Egal ob Mitarbeiter, externe Experten oder die Kunden: Wenn Menschen ehrlich eingeladen werden, sich über Produkte, Prozesse und Dienstleistungen Gedanken machen zu dürfen, so steigert dies nicht nur die Identifikation. Es führt auch dazu, dass Mängel unaufgeregt, selbstkritisch aber ohne negative Konsequenzen analysiert und konstruktiv untersucht werden. Im besten Falle entsteht so eine lernende Redaktion, die permanent Erfahrungen und vor allem das Erworbene theoretische und praktische Wissen auswertet. In einem nächsten Schritt kann dies nun wieder mit dem Wissensmanagement des Medienhauses verknüpft und mit den einzelnen Kompetenzfeldern der Organisation verbunden werden. Experten wie beispielsweise Senge weisen darauf hin, dass dazu eine Kultur des zukunftsgerichteten Lernens die Voraussetzung für innovatives Agieren ist (Senge 1994). Schulz-Hardt und Frey haben wiederum ganz pragmatisch sechs einfach zu realisierende Techniken identifiziert, um eine konstruktive Fehlerkultur in Redaktionen und sonstigen Organisationen zu implementieren (Schulz-Hardt/Frey 2000):
Pinnwände: Ideen, Verbesserungsvorschläge, Defizite, aber auch Gedankenspielereien werden notiert. Diese dürfen auch ruhig humorvoll oder sehr spielerisch motiviert sein.
Projektreflexion: Alle Prozessbeteiligten sollen reflektierten, was gut und was schlecht lief. Dies sollte protokolliert und allen Beteiligten unkompliziert sichtbar gemacht werden. Wichtig ist dabei ein offenes Gesprächsklima.
Laufende Teamreflexion: Damit Organisationen tatsächlich Höchstleistungen und einen hohen Innovationsgrad erreichen ist es wichtig, neben der Sach- auch die Beziehungsebene der Teammitglieder zu reflektieren (West 1990).
Mängellisten: Blindarbeit, Doppelarbeit, fehlende Kommunikation: Teilweise merkt man erst im Prozess des Arbeitens, an welchen Stellen es knirscht. Wenn die Mitarbeiter darauf hingewiesen werden, diese Aspekte in einer Mängelliste zu protokollieren, so kann auch im Detail optimiert werden. Nur sollte dies unkompliziert geschehen und die Konzentration auch nicht zu sehr in Anspruch nehmen. In Regelmäßigen Abständen ist es dann wichtig, diese Listen im Team miteinander abzustimmen um die Prozesse insgesamt zu verbessern.
Fehler des Monats: Um nicht nur von einer Fehlerkultur zu reden sondern auch tatsächlich die Sinne aller Beteiligter dafür zu schärfen macht es Sinn, in einem Wettbewerb den „Fehler des Monats“ oder die „Fehlentscheidung des Jahres“ zu prämieren. So kann die Ursachenanalyse intensiviert und das Suchen von Sündenböcken noch besser vermieden werden.
W-Fragen beantworten: Journalisten lernen beim Formulieren von Meldungen, dass am Anfang der kleinen Texte die wesentlichen Aspekte schnell auf den Punkt gebracht werden müssen. Dazu helfen die sogenannten W-Fragen (Wer, Warum, Wo, Weshalb, Wie,…). Wer diese W-Fragen konkret stellt und konkrete Antworten im Team einfordert, wird über eine oberflächliche Behandlung von Problemen hinaustreten und tatsächlich die Lage und etwaige Verbesserungen behandeln. So kann man viel effektiver auf den Kern des Fehlers stoßen und die Prozesse oder das Produkt wieder einen weiteren Schritt verbessern.
Warum sind Konflikte für innovative Redaktionen von hoher Relevanz?
Lernende Redaktionen und Systeme mäandern wie Flüsse. Immer weniger Herausforderungen werden in homogenen und eindimensionalen Strukturen auflösbar sein. Redaktionsleiter müssen deshalb über ihren Tellerrand hinausblicken und Menschen mit unterschiedlichen Begabungen, Sozialisationen und Kulturerfahrungen an einen Tisch bringen. Dies führt häufig zu Konflikten. Wir stellen die These auf: Konflikte gehören zum Alltag von Redaktionen. Wer miteinander um zukunftsträchtige Lösungen ringt, der kommt sich gelegentlich auch in die Quere. Konstruktiv aufgelöst haben Interessenskonflikte das Potenzial, Prozess- oder Produktinnovationen beschleunigen zu können. Dafür ist es aber sinnvoll, eine konstruktive Konfliktkultur in seiner Redaktion zu leben.
Auseinandersetzungen können auch zur Stagnation oder zum Energieabzug führen, wenn sie von einem Redaktionsleiter schlecht moderiert werden. Ein großes Problem ist zudem die mangelnde Konfliktbereitschaft. Innovationen sind in der Regel mit konfliktären Situationen verknüpft, weil Bestehendes im Innovationsprozess häufig in Frage gestellt wird. Ohne eine konstruktive Streitkultur besteht die Gefahr, dass man lieber keine Veränderungen anstrebt, um beispielsweise von Mitarbeitern gehortete Spielwiesen nicht zu gefährden. Redaktionelle Stagnation ist häufig die Folge von solchen Entwicklungen. Gefährlich wird es für Medienhäuser, wenn die Führungskräfte selbst um ihren Einfluss bangen und ihr Agieren an diesen individuellen Zielen statt am Teamerfolg und der Qualität der Berichterstattung ausrichten.
Janis hat dazu eine Theorie der Entscheidungsprozesse entwickelt (Janis 1982). Er konnte zeigen, dass die Entscheidungsqualität steigt, wenn auch Minoritätspositionen auf Plausibilität überprüft und im positiven Fall auch realisiert werden. Falsche Harmonie wiederum senkt die Entscheidungsqualität. Eine konstruktive Streitkultur entwickelt Redaktionen aus Sicht der Organisationspsychologie somit zum Guten. Dies gilt insbesondere für das Phänomen des Gruppendenkens, dass mannigfaltig in der psychologischen Fachliteratur diskutiert wird. So hat Janis zum Beispiel belegen können, dass die Aufrechterhaltung der Kohäsion und Solidarität einer Gruppe wichtiger ist als das betrachten realer Fakten. Diese Erkenntnisse decken sich mit der Forschung von Leon Festinger zur sogenannten kognitiven Dissonanz. Die Theorie geht von dem Sachverhalt aus, dass tendenziell eher Informationen ausgewählt werden, die eine getroffene Entscheidung als richtig erscheinen lassen, während gegenteilige Informationen abgewehrt oder nicht beachtet werden (Festinger 1957). Gemäß der Theorie besteht im Individuum die Motivation, nicht miteinander übereinstimmende kognitive Elemente zu vermeiden und somit die erlebte kognitive Dissonanz zu reduzieren. Übertragen auf die Praxis des Arbeitslebens bedeutet dies für die Innovationsbereitschaft nichts Gutes: Der Mensch strebt der Theorie nach an, das zu glauben und zu machen, was er sowieso für den richtigen Weg hält. Aktionen oder Informationen, die das eigene Weltbild stützen, werden fokussiert. Um Innovationsbereitschaft zu wecken müssen Führungskräfte erkennen, dass die Natur des Menschen anscheinend veränderungsresistenter ist, als es auf den ersten Blick erscheint.
In der Folge werden mögliche Alternativen nicht wahrgenommen. Risiken und Veränderungen werden übersehen und Fehlentscheidungen kommunikativ heruntergespielt oder gar vertuscht. Janis konnte zeigen, dass hoch kohäsiv geprägte Gruppen mit Führungspersonen, die direktiv statt moderierend leiten, besonders anfällig für die skizzierten Probleme des Gruppendenkens sind. Die Gefahr für solche Gruppen in solche Verhaltensmuster zu fallen steigt laut Janis zudem auch bei einem hohen Stressgrad.
Globales Führungsverständnis, Integrität und Glaubwürdigkeit werden ihnen als Führungskraft aber nicht automatisch helfen, innovative Arbeitsergebnisse ihrer Redaktion zu generieren. Ihre Mitarbeiter benötigen insbesondere im Journalismus auch eine gewisse Portion Neugier, um zu neuen Ufern aufzubrechen. Wer Kinder beim Spielen aufmerksam beobachtet, erkennt ihre Neugier. Anscheinend sind wir von Geburt an neugierige Wesen, die ihren Horizont systematisch erweitern möchten. Kinder lernen durch Fragen und durch ihre Neugier die Welt kennen. Warum sollte dies auf erwachsene Menschen im Arbeitsleben nicht mehr zutreffen? Einige Erwachsene haben sich eine Frage- und Neugierkultur bewahrt. Andere eher nicht. Für innovative Redaktionen ist solch eine Kultur des Fragens und der Neugier aber von einer sehr hohen Relevanz. In solch einer Kultur werden Journalisten ermutigt und aufgefordert, keine Tabus zu haben und Fragen zu stellen. Auch hinter Türen zu blicken, die bisher verschlossen geblieben sind. Für den Chef bedeutet dies: Er fordert seine Mitarbeiter aktiv dazu auf, alles in Frage zu stellen. Was er beantwortet und wie viel er an Wissen preisgibt, muss er im Sinne der Redaktion entscheiden. Zentral ist seine Bereitschaft, ehrlich und authentisch die Fragen zu beantworten und Entscheidungen zu begründen. Dazu ein Beispiel aus einer anderen Branche. Frey und seine Kollegen führen das Beispiel des Stuttgarter Automobilbauers Porsche an, um diesen Aspekt zu verdeutlichen: „Porsche bildet zum Beispiel seine Führungskräfte systematisch im richtigen Fragen aus. Wer fragt, der führt. Wer nicht fragt, erhält keine Antworten. Menschen müssen also lernen, die richtigen Fragen zu stellen und richtig zuzuhören. Das ist ein entscheidender Aspekt sowohl für die Generierung als auch für die Implementierung neuer Ideen“ (Frey et. al 2006).
Inspiration gilt als Quelle der Innovation. Begeisterung und Neugier vorzuleben kann nur dann ein erfolgreicher Weg sein, wenn dies in der Fremdwahrnehmung auch als authentisch wahrgenommen wird. Für die Mitarbeiter bedeutet dies: Mitdenken, Mitverantworten und Mitbestimmen sind nicht nur nett klingende Schlagwörter, sondern auch eine Herausforderung. Wir vermuten: Ohne eine gewisse geistige Mobilität werden Sie als Führungskraft in ihrer Redaktion Schwierigkeiten bekommen, eine Innovationskultur zu etablieren. Das Zauberwort hierfür lautet Flexibilität im Denken und Verhalten. Führungskräfte, die ein starres oder rigides Perfektionsstreben zum Maß der Dinge machen sind aus Sicht der Organisationspsychologie der Tod von Innovation. Insbesondere ein nicht-situativer Führungsstil, der stupide auf Einhaltung von Abläufen und Regeln pocht, ist für die unternehmerische Kreativität gefährlich. Im Innovationsmanagement erfahrene Experten pochen darauf, das Querdenken, die Kreativität, die Phantasie, gar ein gewisses Maß an schöpferischem Chaos gezielt zu fördern. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass bedeutende Unternehmen in den vergangenen Jahren gezielt interne Regeln und Vorschriften minimiert haben, um innovativen Erneuerern und vorausschauenden Denkern in ihren Unternehmen mehr Raum zu schenken. Ihr Erfindergeist, ihre Risikobereitschaft, ihr Mut zu unkonventionellen Ideen sind der Quell der Erneuerung und damit der Zukunft von Organisationen.
Im Journalismus gibt es diesbezüglich einiges nachzuholen. Die Förderung einer Phantasie- und Kreativitätskultur ist wichtig für Redaktionen, die sich zukunftssicher aufstellen wollen. Die Wissenschaft des Spiels, die sogenannte Ludologie, hilft dabei, die kognitiven Prozesse beim Experimentieren, beim Ausprobieren, beim Spielen mit den gedanklichen Grenzen zu verstehen. Gepaart mit einer gewissen Durchsetzungskraft und Persistenz rechnen sich diese Freiräume für Redaktionen nachhaltig. Denn aus Spielereien werden Ideen und aus Ideen Innovationen und aus Innovationen neue Produkte oder Dienstleistungen. Führungsverantwortliche sollten in innovativen Betrieben solche Prozesse somit nicht nur zulassen, sondern aktiv fördern. Hilfreich ist dabei Einsteins Hinweis, dass uns nie das Wissen fehlt, sondern häufig die Phantasie.
Aber: Redaktionskultur ist keine starre Checkliste, sondern eine nicht endende Suche nach einer strategischen Passung zur jeweiligen Redaktion. Nicht jeder Ressortleiter der Kulturredaktion muss deshalb in die Tiefen der Wissenschaft der Ludologie einsteigen. Um Medienhäuser in eine innovativere Zukunft zu führen, bedarf es reflektierter Persönlichkeiten. Frey und seine Kollegen fassen diesen Aspekt folgendermaßen zusammen: „ Innovationen können auf zwei Wegen erzielt werden: Erstens durch die Entdeckung von Fehlern, von Mängeln, von Schwächen, von Defiziten – und durch den Versuch, diese Fehler mit Verbesserungsideen zu überwinden und diese auch zu implementieren. Die zweite Möglichkeit ist die Reflexion: Wo ist das Ideal, wo ist der Sollwert, welches sind die Werte und Wünsche und in welche Richtung soll es gehen? Auch hier geht es nachher darum, Lösungsideen zu entwickeln und zu implementieren. Beide Aspekte können, wenn sie systematisch und flächendeckend eingesetzt werden, zum Erfolg führen – sowohl in der Generierung als auch in der Umsetzung neuer Ideen (Frey et. al 2006).
Zahlreiche Arbeits- und Organisationspsychologen wie Witte oder Hauschildt haben nachweisen können, wie wichtig eine sogenannte Innovationskultur für Optimierungsprozesse in Unternehmen ist. Dabei ist wichtig, dass früh ein Bewertungssystem entwickelt wird um in späteren Zeiten überprüfen zu können, ob die Umsetzung neuer Ideen überhaupt sinnvoll war. Es sollte im Team Transparenz herrschen, wer für die Realisierung der einzelnen Schritte die richtige Persönlichkeit ist. Dabei gilt: Ideen zu generieren ist der eine Prozess. Diese umzusetzen und tatsächliche Implementierung von Innovation durchzuführen ein anderer. Es müssen nicht unbedingt die gleichen Teammitglieder sein, die Experten für beide Prozesse sind. Auch hierbei ist die Gefahr, dass bei der Implementierung bisherige Privilegien angetastet werden. Führungskräfte sollten diese systemimmanenten Widerstände erkennen und früh diskutieren (Witte 1973, Hauschildt 1999).
Die Praxis in Redaktionen zeigt aber, dass angepasstes Denken von Mitarbeitern durch die Führungskräfte immer noch in zahlreichen Redaktionen goutiert wird. Manch einer erzieht seine Mitarbeiter zu dressierten Äffchen, die stur nach Regeln befolgend die Direktiven umsetzen, ohne eine situative Intelligenz für die relevanten inhaltlichen Fragestellungen zu entwickeln. Solche Mitarbeiter tun sich sehr schwer, in flachen Hierarchien agieren und ihren eigenen Entscheidungen vertrauen zu können. Vorauseilender Gehorsam fördert so ein unkritisches Entscheidungsverhalten auf Seiten des Managements. Die Konsequenzen eines solchen Führungsverhaltens zeigen Frey und seine Kollegen auf: „Bestehende Krisen verschärfen sich, Neuerungen haben keine Chance. In einer Zivilcouragekultur sind dagegen konstruktiver Eigensinn, der Mut zum Widerspruch, das Vertreten des eigenen Standpunkts nach oben wie nach unten gefordert. Die Zivilcouragekultur lebt vor allem vom Vorbildverhalten“ (Frey et. al 2006). Wenn solch eine Haltung das prägende Element einer Organisationskultur wird, so ist es nachvollziehbar wenn Änderungen auf eine Blockade stoßen. Dies erzeugt eine mentale Haltung, auch bei offensichtlichen Defiziten, die Prozesse als unveränderbar anzusehen.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse der Milgram-Studien, die in zahlreichen ähnlichen Versuchsanordnungen die Tendenz zu blindem Gehorsam untersucht haben. Die Versuchspersonen mussten auf Druck eines Versuchsleiters Schülern bei der falschen Beantwortung von Fragen anhand eines Reglers Stromstöße verpassen. Die Versuchspersonen konnten die Befragten nicht sehen, aber ihre akustischen Reaktionen hören. Tatsächlich ging die Skala der Stromstöße so hoch, dass diese einen tödlichen Effekt haben mussten und infolgedessen die akustische Reaktion ausblieb. Zum Erschrecken aller waren in der Ausgangsstudie 85 Prozent der Befragten bereit, tödliche Stromstöße auf Anordnung des Versuchsleiters zu erteilen (Günther 1994). Wenn der Versuchsleiter hingegen dieses Verhalten verweigerte, so waren nur noch 15 Prozent der Versuchspersonen imstande, die tödliche Dosis an Stromschlägen zu vermitteln. Eine Kultur der Zivilcourage lebt vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses in einem hohen Maße davon, dass Führungskräfte als Vorbilder agieren und der Aspekts des Lernens am eigenen Modell relevant ist (Frey et. al. 2004).
Jede Redaktion hat eine andere Beschaffenheit und eigene Herausforderungen, die sich nicht im Stile eines klassischen Lehrbuches nach einem Prinzip aufgreifen lassen. Deshalb lassen sich diese hier in idealtypischer Manier vorgestellten Elemente der sogenannten „Center-of-Excellence-Kulturen“ nicht immer so einfach umsetzen. Die Innovationsforschung benennt drei strukturelle Aspekte, die die Einführung solcher Kulturen wesentlich vereinfachen:
- Flache Hierarchien
- Wenig Bürokratie und sonstige Reglementierungen
- Konstruktiver und intensiver Austausch zwischen den verschiedenen Abteilungen
Liepmann und seine Kollegen diskutieren anschaulich, warum flache Organisationhierarchien aus struktureller Sicht zu mehr Flexibilität, Innovation und Dynamik führen. Rangorientierte Strukturen blockieren in einem ausgeprägten Maße die Durchlässigkeit und den freien Informationsaustausch. Laut Liepmann versuchen die unterschiedlichen Machtzentren und Bereiche, ihre Position und Macht in der Organisation zu erhalten oder gar auszubauen. Die Innovationsforschung weist darauf hin, dass neben den Fachkompetenzen auch die sogenannten Machtpromotoren in Organisationen wichtig sind, um Innovation voranzutreiben (Witte 1973, Hauschildt 1999). Die Erfahrung zeigt: Flache Hierarchien unterstützen alle in diesem Text benannten Aspekte von redaktionellen Innovationskulturen. Geberts Innovationsmodell stützt diese Thesen. Er belegt, dass es für tatsächliche Innovationsschübe in Unternehmen von hoher Wichtigkeit ist, dass Defizite, beispielsweise das künstliche Festhalten von Mitarbeitern an bürokratisch reglementierten Abläufen, nicht nur wahrzunehmen und als Problem zu formulieren. Solche Defizite müssen vom Team auch als veränderbar erlebt werden, um tatsächlich eine Innovationskultur zu etablieren. Führungskräfte sind dabei in ihrer Empathie herausgefordert. Es dreht sich bei diesen Entwicklungen nämlich häufig nicht um objektive Realität, sondern um die subjektive Wahrnehmung von Veränderungspotenzialen. So leisten Unternehmenskulturen einen zentralen Beitrag, wie sich Mitarbeiter in Innovationsprozesse einbringen und ob das Veränderungspotenzial wahrgenommen wird oder nicht (Cohen-Charash/Spector 2001).
Ein ganz pragmatischer Aspekt bei der Förderung von zukunftsgerichteter und innovationsfördernder Redaktionskultur ist die Einrichtung von informellen Treffpunkten. Dies fördert das Netzwerken von Innovatoren in Medienhäusern über Abteilungsgrenzen hinweg. Neben den am Anfang des Kapitels dargelegten Persönlichkeitsdispositionen können Sie auch aktiv Kreativitätstechniken vermitteln. Es gibt eine ganze Reihe an sinnvollen Brainwriting- oder Brainstormingtechniken, die nachweislich kreativitätsfördernd sind. West hat in Untersuchungen zum Thema Teamklima aufgezeigt, dass die Intensität kreativer Prozesse von den Besonderheiten von Gruppen abhängt (West 1990). Spüren Sie als Führungskraft also die Vielfalt an Potenzial in ihrem Team auf und achten Sie auf eine gleich gewichtete Synopse von Beiträgen. Normieren Sie also nicht ihre Mitarbeiter, sondern aktivieren sie die Vielfalt in ihrem Team.
Darüber hinaus hilft eine in der Redaktion fest etablierte Mentalität, Lust zu haben, „um die Ecke“ zu denken, unterschiedliche Lösungswege für kognitiv herausfordernde Aufgaben zu finden. Dies kann man mit Hilfe von Kreativitätstechniken lernen. Es hilft sich dabei die Frage zu stellen, welche Mitarbeiter aufgrund welcher Fähigkeiten und Erfahrungen, die sie bereits gesammelt haben, neue Ideen generieren können. Lernen Sie als Redaktionsleiter, neue Konstellationen auszuprobieren, indem sie die Mosaiksteinchen Ihrer Möglichkeiten neu gruppieren. Überprüfen sie dabei kreativitätsfördernde Rahmenbedingungen ihrer Organisation oder Abteilung.
Zusammenfassend ist für die Führungskultur in innovativen Redaktionen festzustellen: Werte schaffen Wert. Eine handlungs- und zukunftsorientierte Perspektive hilft Führungskräften, sich für die anstehenden Aufgaben zu wappnen. Glaubwürdigkeit und Fairness sind unabdingbare Leitplanken, um eine innovative Organisationskultur zu implementieren. Mut und Risiko, Intuition, Systematisches Denken, gesellschaftliche Verantwortung, Integrität und Wachstumsorientierung – und dabei auch noch charmant und um die Ecke denkend: Die Anforderungen an die Redaktionsleiter von heute und von morgen sind enorm.
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