Text: Marcus Bölz
Bild: Benjamin Suter
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Chefs nerven. Sie fordern mehr Leistung ein, gewähren keine Gehaltserhöhung und zerren einen in überflüssige Konferenzen. Auf denen reden dann nur sie und am Ende sind sie verwundert, dass kein „Teamspirit“ entsteht. So weit, so schlecht. Umfragen belegen kontinuierlich, dass in Deutschland zahlreiche Menschen mit einer sogenannten „inneren Kündigung“ arbeiten. Vier von fünf Mitarbeitern fühlen sich ihrem Unternehmen kaum oder gar nicht emotional verbunden, so das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Beratungsunternehmens Gallup aus dem Jahr 2018. 71 Prozent der Befragten gaben an, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen. Bei 14 Prozent ist die Bilanz noch negativer: Sie haben innerlich schon gekündigt. Deshalb beschäftigen sich seit vielen Jahren zahlreichen wissenschaftliche Disziplinen mit der Relevanz von Führung für die Organisationskultur. Kommunikation ist dabei häufig das Zauberwort. Der Beitrag der Journalistik in der Frage ist bislang jedoch sehr bescheiden. Dabei spielt die Führung auch im Journalismus eine wichtige Rolle, wenn es um die Frage der Qualität geht. Vor allem aber sind Redaktionsleiter gefordert, wenn sie zu innovativen Redaktionsagieren anregen sollen.
Prof. Dr. Marcus Bölz hat an der Universität Dortmund Journalistik auf Diplom und Psychologie als Nebenfach studiert und 2005 abgeschlossen. Er arbeitete als freier Journalist und als Redakteur für diverse Medien, unter anderem für die Deutsche Welle, DPA, Zeit-Online, die Frankfurter Rundschau, die Schwäbische Zeitung und die Rhein-Zeitung. Nach seiner Promotion im Fachbereich Medien an der Universität Koblenz-Landau und zahlreichen Lehraufträgen an diversen Hochschulen wurde er 2013 an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Hannover zum Professor für Journalistik und Sportpublizistik ernannt. Seit Sommer 2014 ist Bölz Leiter des Instituts für Sportkommunikation der FHM. Er ist verheiratet mit der Journalistin und Theodor-Wolff-Preisträgerin Rena Lehmann sowie Vater von Grete, Romy und Felix Bölz.
Die redaktionelle Praxis im Journalismus ist geprägt von zahlreichen Abläufen, Maxime und Praktiken. Die Herausforderung ist, die zahlreichen Prozesse miteinander so zu verzahnen, dass der redaktionelle Ablauf, neudeutsch auch Workflow genannt, möglichst effizient die vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen nutzt. Das Ziel ist dabei ein qualitativ anspruchsvolles journalistisches Produkt zu realisieren. Dies ist die zentrale redaktionelle Führungsaufgabe im Journalismus und wird mit dem Fachbegriff Redaktionsmanagement benannt. Als Redaktionsleiter eines redaktionell organisierten Mediums müssen dabei zahlreiche Parameter mitbedacht werden.
So weit, so anspruchsvoll. Denn das Problem der kompletten Prozesse ist, dass sie im Zeitalter crossmedial aufgestellter Medienhäuser unter stetem Zeitdruck und permanenter öffentlicher Aufmerksamkeit realisiert werden müssen. Wenn man sich die Redaktionsteams aber ansieht so fällt auf, dass im Zuge des digitalen Medienwandels der Personalschlüssel in den meisten Häusern nicht wirklich parallel zu den Aufgaben gewachsen ist. Zwar arbeiten inzwischen die meisten Redaktionen nach dem sogenannten „Newsdeskprinzip“. Einer sinnvollen Neuorganisation der Arbeitsabläufe mit dem Ziel, journalistische Beiträge auf allen Ausspielkanälen mit hoher inhaltlicher Qualität in höchstmöglicher Aktualität bieten zu können. Doch bei genauerer Beobachtung, beispielsweise bei Teilnehmenden Beobachtungen redaktioneller Abläufe (vgl. Bölz 2014), erkennt man sehr schnell, wie die Belegschaften unter der zunehmenden Last der Aufgaben ächzen.
Jahrelang galt der Journalismus im deutschsprachigen Raum aber als Traumjob, der wie magisch junge und auch gutausgebildete Menschen in die Redaktionen spült. Dies führte zwangsläufig zu der für die Leitung der Häuser sehr komfortablen Situation, sich aus vielen Bewerbern die Besten herauspicken zu können. Das in den Redaktionen häufig gehörte latent umgangssprachliche Motto diesbezüglich: Nur die Harten kommen in den Garten. Und die „Harten“ hatten bereits vor dem obligatorischen Studium jahrelang als freie Journalisten, vielleicht sogar für das eigene Medium, für sehr kärgliche Löhne gearbeitet. Selbstverständlich neben dem Studium mindestens drei Praktika in Redaktionen und eine Auslandserfahrung mitgenommen und – ja klar – auch weiterhin frei für diverse Medien, gerne auch bimedial geschrieben und produziert. Nach Beendigung des Studiums folgte dann erst noch eine Zeit des kostenminimierten Arbeitens in Redaktionen, um wirklich auch zu sehen, ob sie es können – und dann folgten mit viel Glück zwei Jahre Volontariat für ein spärliches Gehalt. Wie selbstverständlich verfügten die Medienhäuser über ein enormes Reservoir an jungen Journalismustalenten, die für ein kärgliches Gehalt bereits waren, mit einem ausgeprägten Einsatz in das redaktionelle Geschehen einzusteigen, vielleicht sogar einen gutbezahlten Redakteur schnell billig ersetzen zu können. Diese Zeiten sind vorbei.
Die Branche hat nämlich inzwischen das Problem, dass Sie für die junge Generation immer unattraktiver wird. Gerade, wenn es um Medienhäuser geht, die nicht in den als hip geltenden Großstädten Berlin, München, Hamburg, Köln, Frankfurt oder Stuttgart angesiedelt sind. Inzwischen melden sich Chefredakteure bei privaten Fachhochschulen und fragen nach integrierten Kooperationsmodellen mit Volontariaten und Masterstudiengängen, um überhaupt noch attraktiv zu sein für neues Personal.
Schuld an diesem negativen Imagewechsel ist zu einem Großteil die Branche selber. Vor allem die Vertreter der Tageszeitungsverlage sind Meister der eigenen Apokalypse. Sie haben im vergangenen Jahrzehnt ihr Produkt schlecht geredet. In den vergangenen Jahren wirkten manche Vertreter trotz teilweise zweistelliger Umsatzrenditen wie vernarrt in das eigenen Untergehen. Fast so, als wären sie ein fiktives Geschöpf von Thomas Bernhard. Doch trotz aller Unkenrufe erreichen Inhalte der Tageszeitungsverlage über ihre diversen Ausspielkanäle immer noch etwa drei Viertel der deutschen Bevölkerung und es werden in der Branche Gewinne gemacht. Deshalb benötigt es kompetente Redaktionen, die kompetent berichterstatten. Aber werden diese auch kompetent geführt?
Häufig werden Journalisten zu Redaktionsleitern, weil sie spezifische Aufgaben des Journalismus exzellent beherrschen. Sie fallen beispielsweise positiv auf, weil sie attraktive Artikel schreiben können. Oder sie recherchieren brillant. Andere gelten als sogenannte „Trüffelschweine“, weil sie eine Nase für gesellschaftlich relevante Themen haben, die sie ohne dass die Redaktion es mitbekommt mit hoher Persistenz verfolgen und daraus wunderbare Stories kreieren. Oder sie können in Kommentaren pointiert Meinungen vertreten und fallen diesbezüglich auf. So weit so anspruchsvoll. Jeder freut sich, wenn respektable Journalisten in den Chefsessel aufsteigen. Doch häufig werden ihre Qualitäten dort gar nicht mehr benötigt.
Denn plötzlich müssen sie in ihrer neuen Position Management- und Führungsaufgaben übernehmen, die wenig mit ihren journalistischen Qualitäten zu tun haben: Teamsitzungen führen, technische und organisatorische Aufgaben koordinieren. Etats aufstellen und kontrollieren. Die Kollegen von einst motivieren, manchmal sogar unsanft. In Abnahmekonferenzen statt als Schreiber aufzutrumpfen plötzlich die Seiten auf Kommafehler gegenlesen. Modernes Redaktionsmanagement ist in einem hohen Maße daran interessiert, dass die Qualität der journalistischen Inhalte stimmig ist. Die Sicherung der Qualitätsstandards ist somit eine zentrale Aufgabe. Dazu gehören Maßnahmen wie Abnahmekonferenzen, Stil- oder Redigaturregeln. Den redaktionellen Workflow generalistisch sichern und dabei auch noch stetig produktiv und fehlerfrei sein. Aber auch Personalrekrutierung, -führung und -entwicklung. Eine Mammutaufgabe, für die Chefs im Journalismus häufig noch nicht einmal kurzfristig vorbereitet werden. Man wirft sie in der Regel einfach ins kalte Wasser.
Seit einigen Jahren sollen sie dann – Achtung Modewort – auch noch eines sein: innovativ. Produkte, Prozesse, Kanäle und vor allem die Leser-, Zuschauer- oder Zuhöreransprache sollen neu sein. Verknüpft mit der Hoffnung, dass dieses diffuse „Neue“ mittelfristig auch tatsächlich einen finanziellen Mehrwert generiert. Was für ein Trugschluss. Denn die Digitalisierung führt zwangsläufig zu einer Ausdifferenzierung der Mediennutzung und des Medienangebots – nicht zu einer Substitution. Neue Medien bringen die alten nicht zum Verschwinden, sondern führen zu einer Ausdifferenzierung: Immer mehr und immer spezieller auf spezifische Funktionen eingestellte Medien machen die Kommunikationsumgebungen der Menschen immer komplexer. Man kann von einem Medienarrangement reden bei kleineren und anspruchsvollen Zielgruppen, die ihrerseits wiederum in einer Gratis-Mentalität des Medienkonsums sozialisiert wurden. Die Erwartung ist aber dennoch: Höhere Einnahmen generieren. Die Quadratur des Kreises ist perfekt.
Wenn man sich mit Redakteuren in Medienhäusern unterhält, so wird die Relevanz der Führung der Redaktion für die Qualität des Produkts als zentral angesehen. Die Journalismusforschung, auch Journalistik genannt, hat sich damit aber noch gar nicht so intensiv befasst. Zwar beschäftigt sich vor allem der Eichstätter Journalismusprofessor Klaus Meier schon seit längerem mit Innovationen im Journalismus und der Frage, wie und unter welchen Rahmenbedingungen die journalistische Aufgabe von Redaktionen umgesetzt wird. Die bahnbrechende Studie, wie dezidiert die Rolle der Redaktionsleitung im digitalisierten Journalismus eingeschätzt wird oder gar welche Faktoren wichtig sind, um Redaktionen zu einem innovativen Agieren zu bewegen, fehlt der Journalistik insgesamt bislang. Dies verwundert, denn in anderen Branchen sowie anderen wissenschaftlichen Disziplinen wird seit längerem das Führungsverhalten als ein entscheidender Schlüssel zur Qualität angesehen. Insbesondere die Organisationspsychologie hat in den vergangenen Jahren intensiv zu dem Thema Führung und Organisationskultur geforscht. Das Ergebnis dabei: Werte schaffen Wert. Es bedarf einer spezifischen Kultur, damit eine Arbeitsorganisation tatsächlich innovativ agiert.
Die generelle Leitfrage dabei: Wie müssen Organisationen und die Führung in diesen beschaffen sein, damit tatsächlich ein veränderungsoffenes Klima entsteht? Bedenken Sie: Ein Innovationsanregendes Unternehmen aktiviert Potenziale auf der Personen- wie auf der Gruppenebene. Im Gegensatz dazu blockiert eine veränderungsfeindliche Umwelt die Bereitschaft der Mitarbeiter oder ganzer Teams, motiviert, kreativ und veränderungswillig zu agieren. Experten konstatieren somit eine wechselseitige Abhängigkeit von Person und Umwelt, die zu Erneuerungsprozessen oder Höchstleistungen in Organisationen führt. Die in diesem Text dargelegte Position ist, den Forschungsstand zum Thema Innovationsbereitschaft in Teams der Organisationspsychologie für den Journalismus zu diskutieren um eine Erstüberlegung anzustellen, welche Elemente, Positionen und Annahmen in Betracht kommen, um das Thema tatsächlich genauer unter die Lupe zu nehmen.