Magazin für Medienjournalismus. Ausgabe 63
Seit 1998 herausgegeben von Björn Brückerhoff

Neue Gegenwart®
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Augmented Reality und Virtual Reality aus der Perspektive des Urheberrechts

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Text: RA Jens O. Brelle – Art Lawyer 
Bild: DeepAI

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Der Beitrag befasst sich mit der dynamischen Vermischung von Realität und Virtualität im Kontext mit Augmented Reality (AR)-Technologien, und zwar ausschließlich aus der Sicht des Urheberrechtes.*

Ausgangspunkt des Urheberrechts
Das moderne Urheberrecht befindet sich seit Beginn der Digitalität Ende der 1990er Jahre und auch seit Beginn der Entwicklung digitaler Welten immer stärker im Spannungsfeld zwischen dem hinreichenden Schutz der Interessen der Urheberinnen und Urheber (insbesondere deren Alimentations- und Amortisierungsinteressen) sowie dem Verhältnis zu den Werknutzenden und den Interessen der Verwertenden. Inhalt dieses Beitrages ist die Einordnung virtueller Techniken unter klassische urheberrechtliche Begriffe des Computerprogrammes, audiovisueller Bestandteile, des Filmwerks beziehungsweise des „Multimediawerkes“.

Begriffsklärung und technischer Hintergrund
Was bedeuten die Begriffe Augmented-, Mixed- und Virtual Reality, Augmented Reality-Umgebungen (ARU)? Prägendes Merkmal der Augmented Reality (AR) ist, dass die reale Umgebung der Nutzenden mit computergenerierten Zusatzelementen versehen wird. Die physische Welt wird für die Nutzenden mit virtuellen Elementen zu einer einheitlichen Realitätswahrnehmung zusammengesetzt. Bei einer Virtual Reality (VR) nehmen die Nutzenden m Unterschied dazu eine vollständig virtuelle Umgebung wahr. Die reale Umgebung wird dort im Gegensatz zu AR vollständig ausgeschaltet und durch eine in Echtzeit generierte interaktive virtuelle Umgebung ersetzt. Bei AR besteht hingegen eine Verbindung von realer und virtueller Welt, wobei eine Interaktion in Echtzeit stattfindet und ein dreidimensionaler Bezug der virtuellen zu den realen Elementen besteht. Der Begriff Mixed Reality (MR) ist ein Überbegriff für das Kontinuum zwischen realer und virtueller Welt. Augmented Virtuality (AV) ist eine rein virtuelle Welt, die allerdings bestimmte Gegenstände der realen Welt einbeziehe, zum Beispiel durch Überlagerung mit Texturen. Der Begriff Augmented Reality meint jede reale Umgebung, die mit virtuellen Elementen angereichert wird. Der Begriff Augmented Virtuality bezeichnet hingegen jede virtuelle Welt, die mit realen Elementen angereichert und somit quasi „spürbar“ gemacht wird. Beides zusammen wird unter dem Begriff „Mixed Reality“ zusammengefasst. Darüber hinaus gibt es weitere Diskurse und Diskussionen um die Begriffe „Augmented-“ oder „Mixed-Reality“.

Anwendungsfelder für Augmented Reality-Anwendungen
Für Augmented Reality-Anwendungen (ARU) gibt es viele Anwendungsbereiche. Diese können zum Beispiel in Museen eingesetzt, um einzelne Exponate im Kontext ihrer ursprünglichen Umgebung zu zeigen. Auch können Einblendungen auf der Windschutzscheibe moderner Autos vor Gefahren warnen oder zusätzliche Informationen direkt in das Sichtfeld des Fahrenden projizieren. Für die Planung von Inneneinrichtungen dienen virtuelle Möbelstücke, möglich ist auch das virtuelle Anprobieren von Kleidung und Accessoires. Ein großes Potential wird auch für den Gesundheits- und Fitness-Markt prognostiziert, etwa mit Blick auf die Teilnahme an virtuellen Sportkursen. Insbesondere bieten Videospiele ein erhebliches Potential zum (zukünftigen) Einsatz von AR. Im Unterschied zum „klassischen“ Videospiel wird die Umgebung des Nutzenden direkt in das Spiel einbezogen und Spielfiguren können in die Realität übertreten. 

Technische Funktionsweise von Augmented Reality
Zur Bewertung urheberrechtlicher Implikationen ist es sinnvoll, die Entstehung von Augmented Reality-Umgebungen zu klären, und zwar wie eine ARU für den Betrachter wahrnehmbar gemacht wird wie der technische Prozess, mit dem eine ARU geschaffen wird, funktioniert. 

Displays und Darstellung: Eine optische ARU kann den Nutzern auf drei verschiedene Arten wahrnehmbar gemacht werden: 

  • „video see-through“-Displays: Videofeeds der realen Umgebung, in die anschließend AR-Elemente „eingebaut“ werden. Hierunter fallen also alle ARU-Varianten, die mithilfe von (z.B. Smartphone-)Kameras erzeugt und über ein (meist mobiles) Display gesehen werden
  • „projective“-Displays: mithilfe von Projektoren wird die Wirklichkeit überlagert bzw. mittels Laser-Plasma-Technologiedreidimensionale werden Einblendungen in der Luft zu platziert 
  • „optical see-through“-Displays: Mithilfe transparenter Displays und Linsen wird die Wahrnehmung der Wirklichkeit erhalten, während die AR-Elemente darübergelegt werden. Diese Technik verwenden vor allem alle transparenten Datenbrillen bzw. „Smartglasses“.

Für den Massenmarkt scheint sich zurzeit vor allem die erste und dritte Variante zu etablieren, während der holografische Ansatz der zweiten Variante bislang eher ein physikwissenschaftliches Experiment bleibt. 

Unabhängig von der Display- bzw. Darstellungsart kann danach differenziert werden, ob die jeweilige Vorrichtung als „Head-Mounted“-Display, also eine am Kopf befestigte Vorrichtung, als „Handheld“-Display, also als mobile, bewegbare Vorrichtung oder ein „Spatial“-Display, also als räumlich fixierte Vorrichtung konzipiert ist.

Urheberrecht - Begründung von Werkschutz
Die Urheberinnen und Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst genießen für ihre Werke Schutz nach Maßgabe des Urheberrechtsgesetzes Urheberschutz, § 1 Abs. 1 UrhG. Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk, sog. „Urheberpersönlichkeitsrecht“ und in der Nutzung des Werkes, sog. „Verwertungs- & Nutzungsrechte“. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes.

Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören nach dem Urhebergesetzt insbesondere: Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme; Werke der Musik; pantomimische Werke einschließlich der Werke der Tanzkunst; Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke; Lichtbildwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden; Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden; Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen, § 2 Abs. 1 UrhG.

Voraussetzung für den Urheberrechtsschutz ist das Vorliegen einer Schöpfungshöhe, d.h. die Urheberrechtsschutzfähigkeit erfordert ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials.

Urheberin und Urheber ist die Schöpferin bzw. der Schöpfer des Werkes. Das Urheberrecht entsteht mit der Werksschöpfung und erlischt siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers, § 64 Abs. 1 UrhG.

Augmented Reality-Umgebungen bzw. -Anwendungen stellen keine eigene Werkkategorie im Urheberrechtsgesetz dar. Es stellt sich damit zunächst die Frage, ob und in welchem Umfang sie als Gesamtwerk und/oder in ihren Bestandteilen Schutz hiernach erfahren können.

Ein erster Anknüpfungspunkt für die urheberrechtliche Greifbarkeit von ARU ergibt sich aus dem digitalen Ursprung, nämlich des technischen Hintergrundprozess in Form des verwendeten Programmcodes, der grundsätzlich als Textwerk urheberrechtlichem Schutz zugänglich ist.

Zweiter Anknüpfungspunkt der Schutzfähigkeit kann das tatsächlich für die Nutzenden wahrnehmbaren (audio-)visuellen Erzeugnisse sein.

Auch eine Kombination von Bild, Ton, Text, Handlung und Konzept kann Gegenstand eigener Schutzrechte sein, und zwar neben der Frage nach der Schutzfähigkeit des Gesamtwerks.

Solche durch die Digitalisierung möglich gewordenen Kombinationen verschiedener Ausdrucksmittel zu einem einheitlichen Gebilde werden häufig unter dem Begriff des Multimediawerks diskutiert. Wann ein solches zu bejahen ist und welche rechtlichen Folgerungen gezogen werden können, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt (Stand: 27.08.2020). In der bestehenden Urheberrechtsdebatte hierzu (neben dem etwaigen Diskurs über das Vorliegen einer neuen Werkart) wird regelmäßig auch der Schutz des Gesamtwerks als Filmwerk bzw. „ähnlich wie ein Filmwerk“ geschaffenes Werk (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG) diskutiert. Dies liegt zunächst insofern nahe, als es auch beim Film regelmäßig zu einer Verschmelzung verschiedener und ggf. eigenständig schutzfähiger Werkarten in bzw. mit der visuellen Darstellung kommt.

Schutz des Computerprogramms
Eine Augmented Reality-Umgebung basiert auf einer digitalen Anreicherung der realen Welt. Die dem zugrunde liegende Hardware erhebt und verarbeitet die für das Tracking erforderlichen Daten und stellt schließlich die Augmentationen auf einem Display dar. Diese Hardware wird gesteuert mit einem entsprechenden Computerprogramm. Nach der herrschenden Debatte in der rechtswissenschaftlichen Literatur und (soweit vorhanden) in der Rechtsprechung kann vom der grundsätzlichen Schutzfähigkeit der Augmented Reality-Umgebungen bzw. -Anwendungen ausgegangen werden. Es ist nach heutigem Stand der Technik keine Situation denkbar, in der Augmentationen ohne einen konkreten Steuerbefehl ausgelöst werden, da das jeweils verwendete Display nur durch diesen zur Bilderzeugung in korrekter Weise in der Lage ist. Das Computerprogramm wird im Urheberrechtsgesetz als eigene Werkkategorie in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG und §§ 69a ff. UrhG geschützt. Geschützt sind alle Ausdrucksformen eines Computerprogramms (§ 69a Abs. 2 S. 1 UrhG) in Abgrenzung zu bloßen Ideen und Grundsätzen (§ 69a Abs. 2 S. 1 UrhG). 

Die Grenze der Schutzfähigkeit wird hingegen meist in den gestalterischen Ergebnissen von Programmierung, also insbesondere in grafischen Benutzeroberflächen und Bildschirmmasken gesehen. Diese sind nach herrschender Meinung nicht über den Schutz als Computerprogramm geschützt, da es sich gerade nicht um Ausdrucksformen des Computerprogramms, sondern nur um einzelne Elemente handelt und sich der Schutz nicht auf das (grafische) Ergebnis erstreckt. Ein Schutz sei daher höchstens als eigenständige Werkart, nicht aber als Computerprogramm möglich.

Computerprogramme müssen das Ergebnis menschlich-gestalterischer Tätigkeit sein und eine gewisse Schöpfungshöhe erreichen, um Werkschutz nach dem Urheberecht zu erreichen. Wird der Programmcode vollständig von einem Computer hergestellt, ist der Schutz bereits mangels menschlich-gestalterischer Tätigkeit ausgeschlossen. Hinsichtlich der Schöpfungshöhe gelten gem. § 69a Abs. 3 UrhG abgesenkte Schutzvoraussetzungen – es ist dem Wortlaut nach keine „persönliche geistige“ Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG), sondern lediglich eine „eigene“ Schöpfung erforderlich.

Der für die Nutzenden wahrnehmbare Aspekt einer Augmented Reality-Anwendung liegt vor allem im Ergebnis der Codeausführung durch das AR-Display. 

Überträgt man das herrschende Verständnis der §§ 69a ff. UrhG zum Ergebnisschutz, müsste ein Schutz der (audio)visuellen Erscheinungsformen von ARA als Computerprogramm ausscheiden, da sie keine „Ausdrucksform“ (§ 69a Abs. 2 S. 1 UrhG) des Computerprogramms darstellen.

Ausgehend von grundsätzichen Überlegungen zum Softwareschutz und dem modernen Verständnis des Urheberschutzes (auch als Investionsschutzes) ergibt sich für die Steuerungssoftware von Augmented Reality-Umgebungen, dass auch wahrnehmbare Aspekte einer Augmented Reality-Anwendung als Ergebnis der Codeausführung durch das AR-Display dem Schutz des Computerprogramms gem. §§ 69a ff. UrhG zugänglich sind.

Schutzfähigkeit der einzelnen audiovisuellen Bestandteile
Neben dem Schutz des Gesamtwerks als Software ist auch die Schutzfähigkeit der Bestandteile einer Augmented Reality-Umgebung möglich. Das sind einzelne Grafikobjekte oder – jeweils dann wenn die Augmented Reality-Anwendung hierauf zurückgreift – verwendete Texte, Spielfiguren, Sounds, Musik, Sounds, Texte. Voraussetzung ist wie für jeglichen urheberrechtlichen Schutz das Erreichen von Werkqualität im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG. Liegt diese vor, kann Urheberschutz einzelner audiovisueller Bestandteile möglich sein.
Umstritten ist, ob das „Spielsystem“ von Spielen als solches schutzfähig ist. 

Filmwerk und Multimediawerk: Schutzfähigkeit als audiovisuelles Gesamtwerk?
Nicht ganz unstrittig ist die Frage, ob bzw. in welchem Umfang Augmented Reality-Anwendungen und Augmented Reality-Umgebungen als Gesamtwerk schutzfähig sind. Bei „Multimediawerken“ wird zum einen der Schutz als Filmwerk bzw. ähnlich wie ein Filmwerk geschaffenes Werk (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG) erwogen. Zum anderen wird der Schutz solcher Erzeugnisse als eigenständige neuartige Werkart diskutiert, was aber nicht unumstritten ist. Weitgehender Konsens besteht jedoch darüber, dass der Schutz als Multimediawerk allein die multimediale Darstellung, also das Programmablaufergebnis betreffen soll und im Gegenzug dafür der Schutz als Computerprogramm ausscheidet. Die Einordnung von Multimediawerken als Filmwerk bzw. ähnlich einem Filmwerk geschaffenen Werk (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG) liegt unter dem Gesichtspunkt der charakteristischen Medienkombination und der Beteiligung verschiedener Urheberinnen und Urheber nahe.Indiz für die Schutzfähigkeit von Augmented Reality-Umgebungen als Filmwerk ist, dass eine solche nach ganz herrschender Ansicht für Videospiele angenommen wird. Videospiele sind als eine bekannte Art des „Multimediawerks“ bereits anerkannt. 

Resumee
Die den Augmented Reality-Anwendungen und Augmented Reality-Umgebungen zugrunde liegende Software kann grundsätzlich als Computerprogramm geschützt sein. Die Schutzfähigkeit einzelner Bestandteile einer Augmented Reality-Umgebung in ihrer eigenen Werkart ist grundsätzlich möglich. Die Schutzfähigkeit als audiovisuelles Gesamtwerk wird in den Fachkreisen als Filmwerk bzw. Multimediawerk diskutiert, wobei diese jedoch nicht unumstritten ist.


*
Anstoß und Ausgangspunkt dieses Textes ist die Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor iuris (Dr. iur.) von Jannis P. Dietrich, „Augmented Reality-Umgebungen im Urheberrecht“, verteidigt am 27.08.20. Dort sind weitere Vertiefungen, Verweise und Literaturhinweise vorhanden.

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Jens O. Brelle

Rechtsanwalt Jens O. Brelle

Jahrgang 1968. Seit 2000 Hamburger Medienanwalt mit eigener Kanzlei als „Art Lawyer“ und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Seit 2003 diverse Lehraufträge, u. a. AMD Akademie Mode und Design GmbH, HAW Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hochschule Fresenius etc. Seit 2010 diverse Vorstandstätigkeiten, u. a. zweiter Vorsitzender beim Freundeskreis des Hauses der Photographie (Deichtorhallen Hamburg), seit 2016 Legal Counsel und Wissenschaftlicher Referent "Hamburg Open Online University". Private Passionen: Kunst/Fotografie und Segelsport.

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