Eine Geschichte des Alters in der Antike
Text:
Jens O. Brelle
Bild: Photocase.de
Im Römischen Reich betrug die Lebenserwartung im
Schnitt 30 Jahre, um 1900 waren es 46 Jahre und im Jahre 2010 werden es über
80 Jahre sein. Die „alten“ Germanen, Griechen und Römern existieren daher
nur sprichwörtlich. Die meisten Menschen in der Antike wurden nicht einmal
50 Jahre alt. Wer im demokratischen Athen dennoch älter wurde, hatte nicht
viel zu lachen: Die Gesellschaft Athens grenzte alte Menschen systematisch
aus. Anders verhielten sich die Römer oder Spartaner, die alte Menschen
wegen ihres umfangreichen Wissens achteten.
Die Alten in der Antike
Für die antiken Gesellschaften hat die moderne Forschung eine weitaus
geringere Lebenserwartung als heute ermittelt, was zum Teil auf der hohen
Kindersterblichkeit beruht. Der Anteil der Alten an der Gesamtgesellschaft
lag bei rund fünf Prozent (heute: über 20 Prozent). Wer das Säuglings- und
Kleinkindalter überlebte, konnte nach antiken Zeugnissen jedoch auch mit
einer „normalen“ Lebensdauer rechnen.
Solon, Athens erster großer Staatsmann,
hat die folgenden Verse über „Alter und Altern“ um 600 v. Chr. gedichtet. Er
legte die Lebensdauer idealtypisch auf zehn „Jahrsiebte“ fest, wobei nach
seiner Ansicht das Alter im neunten „Jahrsiebt“ – also mit 56 Jahren –
beginnt:
„Knabe zuerst ist der Mensch, unreif: da wirft er der Zähne Hag, der dem
Kinde entspross, von sich im siebenten Jahr. Wenn zum
anderen Mal Gott schloss die Sieben der Jahre, Zeichen der Mannheit dann
keimen, der nahenden, auf. Während der dritten
umkraust sein Kinn – noch wachsen die Glieder – Wolliger Flaum, da der Haut
Blüte im Wandel verwich. Nun in den vierten empor zu
hohem vollem Gedeihen. Reift die Stärke, in ihr zeigt
was tauge der Mann. Mit den fünften gedeiht ihm die
Zeit, der Freite zu denken Und dass in Söhnen ersteh
fürderhin währender Stamm. Während der sechsten da
breitet der Geist allseits sich ins Rechte, Nimmer zu
unnützem Tun treibt ihn hinfort noch der Mut. Sieben
Siebenerjahre und acht: im vollen Gedeihen Stehen
Zunge und Geist: vierzehn an Jahren zusamt. Noch in
den neunten ist tauglich der Mann, doch lässiger zeigen
Gegen das volle Gedeihn Zunge fortan sich und Witz.
Wer in die zehnten gelangte, die zehnten nach Maßen vollendend,
Kaum zur Unzeit wärs, träf ihn die Neige des Tods.“
Lebensmittelpunkt der alten Menschen in der Antike war – mehr als heute –
die Familie. Diese war verpflichtet, für das Wohlergehen der Alten zu
sorgen. Doch nicht überall. Gesetz und Sitte gaben den Familienältesten eine starke Stellung in
Sparta und Rom: der Paterfamilias war bis zu seinem Tode Familienoberhaupt,
der Materfamilias gebührte eine besondere Ehrenstellung. Das
radikaldemokratische Athen grenzte dagegen seine Alten aus und ließ sie
nicht an
der Demokratisierung teilhaben, da Dynamik, Schnelllebigkeit und
Innovation die athenische Gesellschaft bestimmten. Die athenische Komödie
war ein besonderes Medium, alte Menschen zu karikieren und die periphere
Rolle der Alten in der Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Es gibt kaum
ein Stück ohne den „typischen Alten“.
Staatlich gelenkte soziale Sicherungssysteme für das Alter gab es weder in
Athen noch in Rom – der Staat sorgte zwar in Rom für mittellose Jugendliche,
die Altersvorsorge war jedoch Privatsache. In Griechenland und Rom waren die
Nachkommen gesetzlich verpflichtet, für die eigenen Eltern im Alter zu
sorgen. Jedoch band die antike Version des Generationenvertrages beide
Seiten. Hatten die Eltern sich geweigert, ihren Kindern eine
Berufsausbildung zu ermöglichen oder sie zur Prostitution gezwungen, dann
waren die Kinder – nach Solon – von der Fürsorgepflicht befreit (Plutarch,
Solon 22,4). Diese Fürsorgepflicht fand auch Eingang in das römische Recht,
das Corpus Iuris, in dem eine Vielzahl von Bestimmungen belegt, dass der
römische Staat auf diese konkreten Missstände reagierte. Der antike Staat
kümmerte sich also auf eine gesetzgeberische Art um die Altersvorsorge, bei
der bestimmte Berufsgruppen privilegiert waren. Politiker hatten es
besonders gut und konnten beispielsweise ein lebenslanges Speiserecht im
Rathaus erlangen. Zahlreiche Gesetzestexte des römischen Rechts belegen
darüber hinaus, dass römische Kaiser den Prototypen eines Rentners
geschaffen hatten. Mit 60 oder 70 Jahren konnte der öffentliche Dienst
beendet werden. Eine Rente im heutigen Sinne erhielt man aber nicht, sondern
war lediglich von gewissen Lasten, die als Bürger aufgebracht werden
mussten, befreit. Kaiser Konstantin formulierte als Erster im Jahre 320 das
Recht auf einen gesicherten Lebensabend: „senectus eorum post labores quiete
perfruatur“ ("unsere Alten sollen nach der ihrer
Arbeit einen ruhigen Lebensabend genießen"). Die sonst vorgeschriebene Pflicht zur Ehe entfiel ebenfalls: für Männer ab 50 und für Frauen ab 60 Jahren, weil man, wie ein Jurist es
formulierte, ab diesem Alter ganz und gar oder teilweise zur Zeugung unfähig
sei.
Die Spartaner achteten das Greisenalter so sehr, dass sie nur den über
60-Jährigen den Zugang zum politisch bedeutenden Ältestenrat, der Gerusia,
gestatteten. Bei den regelmäßigen gemeinsamen Mahlzeiten bekamen die älteren
Spartaner Ehrenplätze und Ehrenportionen und man schätzte den Rat der
älteren Menschen – in Sparta, Rom und anderswo. Die Hochschätzung der alten
Menschen fand Eingang in Philosophie und Literatur. Homer schuf mit
Achilles, Odysseus und Hektor klassische Kriegshelden. Daneben mit Nestor
aber, dem greisen achtzigjährigen Fürsten von Pylos, einen klassischen
Greis, der aus der Weisheit seines Alters schöpft und mit seinem Rat als
„Wissenspeicher“ den Jungen zur Seite steht. So nimmt Nestor gelassen die
unumgänglichen Altersbeschwerden hin, denn er findet auch ohne Kriegsrüstung
seinen Platz in der Gemeinschaft. Platon lässt in der berühmten
Eingangsszene seines „Staates“ das Greisenalter „freisprechen“ von den
Anklagen der Menschen, die das Alter für die Ursache aller Übel halten.
Der positiven Sicht auf das Alter steht der kritische Blick auf das Alter
als Verlust und Übel gegenüber. Im Vordergrund steht die körperliche
Gebrechlichkeit und Schwäche sowie das damit zusammenhängende vermeintlich
unattraktive Äußere alter Menschen. „Warum wünschen sich die Menschen
eigentlich ein hohes Alter?“, fragte einmal Juvenal.
So erweist sich die Antike in ihrer Verbindung mit der
jüdisch-christlichen Tradition als Grundlage europäischer Traditionen.
Menschen waren alt ab 60 und wurden (wenigstens tendenziell) aufs Altenteil
gesetzt und hatten mehr oder weniger Anspruch auf Versorgung. Das
demokratische Athen war altersfeindlich, das kriegerische Sparta und das
republikanische Rom altersfreundlich.
Quellen & Literatur:
Wikipedia – die freie Enzykoplädie
E.
Baltrusch „Nachttopf bei Gerichtssitzungen - Wie die Antike den alten
Menschen sah und mit ihm umging“, in: „fundiert – Das Wissenschaftsmagazin
der Freien Universität Berlin“. Berlin 03/2004H.
H.
Brandt: Wird auch silbern mein Haar. Eine Geschichte des Alters in der
Antike, München 2002
A. Gutsfeld; W. Schmitz (Hrsg.): Am schlimmen Rand des Lebens? Altersbilder
in der Antike, Köln/Weimar/Wien 2003 (Beitrag von Prof. Baltrusch: „An den
Rand gedrängt. Altersbilder im Klassischen Athen“, S. 57 – 86)
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