Teil 2
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13. Kunst und Kirche in der
ev.-reformierten Gemeinde in Bielefeld
Ein Blick auf die vergangenen Jahre zeigt, dass sich die reformierte
Gemeinde in das Verhältnis „Kunst und Religion“ auf zweierlei Weise begeben
hat. Da ist die Gottesdienstreihe
„Kunst und Religion“ als feste Einrichtung und da sind
themenwechselnde Ausstellungen „zeitgenössischer Kunst“. Der
Veranstaltungsort ist die Süsterkirche.
Immer fühlen sich viele
Menschen angesprochen, etwas Neues anzustoßen, sich anregen zu lassen und
unterschiedlichste Begabungen einzubringen. Die Kirchenkultur ist hier
gefordert. Die angestoßene Auseinandersetzung über das Verhältnis von „Kunst
und Religion“ wurde als belebend für das „kulturelle“ Gemeindeleben
angenommen.
Pfarrer Uwe Moggert-Seils
und seine Frau, Pfarrerin Andrea Seils begannen 1998 in Gottesdienstreihen
moderne Kunst (u. a. Paul Klee, Yves Klein) in ihre Predigten einzubeziehen.
In
diese sich tradierende Reihe „Kunst und Religion“ sind im Jahre 2001 Erika
Edusei und 2005 Pfarrer Alfred Menzel aus der benachbarten Neustädter
Mariengemeinde eingestiegen. Verwendet wurden Bilder von
Werner Tübke
und
Wolfgang
Mattheuer,
Giorgio de Chirico,
Kasimir Malewitsch,
Andy Warhol,
Emil
Nolde,
Max
Beckmann,
Max
Liebermann und andere. Auch die Tafeln des
Bielefelder Marienaltars standen
im Blickfeld.
Die Resonanz auf diese
Arbeit ließ mutig werden, alternierend in der Süsterkirche und in der
Neustadt kunstbezogene Gottesdienste zu feiern. Die
Kunsthalle Bielefeld
stützte diese Aktionen durch Leihgaben. Mit der Renovierung der
Süsterkirche im Jahr 2006 waren zudem die räumlichen Voraussetzungen für
Kunst und Künste verbessert.
14. Kunst, Tanz, Theater,
moderne Musik in der Kirche
Kritisch hinterfragen
seitdem viele Kirchgänger, die in Kunstveranstaltungen „Kulturbetrieb“
sehen, ob das Engagement für die vielfältigen Künste der Außendarstellung
von Pfarrer und Pfarrerin dient und im Interesse der kirchlichen Aufgaben
liegt. Sie vermuten in solchen Aktionen oft „gehobene“ PR-Maßnahmen für den
Kirchenbetrieb. Da die Kirche reichlich häufig für sich mit weltlichen
Attraktionen kultureller und sogar wirtschaftlicher Art wirbt und damit die
Eigenkraft der Glaubenslehre verrät, ist solche Rückfrage immer berechtigt.
Die Auseinandersetzung mit der ästhetischen Wahrnehmung und ihrem Verhältnis
zur gottesdienstlichen Wahrnehmung, wie in den obigen „Beobachtungen“ angedeutet,
sowie die Pastoralästhetik überhaupt hat weitgehend überzeugt, dass der
Einbezug der Kunst in den Gottesdienst nicht verwechselt werden kann mit
der besonders bei den Freikirchen zu beobachtenden verkaufsstrategischen
„Christuswerbung“. Die Gefahr verfälschender Gotteszuwendung veranlasst
uns stets zu einer permanenten Überprüfung aller didaktischen
gottesdienstlichen Maßnahmen.
15.
Weltliche und heilige Utopie
Das Verhältnis „Kunst und
Religion“ sei hier abschließend noch unter anderem Gesichtspunkt
betrachtet:
Der Ausstieg des Menschen
aus der Unmittelbarkeit der „Natur“ und die sich anschließenden Experimente
für eine verbesserte, menschengemäßere zweiten „Natur“, die wir Kultur
nennen, ergänzen, überlagern und überfordern das Augenblicksleben durch bedrängende
Erinnerungs- und Zukunftsträume. Die Menschen empfinden sich durch diese
Experimente der Kulturen entgegen der erhofften Verbesserung immer häufiger
fürs Leben beschädigt. Kulturbewusstsein beschränkt und konzentriert sich
deshalb zunehmend darauf, mit dem kulturellen Schaden in mühsam
konsolidierenden Anstrengungen zu leben.
Christen vermuten und
erhoffen eine absehbare Vorläufigkeit der Realität, in der kein
Glück von Dauer ist. Die Materialisten wollen dem Glück auf Erden schon
Dauer geben, tun sich aber schwer damit.
Ein Kunstwerk ist beiden
Wirklichkeitsmodellen „Statthalter beschädigten Lebens“ (Adorno) [09]. Die
Kunst bekennt sich zumeist zur natürlichen Aversion des Menschen vor
Depression und Hässlichkeit [07]. So verwandelt sie die tragische
Dramatik karthatisch zum Wohle des Menschen. Nur die Verlorenen schwelgen
unaufhörlich in Fleisch und Blut und Menschenverachtung. Die Kunst – so ist
deshalb oft die Vorstellung – vertrete das Gute und Schöne und löse hehre
Gefühle aus. Diese Forderung erklärt sich und geht parallel der
(christlichen) Hoffnung auf Erlösung von der täglichen Unzulänglichkeit des
gelebten Lebens. Kunst, die mit verstörender Hässlichkeit arbeitet, wird
zumeist nicht angenommen – das gilt ganz besonders in christlich geprägten
Räumen – wie die oben genannte Abendmahlinstallation deutlich gemacht hat.
In ihrer utopischen
Dimension ist die Kunst der Religion verwandt. Beide verweisen darauf, wie
das Leben sein könnte. Die Kunst lebt vom Immoralismus der Frage: Könnte
alles nicht auch ganz anders sein? Die Christenheit fragt: Könnte das Leben
nicht auch so sein, wie es von Gott gedacht ist?
Die Kunst bleibt zwar
ein abgeschlossener, weltlicher Kulturraum, mit weltlicher Spiritualität,
die nicht in göttliche Sphären übergeht: „Kunst ist Kunst. Alles andere
ist alles andere.“ (Ad Reinhard). Doch sie schult kognitive Fähigkeiten,
die auch die religiöse Wahrnehmung braucht, um die Gewissheit des Glaubens
auszulösen. Der Mensch bleibt auch in seiner Gottesbeziehung Mensch im
Rahmen menschlicher Existenzmöglichkeiten. Ein Darüberhinaus bringt auch
der Glaube auf Erden nicht. Im seelischen „Interim“ von „Kunst und Religion“
kann sich (bei der erwähnten Einschränkung) eine Sehnsucht ausbreiten, die
nicht von dieser Welt ist. Kunst lebt wie Religion vom Bedürfnis des
Menschen nach Vollendung und Lebenssinn. Dabei spielt sie mit utopischen,
ideellen Bildern, sie stellt sie in Frage, sie parodiert sie und inszeniert
sie von Situation zu Situation neu. Geschieht das im lichten, schlichten
Kirchenraum, spielt sie auch mit dem Gottesbild; sie nimmt es auseinander,
um es neu zusammenzusetzen. Das Kunstwerk im Kirchenraum ist ein „Stachel
im Fleisch“ der Glaubensgewohnheiten, denn es bedient nicht den satten
Glaubensbesitz.
Dass religiöse Sprache
so wie die Kunst immer einen hohen Grad an Verstörung beinhaltet, wird bei
vielen Gläubigen gern verdrängt. Ein Abendmahlstisch, der der Zerstörung
anheim gefallen ist, ist dafür sinnbildhaft. So stellen auch die
Gleichnisse Jesu Glaubenssicherheiten immer neu in Frage. Wann immer ich
sie höre, muß ich meine Rolleneinsicht im Erzählten neu bestimmen, mich
anders positionieren. Nicht selten verwerfe ich Bekanntes und Bewährtes. Im
Perspektivwechsel bin ich (so bei „Lukas 15“) der verlorene Sohn, der
großherzige Vater oder der enttäuschte Bruder. Dieses Spiel ist in theologischer
Ernsthaftigkeit Zeichen meiner Glaubensmündigkeit.
16. Karl Barth
Einer reformierten
Gemeinde, die es sich immer wieder leistet, in ihrer Kirche moderne
zeitgenössische Kunst zu zeigen, steht es gut zu Gesicht, sich
Unterstützung bei einem ihrer großen theologischen Lehrväter zu holen, Karl
Barth [01].
Karl Barth bezieht sich auf das „interesselose Wohlgefallen“ der
ästhetischen Wahrnehmung
(Immanuel Kant, KdU) in seiner Ethik von 1930/31. Er betont, dass sich die
Kunst jeglicher Vernutzung anderer Interessen widersetzt und zugleich
gerade so das Andere unserer Wirklichkeit zur Darstellung bringen kann.
Die theologische Dignität
der Kunst liegt in ihrem futurum. Sie kann das Unbegreifliche
fühlbar zu machen (Lyotard) und das Unsagbare sagbar machen. Karl Barth
folgert daraus:
„Und eben diese positive Bedeutung der Kunst als Verkünderin der
grundsätzlichen Überbietbarkeit der
gegenwärtigen Wirklichkeit, eine Bedeutung, mit der sie geradezu als eine
Art Gegenstück zum Gewissen betrachtet werden darf, macht nun irgendeinen
Anteil unseres kirchlichen Handelns nicht nur möglich, sondern notwendig.
Das wäre eine schlottrige
Auffassung, nach der die Kunst ein Fakultativum für solche, denen es
zufällig Spaß machte, wäre. Das Wort und Gebot Gottes fordert Kunst, so
gewiss es ist, durch das wir unter das Wort vom neuen Himmel und der neuen
Erde (vgl. Jes 65,17) gestellt sind.“
17. „Kunst und Religion“ in
der ev.-reformierten Kirche
Die Kunst ist frei und
dient keinen anderen Herren. Der Zugang zu ihr, schärft und verfeinert
zugleich alle menschlichen Zuwendungs- und Produktionskräfte. So gibt sie
den Anstoß zur Entwicklung politischer, moralischer oder religiöser
Energien.
Die totalitären Regimes verfolgen immer als erste die Künstler und
schöpferischen Intellektuellen:
Diesem Thema war die Gottesdienstreihe „Die Abgehängten“ des Jahres 2005
gewidmet. Sie zeigt das Schicksal der Bilder von Emil Nolde und Max Beckmann
in der Nazi-Zeit.
„Kunst und Religion“ bilden
im ev.-reformierten Gottesdienst ein fruchtbares Verhältnis. Die Kunst
steht für „veredelte“ menschliche Vermögen und ist mit ihrer Sensibilisierungkraft
eine Einstellungsvorbereitung für die Wahrnehmung von Gottes Wort.
Die Reformierten achten
zugleich darauf, dass die beiden nicht über die Maßen verwechselt werden.
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