Teil 1
Zu
Teil 2
1. Abendmahlsinstallation statt Abendmahlstisch
Wer die mehrjährige
Bielefelder Kunst-und-Kirche–Szene kennt, wird sich sicherlich an die
Abendmahlsinstallation des Stuttgarter Professors Wolfgang Knoll
(Bild) erinnern, die im Sommer 2000 in der
Süsterkirche der
ev.-reform. Gemeinde Bielefeld ausgestellt war. Pfarrer Uwe Moggert-Seils
(Bielefeld) hatte sie anlässlich der EXPO 2000 nach Bielefeld geholt.
Sie sollte keine Provokation
sein!
Die Abendmahlsinstallation brachte es aber fertig, die ev.-reform. Gemeinde
in zwei Lager zu spalten:
in wenige Begeisterte und viele Ablehnende. Nie gab es so viele Meinungsäußerungen
ans Presbyterium wie zu diesem Kunstwerk – die meisten wünschten es sich
schnellstens wieder vom Halse und sehnten die Klarheit des Kirchenraumes
zurück: kein Bild, kein Kreuz, kein Altar – das Bibelwort allein
[11].
Als nach den
Sommerferien die Installation immer noch nicht abgebaut war, waren einige
Gottesdienstbesucher um ihre Fassung gebracht: Das war nicht mehr ihre
Kirche – mit diesem hässlichen Ding anstelle des gewohnten, schmuckarmen
Abendmahlstisches [04].
Doch es gab eben auch die,
welche in der Ambiguität des Kunstwerks den zentralen Gedanken des Christums erkannten: Tod und Auferstehung, die Doppeltgerichtetheit des
christlichen Abendmahls [05], parallel (zum Beispiel) der Doppelsinnigkeit
der Taufe: Ertränken und Vergebung/Neuanfang. Entsprechend verstörte der
beschädigte Abendmahltisch, aber und umso mehr tröstete die Feier des
Abendmahls. Die Beziehung des teilweise brüchigen und zertrümmerten
Menschentisches zu dem Abendmahl Christi konnte ihnen zum Anzeichen der
göttlichen Gnadentat werden: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt
Ende (Mt 28,20).
2. Symbol und Konvention
Es wurde angesichts dieser
Situation nötig, die Aufstellung der Abendsmahlsinstallation in das Licht
einer Argumentation zu stellen. Begründungen machen schließlich Kultur, auch
christliche Kultur: Sie ersetzen menschengleichgültige Kausalität durch
menschengemäße Konvention. Konvention entspricht demokratischer Überzeugung:
Sie schafft Sicherheit auf Zeit, und sie ist überwindbar wie alle
begrifflichen „Mauern“ . Es ist Menschenart, auf Konventionen zu setzen, um
sie sogleich wieder für unzureichend zu halten und sie abzuwickeln. „Wir
alle sind Agnostiker“ [02].
Das Theoriespiel:
Der kirchliche
Abendmahlstisch in der reformierten Kirche ist ein Gebrauchsgegenstand, und
er wird zugleich genutzt als Zeichen. Der Abendmahlstisch in der Kirche
symbolisiert den Tisch, an dem Jesus mit den Jüngern gesessen hat – „am
Tage als er verraten ward“ (1.Kor 11,23b-26). Nur das soll der
Abendmahlstisch anweisen: die Einladung zur Abendmahlsfeier.
Symbolisieren heißt: Der
reale Tisch, der jedem Gottesdienstbesucher sichtbar ist, wird mit der
Tatsache verknüpft, das der historische Jesus an ihm gesessen hat. Das ist
eine Verknüpfung von Unvereinbarem, aber genau das konstituiert ein Symbol.
Die Verknüpfung von Unvereinbarem ist Ergebnis einer Konvention und nur so
ist sie verständlich und akzeptiert. Jede Änderung würde die
Verständlichkeit gefährden [06]. Ein solcher Eingriff ins Symbol war aber
die Abendmahlsinstallation: Der Abendmahlstisch des Künstlers Knoll hat das
entfernte Aussehen eines Tapeziertisches und er ist zudem stark beschädigt.
Die zwölf Jünger sind in Abbildungen und Stelen angedeutet, Jesus wird von
einer „Tür“ verkörpert [08,09].
Für die
Gemeindemitglieder schien bei der Abendmahlsfeier gar kein Platz mehr. Sie
stellten sich die Frage: Soll man den Abendmahlstisch angucken oder soll man
sich um ihn versammeln? Ein Dilemma. Selbst die Aufforderung des Pfarrers
konnte das Zögern nicht überwinden.
3. Ambiguität als
Kunstmerkmal
Ambiguität tritt ein, wenn die konventionalisierte Beziehung zwischen
Zeichen und Gemeintem aufgegeben wird. Der Gottesdienstbesucher fragt sich:
Was beabsichtigt die intellektualisierende
Ambiguierung der Situation, wenn doch der Zweck, nämlich die geistliche
Abendmahlshandlung, weiterhin fraglos bleibt? Die gängige pragmatische Klärungsmethode
besteht in solchen Fällen darin, den Versuch zu machen, die Situation so zu
interpretieren, dass man ihre praktischen Konsequenzen untersucht [13]. Der
pragmatische Schluss bestätigte den meisten Besuchern die Überflüssigkeit
der Kunstinstallation. Die Konsequenz dieses Schlusses war die Ablehnung der
Installation überhaupt.
Eine Abendmahlsfeier hat
mit Kunst nichts zu tun. Der kirchliche Abendmahlstisch ist ein konventionalisiertes, normbestimmtes Symbol, eingegliedert in ein religiöses
Zeichensystem, das etwas Bekanntes anweist. Die „erhabene“ Wirkung dieses
Symbols ist rezeptionsästhetisch eindeutig. Ambiguität aber im Gebrauch von
Zeichen wird um der ästhetischen Wirkungsproduktion willen artifiziell
erzeugt und soll oft Kunst von Nicht-Kunst unterscheiden [14]! Der Künstler
spielt mit Beziehungen, die sich aus den unterschiedlichen
Gebrauchs-Restriktionen von Zeichen-Norm und Zeichen-System ergeben. Das
lenkt bei der Abendmahlsfeier ab.
4. Norm und System,
Arbitrarität
Da der Abendmahlstisch ein
Symbol ist, ist er der Struktur nach Sprachsymbolen vergleichbar, deshalb
darf der Blick zur weiteren Argumentation auf „Sprachnorm“ und
„Sprachsystem“ gelenkt werden. Ein Sprachsystem lässt weit mehr
Möglichkeiten zu, als eine Sprachnorm beansprucht. Diesen Umstand nutzt der
Künstler. Die Norm regelt in der Sprache die Gebrauchskonvention der
Zusammensetzung von Morphem, Syntagma und Satz. Das System stellt das
Inventar der Elemente und die Regeln der Syntagmatik im Sinne
mereologisch-errechenbarer Möglichkeiten. Dieses System zum Zwecke völlig
zufälliger Synthesis zu verlassen und aufzugeben brächte nur Unsinn hervor.
Muss in der Alltagswelt
ein Zeichen, ob nun eigentlich im Gebrauch oder idiomatisiert, der
Konvention gehorchen und in dieser Hinsicht möglichst eindeutig sein, so
spielen in der Kunstwelt alle Zeichen mit loser Konvention, die sich bis zur
Anzeichenhaftigkeit relativiert. In der Sprachkunst wird die rigide,
sprachliche Gebrauchsbedingungsnorm aufgehoben, und es gelten fortan alle,
auch die von der Norm nicht genutzten Gebrauchsmöglichkeiten, die das
System zulässt. Allerdings ist die so erzeugte Vagheit von Zeichen nur
einschätzbar, wenn der Sprecher/Hörer die Kompetenz für Eindeutigkeit hat.
Das Verständnis ist auf die oppositionale Gleichzeitigkeit beider Zustände
angewiesen. Wer das System nicht kennt, erkennt auch keine nicht-genutzten
Möglichkeiten. Kunst ist kreativer Umgang mit den Möglichkeiten des Systems.
Systementbundener Umgang
brächte – wie gesagt – Irrsinn hervor.
Die Besonderheit bei der
Konventionalisierung von Symbolen ist die Arbitrarität, die zwischen
Ausdruck und Gebrauchsbedingung (Inhalt) sowie dem nicht-sprachlichen
Gemeinten besteht. Arbitrarität (Unvereinbarkeit von Fremdem und
Nicht-Zusammengehörigem) und ihre Nutzung ist systemische Bedingung von
Symbolbildung durch Konvention. So haben das Wort „Tisch“ und der
Gegenstand „Tisch“ nichts miteinander zu tun, nur dass sie willkürlich
aufeinander bezogen sind. So hat auch das Wort „Abendmahl“ mit der Absicht
Jesu nichts zu tun, nur dass sie zufälliger Weise aufeinander bezogen sind.
5. Wahrheit vs. Wirkung:
Wirklichkeit
Sprachliche „Wahrheit“ versteht sich in der Sprachkunst allein als
sprachliche „Wirkung“; was wirkt, erscheint „wirklich“. Das Kunstwerk
referiert allein in diesem Sinne auf Wirklichkeit“, es referiert nicht auf einen objektivierbaren
Sinnverhalt [14]. Die „Wahrheit“ der Kunst ist allein ihre Wirkung, völlig
getrennt von Richtigkeit und Falschheit im wissenschaftlichen Sinne. Es gibt
immer wieder die Aufforderung, in der Kunst Wahrhaftigkeit zu erleben, aber
das ist ein „Munkeln und Dunkeln“. Wer von der Kunst „Wahrheitsoffenbarung“
erwartet, sieht sich früher oder später belogen.
Kunst hat nachweisentbundene und ausschließlich subjektive Wirkung. Kunst ist ein
Placebo, eine wirkungsmächtige Einbildung, und somit wider Erwarten dem
verwandt, was wir im Alltag „Wirklichkeit“ nennen. Die Wirklichkeit des
Alltags wird nämlich allein durch das Gelingen und Nicht-Gelingen einer
Situation zu einer Vorstellung. Kunst bedarf der Interpretation ebenso wie
die Situation des Alltags. Beide „Wirklichkeiten“ sind Sinn-Setzungen, die
Differenz liegt in der Konventionsgenauigkeit und im besonderen in den
Konsequenzen. Die Kunst sollte nicht Konsequenzen haben, die
Alltagsentscheidungen beeinflussen. Die Alltagssituation fordert
Konsequenzen, die sich ausschließlich am Gelingen der Situation
orientieren, unabhängig von jeglicher „Wahrheits-“annahme und jeglichem „Wahrheits"-nachweis.
Der
Wirklichkeits-Begriff, der sich von „Wirkung“ ableitet und nicht von
„Wahrheit“ ist für Kunst und Alltagssituation somit vergleichbar zutreffend.
Kunst-Sinn und Alltags-Sinn binden sich an eine pragmatische
Zugangseinstellung, jener ist am subjektiven Empfinden orientiert, dieser
am Gelingen, am situativen Erfolg. Die Gebrauchsgenauigkeit wird –
wissenschaftlich gesehen – meistenteils sogar völlig „unzureichend“ sein; es
genügt, wenn sie der Situationsanforderung oder Betroffenheitsabsicht
entspricht.
Die Wissenschaften sind
der Feind dieser Placebo-„Wirklichkeiten“. Wissenschaftliche Erkenntnisse
haben es schwer, ins Alltagsleben integriert zu werden; in der Kunst verlieren
sie jede Funktion. Die Wissenschaften arbeiten mit anderen
Genauigkeitsvorstellungen als die Alltags- und die Kunstwahrnehmung. Doch
auch sie erzeugen, mit agnostischer Skepsis betrachtet, auch wieder nur
„Wirklichkeiten“ mit einer eigenen Konsequenzebene [6].
6. Der Abendmahlstisch als
Anzeichen
In der Sprachkunst
verlieren die Zeichen ihre Eindeutigkeit oft bis zur Unkenntlichkeit.
Sprachwissenschaftlich spricht man dann von einem Verlust an Kongruenz der
Bedeutungsmerkmale (Seme). Man denke beispielsweise an Verse Gottfried
Benns. Allein eine raffinierte Wirkung steht bei diesem Verfahren im
Vordergrund. Zeichen werden in solchen Momenten anzeichenhaft gebraucht:
Ein „Abendmahlstisch“ mit religiöser Funktion ist ein eindeutiges Zeichen,
das problemlos verstanden wird. Bei einer „Abendmahlstisch-Installation“
aber ist die Anweisung ins Anzeichenhafte verschoben. Man kann sie nicht
mehr identifizieren, man muß sie interpretieren. Ein Kunstwerk ist stets
anzeichenhaft und bleibt als Artefakt prinzipiell mehrdeutig bis ein
Interpret es zeichenhaft gemacht hat. Anzeichen werden dabei je nach
psychischer Intentionalität des Rezipienten in Zeichen zurückverwandelt.
Eine Interpretation ist eine Zeichen-Sinnsetzung für den jeweiligen
Augenblick, gebunden an zufällig bestehende rezipientelle Voraussetzungen
und Kontexte. Ein Artefakt provoziert Interpretationen und entzieht sich
ihnen gleichzeitig [9].
7. Interpretationskompetenz
Interpretationskompetenz
ist nicht die Fähigkeit, ein als fertig angesehenes Kunstwerk in seiner
ureigenen, essentiellen Bedeutung zu erfassen, sondern sie besteht darin,
ein bedeutungsoffenes Artefakt, im Rahmen des gebotenen und gestalteten
Kunstmaterials verbleibend, auf einen hier und jetzt wirkungsoptimalen
„Sinn“ festzulegen. Eine Interpretation darf sich nur mit einer optimalen
Wirkung zufrieden geben, sonst tritt Langeweile ein. Langeweile ist das
Gegenteil von Kunst. Wer ein Artefakt nicht auf optimale Wirkung hin für
sich zum Kunstwerk zu Ende
führen kann, sollte daran vorbeigehen oder darüber
gesellschaftsgeeignete Konversation betreiben. Lichtenberg fasst die
Situation drastisch zusammen: Wenn ein Esel in ein Kunstwerk hineinschaut,
könne nur Eselhaftes herausschauen.
Die „offene“
Abendmahlsinstallation muss vom Gottesdienstbesucher somit wie zuvor der
gewohnte Abendmahlstisch als eindeutige Aufforderung zur Abendmahlsfeier
festgelegt werden, wobei eine hinzutretende optimale Wirkungsempfindung die
Motivation verstärkt. Diese Verstärkung sollte nun nicht durch eine
weltliche „Schmonzette“ (zum Beispiel eine Verdi-Arie bei einer Beerdigung,
die ausschließlich innerhalb einer Oper ihren Wert hat), wie man es oft bei
Beerdigungen erlebt, erfolgen. Bei der Abendmahlsinstallation könnte
es die „Brüchigkeit“ des Heils-Tisches sein, die das
christliche Verständnis von Tod und Auferstehung betont.
Bei einer solchen
Symbolfestlegung würde die Anzeichenhaftigkeit auf die religiöse Intentionalität,
Gottes Wort, ausgerichtet. Gelingt diese Symbolsetzung nicht, wird die Installation
als fremdartig, autonom und ablenkend abgestoßen. Der Gottesdienst könnte
daran scheitern. Die aufs Erleben ausgerichtete Interpretationskompetenz
eines Rezipienten muss darüber entscheiden.
8. Laizismus
Die Kunst-Installation des
Abendmahltisches von Knoll hat für die meisten reformierten
Gemeindemitglieder die Wahrnehmungserwartung eines Kirchenraumes
durchbrochen und eine förderliche Interpretationskompetenz konnte nicht
aufgebracht werden.
Sehen wir als
entscheidenden Grund dafür die übliche skepsisferne Eingliederung aller
Gottesdienstbesucher in einen Gottesdienstablauf: Die Funktion einer
reformierten Gottesdienststätte ist die Reduktion aller Akzidentien als
Zufälligkeiten, bis sich – so die Hoffnung – der Zugang zum Gotteswort
einstellt. So gesehen erscheint eine Kunstinstallation, die erst festgelegt
werden muß, gegenläufig und Irritation ist die Folge.
Die Gegenwart des
Kunstwerkes in der reformierten Kirche fordert, erzwingt geradezu die
Bewältigung eines bekannten Dilemmas. Nach heutiger zivilgesellschaftlicher
Vorstellung gehören Kunst und Glaube so wenig zusammen wie Kultur (Freiheit)
und Religion (Lehre) überhaupt. Die bekannte Laizismus-Forderung bezieht
sich im demokratischen Zusammenleben westlicher Art nicht nur auf die
Trennung zwischen Kirche und Staat.
Kunstwerke agieren mit
weltlichen Erlebensbedürfnissen, sie wollen kunstästhetisch und nicht glaubensorientiert wahrgenommen sein. Die Ästhetisierung von
Glaubensinhalten ist der Weg zum Götzentum und zu Fundamentalismen, wie wir
es bei den Bewegungen von Opus Dei, Islamismus und Scientology beobachten
können.
Laizismus ist die
notwendige Folge des „aufgeklärten Glaubens“, hinter den der Gläubige bei
aller Glaubenserfahrung nicht mehr zurück kann. Glaubenszweifel und Glaubensgewissheit
bestimmen in ihrer Gemeinsamkeit die Glaubwürdigkeit christlicher Existenz,
und diese Glaubwürdigkeit kann sich in einem zweiten Schritt auf die
weltliche Lebensform übertragen. Christlicher Glaube kann Entwürfe einer
christlichen Kultur in der Welt nach sich ziehen. Elazar Benyoetz, der
israelitische Rabbi und Aphoristiker, kondensiert diese Auffassung in den
Worten: Wer Gott verlässt, verlässt sich auf Gott.
9. Die ästhetische
Wahrnehmung
Auf diesem Hintergrund
führte die „Abendmahlsinstallation“ in der ev.-reformierten Gemeinde in
Bielefeld unvermeidbar zu einer Diskussion über die Feier des Abendmahls.
Besondere Aufmerksamkeit bekam zunehmend die Frage, ob mit der Forderung
nach Interpretationskompetenz die ästhetische und gottesdienstliche
Wahrnehmung nun doch kompatibel sein sollten. Über den Zweck einer
ästhetischen Einstellung und Wahrnehmung im Gottesdienst wurde permanent
gestritten.
Das Schöne/das
Hässliche, weiterhin das Fremde und das Erhabene sind
ästhetische Werte. Schön ist mir, was mir entspricht; hässlich
ist mir, was mir nicht entspricht. Diese Empfindung wendet sich mit der
Erfahrung des Fremden [3] und Erhabenen in Richtung eines
Erschreckens, wobei existentielle Bedrohung als solche bei der ästhetischen
Erfahrung ausgeschaltet bleibt. Das Fremde-Schöne ist ungewohnt,
entspricht mir nicht, könnte mir aber entsprechen; das Fremde-Hässliche
entspricht mir nicht und stößt mich ab; das Erhabene-Schöne ist in
seiner übermenschlichen, außerordentlichen Fremdheit und unendlichen Ferne
erschreckend und „göttlich“; das Erhabene-Hässliche ist
übermenschlich, teuflisch und erschreckt zutiefst. Sowohl bei der
kunstästhetischen als auch bei der religionsästhetischen Wahrnehmung sind
diese Werte gleich [9].
So das Résumé moderner
Geschmackseinstellungen. Diese ästhetische Wertung ist auf den hier
gemeinten Abendmahlstisch zu beziehen.
10. Noch einmal: die
gottesdienstliche Wahrnehmung
Eine kunstästhetische und
religionsästhetische Wahrnehmung haben bei aller strikten Trennung doch eine
Wertegemeinsamkeit, die funktional genutzt wird.
Für den Gottesdienst werden
kunstästhetische Gegenstände gewählt, da Schönheit, Fremdheit und
Erhabenheit auch bei der Erfahrung des Gotteswortes auftreten. Die
ästhetische Erfahrung kann somit eine einleitende Funktion haben: Mit der
ästhetischen Erfahrung werden die existentiell personale Beziehung und die
unmittelbare existentielle Bedrohung aus dem Gotteswort genommen. Die
Ästhetik bewahrt die menschentypische Schwäche vor der Überwältigung durch
die Erhabenheit des Gotteswortes und bereitet zugleich die Zuwendung vor.
Friedrich Schiller sieht in der Aufhebung von Unmittelbarkeit, im besonderen
in der Ausschaltung existentieller Bedrohung eine notwendige Voraussetzung
kultureller „Veredlung“. Diese Vorstellung kann man vielleicht auf die „Glaubensveredlung“
übertragen. Der Umgang mit Kunstwerken verfeinert die kognitiven Fähigkeiten
im allgemeinen und bereitet damit die Gottgerichtetheit als „intentionalen
Zustand“ vor [10].
Der intentionale Zustand der ästhetischen
Wahrnehmung, diese ästhetische Grundgestimmtheit bewirkt
–
wie oben
skizziert
– eine Art phänomenologischer Reduktion und bereitet den Grund für
die religionsästhetische Erfahrung des Gotteswortes. Ist der intentionale
Zustand der Wahrnehmung des Gotteswortes erreicht, muß sich die ästhetische
Komponente auflösen. Die reformierte Auffassung ist:
Kunstwerke haben eine
Werteparallelität, gehören aber nicht zur Grundausstattung der Kirche. Kunst
vermittelt das Verhältnis zwischen Mensch und Welt; das Gotteswort vermittelt
zwischen Mensch und Gott [12].
11. Die gottesdienstliche
Leistung der Installation
Es war – wie gesagt – vielen Kirchenbesuchern nicht möglich, das Kunstwerk
„Abendmahlstisch“,
das mit dem schlichten Stil des gewohnten Abendmahlstisches der Süsterkirche
brach, als fremd-schön zu empfinden. Das wäre eine Wertung für einen
sich öffnenden Zugang zu Gottes Wort gewesen. Die ästhetischen Wertung lief
wegen der Irritiertheit zumeist auf das Werturteil: fremd-hässlich zu.
Damit war die oben skizzierte Vorbereitung auf die gottesdienstliche
Funktion gescheitert und damit hatte sich [leider] auch die Ablehnung des
Abendmahl-Kunstwerks für gottesdienstliche Abendmahlszwecke durchgesetzt.
12. Abendmahlstisch zerstört, Mensch verstört
Die Abendmahls-Installation
besteht aus einem Tisch, der seitlich starker Zerstörung ausgesetzt ist.
Der Blick auf die Feier des Sakramentes an diesem verstörenden Tisch drängte
(interpretierend)
offenbar auch den Blick auf das eigene Selbst auf. Wer bin ich, der da an
diesem heruntergekommenen Tisch steht und Abendmahl feiert, und: Wer ist
dieser Gott, der sich das gefallen lassen muß? Die Gleichsetzung
bürgerlicher Ordentlichkeit und Seriosität mit göttlichem „Geschmack“ ist
eine nicht auszuschaltende Erwartungshaltung. Sie bleibt mit der
Abendmahlsinstallation uneingelöst.
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Die Autoren
Pfarrerin Erika Edusei
Studium
der Theaterwissenschaft, Germanistik, Philosophie und Theologie in Köln,
Münster, Bielefeld-Bethel. Pfarrerin in der
ev.-reform. Gemeinde in Bielefeld seit 1997.
Dr. Fritz U. Krause
Geboren 1938 in Berlin. Studium der Germanistik, Philosophie
und Sport in Bonn. 1976 Promotion. 1972-1989 und 2002 Lehrauftrag an der
Universität Münster, Fachbereich Germanistik. 1990-2003
Gym-nasiallehrer (Studiendirektor). 1994-1998 Vize-Präsident, 1998-2001
Präsident der Christian-Dietrich-Grabbe Gesellschaft e. V.. Detmold. Leiter des
Privattheaters an der Süsterkirche (THEATER-tankstelle Bielefeld).
Regisseur seit 1997. |