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Medienkrieg, Kriegsmedien

Eindrücke zum amerikanischen Journalismus nach dem 11. September

 
Text: Anne-Katrin Arnold    Bild: Elvis Santana
 

 

22.30 Uhr in Philadelphia, eben sind die Lokalnachrichten auf Fox 29 zu Ende gegangen. Der Aufmacher war die Nachricht, dass der deutsche Smart nun auch auf der anderen Seite des Atlantiks angekommen ist. Die lokalen Stationen von ABC, NBC und CBS beginnen ihre Nachrichtensendungen live vom Brand einer Lagerhalle.

Gestern hat John McCain die Vorwahlen in Florida gewonnen, heute sind John Edwards und Rudy Giuliani aus dem Rennen um das Amt des Präsidenten ausgeschieden, und  Justizminister Michael Mukasey hat in einem Brief an den US-Senat erklärt, die Foltermethode Waterboarding sei eigentlich nicht wirklich illegal. Heute Morgen ist mir die amerikanische Medienlandschaft schon einmal über die Leber gelaufen, als ich in der ehrwürdigen New York Times auch keine Kritik an den Foltermethoden der CIA gelesen habe.

Es war einmal vor vielen Jahren, 1972 und gar nicht weit von hier, da sah der amerikanische Journalismus noch ganz anders aus. Die Watergate-Affäre, die Richard Nixon das Oval Office kostete und Bob Woodward und Carl Bernstein von der Washington Post zu Galionsfiguren des investigativen Journalismus machte, war Auftakt zu einer Ära, in der der amerikanische Journalismus Vorbild für andere nationale Mediensysteme wurde, zum Beispiel für die oft zerstrittene Parteienpresse in Europa. Die Tage des investigativen Journalismus sind in den USA vorbei, vorerst. Die Terror-Anschläge vom 11. September 2001 haben auch die Medienlandschaft nachhaltig verändert. In den Monaten nach den Anschlägen war es der Presse unmöglich, die Politik der Bush-Regierung kritisch zu analysieren – und seitdem haben sich die Journalisten daran gewöhnt, Regierungsquellen weitgehend unkommentiert wiederzugeben.

Linke Kritiker, wie zum Beispiel der kalifornische Kommunikations-wissenschaftler Douglas Kellner, sehen den Mangel einer kritischen Debatte in den Medien als Symptom einer Krise der amerikanischen Demokratie. In einem de
mokratischen Staat hätten Journalisten die Aufgabe, politisch relevante Themen zu diskutieren und von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Während des „Krieges gegen den Terror“ habe es aber nur einseitige Berichterstattung zugunsten der Bush-Regierung und der Pentagon-Politik gegeben. Fanatiker der rechten Seite des politischen Spektrums hätten über einen langen Zeitraum hinweg in den Medien ein williges Forum für die Verbreitung extremer Meinungen gefunden. Die Kolumnistin Ann Coulter hatte zu dieser Zeit kein Problem, in der Zeitschrift National Review dazu aufzurufen, die Führer der islamischen Welt umzubringen und die islamischen Länder zum Christentum zu konvertieren.

Die Bush-Regierung verbreitet seit 2001 eine beispiellose Kriegs-Hysterie, von den Medien willig aufgenommen und an die Bevölkerung weitergegeben. Ganz besonders auffällig war der aggressive militärische Ton der Fernsehnachrichten nach dem 11. September. Nachrichten wurden mit visuell eindringlich gestalteten Parolen präsentiert, die die Kriegsrhetorik der Regierung wiedergaben: Auf Fox News, CNN, MSNBC und in den Nachrichtensendungen der großen Sender ABC, CBS und NBC wurden die Nachrichten unter Bannern wie „America’s New War“, „America Rising“, „Attack on America“ präsentiert. Die amerikanische Flagge war, natürlich, allgegenwärtig. Flaggenjournalismus nennt das Sandra Borden von der Western Michigan University.

In Kriegszeiten schart sich das Volk um seine Führer – der „rally around the flag“-Effekt. Demokratische Prinzipien bleiben hinter bedingungslosem Patriotismus zurück, wer öffentlich Kritik am Kurs der Regierung übt, wird zum gesellschaftlichen Außenseiter und muss mit Konsequenzen rechnen. Pulitzer-Preisträger Peter Arnett, der 1991 aus dem Irak über den Golf-Krieg berichtet hatte, wurde 2003 von NBC gefeuert, nachdem er in einem Interview mit einem irakischen Fernsehsender erklärte, der amerikanische Einmarsch in den Irak sei nicht durchdacht und schlecht organisiert. Kurz nach dem Interview unterstützte NBC seinen Star-Reporter noch, der habe ja nur eine neutrale Analyse des Krieges präsentiert. Wenige Tage später hieß es aus der NBC-Zentrale in New York, Arnett habe einen Fehler gemacht, als er seine persönlichen Meinungen über einen vom irakischen Regime kontrollierten Fernsehsender verbreitete.

Nun lässt sich freilich diskutieren, ob in Krisenzeiten die Medien nicht sogar die Aufgabe haben, mit ihrer Berichterstattung zur nationalen Einheit beizutragen. Möglich – aber ganz sicher nicht bedingungslos. Die normative Hauptfunktion der Medien in einer Demokratie ist es, die Öffentlichkeit über politische Ereignisse zu informieren und aufzuklären. Wie erfolgreich die amerikanischen Journalisten damit waren, spiegelt sich zum Beispiel in den berüchtigten Umfragen wieder, nach denen 70 Prozent der Amerikaner überzeugt waren, dass Saddam Hussein in die Anschläge vom 11. September verwickelt war. Die Medien zweifelten nicht daran, dass eine Invasion des Irak nach dem Einmarsch in Afghanistan der logische zweite Schritt im Krieg gegen den Terror war, und mit den Journalisten war auch ihr Publikum militaristisch gestimmt.

Die Selbst-Zensur der amerikanischen Medien in den vergangenen Jahren ist ein erstaunliches Phänomen. Üblicherweise haben Politiker nur wenige Chancen, ihnen unbequeme Nachrichten aus den Medien herauszuhalten. Nach dem 11. September musste die Regierung in den USA den Medien erst gar keinen Maulkorb umbinden, die hielten von selbst den Mund. Die Patriotismus-Hysterie, von Bush mit der Maxime auf die Spitze getrieben, wer nicht für Amerika sei, sei gegen Amerika, hatte den öffentlichen Verstand auch in den Medien lahm gelegt.

Kriegszeiten sind Hochzeiten für Propaganda, im In- und im Ausland. Nach dem 11. September hatte die amerikanische Regierung das Office of Strategic Influence (OSI) eingerichtet, eine Propagandamaschine, die gezielt Desinformationen an ausländische Medien übermittelte. Nachdem 2002 die Existenz dieser Behörde bekannt wurde, musste sie schnell geschlossen werden, denn hier wollten die amerikanischen Medien ihre konstitutionell garantierte Freiheit doch nicht aufgeben: Viele Nachrichtenorganisationen in den USA arbeiten mit ausländischen Medien zusammen und bekamen die falschen Informationen aus dem OSI postwendend in ihre eigenen Redaktionen zurück. Das ist ein Effekt der Globalisierung und neuer Kommunikationstechnologien: Während die US-Regierung im Inland keine Propaganda betreiben darf, darf sie durchaus falsche Informationen an ausländische Medien weitergeben. Da jedoch ein großer Teil der Medien international von nur wenigen Konzernen kontrolliert wird, lässt sich die nationale Grenzlinie nicht mehr ziehen, und die Wirkungen der amerikanischen Propaganda im Ausland betreffen auch das inländische Publikum. Von der Regierung in die Medienwelt gesetzte Fehlinformationen gelangten also auch in amerikanische Redaktionen, und es gibt wenige Anzeichen, dass sich die verantwortlichen Herausgeber und Redakteure die Mühe machten, die Mitteilungen der Bush-Regierung zu hinterfragen. Während der Rest der westlichen Welt gespannt den Waffeninspektoren der UNO lauschte, berichtete die amerikanische Presse von Saddams Massenvernichtungswaffen und seiner Beteiligung an den Terroranschlägen auf das World Trade Center. Es ist fraglich, ob die Bevölkerung der Invasion ebenso enthusiastisch zugestimmt hätte, falls die Presse die Position der US-Regierung zur unmittelbaren Bedrohung durch den Irak stärker hinterfragt hätte. Es lässt sich ebenfalls spekulieren, ob der allgemeine Glaube an ein Atomwaffen-Programm im Iran ähnliche Ursachen hat.

Nancy Snow und Philip Taylor, Spezialisten für Propaganda-Forschung, erklären den Erfolg der Gleichschaltung der amerikanischen Presse nach den Terroranschlägen mit der wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit der Medien. Die Inhaber von Medienorganisationen gehörten oft selbst zur politischen Elite und hätten daher die gleichen Ziele wie die Bush-Regierung. Profit sei wichtiger als die Wahrheit – aber die Presse sei nun mal nicht schon dann frei, wenn Herausgeber rhetorisch auf dieser Freiheit bestehen.

Möglicherweise ist es ja sogar das Ideal der objektiven Berichterstattung, das die amerikanischen Journalisten zumindest eine Zeit lang zu Sprachrohren der PR-Strategen im Weißen Haus gemacht hat. Brent Cunningham, Herausgeber des Columbia Journalism Review, fragte 2003, ob der Versuch, fair und ausgewogen zu berichten, die Journalisten zu passiven Befehlsempfängern der Regierung gemacht hätte. Der Druck der täglichen Publikations-Deadlines könne dazu verleiten, das Recherchieren auf nur wenige Quellen zu beschränken. Eine tiefere Analyse falle dem Primat der Aktualität zum Opfer. Seit 2001 verließen sich amerikanische Journalisten deshalb deutlich häufiger auf offizielle Quellen als in den Jahren des investigativen Journalismus.

Im Geburtsland der freien Presse haben mehrere Jahre lang Zensur und Propaganda über die Ideale von Objektivität und Aufklärung dominiert. Snow und Taylor nennen diese Dominanz einen Sieg autoritärer über demokratische Werte. Eine ganze Weile schien es in der amerikanischen Medienlandschaft keine Oase der Vernunft zu geben, selbst die New York Times und die Washington Post blieben lieber auf Regierungslinie. Immerhin, die Berichterstattung über Bush und seine Getreuen ist mittlerweile wieder etwas kritischer geworden. 2004 hat sich die New York Times öffentlich dafür entschuldigt, in den ersten Jahren des Irak-Krieges das Vorgehen der Regierung nicht ausreichend hinterfragt zu haben.

Mit „watchdog journalism“ oder Presse als vierter Gewalt im Staat hat die derzeitige Arbeitsweise etlicher amerikanischer Journalisten nicht viel zu tun. Bleibt abzuwarten, ob mit dem bevorstehenden Regierungswechsel auch die Manipulationsversuche aus Weißem Haus und Pentagon aufhören, und ob eine neue, quasi Nachkriegsadministration auch eine neue Ära des Journalismus einläuten wird, eine Ära nach der Selbstzensur.

Die Autorin





Anne-Katrin Arnold

Jahrgang 1978, hat in Hannover, London und Philadelphia Kommunikationswissenschaft studiert und promoviert derzeit an der University of Pennsylvania in Philadelphia. In Deutschland hat sie mehrere Jahre in Zeitungs- und Radioredaktionen verbracht und widmet sich nach einem kurzen Ausflug in die internationale Diplomatie nun wieder ganz der Wissenschaft. Hier dreht sich ihre Arbeit um Öffentlichkeit, öffentliche Meinung und Journalismus.