KULTURKRITIK

Armani: Marke und Kunst


TEXT: MARC LAUTERFELD
BILDER:
ARMANI


Giorgio Armani ist wohl einer der einflußreichsten Designer des 20. Jahrhunderts. Sein Verzicht auf übermäßiges Ornament und die Übertragung sportlicher Elemente in die Business‑ und Abendgarderobe prägten jenen zwanglosen Stil, der gegenwärtig die Mode bestimmt. Damit veränderte er die Regeln zeitgenössischer Mode grundlegend. Armani ist zugleich tüchtiger Geschäftsmann und daher nicht nur Mode‑Ikone, sondern auch eine der erfolgreichsten Modemarken.

Dieser Marke kann man derzeit in der Neuen Nationalgalerie in Berlin begegnen. Die Ausstellung wird noch bis Mitte Juli 2003 gezeigt; anschließend zieht sie um nach London. Sie ist vom Solomon R. Guggenheim Museum konzipiert worden und war bereits im Jahr 2000 in New York und 2001 in Bilbao zu sehen. Für das Guggenheim Museum eine der meistbesuchten Ausstellungen in seiner Geschichte, ist sie auch in Berlin ein echter Publikumsmagnet. Die Neue Nationalgalerie erlebt einen generations- und geschlechterübergreifenden Besucheransturm. An Wochenenden erkennt man das Museum in der Nähe des Potsdamer Platzes schon von weitem – anhand der stündlich wachsenden Warteschlange. Die Sehnsucht nach dem reinen Schönen, nach italienischer Eleganz und einem Hauch von Luxus scheint diesseits wie jenseits des Atlantiks eine der aktuell viel beschworenen Gemeinsamkeiten zu sein – jedenfalls stößt sie hier wie dort auf ein unerwartet großes Interesse.







Die Berliner Ausstellung rechtfertigt dieses Interesse durch ihren Facettenreichtum: Sie stellt die Entwicklung des Designers in den letzten 25 Jahren dar, die, wie er selbst sagt, stark von der Mode der 30er und 40er Jahre beeinflußt worden ist. In der kaleidoskopartigen Ausstellungsarchitektur werden über 400 Kleidungsstücke präsentiert und wesentliche Aspekte seines kulturellen wie soziologischen Einflusses auf das 20. und 21. Jahrhundert dargestellt. Originale, Skizzen und Fotografien, die Armanis Entwürfe von der Idee bis zum fertigen Kleidungsstück beleuchten, runden dieses Portrait ab. Die Berliner Ausstellung „Giorgio Armani“ ist zudem um charakteristische Beispiele aus den jüngsten Kollektionen sowie um Videoprojektionen erweitert worden.

Das Ausstellungskonzept

Die Kleidungsstücke werden nicht in chronologischer Abfolge, sondern in thematischen Ensembles ausgestellt. Hierdurch wird der Besucher animiert, sofern er nicht vorab „gespickt“ hat, zu versuchen, die einzelnen Stücke selbst zu datieren. Durch einen solch neugierigen Blick auf die Ausstellung, lassen sich Detailverschiebungen in Schnitt, Ausstattung und Material ausmachen, die einem ansonsten leicht verborgen bleiben. Zugleich werden Motive deutlich, die sich wie ein roter Faden durch Armanis Oeuvre ziehen.

Eine Gruppe beleuchtet beispielsweise seine Interpretation des modernen, androgynen Look. Highlights sind dabei die „deconstructed jackets“, die als körperbetonte Anzüge für Männer und als maskuline Blazer für Frauen – à la Marlene Dietrich – entwickelt wurden. Andere Gruppierungen spiegeln den Einfluß asiatischer und nordafrikanischer Kulturen auf Armanis  Arbeiten. Mit Stickereien oder Perlen besetzte Kleidungsstücke lehnen sich an Mode aus fernöstlichen Kulturen wie China, Indien und Polynesien an. Armanis minimalistischer Umgang mit dieser Tages- und Abendgarderobe reduziert scheinbar exotische Kleidung auf praktische Schlichtheit. Deutlich wird auch seine zurückgenommene – zumeist schwarze oder „greige“ (grau/beige) – Farbgebung, die er als „non‑color palette“ bezeichnet. Armani ist Meister subtiler Eleganz und des gekonnten Understatement.  

Die Ausstellung zeigt auch Armanis
 Vorreiterrolle in der Zusammenarbeit mit der Unterhaltungsindustrie. Sie präsentiert zahlreiche Abendgarderoben, die eigens für
Oscar‑Verleihungen angefertigt wurden und Leihgaben der jeweiligen Schauspieler und Regisseure sind. Mittels Videopräsentation trifft man auch auf ihre Träger: von Richard Gere in „American Gigolo“ [1980] über Steven Spielberg bis Halle Berry – sie alle machen in Armani eine gute Figur – und transportieren gleichzeitig das Markenimage. So wird deutlich, wie geschickt der Stratege Armani das „Schaufenster Hollywood“ für seine Zwecke einsetzt. Er hat die Filmindustrie als kostengünstige und sich andienende Werbe- und Marketingmaschinerie entdeckt und erobert.

Die Macher

Das Ausstellungsdesign stammt von dem Künstler und Theaterregisseur Robert
Wilson, der bereits die Ausstellungen in New York und Bilbao gestaltet hat. Sie wurde co‑kuratiert von Germano Celant (Solomon R. Guggenheim Museum) und Harold Koda (
Costume Institute des Metropolitan Museum of Art). Ein schlangenförmiger „Mode-Limes“,  ein flacher Wall aus weißen Glasstücken und getrocknetem Lehm, auf dem die eigens entworfenen Mannequinfiguren gesteckt sind, leitet den Besucher. Diese Figuren sind kopflose Hohlkörper und erzeugen einen Eindruck von Schwerelosigkeit im schwarz-verkleideten Raum. Unterstützt von Lichteffekten wird der gläserne Ausstellungsraum in Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie in eine spektakuläre, aber leider schlecht klimatisierte Bühne für Armanis Kreationen verwandelt. Im Hintergrund erklingen esoterische Sitarklänge. Wilson, der unter anderem auch die Biennale in Venedig in Szene setzte, unterstreicht durch den Einsatz der verschiedenen Elemente die Vielseitigkeit von Armanis Werk.

Die Ausstellung als Ganzes vermittelt einen umfassenden Eindruck von Armanis Schaffen und seiner Bedeutung im zeitgenössischen kommerziell-kulturellen Umfeld.

Hinweis

Ort: Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin
Z
eitraum: 8. Mai bis 13. Juli 2003
Öffnungszeiten: Di Fr 10 18, Do 10 22, Sa/So 11 18, Montags geschlossen
Eintritt: 7 Euro, ermäßigt 3,50 Euro;
Kombiticket (Armani und Picasso): 10 Euro, ermäßigt 5 Euro

Katalog:
39 Euro, in englischer Sprache, 424 Seiten



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