PERSPEKTIVEN
Marke Mann, Marke Frau
TEXT:
STEPHAN ISERNHAGEN
BILD:
PHOTOCASE.DE
Was sind "wahre Männer" und "richtige Frauen"? In den letzten Jahrzehnten
sind solche Fragen in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses gerückt aber
auch zum besonderen Gegenstand wissenschaftlichen Forschens geworden. Obwohl
diese Fragen schon immer Bestandteil menschlichen Lebens waren, hat deren
Problematisierung doch erst vor kurzer Zeit begonnen. Ein Streifzug durch
diese Geschlechterwelten.
"Männer weinen heimlich, Männer brauchen viel Zärtlichkeit, Männer sind
einsame Streiter, müssen durch jede Wand. Männer rauchen Pfeife, Männer
bauen Raketen, Männer kriegen dünnes Haar," singt ein 28 Jahre alter
Göttinger 1984 und schafft damit seinen Durchbruch. Herbert Grönemeyers
"Männer" - das Kultlied reiht Adjektive aneinander, um eine Männlichkeit zu
malen, in der sich jeder vermeintlich richtige Mann wieder finden kann.
Sommer 2002. Die Hollywood-Studio-Chefs landen einen neuen Coup: Für die
Premierenfeier des Kriegshelden-Dramas "Pearl Habour" mieten sie einen
amerikanischen Flugzeugträger. Weit weg von der bunten Traumfabrik, irgendwo
im Atlantik, posiert die eingeflogene Prominenz auf jener Landebahn, von der
einst amerikanische Soldaten in den Krieg flogen. Die Horde wartender
Fotografen lässt nicht ab von den Stars. Auf ihrem Weg zur Filmvorführung
treibt es sie allesamt an riesigen Plakaten vorbei, von denen die
Hauptdarsteller strahlen. Auf ihnen steht neben dem Titel nur die Wortreihe:
"Zwei Männer. Eine Frau. Ein Krieg." Der Streifen, in dem allerhand Bomben
fallen, rankt sich um die Freundschaft zweier Soldaten, um die Liebe zu
einer hübschen Frau und um den gemeinsamen Kampf für Amerika. Zwischen
sterbenden Soldaten und einer "wahren" Männerfreundschaft, die selbst durch
japanische Bomben nicht aufgebrochen wird, zeigt der Film tapfere,
disziplinierte, patriotische aber auch sensible, verletzbare und übermütige
Männer. Die Frau - für die kämpfenden Männer immer wieder Bezugspunkt der
Erinnerung - harrt derweilen zu Hause aus und schickt sich an, den Haushalt
in Ordnung zu halten und Unkraut zu jäten.
Ob die Geschlechter nun besungen oder ihre Rollen in Filmen vorgeführt
werden: Vorstellungen von "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" strukturieren
den Alltag und darüber hinaus jede politische Debatte. Erst im Kontrast mit
der Vergangenheit wird deutlich, dass die jeweils zeitgenössischen Bilder
von Männlichkeit und Weiblichkeit sich ändern und andere Formen als die
gewohnten Umrisse und Skizzen annehmen können. Wer vertritt heute noch die
Ansicht, dass Frauen per se für die Hausarbeit, Männer qua Definition für
den Kampf ums Vaterland bestimmt sind? Was ist mit all den
Zivildienstleistenden, die ihren Dienst tun in Krankenhäusern oder sozialen
Einrichtungen? Was ist mit Frauen, die mit marschieren bei der Bundeswehr?
Gibt es vielleicht gar keine natürliche "Weiblichkeit" oder "Männlichkeit"?
Haben wir zwar eine biologische Basis, aber entsteht unser Geschlecht - und
unsere Vorstellung davon - nicht durch soziale Interaktionen und deren
Institutionen wie Schule, Gesellschaft und beispielsweise Arbeitsplatz und
Universität?
Unter dem Stern dieser Erkenntnis steht der radikale Feminismus der 70er
und 80er Jahre. Gewiss, er ist überlebt und durch die Konzentration auf
sich selbst und die Weigerung jeglicher Analyse von "Männlichkeit"
desavouiert und delegitimiert. Ihn gibt es heute nicht mehr in so scharfer
und direkter Art wie 1975. Alice Schwarzer spricht in diesem Jahr in "Der
kleine Unterschied und seine großen Folgen" von Machtbeziehungen zwischen
Mann und Frau. Die Journalistin und Frauenrechtlerin: "Auch die weibliche
Sexualität (ist) nur wieder Ausdruck weiblicher Ohnmacht....jede
Liberalisierung (muss) auch in der Sexualität Hand in Hand gehen mit
Bewußtseinsprozessen, die es den Frauen möglich machen, dies für sich selbst
zu nutzen, anstatt sich...nutzen zu lassen." Der dezidiert politische
Anspruch dieser Bewegung findet sich wieder in ihren Zielen: Die Frauen
befreien von ihren Unterdrückern, den Männern. Die würden die Herrschaft und
die Macht im Staat und in der Gesellschaft an sich binden und Frauen
lediglich als "Gebärmaschinen" benutzen. Weiblichkeit entsteht in diesen
Denkwelten in scharfer Abgrenzung zu Männlichkeit. Frauen sind als
unterdrückt gedacht, als Objekte, die fest eingespannt sind in den brutalen
männlichen Herrschaftsraum. Bis heute scheint sich Alice Schwarzer nicht
lösen zu können von dieser "Alle-Männer-sind-Schweine-Theorie". Ihr
Frauenmagazin "Emma" titelt kurz nach den Anschlägen auf das World Trade
Center in New York mit: "Terror" und setzt in die Unterzeile: "Männer.Männer.Männer."
Dazu zeigt das Blatt Fotos von US-Präsident George W. Bush, dem deutschen
Aussenminister Joschka Fischer und dem Terrorchef
Osama Bin
Laden.
"Emma" setzt der männlichen Gewalt den weiblichen Wille zum Frieden
entgegen. Das ist freilich kein neuer Gedanke. Schon die Mitglieder der
Westdeutschen Frauenfriedensbewegung (WFFB) aus den 60ern haben sich um den
Charakter von Weiblichkeit Gedanken gemacht. In dem Aufruf "Frau und
Frieden" von 1956 schreiben sie: "Wir sind uns bewusst,
das die Frau, die
ihrer Natur nach zum Behüten ausersehen ist, eine Verpflichtung im
öffentlichen Leben hat, die ihr niemand nehmen kann." Und die Pazifistin
Klara Marie Faßbinder sagt, was damit gemeint ist: "Es gibt keine
Möglichkeit, den Frieden zu erhalten... wenn nicht ein neuer Geist die
Menschen beseelt. Und diesen neuen Geist zu entfalten, das ist unsere
Aufgabe." Der Appell will nicht nur zur Abkehr von "männlicher Politik"
aufrufen, sondern "männliches Denken" im allgemeinen abschaffen.
Diese Diskussionen sind auch an den Wissenschaften nicht spurlos vorbei
gegangen, bedingen sich teilweise aus ihnen. In der europäischen
Geschichtswissenschaft gilt schon seit den 60ern der alte Satz von "Männer
machen Geschichte" nicht mehr, wonach hohe Staatsfunktionäre die wichtigen
Entscheidungen treffen und Politik das Ergebnis ist von Kalkül und
Strategie. Besonders Historikerinnen haben darauf aufmerksam gemacht, das
"Frauen auch eine Geschichte haben." In der Literaturwissenschaft gibt es
Ansätze, die sich über eine mögliche Homosexualität Shakespeares auslassen
und in der Soziologie und Philosophie wird seit ein paar Jahren von den
Geschlechtern im Plural gesprochen. Das heisst, in diesen Vorstellungen gibt
es nicht mehr nur eine "Männlichkeit", sondern viele. Nicht nur eine für
einmal festgesetzte, quasi durch die Geburt mit auf den "Weg" gegebene
"Weiblichkeit", sondern nunmehr "Weiblichkeiten", die in Konkurrenzkampf
miteinander koexistieren und die die Gesellschaften auf die Individuen mit
ihren verschiedenen biologischen Basen zuschreiben. Neben den
Geisteswissenschaften sitzt die Psychologie an vorderster Front, wenn es ums
Geschlecht geht: Die Psychologin Marianne La France von der US-Elite Uni
Yale stellte im vergangenen Monat das Ergebnis ihrer neuesten Forschungen
vor: Frauen lachen häufiger als Männer und setzen ihr Lächeln öfter
strategisch ein, um emotional schwierige Situationen zu überstehen.
Für breite Bevölkerungsgruppen gehört das Rätseln um den vermeintlich wahren
Charakter eines Mannes oder einer Frau zum Alltag. Das Buch "Warum Männer
nicht zuhören und Frauen schlecht einparken" von Allan und Barbara Pease
verteilt bestimmte Eigenschaften auf die beiden Geschlechter und behauptet
im Untertitel: "Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche
Schwächen". Dabei ist dieses Buch nur ein Beispiel jener Publikationen, die
die Geschlechterunterschiede schon im Titel auf biologische - weil
"natürliche Erklärungen" - zurückführen und damit jedes Klischee über
bestimmte Eigenschaften der Geschlechter fortschreiben. Wesentlich greller
und farbiger inszeniert die Pop-Sängerin Madonna ihre Weiblichkeit: In den
80`ern bricht der junge Pop-Stern aus Michigan manches verkrustetes Bild
weiblicher Sexualität auf und tanzt dann nicht nur in ihrem Video "Erotica"
1992 in schwarzen Lack-Kostümen mit spärlich bekleideten Männern und Frauen
über die Bühne. Die Beispielkette lässt sich beliebig fortführen. Ob sich
der US-Star als kühle Wüsten-Diva ("Frozen") gibt und sich - in schwarzen
Tüchern eingehüllt - über einen kargen Sandboden räkelt, locker in Jeans und
Cowboyhut im Country-Stil vor einer amerikanischen Flagge tanzt ("American
Pie") oder gar in ihrem neuen Video "American Live" die gedrillte und eher
burschikos anmutende starke Frau mimt. Immer stellt Madonna eine bestimmte
Art von Weiblichkeit dar und manchmal gelingt es ihr, damit Trends zu
setzen.
Angeknüpft an diese Geschlechter-Inszenierungen sind Vorstellungen von
Sexualität und ihren Formen. Nicht erst seit der Berliner Bürgermeister
Klaus Wowereit sich in seinem "Ich-bin-schwul-und-das-ist-gut-so-Bekenntis"
zu seinem Lebenspartner und damit offen zur Homosexualität bekannte,
diskutieren die Medien und die Gesellschaft das Intimleben prominenter
Personen. Zwar kam im Anschluss an Wowereits Offenbarungsakt die Frage nach
seiner politischen Tauglichkeit selten auf und er selbst betonte in der
ARD-Talkshow "Beckmann" im Juni vor zwei Jahren: "Ich bin ein schwuler
Politiker aber kein Politiker für Schwule." Dennoch zeigt dieses Beispiel,
dass Sexualität auch das Wirken eines Mannes bestimmt, der sich in der
öffentlichen Sphäre bewegt und eigentlich nicht über derartige Kategorien
beurteilt werden will. Wowereit kann sich dem aber nicht entziehen und geht
deswegen bei "Beckmann" in die Offensive. Auch Bundeskanzeler Gerhard
Schröder - schon viermal verheiratet - musste im Vorfeld seiner Wahl zum
deutschen Regierungschef Diskussionen über sich ergehen lassen, inwiefern
ein Mann die Bundesrepublik regieren könne, der nicht einmal eine
vernünftige Ehe auf die Beine gestellt bekomme. Und Edmund Stoiber besuchte
vergangenen Herbst mit seinem Enkel auf den Schultern und seiner Frau im Arm
den Vergnügungspark Legoland, um der ganzen Fernseh-Nation noch kurz vor der
entscheidenden Wahl seine Familienfreundlichkeit und sein Harmoniebedürfnis
zu demonstrieren. Verona Feldbusch indes liess sich ein auf eine
Wortschlacht in der Talkshow "Johannes B. Kerner" mit Alice Schwarzer und
vertrat dort ihre Auffassung von Frausein. Ob diesen Männer und Frauen die
Inszenierung ihres eigenen Geschlechts und die Verortung ihrer eigenen
Sexualität genützt hat, bleibt zu beantworten eine müßige Frage. Auf jeden
Fall haben sie alle ihren "Mann" oder ihre "Frau" gestanden, was auch immer
sie darunter verstehen mögen.
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