Wo der Student zur Elite gehört


Text:
Malte Florian Klein    Bild: privat

An einer Kunstakademie bekommen nur die Besten einen Platz. Vorher müssen sie ihr Können mit ersten Werken unter Beweis gestellt haben. Wer es schafft, kann im Hochschulatelier den Pinsel ansetzen und sein Talent schulen. Aber dass die Studenten zur künstlerischen Elite gehören, heißt nicht, dass sie danach automatisch erfolgreich werden. Udo Scheel war bis Ende März 2005 Rektor der Kunstakademie in Münster. Im Interview mit der Gegenwart spricht er über Anforderungen an Künstler und wie eine Kunsthochschule diese fördern kann. Aber auch darüber, dass gesellschaftliches Engagement und Kritik nicht nur Aufgabe der Kunst sind, sondern die der gesamten Gesellschaft.

Die Gegenwart:
Herr Professor Scheel, was ist das Ziel der Ausbildung an einer Kunsthochschule?

Udo Scheel: Ziel von Lehre und Studium an der Kunstakademie Münster ist die Herausbildung der künstlerischen Persönlichkeit, die zur selbständigen künstlerischen Aussage und zur Reflexion der eigenen künstlerischen Leistung fähig ist – so steht es in der Grundordnung.

AUSGABE 43
DIE ALLTÄGLICHE ELITE





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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF
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Die Gegenwart: Wie soll dies erreicht werden?

Scheel: Durch selbst-verantwortete individuelle künstlerische Studienarbeit in einer Fachklasse (Atelier-studium). Dabei ist der jeweilige künstlerische Lehrer Beispiel und kompetenter Dialogpartner. Hinzu kommt das Studium im Bereich der kunstbezogenen Wissenschaften und die Arbeit in den künstlerisch-technischen Werkstätten.

Die Gegenwart: Welche Kriterien gibt es für eine Aufnahme?

ZUR PERSON

Professor Udo Scheel
Udo Scheel, geboren 1940 in Wismar, studierte an der Universität Hamburg und an den Kunstakademien Düsseldorf und Hamburg. Später war er Professor für Malerei und Grafik an der Kunstakademie Münster und deren Gründungsleiter. Von 2003 bis zu seiner Emeritierung 2005 arbeitete er schließlich als Rektor der Kunstakademie. Scheel ist weiterhin als Maler und Grafiker tätig. Seine jüngsten Ausstellungen waren in der Kunsthalle Recklinghausen, im Städischen Museum Gelsenkirchen und in den Staatlichen Museen Minsk (Weißrussland) zu sehen. Derzeit arbeitet er an Projekten in der Türkei.

Scheel: Künstlerische Gestaltungsfähigkeit, Realisierungsfähigkeit in den gewählten künstlerischen Medien, künstlerische Konzeption und Intensität oder Form- und Vorstellungskraft, Fantasie, Sensibilität und im Ansatz: künstlerisches Problembewusstsein.

Die Gegenwart: Durch welche Werte und Normen soll sich ein Künstler auszeichnen?

Scheel: Ein guter Künstler zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er gute Kunst macht. Ohne freie Motivation und Engagement geht das nicht. Die Werte, Normen und Maßstäbe, auf die eine freie, demokratische Gesellschaft gegründet ist, gelten für einen Künstler genauso wie für jeden anderen Menschen.

Die Gegenwart: Was kann die Kunstakademie Münster dazu leisten?

Scheel: Eine gute Kunstakademie bietet Studienmöglichkeiten auf hohem Niveau und unterstützt die Studierenden in ihrer individuellen Entwicklung.

Die Gegenwart: Inwiefern erfüllt ein Künstler eine gesellschaftliche Funktion?

Scheel: Vorsicht! Wer nach Funktionen fragt, meint zumeist die Instrumentalisierung der Künste für bestimmte Zwecke. Kunst ist im Kern zwecklos, aber keineswegs sinnlos. Deshalb erfüllt sie keine Funktionen, sondern entfaltet Wirkungen. Kunst gehört zum Menschen. Ohne Kunst und Kultur gibt es keine zivilisierten Gesellschaften.

Die Gegenwart: Welche Fähigkeiten muss er haben, um diese zu erfüllen?

Scheel: Wie gesagt, er muss ein guter Künstler sein. Das ist sehr viel und das genügt.

Die Gegenwart: Gehört ein ausgebildeter Kunststudent zu einer Elite?


Scheel: Ja.

Die Gegenwart: Weshalb ist das so?

Scheel: Werke und Arbeiten der Kunst zeichnen sich durch hohe Qualität aus. Ohne besondere Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit kann keine Kunst entstehen. Elite ist durch eben diese Eigenschaften definiert.
 

Die Gegenwart:
Kann aus dieser Position eine gesellschaftliche Kritik überhaupt stattfinden?


Scheel: Warum denn nicht? Erhöht etwa geringere Intelligenz und Leistungsbereitschaft die Kritikfähigkeit? Gesellschaftliches Engagement und Kritik sind allerdings keine Spezialaufgaben der Kunst. Hier sind wir alle gefragt. Allerdings gibt es neben vielen anderen wunderbaren Werken der bildenden Kunst auch zahlreiche Beispiele von eindringlichem mitmenschlichem und sozialem Engagement.


Die Gegenwart: Wenn die Kunstakademie ihre Studenten nach Leistungskriterien auswählt, entsteht dann nicht automatisch eine künstlerische Elite, die aus den Besten besteht und gar nicht mehr den Blick für die Probleme des normalen Bürgers hat?

Scheel: Würde die Kunstakademie nicht die Besten, sondern die Mittelmäßigen und Unbegabten auswählen, wo bleiben dann die Besten? Hat ihre Frage, die ja eigentlich eine Meinung ist, nicht einen zynischen Aspekt, in dem sie dem so genannten normalen Bürger eine auf seine Probleme fixierte „Normalkunst“ andienen wollen?

Die Gegenwart: Natürlich ist klar, dass es nicht die Normalkunst gibt und sie dem normalen Bürger auch nicht angedient werden kann. Es geht vielmehr um die heutige Situation in Deutschland. Wie geht ein Künstler mit dem Problem der immer stärkeren Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Haves und Have-Nots um?

Scheel: Vielen Künstlern geht es wirtschaftlich schlecht. Sie schlagen sich mit Jobs und Teilzeitbeschäftigungen durch. Nur wenige „Künstlerstars“ gehören zu den Großverdienern. Sie könnten die Frage auch umdrehen: Wie geht die Gesellschaft mit den Künstlern um? Eines ist unbestreitbar: Die meisten Künstler kennen das Leben der „Have nots“ aus eigener Erfahrung. Das heißt nicht, dass sie diese Problematik künstlerisch thematisieren.

Die Gegenwart: Gibt es heute noch Malerei, die soziale Probleme abbildet, wie bei Henri Toulouse-Lautrec und Otto Dix?

Scheel: Humanitas und Caritas sind wesentliche Grundlagen aller zwischenmenschlichen Beziehungen. Immer wieder haben Künstler mit einer einfühlsamen und mitfühlenden Grundhaltung sich mit menschlichen Schicksalen in Not, Armut, Verelendung und Krieg beschäftigt. Zum Beispiel Françisco Goya, Vincent van Gogh, Pablo Picasso und Francis Bacon. Natürlich im besonderen Maße Käthe Kollwitz und Otto Dix. Toulouse Lautrec bevorzugte motivisch ein Szenario, das wir vielleicht als problematisch empfinden, er möglicherweise nicht. Heute fällt mir der kürzlich verstorbene New Yorker Maler Golub ein. Kunst kann allerdings auch auf ganz andere Weise in gesellschaftlichen Zusammenhängen wirksam werden. Schönheit und Wahrheit, auch wenn sie nicht immer zusammen zu gehen scheinen, sind in der Kunst sicher wichtiger als pure Abbildung oder Illustration. Die Kunst selbst ist ein gesellschaftlicher Katalysator, nicht primär ihr jeweiliges Thema.

 


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