Pulitzers Elite


Text:
Stefan Nicola, Washington   Bild: Photocase.de

Schon der Briefkopf der Columbia University verspricht Glamour: 2960 Broadway, New York City. Die altehrwürdige Universität im Nordwesten Manhattans beherbergt die prestigeträchtigste Journalistenschule Amerikas, vielleicht der ganzen Welt: die Columbia Graduate School of Journalism, „das Harvard für Journalisten“, wie es in der Branche heißt.

AUSGABE 43
DIE ALLTÄGLICHE ELITE





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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF
IM SCHLARAFFENLAND DER ÄSTHETIK
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PULITZERS ELITE

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Seit 1912 wird dort die schreibende Elite Amerikas ausgebildet. Ausgedacht hat sich das Konzept der Journalistenschule jedoch ein Ungar: Joseph Pulitzer. Der hatte nach einer illustren Verlegerkarriere in den Vereinigten Staaten so viel Geld übrig, dass er seinen Nachlass in die journalistische Zukunft des Landes investierte. Mit seinen Mitteln wurde nicht nur die Columbia J-School ins Leben gerufen, sondern auch der Pulitzer Preis, die begehrteste Auszeichnung im amerikanischen Journalismus.

Heute ist „Columbia“ Eliteuniversität (viele Nobel-preisträger sind beschäftigt) und hervorragend funktio-nierendes Großunternehmen zugleich. Der Jahreshaushalt der Columbia University beträgt um die zwei Milliarden Dollar, mehr als das Zehnfache mit dem die großen deutschen Universitäten auskommen müssen.

ZUR PERSON


Stefan Nicola

Gegenwart-Autor Stefan Nicola hat sich im Frühjahr 2004 erfolgreich an der Journalistenschule der Columbia University in New York beworben. Doch trotz Zulassung wurde ihm keine finanziellen Hilfsmittel für den knapp 60.000 Dollar teuren Studiengang angeboten. "Sie können gerne ein Jahr lang sparen. Wir würden sie auch nächstes Jahr nehmen", sagte ihm ein Columbia-Offizieller damals am Telefon. Seither studiert Nicola Journalismus in Washington D.C. und berichtet seit 2004 von Zeit zu Zeit für Die Gegenwart aus der amerikanischen Hauptstadt.

Schon lange investiert Columbia Restcash ein paar Blocks weiter südlich, an der Wall Street. Um die 100 Millionen Dollar springen pro Jahr an Zinsen und Dividenden heraus. In der Ausbildung seiner Journalisten ist die Columbia J-School bodenständig. Zu hervorragenden Rechercheuren sollen die Absolventen werden, Starreporter sind hier nicht erwünscht. Im ersten Semester erlernen Schüler deshalb die Grundlagen des Recherchierens, und werden zu Lokalreportern: jeder Student ist für ein Stadtviertel New Yorks zuständig, über das er regelmäßig und unter Zeitdruck Artikel schreiben muss. Im zweiten Semester arbeiten Studenten in den verschiedenen Publikationen der Columbia J-School mit. Mehrere Zeitschriften, die Zeitung Bronx Beat  und Dokumentarfilmprojekte stehen zur Auswahl.

Die Journalistenschule ist zwar nur eine kleine Fakultät der Columbia University, die Lebensläufe der rund 150 Professoren haben es jedoch in sich. Kaum ein Journalistenpreis, inklusive des ominösen Pulitzers, den die Dozenten nicht gewonnen haben. Ehemalige Arbeitgeber spielen meist in der journalistischen Champions League: Schulboss Nicholas Lemann ist Star-Reporter der angesehenen Zeitschrift
The New Yorker. Der ehemalige Chefredakteur des Time Magazine lehrt Zeitschriften-Journalismus. Print-Professoren berichteten in vergangenen Jahren für die New York Times, das Wall Street Journal oder die Washington Post.

Doch zur Elite zu gehören hat seinen Preis. Das Budget für die zehnmonatige Ausbildung inklusive Studiengebühren, Campusbude und Laptop berechnet Columbia mit „rund 56313 Dollar.“ Nur wenige können sich diese Ausbildung ohne Stipendien leisten.

Und wer einen Scheck Richtung Broadway schicken darf entscheidet sich erst nach einem dreistündigen Aufnahmetest, den die rund 2000 Bewerber jedes Jahr ablegen müssen. Die 200 die dabei beeindrucken und nebenbei noch herausragende Arbeitsproben und Lebenslauf vorzuweisen haben, bekommen vom Leiter des Aufnahmekomitees, Robert MacDonald, einen Zulassungsbrief. Der findet es übrigens „eine Ehre, bei [Columbia] angenommen zu werden.“

In Amerika ist es üblich, dieser Ehre ein paar Jahre lang Tribut zu zollen. Ein Zulassungsbrief einer Ivy-League Universität wie der Columbia verschafft bei US-Banken Kreditwürdigkeit, die Studenten ohne Stipendien nur zu gerne in Anspruch nehmen. Ein Abschluss der Columbia J-School, so der Glaube, öffnet jegliche Türen im amerikanischen Mediendschungel und führt zu einer sicheren Tilgung des Kredites. Und wirklich, elf der diesjährigen Pulitzer-Preisträger sind Absolventen der Columbia J-School. Doch die meisten Studenten landen nach Schulabschluss nicht gleich bei der New York Times, sondern eher bei Lokalzeitungen in Minnesota und Michigan. Nicht selten, dass ein Absolvent der Journalistenschule einige Jahre malochen muss, um sein hart verdientes Diplom den Banken zurückzuzahlen.

Ach übrigens: Joseph Pulitzer, der sich das mit der Eliteschule für Journalisten ausgedacht hat, ist auch der geistige Vater der Bild-Zeitung. Seine New York World kämpfte in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts mit sensationsträchtigen Headlines, Farbdruck und reichlich Comics um Verkaufszahlen. Das Ergebnis: die Erfindung des Begriffes „Yellow Journalism“, der Sensationspresse. Und Nicholas Lemann, Schulboss der Columbia J-School und einer der berühmtesten Journalisten Amerikas, hat nie eine Journalistenschule besucht. Auch zur Elite gibt es Hintertüren.


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