Die Marke Joschka
Text:
Claus Hesseling
Bild:
©
2005
Bündnis 90/Die
Grünen
20.
Januar 2003, New York: Der Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik
Deutschland, Joseph Fischer, hält seine erste Rede als amtierender
Vorsitzender des UN-Sicherheitsrats. Das Hemd weißkariert, rote Krawatte,
eine randlose Brille. Das Haar ergraut, das Gesicht wieder etwas runder, und
als er auf die „fatalen Folgen“ eines möglichen Irak-Krieges zu sprechen
kommt, verwandeln sich die Falten auf seiner Stirn in metertiefe Gräben.
Sein Englisch ist zwar nicht ohne schwäbische Färbung, aber ganz ordentlich.
Er warnt, er mahnt, er legt sich ins Zeug, damit
Hans
Blix weiter inspizieren darf, damit die USA den Irak nicht
angreifen, damit der Weltfrieden gewahrt bleibt. Er redet von den
Verhandlungen der UN so vertraut, als ginge es um einen Bestseller von ihm.
Er sagt „Vierzehn-Einundvierzig“ wen er über die Resolution 1441 des
Sicherheitsrates und ihren Folgen doziert.
Die Wochen und Monate, bevor in Bagdad und Basra die Bomben fielen, dass war
die Zeit von Joschka Fischer, Jahrgang 1948. In New York bei Kofi und der
UNO, in Washington bei „meinem Freund Colin Powell“, in den Hauptstädten
Europas und jeden Abend in der Tagesschau. Verhindern konnte er den Krieg im
Irak nicht, aber keiner sollte ihm vorwerfen können, er hätte es nicht
wenigstens versucht.
25. April 2005, Berlin: „Die Verantwortung liegt bei mir. Schreiben
sie rein: Fischer ist schuld.“ So hört sich das an,
wenn ein Bundesminister Verantwortung übernimmt. Zwölf Stunden lang sitzt
Fischer vor den Phoenix-Kameras und stellt sich den Fragen des
Visa-Untersuchungsausschusses. Die Affäre war auf Samtpfoten gekommen
– noch im
Dezember war für alle Beobachter der Ausschuss nur ein hilfloses, aber
uninteressantes Wahlkampfinstrument der Union. Nun, seit dem Gerangel um den
Auftritt des Politstars Fischer, hat sich die
Stimmung geändert. Galt der Außenminister bislang auch in den Medien als
nahezu unangreifbar, musste er immer mehr unschöne, ja sogar kritische
Artikel über sich lesen: Fischer sei verblendet, arrogant, ja ein richtiges
Arschloch – mit Verlaub, natürlich!
Das sind nur zwei der vielen Bilder Fischers, die sich in das mediale
Gedächtnis der Republik eingebrannt haben. Die Liste ist schier unendlich:
Fischer als Gewichts-Jojo, als der Turnschuhminister, als Versöhner in der
Holocaust-Gedenkstätte
Yad
Vashem, als Anschlagsopfer auf dem Grünen-Parteitag, als „Putzer“
in der Frankfurter Sponti-Szene oder als Toskana-Urlauber. „Der kindliche
Narziss Fischer kann gar nicht anders, als sich auf Kosten seiner Umwelt in
den Vordergrund zu drängeln. So habe ich ihn immer erlebt“, erinnert sich
Spiegel-Autor Jürgen Leinemann, der wohl intimste Kenner des rot-grünen
Machtclubs in seinem Buch „Höhenrausch“.
Joschka – das ist eine Marke
nicht nur in Deutschland. Das ist umso erstaunlicher, als dass er nicht alle
Voraussetzungen einer erfolgreichen Marke erfüllt:
Klar, er ist einzigartig, vielleicht sogar vertrauenswürdig und auf jeden
Fall finden ihn die meisten Menschen sympathisch.
Aber Joschka Fischer besitzt immer mindestens eine Maske mehr als er Ämter
und Funktionen innehat: Mal der unangefochtene Patriarch der Grünen, mal der
gut aufgelegte Gast bei Harald Schmidt, mal der ergraute Alt-68er, dessen
Vergangenheit ihn einholt, mal als über Weltpolitik dozierendes
Kabinettsmitglied, mal der zum vierten Mal Geschiedene, mal der Kämpfer für
Menschenrechte, mal der Dauerjogger und Buchautor.
Schließlich ist da auch noch der Wahlkämpfer Joschka Fischer, der als 2002
erstmals alleiniger Spitzenkandidat zur Bundestagswahl in den Ring stieg;
ein absolutes Novum bei den Grünen. „Joschka Fischer hat keinen persönlichen
Image-Berater. Einerseits braucht er das nicht, andererseits würde er sich
auch nichts sagen lassen.“ Michael Scharfschwert war Wahlkampfmanager bei
den Grünen und zeigte sich für die „Grün wirkt“-Kampagne mitverantwortlich,
die sowohl die Parteizentrale als auch die beauftragte Werbeagentur „Zum
Goldenen Hirschen“ als Erfolg verbucht haben. Zwar setzten die Strategen in
Zeiten der Elbe-Flut auf Umweltthemen, im Mittelpunkt stand jedoch der
heimliche große Vorsitzende. Je näher die Bundestagswahl rückte, umso öfter
waren die „Joschka“-Plakate an den Häuserwänden der Republik zu sehen. Den
Coup gelang den Werbern aus Hamburg und Berlin jedoch mit den flotten
Sprüchlein „Innen grün, außen Minister“.
Die Ökopartei agiert auch in diesem Jahr wie ein
Großkonzern: Nicht die Bandbreite der Produkte, sondern das stärkste Pferd
im Stall, die wichtigste Marke wird an die Wahlkampf-Front geschickt. Im
Wahlkampf-Spot ist außer einem grüßen Feld und dem Minister nix zu sehen,
weder Grabenkämpfe, noch eine Göhring-Eckhardt, noch
nicht einmal Claudia Roth.
Das Politiker zu Marken werden, ist sehr schwer (siehe Stoiber) oder endet
im Desaster. So für Bundeskanzler Schröder, der als anpackender
Modernisierer 1998 gestartet war und sich bis zum Neuwahl-Coup als
Basta!-Kanzler in den Niederungen des innerparteilichen Disputs herumschlug.
PR-Desaster, wie der Spruch von der „ruhigen Hand“ in Zeiten
wirtschaftlicher Krisen lassen sich nur schwer aus den Köpfen der Wähler
vertreiben. „Das hing uns monatelang wie ein klebriger Bonbon am Hemd“,
musste auch Ex-Regierungssprecher und Kanzler-Vertrauter Uwe-Karsten Heye
zugeben.
Doch der Erfolg einer Marke hat nicht nur etwas mit strategischer Planung zu
tun. Fischers Sympathien haben sich in das limbisches System der Deutschen
vorgekämpft. Das ist ein Platz im Gehirn, in dem Emotionen verarbeitet
werden. Sie mögen ihn, sie vertrauen ihn, sie wählen ihn. Das ist die Macht
des Unterbewussten. Joschka – da weiß man, was man hat.
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AUSGABE 45
DER
EHRLICHE WAHLKAMPF
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EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
DIE VERWANDLUNG
DER
VERTRAUTE
"ICH
TIPPE AUF EINE GROSSE KOALITION"
REFORMPOLITIK OHNE WÄHLERAUFTRAG
DIE MARKE JOSCHKA
RENAISSANCE DER
CHARISMOKRATEN
EINE FRAGE DES
VERTRAUENS
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