Ich tippe auf eine große Koalition



Interview:
Björn Brückerhoff    Bild: Marc Raschke

Derzeit ist eine große Koalition so realisitisch wie seit 40 Jahren nicht mehr. In Berlin redet freilich niemand über diese Alternative. Mit dem Direktor des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Münster, Professor Klaus Schubert, hat Die Gegenwart über das Fernsehduell, Glaubwürdigkeit im Wahlkampf und die Professionalisierung der Politik gesprochen.


Die Gegenwart: Herr Professor Schubert, w
ie ist ihre persönliche Meinung zu der Entscheidung von Bundespräsident Köhler, den Bundestag aufzulösen und vorgezogene Bundestagswahlen anzusetzen?


Klaus Schubert: Er hat dem Wunsch des Bundeskanzlers und der ganz überwiegenden Mehrheit des Deutschen Bundestages entsprochen. Damit ist auf ein politisches Problem – die Handlungsfähigkeit des Kanzlers – mit einer politischen – und eben nicht mit einer juristischen – Entscheidung reagiert worden. Das halte ich für einen Fortschritt. Wir Deutsche verstecken uns ansonsten zu gern hinter Formalien. Die hätten aber in der gegenwärtigen Situation nicht weiter geführt. Ich halte die Entscheidung des Bundespräsidenten insofern für positiv. Sie anerkennt, dass wir in Deutschland nun eine gereifte Demokratie haben und uns zur Lösung von schwierigen Situationen an den Souverän, das Volk, wenden können.

AUSGABE 45
D
ER EHRLICHE WAHLKAMPF




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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF
DIE VERWANDLUNG

DER VERTRAUTE
"ICH TIPPE AUF EINE GROSSE KOALITION"
REFORMPOLITIK OHNE WÄHLERAUFTRAG
DIE MARKE JOSCHKA
RENAISSANCE DER CHARISMOKRATEN
EINE FRAGE DES VERTRAUENS
IN IST, WER DRIN IST

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Die Gegenwart: Wie ist ihr aktueller Eindruck vom Wahlkampfgeschehen?

Schubert: Ambivalent. Einerseits ist der Wahlkampf ausgesprochen langweilig – gerade, wenn man bedenkt, auf welche Art und Weise und aufgrund welcher politischen Probleme der Wahlgang zustande kam. Andererseits wird der Wahlkampf in Deutschland immer professioneller geführt. Von der speziellen Farbgebung für den Wahlkampf, über die  Themen, die Inszenierungen der Parteitage und der Werbespots – zumindest der etablierten Parteien.

Prof. Dr. Klaus Schubert
Jahrgang 1951, Abschluss als Diplom-Betriebswirt an der Fachhochschule für Wirtschaft in Pforzheim, Abschluss als Diplom-Soziologe an der Universität Mannheim, Promotion zum Doktor der Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Forschungs-aufenthalte an den Universitäten Aberdeen und York/Großbritannien, Gastprofessor in Tschechien. Habilitation an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum, Vertretung von Professuren an den Universitäten Tübingen, Düsseldorf, Duisburg und Münster. Dann Professor für Deutsche Politik und Politikfeldanalyse in Münster. Seit 2002 Direktor des Instituts für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Der aktuelle Wahlkampf ist ein Beispiel dafür in welch außerordentlichem Maße sich 'Politik-machen' in den letzten Jahren professionalisiert hat.

Die Gegenwart: Machen die Parteien dabei deutlich genug, wofür sie stehen?

Schubert: Na ja, die Parteien wollen gewählt werden: SPD und Grüne wegen 'weiter so', CDU/CSU wegen 'anders als', die FDP ist diesmal 'ganz entschieden' und die Linkspartei sammelt die Unzufriedenen. Insbesondere, was die etablierten Parteien betrifft, bleibt das alles ziemlich verschwommen: Wo ist der/die überzeugende schwarz-gelbe Außenminister/in? Wer hat in diesem 'Kompetenzteam' wirklich wirtschaftspolitische Kompetenz? Steuerfragen sind wichtig, aber der Steuerexperte wird von der eigenen Mannschaft demontiert und zunehmend zum wichtigsten Grund die SPD zu wählen. Und die Regierung: Wird sich die größere Regierungspartei, durch diesen Wahlkampf so geläutert haben, dass sie den Kurs des Kanzlers nun unterstützen wird? Welchen Kurs? Dass die Agenda 2010 nur der Anfang war ist klar, was aber steht noch bevor? Die positiven Entwicklungen der letzten sieben Jahre, die gibt es ja, können weder von grün noch von rot richtig transportiert werden.

Die Gegenwart: Und das Duell der Kandidatin mit Bundeskanzler Gerhard Schröder: wer ist ihrer Meinung nach als Sieger hervorgegangen?

Schubert: Die Analyse der Umfrageprofis kennen sie: Da die Erwartungen an Frau Merkel beträchtlich niedriger waren als an den 'Medienprofi' Schröder, sie aber so viel schlechter nicht war, hat sie gewonnen. Ich will mir diese Logik nicht zueigen machen. Der Kanzler war klarer, präziser, authentischer und damit überzeugender. Die Kandidatin hatte – in Bezug auf diesen medialen Auftritt – außerordentlich gut dazu gelernt und war insgesamt wesentlich freier und entkrampfter, als wir sie kennen. Sie blieb aber in Bezug auf die Fakten und Argumente verschwommener. Schröder ist zwar kein Wirtschaftsfachmann – das ist die fachliche Kompetenz, die wir zurzeit in aller erster Linie brauchen –, aber von der viel gepriesenen Präzision und Klarheit der Naturwissenschaftlerin Merkel kam wenig rüber.
Dennoch: Zu diesem Duell gehört auch die Vorgeschichte. Und hier hat der Regierungschef die Chance nicht genutzt, zu erklären, warum wir ihm – obwohl er doch eigentlich nicht kann – nun zutrauen sollen, dass er kann. Das wäre die wichtigste Frage gewesen, die er an diesem Abend öffentlich hätte klären müssen.
Ich bin sicher, dass wieder einmal nur eine Regierung abgewählt wird, nicht aber die Opposition mit dem Regierungsgeschäft beauftragt wird, weil sie überzeugend darlegt, dass sie besser ist.

Die Gegenwart: Beeinflusst dies ihrer Meinung nach die Aussichten der CDU/CSU auf einen Wahlsieg?

Schubert: Nein. Der Abstand zwischen CDU/CSU und SPD ist zu groß. Ich denke die mögliche Wirkung dieses Duells wird überschätzt. CDU/CSU werden aufgrund dieser Sendung kaum schlechter abschneiden. Dafür wären dramatischere Unterschiede – persönlicher oder fachlicher Art – notwendig gewesen. Aber sie wissen ja, dass schwarz/gelb nur einen hauchdünnen Vorsprung hat. Hier können geringfügige Verschiebungen das Ziel eine konservativ-liberale Koalition zu bilden gefährden.
Ich halte aber das Format des Duells für völlig falsch. Hier zwingt das Medium Rundfunk und Fernsehen die politische Auseinandersetzung in eine völlig falsche Form. Deutschland ist eine Parteiendemokratie und das Kanzlerprinzip hat genau dort seine Grenzen, wo die Regierungspartei(en) vom Kanzler nicht mehr überzeugt werden können, nicht mehr mitmachen. Und was passiert, wenn ein Kanzler seine Partei nicht hinter sich hat sehen wir ja gerade; vergleichen sie die aktuelle Situation mit der Endphase von Helmut Schmidts sozial-liberaler Koalition. Weil also Deutschland eine Parteiendemokratie ist, müssen auch die wichtigsten öffentlichen Auseinandersetzungen in dieser pluralistischen Form stattfinden. Die Diadochen-Kämpfe – mal angenommen dies wäre einer gewesen – tragen nicht zur Klarheit bei: Selbst, wenn Frau Merkel in Bezug auf die wichtigsten politischen Probleme und politischen Ämter eindeutige, klare Vorstellungen hätte, müsste sie diese in anstehenden Koalitionsverhandlungen zur Disposition stellen – für eine kleine Koalition weniger, für eine, nicht völlig unrealistische große Koalition in höherem Maße.

Die Gegenwart: Wie beurteilen sie das mediale Auftreten der Kanzlerkandidatin allgemein?

Schubert: Professionell. Eine kluge, strategisch denkende Frau, die sich gut selbst darstellen kann.

Die Gegenwart: Wie haben sich die markanten Äußerungen von Edmund Stoiber auf die Erfolgsaussichten der CDU/CSU im Wahlkampf ausgewirkt?

Schubert: Auch für viele Wessis sind diese Äußerungen völlig unakzeptabel. Seine Leistungen in und für Bayern sind doch unbestritten. Er hätte es also gar nicht nötig, sich wegen der verlorenen Wahl 2002 so bloß zu stellen – das lässt auch für kurz einmal die fragile Egozentrik dieses Politikers aufscheinen. Natürlich hat er damit der gemeinsamen Sache von CDU/CSU einen Bärendienst erwiesen.  Aber wie steht es denn mit den anderen CDU-Ministerpräsidenten? Vom Kompetenzteamer Müller aus dem Saarland mal abgesehen: Tut da einer auch nur einen Hauch mehr als gerade seine Pflicht? Von Enthusiasmus keine Spur. Da wird sich eine Kanzlerin Merkel noch auf  manche Auseinandersetzung einzustellen haben. Verwunderlich ist das nicht: Die CDU-Ministerpräsidenten werden den 'Volkeswillen' zuerst zu spüren bekommen, wenn auf Bundesebene wirklich ein anderer, neuer Wind wehen sollte.

Die Gegenwart: Und Schröder: Weshalb lässt sich in der Öffentlichkeit glaubhaft machen, dass der Bundeskanzler wieder als Kandidat seiner Partei antreten kann, obwohl ihm angeblich das Vertrauen fehlt?

Schubert: Na ja, auf den ersten Blick geht das eigentlich nicht. Aber die politische Logik funktioniert anders: Der Kanzler sieht zu seinem Programm, der Agenda 2010, keine Alternative. Er kann dies der Öffentlichkeit und – noch wichtiger – seiner Partei aber nur deutlich machen, indem er den politischen Gegner dazu zwingt, ein eigenes, in diesem Fall ein weitergehendes, schärferes Programm vorzulegen. Nun hat der Souverän die Wahl und die innerparteilichen Widersacher haben vor Augen, was passiert, wenn sie sich nicht hinter ihren Kanzler stellen. Möglicherweise ist das sogar wirklich ein Weg Glaubwürdigkeit – zumindest etwas mehr Akzeptanz – wieder herzustellen.

Die Gegenwart: Stichwort Glaubwürdigkeit: Warum werden Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen in diesem Wahlkampf so deutlich betont?

Schubert: Weil man glaubt, damit die Wähler und Wählerinnen anzusprechen. Das ist in allen Wahlkämpfen gleich. Vermeintlich schadet das dem politischen Gegner, tatsächlich aber tragen die Politiker und Politikerinnen damit zu Vertrauenskrise der Politik insgesamt bei. Das Schema ist zu simpel und reicht oft nicht mal, um die eigene Klientel zu motivieren. „Versprochen – gebrochen“: Das meint doch, im Gegensatz zum politischen Gegner, werden wir einhalten, was wir gesagt haben und erreichen, was wir vorhaben. Das kann aber ehrlicherweise kein Politiker versprechen. Politik besteht aus der 'Kunst des Möglichen'. Selbstverständlich muss man eigene Ziele und Pläne haben. Dies kann man aber nur im Miteinander und Gegeneinander, im Streit und im Kompromiss mit unzähligen anderen Interessen und Zielen. Selbst Autokraten können sich dem nicht entziehen – auch ein
Lukaschenko muss wenigsten seine Vasallen einbinden. In den modernen Demokratien müsste der Öffentlichkeit also vermittelt werden: Verhandeln und Kompromisse schaffen, das ist das politische Geschäft. Ich bin der-/diejenige, die die besten, förderlichsten, dem politischen Gemeinwesen nützlichsten Kompromisse schafft. Das zeichnet mich als erfolgreichen demokratischen Führer aus.

Die Gegenwart: Wie beurteilen sie die aktuellen Chancen der SPD auf einen Wahlsieg?

Schubert: Was heißt Sieg? Wenn die Partei in die Nähe des letzten Ergebnisses kommt, müsste sie dem Kanzler wirklich dankbar sein. Denken sie an die Linkspartei. Alles, was der SPD links wegläuft, muss sie sich in der Mitte holen. Vielleicht ist die Etablierung der Linkspartei das funktionale Äquivalent zum Elbe-Hochwasser der letzten Wahl: Durch den Kontrast können sich der Kanzler und bis zum gewissen Grade auch die SPD als „die handlungsfähige und soziale Alternative in der Mitte“ darstellen. Aber ein Sieg im Sinne einer erneuten Kanzlerschaft Schröders ist außerordentlich unrealistisch.

Die Gegenwart: Halten sie eine Koalition aus SPD und Linkspartei für denkbar, obwohl dieser Schritt zurzeit offiziell ausgeschlossen wird?

Schubert: In absehbarer Zeit und mit dem jetzigen Personal: nein. Eventuell auf lokaler und regionaler Ebene. Wowereit arbeitet ja bereits mit der PDS zusammen. Aber können sie sich vorstellen, dass eine weiter in die Mitte gerückte SPD – also Clement, Steinbrück, Eichel – mit Lafontaine und Gysi koalieren würden? Die hatten doch ihre Chance. Da ist doch keinerlei persönliches Vertrauen, geschweige denn Zutrauen, mehr da. Was passiert, wenn da mal eine 'next generation' ranreift, kann man natürlich nicht wissen. Ich halte aber auch den viel weitergehenden Traum Lafontaines, die Arbeiterklasse (sic!) wieder in einer Partei binden zu können, für unrealistisch.

Schubert: In diesem Wahlkampf werden „unangenehme Schritte“ wie eine Mehrwertsteuererhöhung bereits thematisiert. Warum geschieht dieses Novum im Wahlkampf? Gab es bereits vergleichbare Vorgänge in der Vergangenheit?

Schubert: Na ja, das gehört zum Thema Ehrlichkeit: Hier kann man eine faktische Notwendigkeit – Haushaltsprobleme einerseits, Anpassung an EU-Standards andererseits – mit der 'Misswirtschaft' der ehemaligen Regierung begründen. Dies ist kein Novum. Man ist ja nicht selbst schuld, an dieser Maßnahme. Da ist es billig, 'ehrlich' zu sein.

Die Gegenwart: Wird Frau Merkel – ihrer Meinung nach – Kanzlerin werden?

Schubert: Ja. Ich tippe aber auf eine große Koalition.

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