INSM: Reformpolitik auch
ohne Wählerauftrag




Text:
Christian Nuernbergk   Bild: AP/INSM

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) kämpft seit fünf Jahren für mehr Reformen. Mit ihrer Mission hat sie bereits ein gutes Stück der Regierungszeit von Rot-Grün begleitet und dabei rund 50 Millionen Euro in das Aufbauschen eines medialen Reformdrucks investiert. Motto: „Die Politik wird schon handeln, wenn die Mehrheit glaubt, dass wir Reformen brauchen“. Selbst ein bisschen Reform ist da noch besser als Stillstand.

Mit der geschickten Verbindung von Think Tank-Arbeit,
PR und Marketing gelingt es der INSM, die politisch-mediale Agenda in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Eine neue Partei will die INSM nicht sein; sie stellt sich nicht zur Bundestagswahl. Ihr Botschafter Paul Kirchhof könnte trotzdem bald Finanzminister werden. „Ein Mann für Visionen“, sagt Angela Merkel und würdigt, dass Kirchhof von der Initiative bereits als Reformer des Jahres ausgezeichnet wurde. Kirchhof als Finanzminister wäre ein wahrhaft gelungener Coup: Schließlich hatte die INSM vorher kräftig an seiner Wirkung gefeilt. Mit seinen steuerpolitischen Ideen warb sie schon vor drei Jahren in Anzeigen. Die Initiative ist der politischen Tagesordnung eben ein Stück voraus – ohne ihr entrückt zu sein.

Die INSM versteht sich als eine „überparteiliche Bewegung von Bürgern, Unternehmern und Verbänden“, in der sich Unterstützer aus den Spitzen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft für mehr Arbeitsplätze und Wettbewerb engagieren. Die INSM will damit Druck auf die Regierenden machen. Der Stern verglich dies bereits mit einer „Revolution von oben“. 


Ihre Botschafter fordern: mehr Markt, weniger Staat


Nach eigener Aussage will die INSM die hohe Staatsquote zurückführen, die so gar nichts mehr mit der sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards gemein habe. „Sozial ist, was Arbeit schafft“. Ein differenzierteres Verständnis von Sozialstaatlichkeit bewirbt die INSM mit ihrer Kampagne nicht. Ihre Aufgabe liegt vor allem darin, für „mehr netto“ zu sorgen. Wohlstand, Wachstum und Wettbewerb sind nach dem Verständnis der INSM am besten für Chancengerechtigkeit.

AUSGABE 45
D
ER EHRLICHE WAHLKAMPF




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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF
DIE VERWANDLUNG

DER VERTRAUTE
"ICH TIPPE AUF EINE GROSSE KOALITION"
REFORMPOLITIK OHNE WÄHLERAUFTRAG

DIE MARKE JOSCHKA
RENAISSANCE DER CHARISMOKRATEN
EINE FRAGE DES VERTRAUENS
IN IST, WER DRIN IST

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Der INSM geht es gar nicht darum, sich als Organisation bekannt zu machen. Sie will mit ihrem Einsatz die Restauration einer freiheitlichen Markt-wirtschaft erreichen. Ein unternehmerfreundliches Umfeld soll vor allem durch den Rückzug des Staates auf seine Kernaufgaben erzeugt werden. Das bedeutet weniger Dirigismus, weniger Bürokratie und weniger „Menscheln“ in der Politik.

Das Programm der INSM setzt vor allem auf Selbstbestimmung und Eigeninitiative. Es ist ein Programm für mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit – und keines für sozialen Ausgleich.

Weitere Informationen zur "Initiative Soziale Marktwirtschaft" im Netz:

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft im Netz

Positionspapier des Netzwerks Recherche zum anwachsenden PR-Einfluss von INSM und anderen Interessengruppen (PDF)

Abstract mit Ergebnissen der Magisterarbeit von Christian Nuernbergk zur Evaluation der Öffentlichkeitsarbeit von INSM (PDF)

Der Ökonom Norbert Reuter kritisiert die wirtschaftspolitische Ausrichtung der INSM als „altliberal“, als Rückfall in die Zeiten des Laisser-faire.

Die INSM ist ein Agenturprodukt


Die „Reformbewegung“ der INSM hat anders als klassische Bürgerinitiativen oder traditionelle soziale Bewegungen keine greifbare Basis in der Bevölkerung. Auch ihre eigenen Botschafter haben die INSM nicht durch einen Zusammenschluss gegründet. Die Initiative ist ein reines Kunstprodukt. Spezialisierte Politikvermittlungsexperten der PR-Agentur Scholz & Friends Agenda haben die INSM als strategische Antwort der Arbeitgeberverbände auf das fehlende Reformbewusstsein der Deutschen formuliert.

Die Reformunlust der Menschen hat über viele Jahre eine Politik der „ruhigen Hand“ begünstigt. Das Interesse der Arbeitgeber, unternehmerfreundliche Bedingungen am Standort Deutschland zu realisieren, ließ sich so nicht durchsetzen. Die Politik führte lieber eine Ökosteuer ein als die Gewinnmöglichkeiten der Unternehmen ausreichend zu berücksichtigen. Also beauftragten die finanzkräftigen Verbände der Metall- und Elektroindustrie Agenturen, die sich Wege zur Beseitigung des Reformstaus ausdenken sollten.


Überparteilichkeit als hilfreicher Türöffner für ihre Studien


Aus Sicht der Experten wurde eine Plattform mit überparteilicher Ausrichtung benötigt, damit möglichst viele Medien und Multiplikatoren erreicht werden konnten. Aus dem bereitgestellten Kommunikationsetat der Verbände entstand so die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die sich selbst nicht als Arbeitgeberinitiative bezeichnet. Die Geldgeber und Initiatoren sollten ganz bewusst im Hintergrund gehalten werden.

Mit dem Anstrich der Unabhängigkeit sind die Themenangebote der INSM eben leichter vermittelbar, weil sie nicht in die Schublade einer Partei oder Interessengruppe gesteckt werden. Um möglichst glaubwürdig und seriös zu erscheinen, brauchte man überdies Unterstützer verschiedener politischer Fraktionen und Experten aus der Wissenschaft. Diese wurden über das große Netzwerk der Verbände bzw. durch die beteiligten Agenturen angesprochen.

Die PR-Arbeit der INSM ist zu vielfältig, um sie an dieser Stelle vollständig darzustellen. Die INSM hat erkannt, dass sich mit Hilfe der Medien der „Problemstrom“ der Politik lenken lässt. Sie arbeitet wie eine moderne Denkfabrik: Kleinere Studien oder Umfragen zu anstehenden Fragen werden bei Forschungsinstituten in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse werden anschließend durch die INSM mediengerecht vermarktet. Dabei wird die Grundregel beachtet, dass Themen besonders erfolgreich transportiert werden, wenn mit anderen renommierten Institutionen oder Personen, die per se Aufmerksamkeit haben, Allianzen geschlossen werden. Darüber hinaus muss die INSM ihr Timing beachten und auf Vorrat arbeiten, um mit einer Analyse im geeigneten Moment zu punkten. Nach den Regeln der integrierten Kommunikation werden die verschiedenen Maßnahmen aufeinander abgestimmt.


Exklusivität ohne Transparenz


Häufig kooperiert die INSM bei der Veröffentlichung einer Studie oder einer Umfrage mit einem ausgewählten Medienpartner. Exklusive Inhalte, die kostengünstig und zuverlässig sind, stoßen bei vielen Medien auf großes Interesse. Darum sind sie auch eher bereit, ein solches Thema „groß aufzumachen“, was der INSM noch mehr Aufmerksamkeit bringt. Die Initiative profitiert davon, dass sich viele Redaktionen selbst wegen des Kostendrucks keine aufwändigen Recherchen bzw. Umfrageaufträge mehr leisten können.


Bedauerlich ist, wenn diese Medien ihren Lesern nicht einmal die Orientierung geben, wie ihre Quelle einzuordnen ist. Häufig wird nur angegeben, dass man mit der „INSM“ zusammengearbeitet hat. Dass die Berichterstattung insgesamt wenig differenziert ist, zeigen auch die Ergebnisse einer empirischen Magisterarbeit des Verfassers an der Universität Münster (
1). Der öffentliche Erfolg der INSM wurde mit Hilfe einer Inhaltsanalyse von Meinungsführermedien, bewertet. Die INSM ist im untersuchten Zeitraum (September 2003 – April 2004) überwiegend Gegenstand einer durch sie gesteuerten Medienberichterstattung gewesen. Die Berichte enthielten mehrheitlich keine alternativen Sichtweisen zu den Angaben der Initiative. Nur selten wurde die INSM in den elf analysierten Medien als eine Initiative der Arbeitgeber beschrieben. Lediglich neun von 137 Beiträgen (6,6%) machten eine korrekte Angabe. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die Strategie der INSM aufzugehen scheint. Weniger gut steht es dagegen um einen Journalismus, der um Differenziertheit und um Transparenz in der Sache bemüht ist.


(1) Nuernbergk, Christian (2005): Die Mutmacher. Eine explorative Studie über die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Magisterarbeit. Münster.


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