In ist, wer drin ist



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Thomas Sommer   Bild: Photocase.de

In den Kampagnenzentralen der Parteien rauchen spätestens seit dem Abend des 22. Mai die Köpfe. Franz Münteferings Ankündigung, baldmöglichst Neuwahlen durchzuführen, stellt die Wahlkampfstrategen vor die schwierige Frage, wie man in nur vier Monaten einen vollwertigen Bundestagswahlkampf organisieren kann. Neue und vor allem schnelle Strategien sind gefragt.

Ist das die Chance für das World Wide Web? In dem nur knapp 100 Tage dauernden Wahlspektakel scheint es, als könne das Internet erstmals mit den klassischen Medien mithalten und zum vierten Massenmedium avancieren. Die politische Teilhabe der Internet-Generation findet schließlich in einem immer größeren Maße über das Internet statt. Nach Informationen der Studie
(N)Onliner Atlas des Münchener Meinungsforschungsinstituts TNS Infratest verfügen im Jahr 2005 schon mehr als 55 Prozent der Wähler in Deutschland über einen Internetzugang. Für den FDP-Bundes-geschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz stellt das Netz daher auch „ein Hauptinstrument zur Mobilisierung unserer Anhänger“ dar und für die Grünen ist das Internet ebenfalls „ein gutes Stück strategisch wichtiger als 2002“. Ebenso wie beim Siegeszug des Fernsehens, wo ähnliche Feststellungen gezogen wurden, erkennen nun die Parteien die Möglichkeiten, die ihnen das Internet für den Wahlkampf bieten.

Die Einschätzung des ehemaligen SPD-Vorzeige-Strategen Matthias Machnig, der die politische Online-Werbung 1998 noch als nicht wahlentscheidend bezeichnete, scheint der Vergangenheit anzugehören. Das neue Schlagwort quer durch die Wahlkampflager heißt daher auch „Online-Campaigning“. Die Parteien erkennen, dass sie durch die langfristige Einbeziehung des Internets in die Wahlstrategien ihre Klientel direkt und vor allem zielgruppengerecht ansprechen können. „Wähler sind keine zuverlässigen Bataillone der Parteien mehr, sondern flüchtige Wesen, die man mit viel Mühe von den Vorzügen der jeweils eigenen Position überzeugen muss.“, so der Politikwissenschaftler Andreas Dörner. Wahlen werden immer mehr, sowohl durch eine Personalisierung der Politik als auch nicht zuletzt durch kurzfristige, vor einer Wahl entstehende Ereignisse beeinflusst. Für die Parteien bedeutet dies, dass sie Aufmerksamkeit gewinnen und die gewonnene Aufmerksamkeit halten müssen, damit sie sich in einer der Unterhaltung verschriebenen Gesellschaft behaupten können. Aufmerksamkeit gewinnt man unter anderem durch Teilnahme und diese wird durch das Internet unmittelbar spürbar. Die Wahlkampfstrategen der FDP erkannten diesen Trend und gaben den Internetnutzern auf der Plattform
deutschlandprogramm.de erstmalig die Möglichkeit, an der Erarbeitung ihres liberalen Wahlprogramms für die Bundestagswahl 2005 interaktiv mitzuwirken.

Die CDU lässt circa ein Prozent des Wahlkampf-Etats (das entspricht rund 180.000 Euro) in Internetaktionen fließen. Die Union baut dabei unter anderem mit
wahlfakten.de auf das erstmals während der Bundestagswahl 2002 erfolgreich erprobte Instrument der „Rapid Response“ (schnelle Reaktion). Rapid Response soll bis zum 18. September der ständige Begleiter von Gerhard Schröder sein. Nach Unionsaussagen will man so „Falschbehauptungen und leere Versprechungen“ der SPD „klare und verlässliche Fakten“ gegenüberstellen.

Die CDU hat damit ein Instrument zur Verfügung, das ihr ermöglicht, in Echtzeit präsent zu sein, auch wenn vor Ort kein Vertreter der Partei eine Gegenrede halten kann.

Ein weiteres, ebenso wie Rapid Response, vor allem aus US-Präsidentschaftswahlen bekannte und von den Parteien gern benutzte Instrument, ist der Angriffswahlkampf, auch „Negative Campaigning“ genannt. Ziel ist es hier den politischen Gegner zu diskreditieren. Die SPD greift dementsprechend auf ihrer Seite
die-falsche-wahl.de direkt die Spitzen der Opposition an. Aus dem CDU-Slogan „Vorfahrt für Arbeit“ wird so die sozialdemokratische Kampfansage „Vorfahrt für Wahrheit. Was Schwarz-Gelb kostet“.

Neben all den Service-Seiten, Wahlkampfportalen und Gegneranalysen vergessen die Parteien nicht das Wir-Gefühl ihrer Anhänger. In Mitmach-Centern, die mal „
teAM Zukunft,Wir kämpfen!“ oder auch „Mach Mit!“ heißen, werden Informationen vermittelt, Nachrichten verbreitet und Ideen zusammengetragen. Sie dienen den Parteien als eine multimediale Rekrutierungs- und Orientierungsstelle für Wahlkampfhelfer.

Fazit: War sich Bundeskanzler Schröder 1998 noch sicher mit „Bild, BamS und Glotze“ Wählergruppen mobilisieren zu können, muss dieser Dreiklang spätestens 2005 um das Medium „World Wide Web“ ergänzt werden. Der Internetwahlkampf ist bunter, moderner und schlagkräftiger geworden. Eines scheint daher schon vor der Wahl sicher, klarer Sieger in Sachen Wahlkampf-Leitmedien ist dieses Jahr das Internet.

 

AUSGABE 45
D
ER EHRLICHE WAHLKAMPF




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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF
DIE VERWANDLUNG

DER VERTRAUTE
"ICH TIPPE AUF EINE GROSSE KOALITION"
REFORMPOLITIK OHNE WÄHLERAUFTRAG
DIE MARKE JOSCHKA
RENAISSANCE DER CHARISMOKRATEN
EINE FRAGE DES VERTRAUENS
IN IST, WER DRIN IST


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