Geschmackssache:
Koch-Meditation mit Biolek


Text:
Nikolai Wojtko     Bild: Photocase.com

In der ruhigen und beschaulichen Zeit zwischen Weihnachten und Silvester begann im Ersten Deutschen Fernsehen die Revolution. Keiner hatte das erwartet. Was am 27. Dezember 1994 zum ersten Mal über die Bildschirme flimmerte, war keine Nischensendung, sondern der Beginn einer echten Erfolgsstory. Das Format verblüfft durch Stille. Die Bilder wirken beinahe statisch. Eine Kamera ist auf die beiden Protagonisten gerichtet, nur ganz selten ein Schnitt. Der Aufbau der Sendung vermeidet alles Hektische. Schon beim ersten Betrachten fällt dem Körper das Kontemplative dieser 30 Minuten auf: beim ruhigen Plausch an Herd und Weinglas kann man wunderbar entspannen. Mit Alfredissimo wurde Kochen im Fernsehen populär und nebenbei der Küchentalk erfunden.

Im Frühjahr 1994 gab es die erste Testsendung in Alfred Bioleks Gästewohnung. Kabel wurden bis in die vierte Etage verlegt, die Straße mit Ü-Wagen verstopft und schon wenig später stand das Konzept. Im Sommer wurde Bioleks Küche im Studio nachgebaut. Eine Küchenzeile vorne, der Herd im Hintergrund, Schränke und Ablagefläche, eine Spüle, etwas abseits der Kühlschrank.

Mit
Marianne Sägebrecht und ihrer „Ente Bayerisch-Surinamisch" war der Startschuss für viele Highlights und Cross-culture-Gerichte gesetzt. Allein im ersten Jahr gab es gleich mehrere legendäre Auftritte prominenter Hobby-Köche: Wim Thoelke durfte in der Sendung über das geheime Wesen des Knickeies philosophieren, während Blixa Bargeld beim Rühren seines Tintenfischrisottos selbst zum Küchenphilosophen avancierte: „Über Geschmack kann man schlecht sprechen“, so Bargeld, „denn schließlich schließen sich die sprechende und die schmeckende Zunge gegenseitig aus.“ Nach dieser formidablen Erkenntnis sprach er dann tatsächlich ausschließlich dem Wein zu.

Hervorzuheben bleibt an dieser Stelle besonders die Folge Nr. 53, in der Dirk Bach eine „Anti-Kochsendung" inszenierte und „Bio" dabei den durch nichts zu erschütternden Gastgeber mimte. Bach schaffte es eine gesamte Sendung hindurch, sich ausschließlich damit zu beschäftigen, Dosen mit dem elektrischen Dosenöffner zu öffnen, um deren Inhalt in einem großen Topf verschwinden zu lassen, in dem sich Gehacktes („Fleisch nur vom Metzger des Vertrauens“) befand. Der besondere Clou, den er die gesamte Sendung in Aussicht stellte, war dann wirklich einer. Er kippte je eine Packun
g Crème fraîche und Crème Double zusammen, um die Mischung dann ebenfalls im Topf zu versenken. Auf die Frage „Bios", ob er denn nicht einmal sein Gericht abschmecken müsse, antwortete Bach unter fast pausenlosem Gesumme: „Selbstverständlich nicht, schließlich koche ich mit den Augen", warf einen Blick in den Topf und stellte fest, dass es seinem Chili noch an der Farbe Gelb mangelte. Also öffnete er noch flugs eine Dose Mais. Alles einmal umrühren, fertig, so schwer ist Kochen nicht, zumindest solange man den berühmten elektrischen Dosenöffner in den Händen hält, der selbstverständlich käuflich zu erwerben war.

Aber schon vor diesem Auftritt zeichnete sich Alfredissimo durch ein komplett durchgestyltes Verkaufskonzept aus. Lange vor
Jamie Oliver galt: Cooking sells und so wurde nicht nur der Pasta-Teller zur Sendung ein Verkaufsschlager, oder die elektrische Parmesanreibe, die Biolek in diesen frühen Jahren spätestens jede zweite Sendung vor der Kamera surren ließ („Parmesan immer frisch gerieben“). Natürlich wurde auch Weißweinen („Küchenwein muss sein“) oder die große Pfeffermühle („Pfeffer immer frisch gemahlen“) verkauft; eigentlich blieb kein Utensil unverkäuflich.

Aufs Schweigen verstand sich auch Rudolf Scharping vorzüglich, der als damaliger Verteidigungsminister und noch vor seinen legendären Poolfotos mit seinem Lamm auf provenzalische Art („Kochwein muss gut sein“) bei Biolek offenbar einen Imagewechsel zu einer Art Lebemann betreiben wollte. Allerdings passte die Zubereitung des Gerichts gut zum tradierten Image und zur behäbigen Ausdrucksweise des Ministers, die durch den Wein, auch wenn das kaum vorstellbar erschien, noch verlangsamt wurde. Das Gericht selbst sollte fünf Stunden vor sich hin schmoren, während Biolek Angst haben musste, dass das Ende eines Scharpingschen Satzes ähnlich lange auf sich warten lassen könnte.

Auch wenn die Sendung mittlerweile der Saurier unter den Kochsendungen ist, schaltet man doch gerne ein und lässt sich beim Küchentalk mit den bekannten Biolekschen Ritualen berieseln. „Nachsalzen kann man immer – wegsalzen nie“ und „Brühe am besten selbst gemacht“, aber hier habe ich noch eine, die kann man anrühren, wenn es mal schnell gehen muss….". Das ist so schön, so kontemplativ und am Ende werden wieder die Teller zusammen geschoben und probiert. Mmmmmmmhhhhh….. eine einzige Meditation. Anstoßen, ich bedanke mich, es hat Spaß gemacht. Umziehen, vorbereiten auf die nächste Sendung, wo ist der Rest vom Küchenwein?

AUSGABE 49
GUTES FERNSE
HEN –
SCHLECHTES FERNSEHEN





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