Ab Frühjahr 2007 läuft die siebte
Staffel
„Big
Brother“. Die
Aufmerksamkeit der ersten 100 Tage ist längst vergangen. Nachdem die Quoten
vor allem in der dritten Staffel so stark in den Keller gingen, dass die
Sendung schon abgesetzt werden sollte, wurde das Konzept in der
vierten Staffel
noch verschärft. Neben den üblichen Spielchen, die Langeweile im Container
und vor den Bildschirmen vertreiben sollten, enthalten neue Regeln einen
Bereich für Survivor (Arme), Normale und Reiche. Ein ganzes Jahr lang
kämpften insgesamt 60 Kandidaten um den Sieg. „Promis“ wie
Desiree Nick,
Kader Loth oder
Tatjana Gsell oder auch der FDP-Vorsitzende
Guido
Wester-welle schauten vorbei. Mottos wie „Spürst Du die Gier?“
oder schlicht Stripperinnen
und Exhibitionisten sollten die Zuschauer vor den Fern-sehern halten. Die
Gemüter der Verfassungsrechtler zeigen sich heute nur noch wenig erregt in
Hinblick auf solche und ähnliche Konzepte wie „Ich bin ein Star, holt mich
hier raus.“
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Quellen
Dörr, Dieter (2000):
Big Brother und die Menschenwürde. Die Menschenwürde und die
Programmfreiheit am Beispiel eines neues Sendeformats, Frankfurt/M, im
Auftrag von RTL2.
Frotscher, Werner
(2000): "Big Brother" und das deutsche Rundfunkrecht, München, im Auftrag
der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk.
Gersdorf, Hubertus
(2000): Medienrechtliche Zulässigkeit des TV-Formats "Big Brother".
Rechtsgutachten im Auftrag der RTL2 Fernsehen GmbH & Co KG, Universität
Rostock, Gerd Bucerius-Stiftungsprofessur für Kommunikationsrecht, Februar
2000.
Hartwig,
Henning (2000): "Big Brother" und die Folgen. In: Juristen Zeitung 55/2000,
971ff.
Linkliste
zu Big Brother
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Doch stellt sich trotz oder gerade wegen der verebbten öffentlicher
Aufregung die Frage nach der Menschen-würde und dem Persönlichkeitsrecht
(Art. 1, 2 Grundgesetz) der Teilnehmer:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“.
Allgemein definiert wird die Menschenwürde als "der soziale Wert und
Achtungsanspruch des Menschen, der es verbietet, den Menschen zum bloßen
Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die
seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt". Danach darf also der
Mensch nicht zum Objekt, zum Mittel, zur vertretbaren Größe durch
Staat oder Dritte herabgewürdigt werden. Einer solchen Herabwürdigung liegt
eine Missachtung zugrunde, die eine gewisse Intensität erreicht. Bei
Verletzungen der Menschenwürde oder ihrer akuten Gefährdung hat der Staat
eine besondere Schutzpflicht, unabhängig ob die Verletzung oder Gefahr von
ihm selbst oder von Dritten ausgeht.
Hier können wir die drei Bestimmungsmomente der Würde wieder finden, die die
neuzeitliche Auffassung auszeichnen.
1. Der Mensch ist
wesensmäßig von der Natur zu unterscheiden. Das eigentliche Wesensmerkmal
des Menschen ist seine Vernunft oder, wie der Verfassungsrechtler Günter Dürig
formuliert, die "Kraft seines Geistes".
2. Diese
Vernunft befähigt den Menschen zur Autonomie, zur freien Bestimmung seiner
selbst.
3.
Diese Autonomie
macht den Menschen wesensmäßig zu einem Subjekt, mithin darf der Mensch
nicht als Mittel zu einem anderen Zweck instrumentalisiert, also zu einem
Objekt eines fremden Willens gemacht werden, sondern er ist als autonomes
Wesen immer Zweck an sich selbst.
Bei den „Big Brother“ oder ähnlichen Konzepten stellen sich danach vor allem
folgende Fragen:
Sind die Teilnehmer mit Betreten des Containers oder des Dschungel-Camps
immer noch der freien Bestimmung fähig oder ist es nicht eher so, dass sie
unter Dauerbeobachtung zu Marionetten der Produzenten und der Zuschauer
werden? Und darf sich ein Mensch seiner freien Bestimmung selbst entledigen
und sich selbst zur Marionette degradieren? Oder geht der staatliche
Schutzauftrag soweit, den Menschen auch vor solchen Entscheidungen zu
schützen?
Die bereits im Vorfeld zur ersten Staffel von Big Brother eingeholten
verfassungsrechtlichen Gutachten gingen bei
den Bewohnern von freien, wohlinformierten Teilnehmern aus und sahen in dem
„Big
Brother“-Konzept keine Verletzung der Menschenwürde und des
Persönlichkeitsrechts.
"(...) dass ein Verstoß gegen die Menschenwürde ausgeschlossen ist, wenn
sich die Teilnehmer frei und in Kenntnis der Tragweite dazu entschieden
haben, an dem Programm teilzunehmen." (Dörr 2000, S. 90). Die Entscheidung
zur Teilnahme an derartigen Sendungen sei gerade Ausdruck des
Persönlichkeitsrechtes im Rahmen des Selbstbestimmungsrechtes. Zum Zwecke
des Ruhmes und des kommerziellen Erfolges hätten die Teilnehmer die Grenzen
ihrer Privatsphäre (und tatsächlich wohl auch ihrer Intimsphäre) selbst
verschoben, wenn nicht gar aufgehoben. Die Teilnahme sei eine für die
moderne Zeit typische Demonstration der Individualität und Persönlichkeit.
Die Gutachten wagen den Vergleich mit Extremsportlern, die sich ja auch ganz
bewusst einer Gefahr aussetzen würden.
Entscheidungsfreiheit ist aber nicht schon allein dann gegeben, wenn man ein
Spiel wie
„Big
Brother“ jederzeit beenden kann. Entscheidungsfreiheit bedeutet
auch, sich bewusst für oder gegen einzelne Elemente eines Spiels entscheiden
zu können. Die dafür nötige Transparenz ist dafür bei den
„Big
Brother“-Konzepten
allerdings häufig nicht gegeben: Gemäß einem
„geheimen“
Regelbuch haben die
„Big
Brother“-Produzenten die Möglichkeit, direkt in das Spiel einzugreifen. Eine Aufklärung über Regeländerungen erfuhren die Bewohner
nur kurzfristig oder gar nicht. In der dritten Staffeln wurde beispielsweise
ohne das Wissen der übrigen Teilnehmer ein „Maulwurf“ ins Haus geschickt,
der nur auf Zuruf von den „Big Brother“ - Produzenten agierte und bewusst
bestimmte Reaktionen bei den übrigen Teilnehmern hervorrufen sollte.
Auch über die Spielregeln der Produzenten hinaus ist fraglich, ob sich die
Kandidaten derartiger Shows wirklich der Konsequenzen des öffentlichen
(Seelen-)Striptease und der Beeinflussung ihrer Persönlichkeit bewusst
sind. Sie haben keinen Einfluss auf die Auswahl der im Fernsehen
gezeigten Bilder und damit ihrer Darstellung in der Öffentlichkeit. Dem
Produzenten obliegt es, durch die Auswahl der Filmausschnitte, ein
bestimmtes Bild in der Öffentlichkeit zu formen. Auch dadurch bedingt sehen
sich die Kandidaten einer ungewollten und für sie oft unvorhergesehenen
öffentlichen Reaktion ausgesetzt: Schmährufe der
Zlatko-Fans über die
Container-Mauern hinweg brachten die Bewohnerin Manu in der ersten Staffel
erst zum Weinen und schließlich zum Verlassen des Containers; in
Internet-Foren werden Lieblingsteilnehmer gewählt, andere werden diffamiert;
eine große bunte Tageszeitung macht die dunkle Vergangenheit einzelner
Teilnehmer zur Schlagzeile.
Die Kritiker der „Big Brother“-Konzepte führen an, dass die Aussicht
auf den Gewinn einer großen Geldsumme die Teilnehmer in ihrer Entscheidung
zu gehen oder zu bleiben einschränken würde. Sogar schon der freie
Entschluss, an der Sendung teil zu nehmen, sei beeinflusst durch diese
Aussicht und würde vor allem sozial schwache Menschen in ihrem
Selbstbestimmungsrecht einschränken. Gerade weil heutzutage scheinbar viele
Menschen den Drang haben, ihre Privats- und Intimsphäre in aller
Öffentlichkeit zu präsentieren, und die Hemmschwellen vor der Kamera immer
niedriger werden, ist von Seiten des Staates im Hinblick auf seinen
Schutzauftrag besondere Aufmerksamkeit gefordert.
Solange der Mensch seine Darstellung in der Öffentlichkeit noch selbst
bestimmen, beeinflussen und vorhersehen kann, kann dies als Ausdruck seines
Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrechts gewertet werden. Ist ein Spiel
oder eine Darstellung jedoch fremdbestimmt und nimmt unvorhergesehene
Formen an, deren Folgen der Betroffene selbst nicht beeinflussen kann, so
ist dies nicht mehr vom Selbstbestimmungsrecht gedeckt. Dann sollte es
Aufgabe des Grundgesetzes sein, diese Menschen vor derartigen Entwicklungen
zu schützen. |