Ohne Blick- und
Hautkontakt
An welchen Orten knüpft man Freundschaften? Wo findet man den Partner fürs
Leben? Bislang entstanden solche Verbindungen fast ausschließlich in
Situationen, in denen sich Menschen von Angesicht zu Angesicht begegneten:
auf Partys, in der Kneipe, im Urlaub, am Arbeitsplatz oder im Studium. In
Kontaktnetzwerken wie StudiVZ, Facebook, Friendster, Myspace oder Xing
scheint sich dies nun zu ändern: Das Internet verspricht eine effizientere
Suche unter mehr potenziellen Kandidaten.
Was passiert, wenn Möglichkeiten für Freundschaften nicht mehr nur von den
zufälligen Möglichkeiten abhängen, die sich im räumlichen Umfeld ergeben?
Findet man eher den passenden Partner oder Gleichgesinnte, die ein
ausgefallenes Interesse oder Hobby teilen? Oder überfordert die Fülle der
Kandidaten? Und was geschieht, wenn das Vorgeplänkel, das langsame Abtasten
und schrittweise Näherkommen entfällt, weil über das persönliche Profil
jeder sofort durchleuchtet werden kann? Oder reichen die
Kommunikationsmöglichkeiten im Internet gar nicht aus, um eine Beziehung zu
vertiefen?
Noch ist wenig darüber bekannt, wie die neuen Netzwerke das Kontaktverhalten
ändern. Klar ist nur, dass Netzwerke boomen: Nach der repräsentativen
ARD/ZDF-Online-Studie 2008
hat ein Viertel (25 Prozent) der Internetnutzer in Deutschland
private Netzwerke bereits genutzt. 2007 waren es erst 15 Prozent. 18 Prozent
besuchten sie mindestens wöchentlich. Es überrascht wenig, dass die meisten
Jugendlichen (14-19 Jahre) nicht nur zu den Nutzern zählen (zumindest
selten: 68 Prozent), sondern 61 Prozent auch ein eigenes Profil angelegt
haben. Die 20-29-Jährigen, unter denen die Mehrheit der Studierenden zu
finden ist, stehen den Jugendlichen kaum nach (zumindest selten: 57 Prozent,
eigenes Profil: 53 Prozent). Weniger wichtig sind für alle Internetnutzer
berufliche Netzwerke und Weblogs; ihre Nutzung ist gegenüber 2007 sogar
rückläufig.
In Medienberichten wird der Aufstieg der sozialen Netzwerke mit Sorge
beobachtet: Wächst die Bereitschaft zur Selbstentblößung? Werden persönliche
Daten naiv preisgegeben und von anderen zweckentfremdet? Das Schreckbild ist
der Personalchef, der sich im Internet über die privaten Eskapaden von
Stellenbewerbern informiert. Wie ehrlich ist die Selbstdarstellung? Geht es
nur noch darum, die Zahl der Freundschaften zu maximieren? Werden Kontakte
oberflächlicher, wenn ihre Zahl steigt und sie in erster Linie über das
Internet gepflegt werden? Wird das „wertvolle“ persönliche Gespräch
verdrängt?
Ergebnisse einer
Online-Befragung
Einige Antworten auf diese Fragen liefern die Ergebnisse einer
standardisierten Online-Befragung, die am
Institut
für Kommunikations-wissenschaft der Universität Münster
im Rahmen eines Projektseminars im Juni und Juli 2007 durchgeführt worden
ist. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe waren Birte Blömers, Meike Flöck,
Stefanie Letschert, Hannah Lohmann, Ilona Schäfer, Tobias Steinkamp und
Tobias Winkler. Insgesamt nahmen an der Befragung 1.519 StudiVZ-Nutzer teil.
StudiVZ ist das mit Abstand größte deutschsprachige Netzwerk von
Studentinnen und Studenten. Der Fragebogen war frei zugänglich. Deshalb
beruhen die Ergebnisse nicht auf einer repräsentativen Auswahl. Eine
nachträgliche Prüfung ergab, dass in der Stichprobe Sozialwissenschaftler
leicht überrepräsentiert, Mathematiker und Naturwissenschaftler dagegen
unterproportional vertreten sind.
Kontaktscheue
StudiVZ-Nutzer
Was motiviert zur Teilnahme am StudiVZ? Entgegen der verbreiteten Annahme
dient StudiVZ nur selten zur Erweiterung des Freundeskreises. Im Vordergrund
stehen das Aufrechterhalten bestehender oder das Wiederauffrischen
abgebrochener Kontakte: Zwei Fünftel der Befragten (42 Prozent) gaben an,
ihnen sei die Kontaktpflege „sehr wichtig“ (Wert 1 auf einer fünfstufigen
Skala), etwas mehr als ein Drittel (35 Prozent) wollte alte Bekannte wiederfinden. Das Kennenlernen neuer Leute (drei Prozent) oder Dating (ein
Prozent) spielten als Motive fast keine Rolle. Das zumindest war die
Selbstauskunft der Befragten. Jene, die gleichwohl neue Kontakte oder
Gelegenheiten zum Dating suchten, waren eher Männer und Singles.
Diese Motive spiegeln sich im Nutzerverhalten: 86 Prozent der Befragten
lernten ihre Kontakte „gewöhnlich“ erst persönlich kennen, bevor sie sie in
StudiVZ kontaktierten. Knapp zwei Drittel (64 Prozent) hatten noch gar keine
neuen Kontakte über StudiVZ geknüpft. Nur ein Prozent hatte „sehr viele“ neue
Kontakte gewonnen. Auf einer fünfstufigen Skala (1= „sehr viele“, 5= „gar
keine“ Kontakte) gaben nur 5 Prozent die Skalenpunkte 1 und 2 an. Nur 19
Prozent sagten, die Aussage treffe zu, dass sie bereits „interessante“
Kontakte im StudiVZ geknüpft haben, die sie auch außerhalb des StudiVZ
weiterführen.
Auch andere Befragungen gelangen zum Ergebnis, dass die Nutzer sozialer
Netzwerke in erster Linie ihre bestehenden Kontakte ins Internet übertragen
oder abgebrochene Kontakte wiederherstellen. Wer sich aus den Augen verloren
hat, kann sich über das Verzeichnis wiederfinden, etwa Abiturklassen, die in
alle Winde verstreut wurden.
„Impression
Management“
Die Kontrolle über das eigene Bild ist im Internet relativ hoch. Mimik,
Gestik, Stimme und andere schwer steuerbare Körperäußerungen spielen keine
Rolle. Worauf achten die Befragten, wenn sie ihr Profil gestalten? Die
Authentizität ist das mit großem Abstand wichtigste Merkmal der
Selbstdarstellung („sehr wichtig“: 25 Prozent; Wert 1 auf einer 5-stufigen
Skala). Ihre positiven Seiten wollen StudiVZ-Teilnehmer betonen, wenn sie
auf Witzigkeit und Originalität (13 Prozent) oder Attraktivität (9 Prozent)
achteten. Übertreibungen bei der Selbstdarstellung oder gar ein Auftritt
unter falscher Identität wären für StudiVZ-Nutzer kontraproduktiv: Tauscht
man sich in erster Linie mit Personen aus, denen man bereits bekannt ist,
fallen Abweichungen vom tatsächlichen Erscheinungsbild rasch auf. Auch bei
neuen Kontakten würde eine geschönte Fassade spätestens dann bröckeln, wenn
es zur ersten persönlichen Begegnung kommt.
Die „Wahrheitsliebe“ wird gewissermaßen durch die innere Logik von StudiVZ
gefördert: Nur wenn die Angaben (annähernd) korrekt sind, können die
Mitglieder das Netzwerk auch sinnvoll nutzen. Sie liefern damit aber
zugleich den Betreibern Daten, die sie zur Personalisierung der Werbung
verwenden können. Die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ von StudiVZ lassen
diesen Gebrauch mittlerweile zu, obwohl viele Nutzer dagegen protestiert
haben.
Unbeobachtete
Beobachter
StudiVZ-Nutzer geraten so in eine Art Öffentlichkeitsdilemma: Um den Zweck,
sich mit anderen zu vernetzen, erreichen zu können, müssen sie auch
Informationen über sich selbst preisgeben, ohne aber kontrollieren zu
können, wer das Wissen nutzt. Das unterscheidet die Internetkommunikation
vom Gespräch von Angesicht zu Angesicht: Wer mit anderen spricht, behält –
selbst an einem öffentlichen Ort – weitgehend die Kontrolle über den Kreis
der Mithörer: Man kann beobachten, wer sich in Hörweite befindet, kann die
Stimme dämpfen oder sich abwenden, wenn Lauscher ausgeschlossen werden
sollen. Und das Gesagte ist flüchtig und hinterlässt keine Spuren, was bei
Gerüchten, Klatsch und Tabus ja keineswegs von Nachteil ist. Auch in der
privaten Medienkommunikation, also wenn telefoniert oder Briefe und E-Mails
geschrieben werden, ist der Adressatenkreis festgelegt. Anders in den
sozialen Netzwerken, wo die veröffentlichten persönlichen Informationen im
Prinzip jedem zugänglich sind – und das in einem Medium, das keine Grenzen
kennt.
Auch die befragten StudiVZ-Mitglieder machen sich das Wissen über andere
Personen zunutze. Das „Auskundschaften“ von Personen im StudiVZ ist eine
weit verbreitete Praxis: 80 Prozent gaben an, dass sie, wenn sie zum
Beispiel auf einer Party oder im Seminar neue Leute kennen gelernt haben,
anschließend „häufig“ nach deren Profil im StudiVZ suchen. So lässt sich der
erste Eindruck von einer Person mit „harten“ Fakten anreichern, bevor man
sich mit ihm oder ihr zum Kaffee verabredet. StudiVZ informiert aber nicht
nur über „Mister X“ oder „Miss Y“, sondern auch über deren Netzwerk: Wer
kennt wen, und wie attraktiv sind die Freunde? Auch das prägt das Bild,
ebenso die persönlichen Bemerkungen, die Dritte auf der öffentlichen
„Pinnwand“ hinterlassen haben.
Allerdings ist Neugier keine Eigenschaft, die StudiVZ-Mitglieder gerne
offenbaren: Rund ein Drittel (34 Prozent) vermeidet es im persönlichen
Gespräch, zuzugeben, sich das Profil des Gesprächspartners angesehen zu
haben. Und die Mehrheit bewegt sich anonym im StudiVZ, wenn es darum geht,
sich über andere Mitglieder zu informieren: 71 Prozent lassen sich nicht als
Besucher anderer Seiten anzeigen.
StudiVZ und andere
Kontaktwege
Wie ordnet sich das StudiVZ in das Gesamtgefüge der Kommunikationskanäle
ein, die für persönliche Kontakte verwendet werden? Hier machen die
StudiVZ-Nutzer einen deutlichen Unterschied zwischen nahen und entfernten
Freunden: Nur bei früheren Freunden, flüchtigen Bekannten und neuen
Kontakten, die über das StudiVZ geknüpft wurden, ist das
Studierenden-Netzwerk erste Wahl. StudiVZ ermöglicht die effiziente
Verwaltung zahlreicher Kontakte, für die wenig investiert werden soll. Im
weiteren Freundeskreis rangieren persönliche Treffen durchgängig erst auf
dem fünften Rang.
Ganz anders das Bild bei den engen Freunden und Kommilitonen am Studienort:
Hier sind persönliche Treffen und SMS, aber auch (Mobil-)Telefon und E-Mail
wichtigere Kanäle als das StudiVZ. Kontakte zum näheren Freundeskreis werden
also nicht im öffentlichen Netzwerk, sondern in der direkten Begegnung oder
in privaten Medien gepflegt, für die ein relativ hoher Aufwand an Zeit und
Geld erforderlich ist. Die Kanalwahl der Befragten ist also sehr genau auf
die Bereitschaft abgestimmt, in Freunde zu investieren.
Welche Kommunikationskanäle verdrängt das StudiVZ? Betroffen sind besonders
Internetformate: Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Befragten verschickte
weniger E-Mails, seitdem sie das StudiVZ nutzen. Schriftliche, asynchrone
Kommunikation, wie sie die E-Mail darstellt, ist auch durch die
„Nachrichten“-Funktion und den „Pinnwand“-Eintrag im StudiVZ möglich. Das
StudiVZ geht auch zu Lasten anderer Communities: 30 Prozent der Befragten
sagten, sie haben dort ihre Aufenthaltsdauer reduziert. In beiden Fällen
spielt also die funktionale Ähnlichkeit eine Rolle. Knapp ein Viertel der
Befragten verschickte weniger SMS (24 Prozent) und telefonierte weniger über
das Internet (24 Prozent).
Fazit
StudiVZ führt nicht zu einer wahllosen, ungehemmten Kontaktsuche. Die Nutzer
verwenden StudiVZ als virtuelles Adressbuch für bestehende Kontakte mit
angeschlossenem Kommunikationsnetzwerk. Neue Kontakte werden kaum geknüpft.
Der Einsatz von StudiVZ geschieht kontrolliert und ergänzt kalkuliert andere
Kanäle: Es dient vor allem zur Kontaktpflege mit dem weiteren Freundeskreis.
Für engere Freunde werden nach wie vor das persönliche Gespräch und
individuelle Medien vorgezogen. Dass soziale Netzwerke zur Oberflächlichkeit
in Freundschaftsbeziehungen führen, muss aufgrund dieser Befunde als
zweifelhaft gelten. Nach der repräsentativen
ACTA-Befragung 2007 sagten 92 Prozent der
unter 30 Jahre alten Intensivnutzer des Internets, die am ehesten als
gefährdet gelten mögen, dass sie „enge Beziehungen zu anderen Menschen“ für
wichtig halten. Das ist ein sehr hoher Wert im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung.
Die Bedeutung der sozialen Netzwerke für das Kontaktverhalten der
Studierenden wird nach den Ergebnissen der Befragung also eher überschätzt.
Wer sich daraus verabschieden will, kann dies – wo sonst? – im Internet tun:
im Angebot
ausgeloggt.net. Wer den „digitalen
Selbstmord“ plant, wird jedenfalls kaum Schaden nehmen. |
Der Autor
Prof. Dr. Christoph Neuberger
Geboren 1964 in Stuttgart, lehrt seit 2002 an der Universität Münster am
Institut für Kommunikations-wissenschaft. 1985 bis 1990 Studium der
Journalistik, Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie in Eichstätt
und Tübingen. 1995 Promotion, 2001 Habilitation. Ab 1990 wissenschaftlicher
Mitarbeiter und Assistent am Diplomstudiengang Journalistik der Katholischen
Universität Eichstätt-Ingolstadt; 2001/02 Vertretung einer Professur für
Journalistik an der Universität Leipzig. Arbeitsschwerpunkte: Journalismus,
Öffentlichkeit, Internet.
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