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Presse

Wie soziale Kontakte im StudiVZ
geknüpft und gepflegt werden


Soziale Netzwerke im Internet

Text: Christoph Neuberger     Bild: gerard79 (o.)  

 

Ohne Blick- und Hautkontakt

An welchen Orten knüpft man Freundschaften? Wo findet man den Partner fürs Leben? Bislang entstanden solche Verbindungen fast ausschließlich in Situationen, in denen sich Menschen von Angesicht zu Angesicht begegneten: auf Partys, in der Kneipe, im Urlaub, am Arbeitsplatz oder im Studium. In Kontaktnetzwerken wie StudiVZ, Facebook, Friendster, Myspace oder Xing scheint sich dies nun zu ändern: Das Internet verspricht eine effizientere Suche unter mehr potenziellen Kandidaten.

Was passiert, wenn Möglichkeiten für Freundschaften nicht mehr nur von den zufälligen Möglichkeiten abhängen, die sich im räumlichen Umfeld ergeben? Findet man eher den passenden Partner oder Gleichgesinnte, die ein ausgefallenes Interesse oder Hobby teilen? Oder überfordert die Fülle der Kandidaten? Und was geschieht, wenn das Vorgeplänkel, das langsame Abtasten und schrittweise Näherkommen entfällt, weil über das persönliche Profil jeder sofort durchleuchtet werden kann? Oder reichen die Kommunikationsmöglichkeiten im Internet gar nicht aus, um eine Beziehung zu vertiefen?

Noch ist wenig darüber bekannt, wie die neuen Netzwerke das Kontaktverhalten ändern. Klar ist nur, dass Netzwerke boomen: Nach der repräsentativen
ARD/ZDF-Online-Studie 2008 hat ein Viertel (25 Prozent) der Internetnutzer in Deutschland private Netzwerke bereits genutzt. 2007 waren es erst 15 Prozent. 18 Prozent besuchten sie mindestens wöchentlich. Es überrascht wenig, dass die meisten Jugendlichen (14-19 Jahre) nicht nur zu den Nutzern zählen (zumindest selten: 68 Prozent), sondern 61 Prozent auch ein eigenes Profil angelegt haben. Die 20-29-Jährigen, unter denen die Mehrheit der Studierenden zu finden ist, stehen den Jugendlichen kaum nach (zumindest selten: 57 Prozent, eigenes Profil: 53 Prozent). Weniger wichtig sind für alle Internetnutzer berufliche Netzwerke und Weblogs; ihre Nutzung ist gegenüber 2007 sogar rückläufig.

In Medienberichten wird der Aufstieg der sozialen Netzwerke mit Sorge  beobachtet: Wächst die Bereitschaft zur Selbstentblößung? Werden persönliche Daten naiv preisgegeben und von anderen zweckentfremdet? Das Schreckbild ist der Personalchef, der sich im Internet über die privaten Eskapaden von Stellenbewerbern informiert. Wie ehrlich ist die Selbstdarstellung? Geht es nur noch darum, die Zahl der Freundschaften zu maximieren? Werden Kontakte oberflächlicher, wenn ihre Zahl steigt und sie in erster Linie über das Internet gepflegt werden? Wird das „wertvolle“ persönliche Gespräch verdrängt?


Ergebnisse einer Online-Befragung

Einige Antworten auf diese Fragen liefern die Ergebnisse einer standardisierten Online-Befragung, die am
Institut für Kommunikations-wissenschaft der Universität Münster im Rahmen eines Projektseminars im Juni und Juli 2007 durchgeführt worden ist. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe waren Birte Blömers, Meike Flöck, Stefanie Letschert, Hannah Lohmann, Ilona Schäfer, Tobias Steinkamp und Tobias Winkler. Insgesamt nahmen an der Befragung 1.519 StudiVZ-Nutzer teil. StudiVZ ist das mit Abstand größte deutschsprachige Netzwerk von Studentinnen und Studenten. Der Fragebogen war frei zugänglich. Deshalb beruhen die Ergebnisse nicht auf einer repräsentativen Auswahl. Eine nachträgliche Prüfung ergab, dass in der Stichprobe Sozialwissenschaftler leicht überrepräsentiert, Mathematiker und Naturwissenschaftler dagegen unterproportional vertreten sind.


Kontaktscheue StudiVZ-Nutzer

Was motiviert zur Teilnahme am StudiVZ? Entgegen der verbreiteten Annahme dient StudiVZ nur selten zur Erweiterung des Freundeskreises. Im Vordergrund stehen das Aufrechterhalten bestehender oder das Wiederauffrischen abgebrochener Kontakte: Zwei Fünftel der Befragten (42 Prozent) gaben an, ihnen sei die Kontaktpflege „sehr wichtig“ (Wert 1 auf einer fünfstufigen Skala), etwas mehr als ein Drittel (35 Prozent) wollte alte Bekannte wiederfinden. Das Kennenlernen neuer Leute (drei Prozent) oder Dating (ein Prozent) spielten als Motive fast keine Rolle. Das zumindest war die Selbstauskunft der Befragten. Jene, die gleichwohl neue Kontakte oder Gelegenheiten zum Dating suchten, waren eher Männer und Singles.

Diese Motive spiegeln sich im Nutzerverhalten: 86 Prozent der Befragten lernten ihre Kontakte „gewöhnlich“ erst persönlich kennen, bevor sie sie in StudiVZ kontaktierten. Knapp zwei Drittel (64 Prozent) hatten noch gar keine neuen Kontakte über StudiVZ geknüpft. Nur ein Prozent hatte „sehr viele“ neue Kontakte gewonnen. Auf einer fünfstufigen Skala (1= „sehr viele“, 5= „gar keine“ Kontakte) gaben nur 5 Prozent die Skalenpunkte 1 und 2 an. Nur 19 Prozent sagten, die Aussage treffe zu, dass sie bereits „interessante“ Kontakte im StudiVZ geknüpft haben, die sie auch außerhalb des StudiVZ weiterführen.

Auch andere Befragungen gelangen zum Ergebnis, dass die Nutzer sozialer Netzwerke in erster Linie ihre bestehenden Kontakte ins Internet übertragen oder abgebrochene Kontakte wiederherstellen. Wer sich aus den Augen verloren hat, kann sich über das Verzeichnis wiederfinden, etwa Abiturklassen, die in alle Winde verstreut wurden.


„Impression Management“

Die Kontrolle über das eigene Bild ist im Internet relativ hoch. Mimik, Gestik, Stimme und andere schwer steuerbare Körperäußerungen spielen keine Rolle. Worauf achten die Befragten, wenn sie ihr Profil gestalten? Die Authentizität ist das mit großem Abstand wichtigste Merkmal der Selbstdarstellung („sehr wichtig“: 25 Prozent; Wert 1 auf einer 5-stufigen Skala). Ihre positiven Seiten wollen StudiVZ-Teilnehmer betonen, wenn sie auf Witzigkeit und Originalität (13 Prozent) oder Attraktivität (9 Prozent) achteten. Übertreibungen bei der Selbstdarstellung oder gar ein Auftritt unter falscher Identität wären für StudiVZ-Nutzer kontraproduktiv: Tauscht man sich in erster Linie mit Personen aus, denen man bereits bekannt ist, fallen Abweichungen vom tatsächlichen Erscheinungsbild rasch auf. Auch bei neuen Kontakten würde eine geschönte Fassade spätestens dann bröckeln, wenn es zur ersten persönlichen Begegnung kommt.

Die „Wahrheitsliebe“ wird gewissermaßen durch die innere Logik von StudiVZ gefördert: Nur wenn die Angaben (annähernd) korrekt sind, können die Mitglieder das Netzwerk auch sinnvoll nutzen. Sie liefern damit aber zugleich den Betreibern Daten, die sie zur Personalisierung der Werbung verwenden können. Die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ von StudiVZ lassen diesen Gebrauch mittlerweile zu, obwohl viele Nutzer dagegen protestiert haben.


Unbeobachtete Beobachter

StudiVZ-Nutzer geraten so in eine Art Öffentlichkeitsdilemma: Um den Zweck, sich mit anderen zu vernetzen, erreichen zu können, müssen sie auch Informationen über sich selbst preisgeben, ohne aber kontrollieren zu können, wer das Wissen nutzt. Das unterscheidet die Internetkommunikation vom Gespräch von Angesicht zu Angesicht: Wer mit anderen spricht, behält – selbst an einem öffentlichen Ort – weitgehend die Kontrolle über den Kreis der Mithörer: Man kann beobachten, wer sich in Hörweite befindet, kann die Stimme dämpfen oder sich abwenden, wenn Lauscher ausgeschlossen werden sollen. Und das Gesagte ist flüchtig und hinterlässt keine Spuren, was bei Gerüchten, Klatsch und Tabus ja keineswegs von Nachteil ist. Auch in der privaten Medienkommunikation, also wenn telefoniert oder Briefe und E-Mails geschrieben werden, ist der Adressatenkreis festgelegt. Anders in den sozialen Netzwerken, wo die veröffentlichten persönlichen Informationen im Prinzip jedem zugänglich sind – und das in einem Medium, das keine Grenzen kennt.

Auch die befragten StudiVZ-Mitglieder machen sich das Wissen über andere Personen zunutze. Das „Auskundschaften“ von Personen im StudiVZ ist eine weit verbreitete Praxis: 80 Prozent gaben an, dass sie, wenn sie zum Beispiel auf einer Party oder im Seminar neue Leute kennen gelernt haben, anschließend „häufig“ nach deren Profil im StudiVZ suchen. So lässt sich der erste Eindruck von einer Person mit „harten“ Fakten anreichern, bevor man sich mit ihm oder ihr zum Kaffee verabredet. StudiVZ informiert aber nicht nur über „Mister X“ oder „Miss Y“, sondern auch über deren Netzwerk: Wer kennt wen, und wie attraktiv sind die Freunde? Auch das prägt das Bild, ebenso die persönlichen Bemerkungen, die Dritte auf der öffentlichen „Pinnwand“ hinterlassen haben.

Allerdings ist Neugier keine Eigenschaft, die StudiVZ-Mitglieder gerne offenbaren: Rund ein Drittel (34 Prozent) vermeidet es im persönlichen Gespräch, zuzugeben, sich das Profil des Gesprächspartners angesehen zu haben. Und die Mehrheit bewegt sich anonym im StudiVZ, wenn es darum geht, sich über andere Mitglieder zu informieren: 71 Prozent lassen sich nicht als Besucher anderer Seiten anzeigen.


StudiVZ und andere Kontaktwege

Wie ordnet sich das StudiVZ in das Gesamtgefüge der Kommunikationskanäle ein, die für persönliche Kontakte verwendet werden? Hier machen die StudiVZ-Nutzer einen deutlichen Unterschied zwischen nahen und entfernten Freunden: Nur bei früheren Freunden, flüchtigen Bekannten und neuen Kontakten, die über das StudiVZ geknüpft wurden, ist das Studierenden-Netzwerk erste Wahl. StudiVZ ermöglicht die effiziente Verwaltung zahlreicher Kontakte, für die wenig investiert werden soll. Im weiteren Freundeskreis rangieren persönliche Treffen durchgängig erst auf dem fünften Rang.

Ganz anders das Bild bei den engen Freunden und Kommilitonen am Studienort: Hier sind persönliche Treffen und SMS, aber auch (Mobil-)Telefon und E-Mail wichtigere Kanäle als das StudiVZ. Kontakte zum näheren Freundeskreis werden also nicht im öffentlichen Netzwerk, sondern in der direkten Begegnung oder in privaten Medien gepflegt, für die ein relativ hoher Aufwand an Zeit und Geld erforderlich ist. Die Kanalwahl der Befragten ist also sehr genau auf die Bereitschaft abgestimmt, in Freunde zu investieren.

Welche Kommunikationskanäle verdrängt das StudiVZ? Betroffen sind besonders Internetformate: Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Befragten verschickte weniger E-Mails, seitdem sie das StudiVZ nutzen. Schriftliche, asynchrone Kommunikation, wie sie die E-Mail darstellt, ist auch durch die „Nachrichten“-Funktion und den „Pinnwand“-Eintrag im StudiVZ möglich. Das StudiVZ geht auch zu Lasten anderer Communities: 30 Prozent der Befragten sagten, sie haben dort ihre Aufenthaltsdauer reduziert. In beiden Fällen spielt also die funktionale Ähnlichkeit eine Rolle. Knapp ein Viertel der Befragten verschickte weniger SMS (24 Prozent) und telefonierte weniger über das Internet (24 Prozent).


Fazit

StudiVZ führt nicht zu einer wahllosen, ungehemmten Kontaktsuche. Die Nutzer verwenden StudiVZ als virtuelles Adressbuch für bestehende Kontakte mit angeschlossenem Kommunikationsnetzwerk. Neue Kontakte werden kaum geknüpft. Der Einsatz von StudiVZ geschieht kontrolliert und ergänzt kalkuliert andere Kanäle: Es dient vor allem zur Kontaktpflege mit dem weiteren Freundeskreis. Für engere Freunde werden nach wie vor das persönliche Gespräch und individuelle Medien vorgezogen. Dass soziale Netzwerke zur Oberflächlichkeit in Freundschaftsbeziehungen führen, muss aufgrund dieser Befunde als zweifelhaft gelten. Nach der repräsentativen
ACTA-Befragung 2007 sagten 92 Prozent der unter 30 Jahre alten Intensivnutzer des Internets, die am ehesten als gefährdet gelten mögen, dass sie „enge Beziehungen zu anderen Menschen“ für wichtig halten. Das ist ein sehr hoher Wert im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.

Die Bedeutung der sozialen Netzwerke für das Kontaktverhalten der Studierenden wird nach den Ergebnissen der Befragung also eher überschätzt. Wer sich daraus verabschieden will, kann dies – wo sonst? – im Internet tun: im Angebot
ausgeloggt.net. Wer den „digitalen Selbstmord“ plant, wird jedenfalls kaum Schaden nehmen.

Der Autor



Prof. Dr. Christoph Neuberger

Geboren 1964 in Stuttgart, lehrt seit 2002 an der Universität Münster am Institut für Kommunikations-wissenschaft. 1985 bis 1990 Studium der Journalistik, Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie in Eichstätt und Tübingen. 1995 Promotion, 2001 Habilitation. Ab 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent am Diplomstudiengang Journalistik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt; 2001/02 Vertretung einer Professur für Journalistik an der Universität Leipzig. Arbeitsschwerpunkte: Journalismus, Öffentlichkeit, Internet.

Website

Eine Buchpublikation der Befragung, aus der hier ausgewählte Ergebnisse vorgestellt wurden, ist in Vorbereitung (Verlag Reinhard Fischer, München). Die Befragung wurde in einem Projektseminar am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster unter der Leitung des Verfassers durchgeführt. Kontakt zum Verfasser: neuberger@uni-muenster.de.



Links



ACTA 2007

Fisch, Martin/Gscheidle, Christoph (2008): Mitmachnetz Web 2.0: Rege Beteiligung nur in Communitys. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2008. In: Media Perspektiven. H. 7, S. 356-364.

Lüpke-Narberhaus, Frauke (2008):
Mein digitaler Selbstmord. Abschied von StudiVZ und Xing. In: Spiegel Online. 03.02.08.