Karlheinz
Brandenburg gehört zur Spitze der internationalen Elektrotechnik. Von der
International Electrotechnical Commission, einer Normierungskomission, wird er
zu den 120 wichtigsten Vordenkern der Elektrotechnik aller Zeiten gezählt.
Auf der Liste stehen neben Brandenburg auch Benjamin
Franklin, Karl Friedrich Gauß, Otto von Guericke, Heinrich Hertz, Wilhelm
Conrad Röntgen, Albert Einstein, Konrad Zuse und der Entwickler des World Wide Web, Tim
Berners-Lee.
Während der 80er-Jahre war Brandenburg in Erlangen federführend an der
Entwicklung eines Verfahrens zur Kompression von Audiodateien beteiligt, das
heute als mp3-Format bekannt ist. Von einem Musikstück oder sonstigen
Audiosignalen werden dabei nur die Daten gespeichert, die Menschen tatsächlich hören
können. So benötigen die entstehenden mp3-Dateien wenig Speicherplatz. Die
Dateien können
– beispielsweise über das Internet
– schnell verbreitet werden. Mit dem
World Wide Web explodierte die Nutzung des Formates, zunächst vor allem über
illegale Tauschbörsen für Musik.
Brandenburg leitet heute das Fraunhofer-Institut für Digitale
Medientechnologie in
Ilmenau.
Neue Gegenwart hat mit ihm über Kopierschutz, den ersten
mp3-Player und über verschlafene Musikmanager gesprochen. Und natürlich über die
Revolution, die er ausgelöst hat.
Herr Professor Brandenburg, wie haben sie bei der Arbeit am mp3-Standard den
Einfluss eingeschätzt, den ihre Entwicklung haben würde?
Karlheinz Brandenburg: Voranstellen möchte ich, dass ich in diesem
Zusammenhang immer lieber von „wir“ rede. Ich war zwar ganz wesentlich an
der Entwicklung des Standards mp3 beteiligt, aber wir waren ein Team in
Erlangen – und beteiligt waren zudem Leute aus der ganzen Welt.
Die erste Voridee zu dem, was heute unter dem Stichwort mp3 bekannt ist, war
die meines Doktorvaters Dieter Seitzer. Anfang der 80er-Jahre hatte er die
Idee, dass man ISDN dafür nutzen könnte, über Telefonleitungen Musik zu
übertragen. Deswegen suchte er damals einen Doktoranden, der sich diese
Sache näher ansehen sollte. Das war der Beginn meiner Beschäftigung mit dem
Thema Audiocodierung.
In den späten 80er-Jahren hat das ganze Thema dann
richtig Fahrt aufgenommen. Zum einen geschah dies durch technische
Fortschritte. Zum anderen dadurch, dass durch das Projekt Digital Audio
Broadcasting, das in Europa damals massiv öffentlich gefördert wurde,
plötzlich eine ganz konkrete Anwendung vorhanden war, die die geplante
Datenreduktion benötigte. Ich war damals an der Uni in Erlangen und habe mit
dem Team am Erlanger Fraunhofer-Institut zusammengearbeitet. Den Traum, dass
die Technik einmal von Millionen Menschen genutzt werden könnte, haben wir
natürlich auf die zu dieser Zeit bekannten Medien bezogen. Das waren
beispielsweise der digitale Hörfunk, eine bessere Qualität der Übertragung,
mehr verfügbare Kanäle, die Aufzeichnung auf Magnetband. Manchen Leuten war
zwar schon klar, dass man später auf Halbleiterchips aufzeichnen können
würde, aber das war irgendwie noch sehr weit weg. Dass eine CD mit einer
solchen Technik zwölf Stunden Musik speichern könnte, schien zu diesem
Zeitpunkt nicht viel Sinn zu machen.
Wie
konnte sich das Format nach der Fertigstellung verbreiten?
Brandenburg: In den ersten Jahren war das Format nur ein Werkzeug
für Profi-Anwender. Rundfunkstationen haben damit über ISDN qualitativ
hochwertige Audioaufnahmen ins Studio gebracht. Man musste also für
Mietleitungen nicht mehr tausende oder zehntausende Mark hinlegen. Damit war
also quasi die alte Idee meines Doktorvaters realisiert.
Um 1993 war absehbar, dass handelsübliche PCs inzwischen schnell genug
waren, um die mp3-Dateien direkt abspielen zu können. Dann gab es 1994 den
ersten Decoder-Chip, entwickelt von einer deutschen Firma. Das World Wide
Web startete auch gerade. An den Universitäten wurde es ja bereits
vorher genutzt, aber dann war es öffentlich und hat angefangen, auf alle
Bereiche des Lebens zu wirken. Wir konnten erkennen, dass Halbleiterspeicher
in absehbarer Zeit für den Massenmarkt interessant werden könnten und haben
in Zusammenarbeit mit der Firma Intermetall, die heute Micronas heißt, für
eine Messe den ersten Chip- und Halbleiterspeicher zusammengebaut.
Eineinhalb Kilo Gewicht, dicke Batterien drauf, Kopfhörerausgang und eine
Minute Musik gespeichert. Dieses Ding war quasi der Urahn aller heutigen
mp3-Player.
Wir wussten, dass wir jetzt ein Zeitfenster haben würden, um MPEG-1 Audio
Layer 3, so heißt das mp3-Format übrigens mit vollem Namen, zum Standard für
Audio-Wiedergabe im Internet zu machen. Ungefähr zur gleichen Zeit, Ende
1994, kam Ricky Adar zu uns, ein englischer Entrepreneur indischer
Abstammung. Er hatte die Idee, das Internet zum Vertrieb von Musik zu
nutzen. Adar hat sich angeschaut, was wir damals technisch konnten. Und ich
weiß noch heute, wie er in Erlangen bei mir im Büro saß und gefragt hat: ‚Do
you know that you will destroy the music industry?’. Seit ungefähr dieser
Zeit haben wir übrigens auch an Kopierschutzverfahren gearbeitet und an
Modellen, wie legaler Musikvertrieb über das Internet funktionieren könnte.
Zunächst wurde mp3 jedoch – zum Beispiel
durch Tauschbörsen wie Napster – zum Synonym für illegale Verbreitung von
Musik.
Brandenburg: Wir haben 1995 die Datei-Endung „mp3“ festgelegt,
damit wir für das Format auch einen Player anbieten konnten. Die
entsprechende E-Mail vom 14. Juli 1995 ist übrigens immer noch erhalten. Den
Player Winplay3 für Windows konnten wir im gleichen Jahr herausgegeben. Dann
gab es die ersten Lizenznehmer aus der Softwareindustrie. Auch Microsoft hat
Anfang 1997 die mp3-Decodierfähigkeit in Windows eingebaut. Zu unserem
Leidwesen hat sich der Winplay3 dann jedoch auf illegalem Weg sehr schnell
verbreitet. Die einzeln verkaufte lizenzierte Version konnte sich nicht
durchsetzen.
Mit diesem Programm konnte man mp3-Dateien abspielen, aber noch nicht selbst
erstellen. Wenige teure Encoder zur Erstellung von mp3-Dateien sollte es
geben. Und viele kostenlose Decoder zum Abspielen der Musik. Dieses
Geschäftsmodell ist uns 1997 aus der Hand geschlagen worden, als ein Encoder
mit einer gestohlenen Kreditkartennummer beschafft und analysiert wurde. Die
Software ist ins Internet gestellt worden. Das war uns zwar schnell bekannt
und wir haben auch alle uns bekannten Websites, die das Programm kostenlos
angeboten haben, auf die Illegalität hingewiesen und ihnen mit juristischen
Konsequenzen gedroht. Aber das Programm war nun einmal öffentlich
zugänglich. Wir änderten das Geschäftsmodell, und kurze Zeit später gab es
auch Angebote, zum Beispiel die Musicmatch-Jukebox, die sehr günstige
Encodierfähigkeiten zur Verfügung stellte.
Die
Technik hat sich dann explosionsartig verbreitet.
Brandenburg: 1997 hatten wir den Eindruck, dass jetzt eine Lawine rollt. Da
gab es auch die ersten Kontakte zur Recording Association of America. Wir
wollten klarstellen, dass wir geistiges Eigentum wichtig finden. Und wir
wollten betonen, dass das geistige Eigentum auch in Zukunft etwas wert sein
sollte. Wir waren natürlich auch daran interessiert, dass die Nutzung legal
geschieht und kein Geschäft für Piraten wird. Klagen wurden erhoben. In
dieser Zeit sind dann auch viele Download-Seiten wieder geschlossen worden,
später dann ja auch Napster.
Hatten
sie bei den Gesprächen mit den Vertretern der Musikindustrie den Eindruck,
dass sie die Dimension der Entwicklung richtig einschätzten?
Brandenburg: Den Personen, mit denen ich selbst gesprochen habe,
war das schon bewußt. Das war jedoch schon 1997. Es gab aber vorher bereits
ein Gespräch, ich glaube 1995, als im Rahmen eines EU-Projektes unter
anderem Kontakte zu einem der damals großen Musiklabels – die sind ja
mittlerweile alle mehrfach fusioniert – entstanden sind. Da haben unsere
Leute – ich war selbst nicht dabei – allenfalls höfliches Desinteresse
geerntet, nach dem Motto „was wollt ihr denn“.
Man hat
das Problem also verschlafen.
Brandenburg: Bereits 1995 haben wir versucht, Fragen nach legalen
Vertriebswegen zu stellen – das Fehlen dieser Vertriebswege war schließlich
eine lange Zeit das Hauptproblem. Es gab überhaupt keinen bekannten
Vertriebsweg, der sich mit dieser neuen Situation vergleichen ließ.
Seit den späten 90er-Jahren lief dann in Deutschland ein
Music-on-demand-Angebot, das mit Technik der Deutschen Telekom betrieben und
inhaltlich von den Musiklabels bestückt wurde. Die haben dort nie richtig
viel Musik verkauft, weil die Musiklabels die Preise für die Stücke
festgesetzt haben. Und die Preise waren so gestaltet, dass keine Konkurrenz
zu den Plattenläden entstehen konnte.
Ein
erfolgreicher Musikanbieter im Web ist heute Itunes von Apple, also die
Plattform eines Computerherstellers. Apple bietet zudem Endgeräte als
Lifestyleprodukte an. Aber die Musikindustrie selbst hat offenbar kaum
Innovationen anzubieten, mit denen Geld verdient werden kann.
Brandenburg: Da muss man unterscheiden zwischen den Major-Labels
und den Independent-Labels. Die Independents – gerade diejenigen mit
kleinen, unabhängigen Künstlern – haben schon vor langer Zeit die
Verbreitung ihrer Angebote über das Internet als Chance begriffen.
Angefangen hat das mit mp3.com und mit Emusic, die mp3-Dateien ohne
Kryptografie vertrieben haben. Für die war das von Anfang an eine Chance,
sich nicht an ein Major-Label verkaufen zu müssen und trotzdem einen Zugang
zu ihrem Publikum zu haben.
Aber
wird damit Geld verdient – trotz fehlender Verschlüsselung?
Brandenburg: Emusic macht sehr gute Umsätze. Bei den kleineren
Anbietern sind das nicht die ganz großen Beträge, die dort erwirtschaftet
werden, aber immerhin haben auch die Independent-Labels ihren Marktanteil in
den vergangenen Jahren wieder ausgebaut. Viele kleine Künstler, für die die
Veröffentlichung im Internet die einzige Chance ist, können jetzt sagen:
„Früher habe ich gar kein Geld mit meiner Musik gemacht, jetzt kann ich
immerhin meine Stromrechnung damit bezahlen“. Das sind Kleinstbeträge,
natürlich, psychologisch ist das aber ganz wichtig für die Leute.
Über
das System Potato, das auch vom Fraunhofer-Institut mitentwickelt worden
ist, sollen die Käufer von Musik als Wiederverkäufer ihrer Stücke im
Internet eine Provision erhalten. Das scheint sehr innovativ, aber nicht nur
rechtlich kompliziert zu sein.
Brandenburg: Bei Potato haben wir einen Modus gefunden, mit dem
auch die Gema einverstanden ist. Das funktioniert also auch mit Künstlern,
die bei der Gema sind, weil die Leute in dem System nicht tatsächlich als
Wiederverkäufer auftreten, sondern die Transaktionen immer über den
zentralen Server gehen und entsprechend darüber abgerechnet werden können.
Dieses System macht noch keine großen Umsätze. Ganz wichtig ist für die
Musik aber auch, dass die vielen kleinen Künstler, die ganz spezifische
Zielgruppen bedienen, mit ihren Fans zusammentreffen können. Solche neuen
Modelle sind hier ganz wichtig.
Chris
Anderson, der Chefredakteur des amerikanischen Magazins Wired, hat im Rahmen
des von ihm entwickelten
Longtail-Ansatzes vorgeschlagen, die Musikindustrie
möge doch einfach alle verfügbaren Musikdateien im Netz zu geringen Gebühren
anbieten. Über elektronische Vorschlagssysteme, wie sie bei Amazon genutzt
werden, könne so jede noch so kleine Nachfrage-Nische besetzt werden und
jeder Titel seinen Abnehmer finden. Was halten sie von der Idee?
Brandenburg: Für den Musikvertrieb wird es nicht ein
Geschäftsmodell der Zukunft geben, sondern viele parallele Modelle. Wir
werden erst sehen müssen, womit der größte Erfolg erzielt wird. Ich erinnere
mich an eine Zeit vor zehn Jahren, als Subscription-, also
Abonnement-Modelle, wie sie Napster heute anbietet, von vielen als einziges
Modell angesehen worden sind. Dann kam Itunes und zum Erstaunen aller ließ
sich mit dem Verkauf von Einzeltracks viel Geld machen. Werbefinanzierte
Modelle gibt es natürlich auch. All das wird nebeneinander existieren
können. Im Prinzip ist heute schon sämtliche Musik irgendwo elektronisch
verfügbar, beispielsweise über legale Download-Portale wie Itunes, Musicload
oder das heutige Napster. Spezielle Portale für spezielle Interessen gibt es
auch und die sind auch erfolgreich.
Unrealistisch finde ich allerdings die Ideen, die kürzlich in Frankreich
diskutiert wurden. Man wollte den gesamten Internetverkehr beobachten und
auf alles, was als Musik erkannt wird, eine Steuer erheben. Ich möchte
natürlich schon gar nicht, dass der gesamte Internetverkehr überwacht wird
und halte das technisch auch für nicht gangbar. Aber eventuell ist diese
Diskussion auch bereits wieder vorüber.
Wird
das Potenzial des Formates mp3 technisch ausgeschöpft?
Brandenburg: Heute ist mp3 für uns gleichbedeutend mit „spielt
überall“. Und das wollen wir auch nicht anfassen. Was meiner Ansicht nach
sinnvoll gewesen wäre – jetzt rede ich schon zu 90 Prozent in der
Vergangenheit – ist eine Einigung der Industrie auf ein gemeinsames
technisches Format für einen Kopierschutz. Es hätte so beschaffen sein
müssen, dass die legalen Nutzer das Sicherheitssystem gar nicht bemerken.
Das ist eine ganz wesentliche Anforderung. Alles, was die Nutzer im Umgang
mit ihrer Musik behindert, ist nicht gut. Die Chance ist jedoch vertan
worden. Wie gesagt, wir haben schon 1995 einen Kopierschutz in das
Kompressionsformat eingebaut, der sich aber nie durchgesetzt hat.
Ist das
Format mp3 unter gleicher Bezeichnung weiterentwickelt worden?
Brandenburg: Im Format sind bereits weitere Nutzungsmöglichkeiten
eingebaut. So kann man beispielsweise Meta-Informationen über die Art der
Musik abspeichern. Das ist dafür aber nie genutzt worden. Stattdessen ist
unabhängig von unserer Gruppe ein technischer Standard entwickelt worden,
der heute Metainformationen enthalten kann. Fleißig weiterentwickelt wurden
auch die Encoder, mit denen mp3-Dateien erstellt werden können.
Zeitersparnis war stets das Hauptkriterium. Es ging meist darum, mp3-Dateien
möglichst schnell erstellen zu können. Weniger wichtig war dabei das letzte
Zehntelprozent an Tonqualität. Aber die Entwicklung ist für den Nutzer nicht
zu bemerken. Die zehn Jahre alten mp3-Dateien kann ich heute ebenso
abspielen. Und die heutigen mp3-Dateien kann ich auf Geräten abspielen, die
vor zehn Jahren erschienen sind.
In letzter Zeit hat das Erlanger Team eine Technologie entwickelt, bei deren
Erfindung ich nur noch von Ferne zugeschaut habe. Das ist „mp3-Surround“.
Damit ist es möglich, in die vorhandenen Zusatzinformationsfelder einer
mp3-Datei, die vom normalen Decoder einfach übergangen werden, weitere
Informationen zu verstecken, um aus einer mp3-Datei bei der Wiedergabe
wieder ein Fünfkanalstück zu machen. Sie bekommen dann mit der
entsprechenden Anlage den vollen Surroundsound.
Das ist die technische Weiterentwicklung innerhalb von mp3, die aber auch
komplett rückwärtskompatibel ist. Leute mit älteren mp3-Playern werden dann
beispielsweise einfach nur das normale Stereo hören, während die Inhaber
besserer Anlagen in den Genuss der neuen Qualität kommen.
Die Entwicklung wird aber noch weiter gehen, beispielsweise zu „Iosono“.
Das ist ein System, das mit vielen Lautsprechern in einem Raum eine viel
naturgetreuere Musik erzeugen kann. Man kann damit zum Beispiel eine ganze
Musikgruppe an einer bestimmten Stelle im Raum akustisch erscheinen lassen.
Wenn
Musik in Zukunft vornehmlich über das Web vertrieben wird, wären
Mobilkommunikationsanbieter und Musikindustrie sicherlich auch – über die
bisherigen Kooperationen hinaus – sehr interessante Partner.
Brandenburg: Technisch überhaupt kein Problem wäre zum Beispiel
folgendes Szenario: Ich höre irgendwo Musik, wähle auf meinem Handy eine
Kurzwahl oder sage: „Zwischenspeichern“. Dann bekomme ich – sofern ich bei
einem derartigen Service angemeldet bin – die Information über das
Musikstück. Und dann kann ich direkt über das Handy in den virtuellen
Plattenladen gehen und die Musik kaufen und auf mein Handy laden. Oder ich
kann den Track vormerken und bei der nächsten Verbindung meines Rechners zu
Hause automatisch laden. Das ist alles technisch schon möglich.
Musik
wird also in Zukunft viel einfacher zugänglich sein.
Brandenburg: Das ist tatsächlich eine der wesentlichen Chancen:
Musik wird leichter zugänglich. Ich finde meine Musikstücke auch leichter.
Mir selbst geht es so, dass ich oft im Radio irgendwas höre und denke, dass
das gut in meine mp3-Sammlung passen könnte. Aber dann merke ich mir zum
Beispiel den Interpreten nicht – und bis ich den dann gefunden habe… Noch
schlimmer ist die Suche im Plattenladen. Mir fehlt oft die Zeit, dort lange
zu suchen. Ich kaufe Musik daher oft online. Wenn ich doch im Plattenladen
kaufe, dann eher eine richtig große Menge. Neulich habe ich zum Beispiel
etwas richtig Feines bekommen. Eine Bach-Sammlung als CD-Set mit 170 CDs,
schon fertig auf einen Ipod aufgespielt. Nicht für einen ganz günstigen
Preis, aber relativ gesehen doch wirklich angemessen – und eben Bach
komplett.
Argumentiert wird auch, dass Musikdateien den sinnlichen Mehrwert nicht
bieten können, den zum Beispiel ein schönes Booklet besitzt.
Brandenburg: Es gibt im Zusammenhang mit Musik Werte, für die
Konsumenten viel Geld ausgeben. Auch die jungen Leute. Die Livemusikbranche
boomt ja zum Beispiel mehr denn je. Das, was wir derzeit beobachten können,
ist bloß eine große Verschiebung. Alles ist eine Frage der
Konsumgewohnheiten. Heute ist es für manche Leute selbstverständlich, nach
einem Kauf etwas in der Hand zu halten. Diese Leute kaufen Schallplatten,
Vinyl. Und sie werden auch in Zukunft Vinyl kaufen. Es gibt andere, die
diese Dinge heute schon nicht mehr brauchen. Eine Bekannte von mir hat mir
schon vor ein paar Jahren erzählt, dass sie nicht mehr mit CDs hantieren,
sondern lieber alles auf ihren Ipod laden möchte. Und wenn ihr die Musik
nicht mehr gefällt, lädt sie sich einfach die nächsten Dateien auf das
Gerät. Die Konsumgewohnheiten ändern sich in einem langsamen Prozess. Aber
der wird passieren. Es wird später wohl der Normalfall sein, dass Musik
drahtlos oder über drahtgebundenes Internet bezogen wird. Insofern denke
ich, dass für die Musikbranche insgesamt keine Gefahr besteht.
Vielen Dank
für das Gespräch. |
Zur Person
Bild: Fraunhofer IDMT
Karlheinz
Brandenburg (Prof. Dr.-Ing. Dr. rer. nat. h. c. mult.) wurde 1954 in
Erlangen geboren. Er studierte dort Elektrotechnik und Mathematik und
promovierte 1989. Die Ergebnisse seiner Dissertation
gelten als Grundlage für zahlreiche Verfahren der Audiocodierung und
Audiodatenkompression. Er gilt daher auch als „Vater der mp3“.
Nach einem Aufenthalt bei AT&T Bell Laboratories in den USA wechselte er
1993 nach Erlangen. Bis 1999 arbeitete Brandenburg am Fraunhofer-Institut in
Erlangen, bevor er 2000 Inhaber des Lehrstuhls für Elektronische
Medientechnik an der TU Ilmenau und Leiter der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für
Elektronische Medientechnologie wurde, aus der Brandenburg das
Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie machte (Bild).
Bild: Fraunhofer IDMT
Karlheinz Brandenburg ist Inhaber von über 100 Patenten. Seine Arbeit ist
mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, u. a. mit dem Deutschen
Zukunftspreis (2000).
Er ist zudem Gründer der Iosono GmbH, einer Ausgründung des
Fraunhofer-Instituts, in der u. a. Produkte für Kinos und Tonstudios
entwickelt werden.
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