Der Fall Friedman - dürfen Medien richten?

TEXT: THOMAS M. STEINS
BILD: PHOTOCASE.DE


Die Zürcher Weltwoche nannte ihn einen „Inquisitor“. Und tatsächlich war Michel Friedman streng, forschend und unerbittlich. Als Fernsehmoderator teilte er aus. Als Vizepräsident des Zentralrats der Juden traute sich kaum einer, ihn anzugreifen. Auch die Medien hielten sich lange zurück – bis ihn in diesem Sommer der Prostitutions- und Kokainskandal einholte. Die Medienberichterstattung zeigt Wirkung: Einer Forsa-Umfrage zufolge wünschen sich lediglich 32 Prozent der Fernsehzuschauer eine Rückkehr des abgetretenen Talkshow- Moderators – 52 Prozent sind dagegen.

Der kategorische Imperativ Immanuel Kants lautet in seiner Grundformel: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Michel Friedmann hat die Latte – bei anderen – immer sehr hoch gehängt. Oftmals aus guten Gründen. In seiner Funktion als Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland trat der CDU-Politiker für die Interessen unserer jüdischen Mitbürger ein – pointiert und deutlich. So wie in der Auseinandersetzung mit dem schließlich abgestürzten Fallschirmspringer Jürgen W. Möllemann. Dem langjährigen FDP-Politiker warf Friedman Antisemitismus vor, weil Möllemann im Rahmen der so genannten „Flugblattaffäre“ die Siedlungspolitik Israels kritisiert hatte. Möllemann war so empört, dass er Friedman  entgegenhielt, „mit seiner intoleranten und gehässigen Art mitverantwortlich für die Zunahme von Antisemitismus“ zu sein. Ein Happy End gab es nicht. Doch auch unabhängig von seiner Funktion als Vizepräsident des Zentralrats der Juden ging Friedman nicht gerade zimperlich mit seinen Mitmenschen um. Einige seiner Talkshow-Gäste nahm er regelrecht auseinander – so wie den ehemaligen Berliner CDU-Fraktionschef Frank Steffel, weil dieser in seiner Jugend Ausländer „Kanaken“ und Behinderte „Mongos“ genannt hatte. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wurde abgefragt, wie viele Mauertote es denn gegeben habe – und wurde anschließend verlacht, weil  die Zahl nicht stimmte. „Das war heftig“, meinte auch CDU-Chefin Angela Merkel nach ihrem Fernseh-Verhör. Trotzdem wagte es kaum einer, Friedman zu kritisieren.

Eingebüßte Glaubwürdigkeit

Dann kam der Skandal: Friedmans Verwicklung in eine Prostitutions- und Kokaingeschichte. Und das mitten im Sommerloch. Berliner Fahnder waren bei Ermittlungen gegen einen ukrainisch- polnischen Menschenhändlerring auf Friedman gestoßen. Beim Abhören der Telefone von Zuhältern und Prostituierten zeichneten sie wiederholt Bestellanrufe von Friedman auf. Zunächst galt der Moderator lediglich als potenzieller Zeuge. Beschuldigter wurde Friedman erst, nachdem zwei Prostituierte ausgesagt hatten, ihr Stammkunde habe Kokain geschnupft und auch angeboten. Am 11. Juni fanden Berliner Ermittler in dessen Wohnung und Kanzlei in Frankfurt/Main drei Tütchen mit Kokainresten und nahmen eine Haarprobe zur Drogenanalyse. Auch wenn Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung schrieb: „Es ist wirklich keine Sensation, dass jemand von Film und Fernsehen mit Kokain erwischt wird“ – Friedman wurde durch seinen Kokainkonsum angreifbar. Den moralischen Standard, den er von anderen einforderte, konnte er selbst nicht halten. Und so stürzten sich die Medien auf das Thema. Michael Hanfeld schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Es geht nicht um den CDU- Politiker, es geht nicht um den stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, ja es geht nicht einmal um den Fernsehmoderator Friedman. Um den Moralisten hingegen geht es schon – und um die Frage, ob er einer ist.  Wer andere, zumal öffentlich im Scheinwerferlicht, einem Bekenntniszwang unterwirft, wie Michel Friedman es sich zur Übung gemacht hat, der sollte aushalten können, dass über seinen eigenen Lebenswandel auch unsanft spekuliert wird. Die Pose des allen (auch moralisch) Überlegenen, in die er sich bislang jeden Dienstag- oder Mittwochabend geworfen hat, die wird ihm nie mehr gelingen.“

Geständnis mit Lücken

Erst auf Druck der staatsanwaltlichen Ermittlungen gesteht Michel Friedman schließlich seinen Kokainkonsum.Nach vier Wochen Flucht vor der Öffentlichkeit verkündet er in einer eigens organisierten Pressekonferenz die Akzeptanz des Strafbefehls. Kein Wort verliert er jedoch über die ukrainischen Mädchen, mit denen er sich verlustiert hat. „In diesem Zusammenhang ist vielmehr von Bedeutung, dass er bei seiner Erklärung mit keinem Wort darauf einging, zeitweise mit Menschenhändlern, die Frauen aus Osteuropa nach Deutschland verfrachten, gemeinsame Sache  gemacht zu haben“, schrieb Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Der jüdische Publizist Henryk M. Broder bezeichnete Friedmans lückenhaftes Geständnis als „Schmierentheater, das beste immerhin seit Uwe Barschels Ehrenwort-Pressekonferenz von 1987.“ Di Lorenzo empfand Friedmans Erklärung als „zu genau berechnet“: „Vier Wochen hatte er beredt zu vielen Fragen geschwiegen, die gerade jene, die Friedman mögen, gerne von ihm beantwortet gehabt hätten. Das war in Hinblick auf das Strafverfahren verständlich, nährte aber den Eindruck, dass nur das von ihm als Fehler benannt werden sollte, was sich juristisch unter keinen Umständen mehr leugnen lassen würde.“ Laut di Lorenzo gebe es eine „große Zahl von Menschen, die die Vorwürfe gegen Friedman keinesfalls als so harmlos ansehen, wie es ein Teil der veröffentlichen Meinung nahe legt. Zum Beispiel beschäftigt sie die Frage, ob es einem Menschen wie Friedman, der sich nach eigenem Bekunden seit 30 Jahren für Minderheiten einsetzt, wirklich gleichgültig sein kann, wenn Prostituierte über Menschenhändler-Ringe an die Kunden verkauft werden.“

Selbstbespiegelung der Medien

Mit einer „öffentlichen Hinrichtung seines Mandanten“ hat Friedmans Anwalt Eckart Hild die Informationspolitik der Berliner Staatsanwaltschaft verglichen. Dem schlossen sich auch einige Journalisten an, die die „Vorverurteilung Friedmans“ kritisierten: Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung bezeichnete die ermittelnden Staatsanwälte als „verfolgungsgeil“. Zeit-Herausgeber Michael Naumann nannte die Ermittler„durchgeknallt“. Filmproduzent Artur Brauner empörte sich über „ein Komplott braun gefärbter Juristen“. Am selben Tag warnten die Bundesjustizministerin und der bayerische Ministerpräsident vor einer Vorverurteilung Friedmans – gewiss aus Rücksicht auf seine Stellung als Jude. Diese Vorsicht ist in Deutschland angemessen. Umso wichtiger war jedoch im Gegenzug die Aussage des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, der den Vorwurf zurückwies, das Verfahren stelle eine antisemitische Attacke dar. Auch wenn die Bedenkenträger schließlich durch Friedmans Geständnis widerlegt wurden, die Selbstbespiegelung der Medien ging weiter.

Der Tagesspiegel schrieb fast lobend über die Boulevardpresse: „Man mag sich gar nicht vorstellen, wie bei dem Stoff und den unappetitlichen Details, die auf dem Markt waren, mit anderen Prominenten verfahren worden wäre. Selbst die Bild-Zeitung, die Friedman in der ersten Zeit durchaus vorgeführt hatte, wechselte - wie nach einem Schlag mit dem Zauberstab - den Kurs und berichtete voller Verständnis.“ Das Hamburger Abendblatt zeigte sich medienkritisch: „Der Fall Friedman ist nicht nur ein Fall für den Staatsanwalt und die Politik, sondern auch ein Fall für die Medien. Selbstverständlich haben sie das Recht und, wenn sie die Mittel dazu haben, auch die Pflicht, der Wahrheit auf den Grund zu gehen - ohne Ansehen der Ämter des Betroffenen, ohne Ansehen seiner Herkunft. Im Klartext: Auch seine Position im Zentralrat der Juden Deutschlands darf Michel Friedman nicht vor medialer Recherche schützen. ... Tatsachen - wie ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren wegen Kokaingenusses gegen eine Person im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit - sind mehr als nur berichtenswert. Wird ein Politiker auf Grund seines Lebenswandels erpressbar, muss die Öffentlichkeit sogar darüber informiert werden. Aber die Berichtspflicht stößt an Grenzen, wenn der Bereich der persönlichsten Sphäre berührt wird. Was dient es der Wahrheitsfindung, ob Friedman Umgang mit zwei, drei oder vier Prostituierten gehabt hat?“ Hans Leyendecker unterstellte in der Süddeutschen Zeitung den Medien „Lust am Dreck“: Im Fall Friedman hätten seriöse Blätter den Boulevard entdeckt. Über Bild schrieb Leyendecker: „Seit Beginn der Friedman-Debatte ist das Blatt wieder mitten im Gewühle, aber bei näherem Hinsehen stochern seine Macher nicht selbst im Dreck, sondern bieten den Lesern eine Art Presseschau. Bild lässt sudeln: am liebsten von anspruchsvolleren Zeitungen, deren Berichte mit den Floskeln des Boulevards (Was kommt noch alles raus? Oder: Alles noch schlimmer!) angereichert werden. Wenn Bild nur noch übersetzen muss, was andere machen, läuft etwas schief.“ Die Kritik einzelner Journalisten an einer vermeintlich unfairen Berichterstattung über Friedman wies Leyendecker jedoch zurück: „Vielleicht kann man an der Berichterstattung der Bild am besten erkennen, dass Friedman sehr viel Glück gehabt hat. Die Zeitung war ungewöhnlich zahm. Sie hat ihn nicht mal gesucht. Es gab ein Foto, mehr nicht. Als die Kokain-Geschichte mit Christoph Daum rauskam, reisten Reporter bis nach Miami, um ihn aufzuspüren und Kokain war eine schlimme Sache. Niemand sprach davon, dass es die Privatsache Daums ist, ob er kokst oder nicht. Es war klar, dass er nicht Bundestrainer werden kann. Es war klar, dass er in Deutschland für die nächsten Jahre überhaupt nicht mehr trainieren werde. Es war folgerichtig, und niemand beschwerte sich darüber.“

Auffallend bei der Berichterstattung über den Fall Friedmans ist, dass Medien fast ausschließlich andere Medien als Quelle heranzogen. Menso Heyl schrieb dazu im Hamburger Abendblatt: „Im Fall Friedman scheint mir der Punkt erreicht, wo zunehmend Medien Medien zitieren - ohne die Möglichkeit zu haben oder zu nutzen, Informationen selber zu überprüfen. Einer zitiert den anderen. Wer sich beteiligt, wird zum Verstärker, aber nicht zum Wahrheitsfinder.“ Heyl empfiehlt daher: „Der Versachlichung dient es, sich auf sichere Quellen zu konzentrieren, etwa wenn das Ergebnis des Haartests bekannt gegeben wird, die Staatsanwaltschaft eine Erklärung abgibt oder seine Partei oder die Arbeitgeber – der Hessische Rundfunk und der Zentralrat der Juden - sich öffentlich äußern.“

Dass diese Ratschläge in Zukunft tatsächlich umgesetzt werden, darf bezweifelt werden.



 

 

 


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