Warblogs: Augenzeugenberichte oder
Desinformation?


TEXT: CHRISTOPH NEUBERGER
BILD: THEBAGHDADBLOGGER.COM

Ein „Blog“ verstummt – und die Welt hält den Atem an.
„In Brazil and Sweden, in China and Australia, from California to Maine, the question flew across the borderless Internet: Where is Salam Pax?”


Der mysteriöse Blogger, der während des Irakkriegs als Augenzeuge über das Leben und Leiden der Be­völ­kerung in Bagdad berichtet hatte, keiner Kriegspartei nahe stand, sondern sie beide kritisierte und binnen weniger Wochen zahlreiche Le­ser gewinnen konnte, hörte mitten im Krieg auf zu schreiben. Seine letzte Mitteilung, in der er einen Bombenangriff auf die irakische Hauptstadt beschrieb, da­tier­te vom 24. März 2003. Und nun erschien auf der Web­site tagelang kein neuer Tagebucheintrag mehr.

Dass „Salam Pax“, dessen wirklicher Name bis heute unbekannt ist, in so kurzer Zeit das Mitgefühl einer weltweiten Lesergemeinde gewinnen konnte, belegt das enorme Interesse an Warblogs. So wie der Irakkrieg des Jahres 1991 für den Fernsehnachrichtenkanal CNN den Durchbruch brachte, könnte der dritte Irakkrieg die erfolgreiche Bewährungsprobe für eine andere Medien­gat­tung gewesen sein, welche die noch etwas unge­naue Bezeichnung „Warblog“ trägt.

Warblogs sind eine Weiterentwicklung der Online-Tagebücher, die ur­sprünglich vor allem Ein­blicke ins – mehr oder weniger aufregende – Privatleben ihrer Betreiber gewährten. In den letzten Jahren haben sich Weblogs öffentlich relevanten Themen zugewandt und ergänzen damit die Berichterstattung von Presse und Rundfunk. Nach dem 11. September 2001 entstand der Typus des „Warblogs“, dessen Vertreter zunächst die Frage diskutierten, ob nach den Terroranschlägen ein Krieg als Reaktion notwendig sei. Zu diesen Diskussionsforen kamen mit dem Irakkrieg Warblogger hinzu, die über das Geschehen vor Ort berichteten. Betrieben wurden sie von Journalisten, Militärangehörigen, Vertretern von Hilfsorganisationen, Friedensaktivisten und Zivilisten. Bekannte Warblogger, die häufig in den Medien erwähnt worden sind, waren neben Salam Pax auch „L.T. Smash“, angeblich ein Reserveoffizier der US-Army, und CNN-Reporter Kevin Sites. Einen guten Überblick über die Warblog-Szene verschafft ein kommentiertes Linkverzeichnis, das die „Washington Post“ zusammengestellt hat.

Was Warblogs vom herkömmlichen, um Sachlichkeit und Distanz bemühten Nachrichtenjournalismus unterscheidet, ist ihr subjektiver Blick, ihr reportagehafter Stil. Authentizität, Detailtreue und Schnelligkeit gelten als Vorzüge der Warblogs. Und sie setzen sich intensiv mit ihren Lesern auseinander: Viele Blogs verfügen über ein Forum oder gehen in ihren Bei­trägen auf Lesermails ein. Diese Merkmale von Warblogs ermittelte eine Arbeitsgruppe am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster, die unmittelbar nach Kriegsende 16 Warblogs und fünfzig Metatexte, in denen über Warblogs berichtet wurde, archiviert und ausgewertet hat.


Die Nähe zum Geschehen erweist sich indes auch als Problem. Leicht geraten Warblogger in folgendes Dilemma: Wollen sie offen und kritisch informieren, bringen sie sich selbst in Gefahr. Verbergen sie deshalb ihre Identität, untergraben sie andererseits ihre Glaubwürdigkeit. Mitunter wurde der Verdacht geäußert, Warblogs würden von den Kriegsparteien zur Desinformation eingesetzt. Auf die Frage nach seiner Identität antwortete Salam Pax in einem Eintrag vom 21.
März lakonisch: „IS SALAM PAX REAL? please stop sending emails asking if I were for real, don't belive it? then don't read it. I am not anybody's propaganda ploy, well except my own. 2 more hours untill the B52's get to Iraq.”


Weiterer Schwachpunkt der Warblogs: Anders als bei traditionellen Medien gibt es keine Redaktion, die für die Qualitätskontrolle zuständig ist. Hier stellt sich die Frage, ob die Leser selbst als Korrektiv fungieren können: Sind sie in der Lage, Fehler und „Einseitigkeiten“ aufzudecken? Und sind die Warblogger bereit, sich öffentlich dem Urteil ihrer Leser zu stellen?

Das Verhältnis zum traditionellen Journalismus ist teils ergänzend, teils konkurrierend. Motiv vieler Warblogger ist es, Schwächen der Medien aus­zugleichen. Oft kritisieren sie deren Standpunkte oder ver­bessern sie. Außerdem kam es gelegentlich zu Interessen­kon­flik­ten zwi­schen „bloggenden“ Journalisten und ihren Arbeitgebern. Prominentestes Beispiel ist Kevin Sites, der für CNN aus dem Kriegsgebiet berichtete. Er musste am Tag nach Kriegsbeginn sein Online-Tagebuch schließen. Die fadenscheinige Begründung: Die Arbeit für CNN sei ein „full-time job“, die keine Zeit für sonstige Beschäftigungen ließe. Andere Angebote entstanden direkt unter der redaktionellen Obhut von Medien, etwa bei der BBC, die „Blogging“ als neue journalistische Darstellungsform begreift.

Warblogs waren während des Irakkriegs nicht die einzige alternative Nachrichtenquelle. Kriegsbefürworter und -gegner richteten ebenso eigene Sites ein wie offizielle Stellen. Einem vielfältigen, kaum überschaubaren An­­gebot stand ein deut­lich gewachsenes Interesse der Nutzer gegenüber: Die große Bedeutung des Internets als Infor­ma­tions­­me­dium während des Irakkriegs belegt für die USA eine re­präsentative Studie des
[PDF]Pew Internet & American Life Project“ vom März 2003.

Zwar ist das Fernsehen unangefochten die wichtigste Nachrichtenquelle gewesen: 89 Prozent der Erwachsenen bezogen von dort die meisten Informationen. Doch das Internet hat Boden gut gemacht: 17 Prozent der Onlinenutzer be­vorzugten das Internet gegenüber den anderen Medien – deutlich mehr als nach den Terroranschlägen des 11. September. Damals präferierten erst drei Prozent der User das Internet. Für sie ist es damit inzwischen schon fast so wichtig wie Radio (22%) und Zeitung (21%).

Zwei Drittel der Onlinenutzer schätzten die Quellenvielfalt des Internets. Etwas mehr als die Hälfte suchte nach Meinungen, die von jenen der traditionellen Medien und der Regierung abwichen. Neben den Websites amerikanischer TV-Networks (32%) und Zeitungen (29%) steuerten US-Amerikaner deshalb auch Online-Angebote ausländischer Medien (10%) an. Britische Nachrichtensites wie „BBC News Online“ und „Guardian Unlimited“ erlebten schon im Vorfeld des Kriegs einen Ansturm unzufriedener US-Bürger, denen die einheimischen Medien zu regierungsnah waren
.

Zuspruch erhielten nach der Pew-Befragung auch alternative Nachrichtensites (8%) und die Auftritte von Kriegsgegnern (6%) und –befürwortern (5%). Und immerhin vier Prozent der Onlinenutzer besuchten Weblogs, um sich zu informieren oder zu diskutieren. Wäre die Befragung nicht schon innerhalb der ersten sechs Kriegstage durchgeführt worden, sondern zu einem späteren Zeitpunkt, wäre der Wert sicher noch höher ausgefallen. Denn im Laufe des Krieges lenkten Presse und Rundfunk die Aufmerksamkeit auf Warblogs und verstärkten so ihre Nutzung. Kaum eine Redaktion ließ sich das Thema „Warblogs“ entgehen. Vor allem der anonyme Blogger aus Bagdad weckte ihr Interesse.

„Salam Pax“ ist übrigens wieder aufgetaucht: Nach einer Unterbrechung von sechs Wochen setzte er am 7. Mai sein Tagebuch fort. Außerdem ist er nun Zeitungskolumnist beim britischen „Guardian“. Und im September 2003 erscheint sein Buch
The Baghdad Blog.

Mitglieder der Arbeitsgruppe „Warblogs“ im Rahmen des Projektseminars „Angebotstypen im World Wide Web“ (Leitung: Prof. Dr. Christoph Neuberger) am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster waren: Birgit Eiglmeier, Sarah Knoop, Thorsten Krimphove, Nicole Riedel, Julia Sommerhäuser, Trixi Schornick.


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