DIE AUSSTELLUNG HELMUT NEWTON - WORK

Propagandamaterial für den Geschlechterkrieg?

TEXT: MARC LAUTERFELD
BILDER: HELMUT NEWTON

 


Bilder vermögen es besser und nachhaltiger als Worte, die Wahrnehmung der Realität zu beeinflussen. Dieser Einsicht folgte schon das alttestamentarische Bildverbot. Denn Bilder transportieren Botschaften und wecken Emotionen. Und in der modernen Mediengesellschaft wächst die Abhängigkeit von rein visueller Wahrnehmung. Strategisch wird dies zum Beispiel dadurch genutzt, das „Embedded Correspondents Bilder von der eigenen Truppe im High-Tech-Krieg produzieren, um diesen emotional erfahrbar und dadurch menschlich erscheinen zu lassen. Aber nicht nur im letzten Golf-Krieg, auch im Geschlechterkampf wird die Auseinandersetzung über Bilder und deren Interpretation geführt. Als „Propagandamaterial für den Geschlechterkrieg“ empfand die Publizistin Alice Schwarzer (Emma 6/1993) die Fotos von Helmut Newton und begleitete fortan kritisch-polemisch sein Werk – frei nach dem Motto „Propaganda erzeugt Gegenpropaganda“.

Die Ausstellung Helmut Newton – Work






Eine umfangreiche Retrospektive seines Schaffens, die Ausstellung „Helmut Newton – Work”, wird bis zum 7. September im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft in Düsseldorf gezeigt. Sie bietet einen Überblick mit mehr als 200 Arbeiten aus vier Jahrzehnten. Zu sehen sind die „Big Nudes”, seine Portraits, die „Fashions” und „Dummies” sowie seine „X-Rays”. Die Ausstellung wurde zu Newtons 80. Geburtstag im Jahre 2000 von seiner Frau June kuratiert.





Wohl kaum ein anderer Fotograf hat ein derart innovatives und umstrittenes Werk geschaffen wie Helmut Newton. Dies wird bereits im Eingangsbereich des NRW-Forums deutlich: Dort hängt das Bild „Saddle I“ – eine Frau in Pferdepose auf einem Bett. Die am Oberkörper nur mit einem BH bekleidete Reiterin trägt auf dem Rücken einen Sattel. Einerseits eine erzählte Geschichte – stimmig inszeniert bis ins letzte Detail, andererseits eine bildgewordene Männerphantasie, die Widerspruch hervorruft. Einige Räume weiter trifft man auf das Bild „Eva mit Pickelhaube“: Eine unbekleidete Frau mit einer tief ins Gesicht gezogenen Pickelhaube und einem nietenbesetzten Armschutz sitzt lasziv auf einem ledernen „Chefsessel“ und kontrolliert den Sitz ihres Nietenarms. Das befremdliche des Aktes liegt in der Divergenz der Aussagen: Die erotische Ausstrahlung der selbstbewussten Frau wird kontrastiert mit dem militanten Biedersinn von Nietenschutz und Pickelhaube.
 





Propaganda oder Gegenpropaganda?


P
ropaganda für den Geschlechterkampf? Oder vermeintliche Gegenpropaganda als die eigentliche Kampagne? Bereits 1978 verklagte Alice Schwarzer den Stern wegen der Veröffentlichung eines Newton-Fotos. Die Klageschrift besagte, dass nicht nur die Art und Weise der Darstellung, sondern auch ihre Summierung darauf hindeute, dass System dahinter stecke: Frauendarstellungen als Machtinstrument. Schwarzer war der Ansicht, eine globale, männliche Verschwörung, beruhend auf einem „Gentleman's Agreement“, Frauen nicht als Handelnde, sondern als Objekte männlicher Kunst zu zeigen, dechiffriert zu haben. Und Newton sei der Anführer und Schrittmacher dieses Geheimbundes, denn wenige seien zugleich so begabt und so kalt wie er.
 





Dabei begann bereits Newtons Adoleszenz nicht mit einer Verschwörung, sondern mit deren krassem Gegenteil: mit einer Flucht aus Europa, bei der er völlig auf sich allein gestellt war.
1920 in Berlin geboren, wanderte er 1938 über Singapur nach Australien aus, wo er als Fotograf arbeitete. Mitte der 50er Jahre kehrte er nach Europa zurück. Alice Schwarzer hielt ihm ob dieser Biographie vor, als Mann und Jude potentieller Täter und potentielles Opfer zugleich zu sein – und er habe sich auf die Täterseite geschlagen. Denn keines seiner Bilder, so stellte sie apodiktisch fest, sei das Produkt eines Besessenen, der einen gemarterten Blick in die eigenen Abgründe wage. Newtons Bilder beunruhigten nicht, sie bestätigten die bestehenden Verhältnisse. Statt produktiver Fragen gäben sie glatte Antworten – pure Pornographie also.
 





Die
äußerst kontroverse Realisierung von Mode, Akt und Portrait ist allerdings von einer pornographischen Bestätigung der bestehenden Verhältnisse, von glatten Antworten, weit entfernt. In den Maßstäben einer kleinrheinischen Krämerseele mindestens so weit, wie der Kölner Dom vom Ehrenhof, dem Ausstellungsort in Düsseldorf. Denn
Newton geht es nicht um oberflächliche Propaganda für den Geschlechterkampf oder schlichte Objektivierung von Frauen. Er hat eine aufgeklärte Stilisierung, die Entnaturalisierung des Augenblicks im Blick. Als Antwort auf die nationalsozialistische Zurück-zur-Natur-Ideologie schätzt Newton alles Unnatürliche. Manche seiner Aktserien sind so sachlich und gleichbeleuchtet inszeniert wie Passbilder. Er sucht hierdurch den künstlerischen Zugang zur menschlichen Identität zu finden. Lebensgroße Fahndungsfotos in der Polizeizentrale zur RAF-Bekämpfung regten ihn einst zu diesen Arrangements an. Dass die Identität eines Menschen nicht nur im Gesicht, sondern auch in seinem Körper liegt, ist zugleich Newtons Antwort auf eine Ideologie, die Menschen als anonymes Körpermaterial zu Abertausenden in den Tod schickte (Ingeborg Harms, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 6. Juli 2003).  





Seine monumentalen Aktaufnahmen, mit denen er seit den 70er Jahren die heftigen feministischen Diskussionen auslöste, vermitteln nicht das Klischee von Sexualobjekten sondern erschließen eine Identität von starken und mächtigen Frauen. Die Ästhetik der „Big Nudes“ zeichnet sich aus durch Ironie und erzählerische Dichte, die den Betrachter nicht bannen, sondern verführen und mit ihm kommunizieren will (Ingeborg Harms).





1987/88 realisierte Newton die umstrittene Bauwelt-Serie von Frauen mit Arbeitsgeräten. Sehr zum Missfallen von Alice Schwarzer, da sein
„Rohmaterial“ auch noch ohne Gage für ihn arbeitete. In der Tat: Zum Lohn erhielten die Modelle zumeist „nur“ ihr von Newton signiertes Foto – oder, wie es Alice Schwarzer sah, „das signierte Abbild ihrer Erniedrigung“ (Alice Schwarzer). Ernster und abwegiger ist in diesem Zusammenhang die Tendenz Schwarzers, sämtliche Abbildungen als Bilder von ermordeten Frauen zu interpretieren. Wohl inspiriert durch die in Düsseldorf nicht gezeigte Serie „True or False“, in der echte, aber verzerrte Tatortfotos mit Newtons Hochglanzinszenierungen kontrastiert werden, stellte Schwarzer ohne Bezug zum Gesamtwerk fest, dass Newton nichts so anmache wie der erkaltete Frauenkörper, die weibliche Leiche (Alice Schwarzer). Aber zuvor müsse sie getötet werden. Und dazu liefere er den Stoff.





In Newtons Bildern
zeugt allerdings nichts vom schmutzigen, sinnlosen Tod (Ingeborg Harms). Vielmehr schärft er den Blick auf starke, gleichwohl aber quicklebendige Frauen, in zum Teil monumentaler Pose – und immer eingebettet in einen vitalen Erzählzusammenhang. Fatale Leidenschaft statt Leichenkult. So war Newton einer der Ersten, die Mode in Außenräumen und trivialen Alltagssituationen präsentierte. Auch gelang es ihm mit den Portraits von Schauspielern, Künstlern und Politikern dieses Thema zu aktualisieren. In Düsseldorf sind neben Anthony Hopkins, Bundeskanzler Schröder und Catherine Deneuve unter anderem auch Portraits von Leni Riefenstahl und Kurt Waldheim zu sehen. Wie kaum ein anderer Fotograf vermag er es, die Grenzen zwischen Akt, Portrait und Mode zu überschreiten und aufzulösen. Provokativ, oft ironisch, aber auch politisch schuf er Körperbilder von großer Intensität. Diese Portraits belegen zudem die Entwicklung Newtons, sich mit wachsendem Alter immer mehr von den jungen, unbeschriebenen und dadurch austauschbaren Modellen abzuwenden und das gelebte Leben in seinen Bildern widerzuspiegeln. Ziel ist die Abbildung echter, authentischer Identität.





Ein Fall für Freud?


Auch ist Newton kein Fall für den Analytiker. Zwar könnte seine Fixiertheit auf „High Heels“, die sich als roter Faden durch sein Werk zieht und in den „X-Rays“ absurd überhöht wird, diesbezüglich als Beleg missgedeutet werden. Da Newton aber gerade nicht bei einer vermeintlichen Obsession stehen bleibt, sondern seine Phantasien veröffentlicht, ist, anstatt psychoanalytische Kategorien zu bemühen, vielmehr seine gesellschaftliche Missio zu betrachten, um sein Werk einordnen und erfassen zu können. Das Phänomen „Newton“ sei ohne die Frauenbewegung nicht denkbar, deutete auch Alice Schweizer diesen Gesellschaftsbezug (Alice Schwarzer). D
ie zahllosen Fotoarrangements, in denen stolze Aktmodelle beanzugte Herren ganz unverschämt mit ihrer physischen Präsenz konfrontieren, sind Manifeste des Liberalismus (Ingeborg Harms). Helmut Newton ist „zoon politikon“ – und kein Fall für Freud.

„Da hilft nur noch ein Gesetz“, mag sich Alice Schwarzer bei soviel liberaler Gesinnung gedacht haben. 1987 lancierte sie mittels EMMA die Kampagne „PorNO“, die ein Anti-Pornographie-Gesetz zum Ziel hatte – und scheiterte. Die bekämpfte Sexualstrafrechtsreform von 1975 sei nicht das Ergebnis von gesellschaftlichen Umwälzungen gewesen. Vielmehr seien Forderungen nach gleichen Rechten mit verstärkten Demütigungen beantwortet worden. In dem EMMA-Artikel aus 1993 veröffentlichte Alice Schwarzer dann eine Analyse von Newtons Bildern und nutzte hierzu 19 Aktfotos ohne Genehmigung, die sie unter anderem mit „rassistisch“ und „faschistisch“ untertitelte. Anstatt des vergeblich erstrebten Parlamentsgesetzes nun also der Versuch, einen „mentalen Keuschheitsgürtel“ zu etablieren. Doch auch dieser Diskreditierungsversuch scheiterte. Newtons Werk erfährt mittlerweile nahezu uneingeschränkte Zustimmung – und dies nicht nur in der „Post-Schwarzer-Generation“. Der Besucherandrang in Düsseldorf ist derart groß, dass die Ausstellung bis Anfang September verlängert wurde. Von Beginn an wurden bereits die Öffnungszeiten der Ausstellung erweitert: Sie kann täglich (außer Montags) bis 22:00 Uhr und Freitags sogar bis 24:00 Uhr besucht werden.





Ob die Tugendschlachten allerdings endgültig geschlagen sind, steht freilich nicht fest.
Gegenwind scheint aus Brüssel zu kommen: So wurden Überlegungen der Kommission bekannt, die Seite-1-Modelle in Tageszeitungen zu verbieten. Ob diese Kampagne wirklich forciert und schließlich auch die Kunst erreichen wird, bleibt abzuwarten. Newton & Co. haben allerdings die Freiheit auf ihrer Seite. Einem staatlichen Verbot fehlt das Mandat. Die strittigen Darstellungen sind gelebte Freiheit von Grundrechtsträgern. Auch aktualisiert sich keine staatliche Schutzpflicht, denn das Abbilden und das Sich-abbilden-lassen geschieht schließlich freiwillig. Und einen Schutz vor sich selbst, gibt es nicht im Recht.


Ein Feminist im Fadenkreuz von Feministinnen?


Helmut Newton selbst beantwortete die Vorwürfe gegen sein Werk stets mit der Feststellung: „Ich bin Feminist“. Ein Feminist im Fadenkreuz von Feministinnen? Da hat er die Rechnung ohne seine Kritiker gemacht: Denn die Vereinnahmung des Feminismus und die Verkehrung der Werte sei gerade ein zentrales Element der modernen Pornographie – so sei es nur interessant, eine starke Frau zu unterwerfen. Dieses Dilemma aufzulösen, ist die Aufgabe der Besucher. Den verbleibenden Monat (bis 7. September 2003) gilt es zu nutzen.



HINWEIS


Zur Ausstellung ist ein Katalog zum Preis von Euro 29,99 erschienen.


ZUR PERSON HELMUT NEWTON


1920
Helmut Newton wird als Sohn eines Knopffabrikanten in Berlin geboren.


1936

Newton beginnt Lehre bei der Fotografin Yva, die später in Auschwitz ermordet wurde.


1938

Newton verläßt Berlin und geht nach Singapur.


1940

Newton geht nach Australien und dient als Soldat in der australischen Armee.


1945

Nach seiner Entlassung als Soldat eröffnet Newton ein Fotostudio in Melbourne.


1948

Newton heiratet die Schauspielerin June Brunell.


1961

Mitarbeiter der französischen Vogue; weitere Auftraggeber (Auswahl): amerikanische/italienische/deutsche Vogue, Nova, Marie Claire und Elle.


Seit 1981

Helmut Newton lebt abwechselnd in Monte Carlo und Los Angeles.


 


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