Conditio
Humana
Die Verteidigung der Geschichte
KOMMENTAR:
JONS
MAREK SCHIEMANN
BILDER:
THEMATRIX.COM / WARNER BROS
Es ist nur zu
verständlich, in diesen schwierigen Zeiten der Massenarbeitslosigkeit, der
Wirtschaftskrise und der Unsicherheit des Staates, in fremde Welten zu
entfliehen. Dort kann sich jeder gegen die Orks wehren und gegen die Matrix
kämpfen, in der wir gefangen sind. Gegen die Rationalisierung durch Maschinen
wehrt sich der Mensch dann aber ausgerechnet wieder mit einer Maschine und
schickt den Terminator zum dritten Mal ins Rennen.
Der Rückgriff auf eine ferne
Zeit, die nicht notwendigerweise als glorreich dargestellt wird, ist für
mich ein Indiz dafür, dass die jetzige Zeit nicht dazu geeignet ist, sich
durch sie unterhalten zu fühlen und
sich darin wohl zu fühlen.
Darin liegt aber auch ein
Problem: Geschichte ist nicht starr, sondern veränderlich. Eine historische
Epoche wird nach den Sichtweisen der jeweiligen Gesellschaftszustände
analysiert und interpretiert. Nicht anders ist das auch im Film. Kurz nach
dem 11. September kamen eine Reihe von Kriegsfilmen in die Kinos, die dem
tief verunsicherte amerikanische Volk etwas mehr Selbstvertrauen bringen
sollten. Seht her! Wir packen das. Wir haben zwar
Verluste, aber letztendlich werden wir
siegen! Krieg und Propaganda sind auch in
Unterhaltungsmedien schon seit jeher miteinander verbunden. |
AUSGABE 35
SCHWERPUNKT AUFBRUCH 2004
STARTSEITE
EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
INTERVIEW MIT HANS
LEYENDECKER
VIRTUELL EXISTIERENDER
SOZIALISMUS
INTERVIEW MIT HOLGER JUNG
EINEN VERSUCH WAR ES WERT
INTERVIEW MIT SEBASTIAN KRÜGER
LASST BARBIE UND KEN IM KARTON!
DIE VERTEIDIGUNG DER GESCHICHTE
VORAN, ZURÜCK?
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Anders liegt es aber in diesem
Kinojahr: nicht die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt, sondern der Einzelne,
der es mit Anstrengungen schafft über sich selbst hinaus zu
wachsen
und für andere zu handeln. Sei es Neo, der neue Erlöser, in seinem Kampf
gegen die Matrix, |
wobei der Sinn und die
Philosophie des ersten Teils schon im zweiten Teil in der Flut der digitalen
Tricks ertrank. Oder Teams wie die Fußballelf im „Wunder von Bern“ und,
ja auch da, in „X-Men 2“. Überhaupt die Comicverfilmungen: der wachsende
Erfolg und die damit verbundene größere Zahl von Comicverfilmungen nach
Jahren des Siechtums ist ein Zeichen für die Sehnsucht des einzelnen, sich
gegen die Widrigkeiten der heutigen Zeit wehren zu können. Von Spiderman,
über Daredevil und den Hulk bis hin zu den Außergewöhnlichen
Gentlemen, kämpfen Individuen nicht nur für die Gemeinschaft, sondern auch
gegen ihre eigenen Unzulänglichkeiten. So weit nichts Neues, aber der Clou
besteht jetzt darin, dass die individuellen Schwierigkeiten nicht beseitigt
werden, sondern der Held lernt, mit ihnen zu leben. Daredevil ist und bleibt
blind, aber er kämpft gegen das Böse.
Und so ist eine Tendenz dieses Kinojahres für mich eine erfreuliche: auch
wenn viele der Erfolgsfilme Fortsetzungen waren, ist für mich ersichtlich,
dass der Fokus darauf liegt, wieder Geschichten zu erzählen und das Publikum
nicht mit digitalen Effekten zu erschlagen. Ich behaupte, dass sich die
Effekte wieder mehr der Geschichte unterordnen und sie unterstützen,
nicht umgekehrt. Damit geraten der Mensch und seine Probleme wieder in den
Vordergrund. Seine Geschichte wird erzählt und auch in einen historischen
Kontext gebettet. Und so kann sich jeder auch in der (doppelten) Geschichte
wieder finden, unterstützt von der Technik.
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