Einen Versuch
war es wert
TEXT:
GRETA
TAUBERT
BILD:
PHOTOCASE
Ein wenig müde sieht er aus.
Zerzauste Haare, dunkle Augenränder,
ausgebeultes T-Shirt und ein Kratzen in der Stimme, dass man nur kurz nach
dem Aufstehen hat. „War wieder eine lange Nacht gestern!“, gesteht Dirk
Stascheit. Er mag lange Nächte, da kommen ihm die besten Ideen. Zum Beispiel
eine eigene Zeitung zu gründen.
Viele Nächte sind vergangen, seit der Student Dirk Stascheit die
Zeitungsidee hatte. Es sollte eine Tageszeitung für Leipzig werden, von
Journalistikstudenten der Universität Leipzig produziert, im Straßenverkauf
vertrieben. Er wollte eine Lokalzeitung mit journalistischem Anspruch
entwickeln, die am Thron des Springer-Blattes „Leipziger Volkszeitung“
rüttelt. Und er schaffte es: mit acht ehrgeizigen Studenten der Journalistik
arbeitete er Tag und Nacht am „Projekt Größenwahn“ (Spiegel
Online). Morgens Themensuche, tagsüber Recherchieren
und Schreiben, abends Redaktionskonferenz, nachts Layout, früh wieder auf
die Straße und die Zeitung verkaufen. Nebenher noch Öffentlichkeitsarbeit
und Mitarbeitersuche, Verteilerausbau und Anzeigengeschäft. Nach zwei Wochen
war es vorbei. „Uns haben einfach die Leute gefehlt“, sagt Stascheit. In
seinen Worten klingt zornige Enttäuschung mit.
"Der Leipziger“ Reloaded
Stascheit hat sich mittlerweile eine Zigarette gedreht und einen Kaffee
aufgesetzt. Er zieht langsam den Rauch ein, überlegt, zuckt die Schultern
und sagt im Ausatmen: „Es war einen Versuch wert.“ Jetzt wisse man, wo die
Knackpunkte liegen, jetzt kann es richtig losgehen.
Das alte Redaktionsteam ließ sich nicht entmutigen, suchte neue Mitstreiter,
plante, diskutierte, organisierte sich neu. Aus der Tageszeitung „Der
Leipziger“ wird ein pdf-Magazin, dass ab Januar alle
zwei Wochen erscheinen wird. Mehr Zeit für Recherche, keine Druckkosten,
mehr Platz für umfangreiche Darstellungsformen wie Reportage und Feature.
Das lockt natürlich auch mehr Schreibwillige an. Stascheit nennt das „eine
breitere Humanressourcenbasis“. Zu der gehören auch einige Dozenten. In
kleinen Hinterzimmern hilft Dr. Harald Rau, dem „Leipziger“ eine
Organisationsstruktur zu geben. Via Internet liest Gerd Roth von der
Deutschen Presseagentur die Texte gegen. „Es ist eine Phase des
strukturellen Wandels“ erklärt Stascheit.
Zeitung mit Erziehungsauftrag
Der Kaffee wirkt, Dirk Stascheit wird sichtlich munterer. Von einem
Symbol für den Aufbruch in den Medien könne man reden. Vor fehlendem
Leserinteresse an seinem Magazin im pdf-Format hat er keine Angst: „Man muss
die Leute nur dahin erziehen“. Das meint auch Hendrik Zörner vom Deutschen
Journalistenverband. Wenn die Themen den Nerv der Leser träfen, könne man
durchaus Marktbedürfnisse kreieren. „Es kommt darauf an, wie phantasievoll
das Produkt ist.“, weiß Zörner „und wie die regionale Medienlandschaft
aussieht.“
Da bleibt Dirk Stascheit Realist. Er dreht sich die nächste Zigarette,
schlägt die Beine lässig übereinander und sagt herausforderndem Lächeln:
„Leipzig braucht den „Leipziger“ nicht wirklich – aber es wäre schön, wenn
sie ihn hätten!“
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AUSGABE 35
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