Wie europäisch ist das deutsche Kino?
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Die Berlinale ist gerade zu Ende
gegangen. In Erinnerung bleiben vor allem die Schlagworte: Sie ist
politischer geworden und die deutschen Filme waren noch nie so stark
vertreten wie in diesem Jahr.
Zwei Feststellungen, die scheinbar aufeinander bezogen sind. Allerdings
sollte man das Eigenverständnis des Festivals von dem der jeweiligen
Filmemacher unterscheiden. Die Festivalleitung und die von ihr eingesetzte
Jury haben sich bemüht, ihrem Anspruch eines politischen Filmfestivals
gerecht zu werden. Damit schafft es die Berlinale unter der Leitung von
Dieter Kosslick nun endgültig, ihr eigenes Profil unter den europäischen
Filmwettbewerben zu schärfen.
So verwundert es auch nicht, dass die Jury zwei der politischen Filme
würdigte: Grbavica von Jasmila Žbanić (Goldener Bär) und The Road to
Guantánamo von Michael Winterbottom (Silberner Bär für die beste Regie).
Obwohl in diesem Jahr starke amerikanische Filme im Wettbewerb zu sehen
waren, wurde keiner von ihnen geehrt. In diesem Jahr wird nur der Blick auf
die USA gewürdigt.
Ausgezeichnet wurden europäische Filme, die verblüffender Weise alle um die
Problembereiche Folter – Vergewaltigung und Erosion des persönliche
Sozialgefüges zentriert sind.
Gerade dieses Spannungsfeld lässt die Frage zu, inwieweit wir uns als
Europäer fühlen, sehen, imaginieren. Vielleicht war hier der Vermerk von
Armin Müller-Stahl, in diesem Jahr Mitglied der Jury des Wettbewerbs zu
Beginn des Wettbewerbs im Bezug auf die Deutschen Filme Richtung weisend. In
Deutschland – so Stahl
– stecken viele Geschichten, also auch viele
Filmgeschichten. Wir Deutschen sollten uns nur trauen, diese auch zu
erzählen. Unsere Geschichten, unverstellt. Nur so, können wir auch in
anderen Ländern verstanden werden.
Grbavica spielt im heutigen Sarajevo und zeigt die heute noch eitrigen
Wunden des Krieges auf dem Balkan. Es ist die Geschichte einer allein
erziehenden Mutter und ihrer Tochter, welche immer drängender nach ihrem
Vater fragt. Dabei spielt der Film auf den verschiedenen Ebenen mit den
tragischen Momenten, die einen Krieg auch lange nach seinem Ende im Leben
der Menschen lebendig halten. Ist am Anfang noch klar auszumachen, wer
Opfer, wer Täter ist, so verschwimmen die klaren Zuschreibungen in Zeiten
des Friedens. Wie viel Wahrheit kann man der Tochter über ihren Vater
zumuten, wie viel verschweigen?
The Road to Guantánamo erzählt die Geschichte
von vier Engländern, die nach Pakistan reisen um dort eine Hochzeit zu
feiern. Aus Abenteuerlust fahren sie zwischendurch ins benachbarte
Afghanistan. Dort werden sie von der Nordallianz festgenommen, den
Amerikanern überstellt und schließlich werden die drei Überlebenden nach
Guantánamo verschleppt. Der Film zeigt anhand der Geschichte dieser über
Jahre gefolterten Männer, die Ohnmacht der USA, die nach dem 11. September
immer noch in einem Ausnahmezustand leben, als Spiegel ihrer eigenen
Brutalität.
Ganz anders die deutschen Filme im Wettbewerb: sie verstehen sich unisono
als aufwühlend, als Filme, die harte Themen anpacken, sich Zeit lassen und
Menschen darstellen wollen. Weder Sandra Hüller (silberner Bär als beste
Darstellerin in Requiem), noch Moritz Bleibtreu (silberner Bär als bester
Darsteller in Elementarteilchen), interpretieren ihre Rollen anders als eine
Person mit ihren spezifischen Problemen. Auch Jürgen Vogel (silberner Bär
für seine künstlerische Leistung in Der freie Wille) versteht seine Rolle
als Versuch des Authentischen.
Das Land oder die Stadt als öder Ort füllt somit die Leerstelle des
zerrissenen Innenlebens der Darsteller und wird deren filmischer Ausdruck.
Hierbei fungiert Natur lediglich als Darstellung eines trügerischen Idylls,
dem schon der modrige Geruch des Verfalls anhaftet. Es wäre zu viel gesagt,
wenn man hierhin den Verfall der nationalen Bindung erkennen wollte. Jedoch
liegt gerade in der Rückbesinnung auf den spezifischen Ort der Handlung eine
Symbolik, die das Regionale transzendiert. Die Selbstfindung der Person
zumeist in ihrer Auflösung gezeigt, wird somit zur Metapher einer
Veränderung, die noch darüber wegtäuschen möchte, dass ihre Utopie der
Heimat genau die Wunde schlägt, die sie mit ihren universellen
Heilsversprechen beheben möchte. Diesen Widerspruch zu thematisieren, darin
liegt verblüffender Weise die Verbindungslinie der deutschen
Wettbewerbesfilme.
Der einzige deutsche Beitrag im Wettbewerb der keine Auszeichnung erringen
konnte, liest ich wie das Programm von Armin Müller-Stahl: eine Landschaft
wird zum Spiegel der Protagonisten, die Umgebung prägt die Erzählung. Gerade
die Haftung an den Ort, der als klein und beschaulich beschrieben wird,
lässt ihr inneres Double entstehen: die „Sehnsucht“. Vielleicht kam dieser
ausschließlich mit Laiendarstellern besetzte Film von Valeska Grisebach
dieser Wahrheit zu nahe, als das er mit einem Bären ausgezeichnet werden
konnte.
Wollte der deutsche Film noch vor wenigen Jahren als Komödie lediglich in
seiner Banalität ernst genommen werden und darüber hinaus keine Aussagen
treffen, so zeigt sein Insistieren auf das Kleine, die Person, den Ort die
Vorbereitung auf etwas Anderes. Die Varianten des neurotischen und
pathologischen, die nun ihre Ehrungen fanden, weisen auf eine Entwicklung,
deren Richtung nicht klar abzusehen ist. Anscheinend beschäftigt sich der
deutsche Film insofern ernsthaft mit Europa, als er es lediglich an seinen
Rändern und niemals frontal thematisiert. Damit werden die von Armin
Müller-Stahl eingeforderten deutschen Geschichten aus ihrem Erzählen heraus
zu europäischen.
Die Freiheit eines politisch wichtigen Festivals wird vom deutschen Film
langsam ausgelotet, wir dürfen auf die filmischen Erzählungen der nächsten
Jahre gespannt sein.
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AUSGABE 47
WER IST EUROPA?
STARTSEITE
EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
LOBEND ERWÄHNT: NEUE
GEGENWART
BAUSTELLENBESUCH ZU BABEL
ES WERDE EUROPA
NEGATIV IST POSITIV
WIE
EUROPÄISCH IST DAS DEUTSCHE KINO?
DIE JUNGE UNION
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DIE EU IN ZAHLEN
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