Sind Werbeverbote Denkverbote?
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Jens O. Brelle Bild:
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Werbeverbot-Gegner laufen
Sturm gegen die EU-Richtlinie zum
Tabakwerbeverbot. Die Tabakindustrie sieht einen schweren
Verfassungskonflikt. Sie sieht die Berufsfreiheit, die Presse- und
Meinungsfreiheit beeinträchtig. Die Bundesregierung klagt vor dem
Europäischen Gerichtshof gegen die Richtlinie.
Mit hehren Zielen ging die EU an die weitere Liberalisierung des
EU-Binnenmarktes: Weitere Förderung des Binnenmarkts durch das
Tabakwerbeverbot, und zwar durch Beseitigung möglicher Störungen des
Binnenmarktes wegen unterschiedlicher Regelungen in den Mitgliedstaaten. Die
mit der Richtlinie verfolgte Harmonisierung fördere zudem den
grenzüberschreitenden freien Waren- und Dienstleistungsverkehr und diene
damit der Vollendung des Binnenmarkts.
Doch bei vielen Mitgliedstaaten stößt die EU auf Widerstand, vor allem in
der Bundesrepublik Deutschland. Denn trotz Inkrafttreten im Jahre 2003 und
Ablauf der Umsetzungsfrist am 31. Juli 2005 hat die Bundesregierung die
Richtlinie nicht in deutsches Recht umgesetzt. Bislang gibt es lediglich
einen Entwurf eines nationalen Umsetzungsgesetzes. Die EU-Richtlinie zum
Tabakwerbeverbot liegt zur Zeit beim Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Wie gefährlich ist eine Litfasssäule mit Tabakwerbung? fragt sich
British-American Tobacco (B.A.T.), Germany, die Marken
wie HB,
Lucky Stricke, Benson und Hedges oder Gauloises
vertreiben, in einer Werbeanzeige.
Doch
nicht nur die Tabakindustrie, vor allem die Zeitungsverleger kritisieren
Entscheidung des EU-Parlaments zum Tabakwerbeverbot. Die Entscheidung sei
ein Schlag gegen die Pressevielfalt und gegen die Kommunikationsfreiheit in
Europa, erklärte ein Sprecher eines großen deutschen
Zeitungsverlegerverbands. Wer sich für Werbeverbote einsetze, entziehe der
Presse ihr wirtschaftliches Fundament: "Werbeverbote sind Denkverbote".
Entsprechende Regulierung stelle einen Eingriff in die
Meinungsäußerungsfreiheit dar. Die Entscheidung der EU sei zugleich auch
eine Entmündigung des Bürgers.
Die Vorstellung vom mündigen Bürger und
Verbraucher verkomme zur Farce. Es sei nicht
nachvollziehbar, dass legal hergestellte und legal verkaufte Produkte nicht
beworben werden dürften. Wer Werbung für legal hergestellte Produkte
verbietet, übt Zensur, entmündigt den Bürger, entzieht den Medien ihre
wirtschaftliche Grundlage und vernichtet europaweit Hunderttausende von
Arbeitsplätzen, so die Kritik an den EU-Plänen. "Ideologisch verblendet",
"fadenscheinig und vorgeschoben".
Kritisiert wird vor allem, dass es den Befürwortern von Werbeverboten
innerhalb der EU keineswegs nur um Tabakwerbung gehe. Auch Werbung für
Autos, Kinderspielzeug, Süßigkeiten, frei verkäufliche Medikamente und Fast
Food seien bereits im Visier der Gegner der Werbefreiheit. Der Schutz,
insbesondere von Kindern und Jugendlichen, vor Tabak, Alkohol und anderen
Genussmitteln sei zwar von zentraler Bedeutung. Der EU fehle jedoch die
Kompetenz, hier regelnd einzugreifen. Dies sei vielmehr Aufgabe der
einzelnen Mitgliedsstaaten. Auch habe die Europäische Kommission für
Menschenrechte die Werbefreiheit unter den Schutz von Artikel 10 der
Europäischen Menschenrechtskonvention gestellt.
In Deutschland ist deshalb Tabakwerbung im Rahmen der geltenden gesetzlichen
Vorgaben (TV-Werbung ist zum Beispiel bereits seit Jahren verboten) derzeit noch
zulässig. Die (noch) nicht geltenden Regelungen der EU-Richtlinie über
Tabakwerbung dagegen untersagen die Tabakwerbung in Presseerzeugnissen, im
Hörfunk und im Internet. Ferner das Sponsoring von Veranstaltungen oder
Aktivitäten mit grenzüberschreitender Wirkung durch Tabakhersteller (zum
Beispiel
Formel 1-Rennen).
Die Bundesregierung wendet sich mit ihrer Klage gegen das Werbeverbot in
Printmedien, im Hörfunk und im Internet (nicht gegen das Sponsoring-Verbot,
weil das Sponsoring von Formel 1-Rennen
beispielsweise tatsächlich
grenzüberschreitende Wirkung besitzt). Im Erfolgsfalle wird die Richtlinie
über Tabakwerbung dann für nichtig erklärt. Ihre Regelungen wären nicht in
nationales Recht umzusetzen. Ein klagestattgebendes Urteil würde aber nicht
automatisch die nationalen Werbeverbote beseitigen, die in anderen
EU-Staaten in Umsetzung der Richtlinie bereits in Kraft getreten sind. Im
Falle des Unterliegens wären die Verbotsregelungen der Richtlinie jedoch
auch in Deutschland in nationales Recht umzusetzen.
In Luxemburg hat die deutsche
Klage jedoch eher schlechte Karten. Denn im Oktober 2000 hat sich der EuGH
schon einmal mit einem EU-Tabakwerbeverbot beschäftigt. Damals kippte er
zwar ein umfassendes Werbeverbot
–
weil im ersten Anlauf auch Kinowerbung und Plakattafeln miterfasst waren und
damit keine Grenzen überschritten
werden.
Werbeverbote in Zeitschriften und Radio sowie beim Sponsoring hielten die
EU-Richter aber ausdrücklich für möglich. Entscheidend wird sein, ob der
EuGH dies inzwischen anders sieht.
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AUSGABE 47
WER IST EUROPA?
STARTSEITE
EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
LOBEND ERWÄHNT: NEUE
GEGENWART
BAUSTELLENBESUCH ZU BABEL
ES WERDE EUROPA
NEGATIV IST POSITIV
WIE
EUROPÄISCH IST DAS DEUTSCHE KINO?
DIE JUNGE UNION
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SIND WERBEVERBOTE
DENKVERBOTE?
DIE EU IN ZAHLEN
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