„Es
geht nicht so weiter, es ist eine
Beleidigung, eine Entstellung, eine Entleiblichung
was die Bilder mit uns machen...“
Peter Handke / DIE ZEIT
1.
Wenn unsere Wahrnehmung visuelle Reize nicht auswählen würde, wären wir vom
unablässig auf uns einwirkenden Strom der Bilder überfordert.
Das heißt, der visuelle Mechanismus unserer Wahrnehmung arbeitet selektiv,
er bevorzugt bestimmte Reize vor anderen Reizen; und dieses geschieht in
Permanenz. Der Blick initiiert, so muss es wohl sein, vorab eine vom
Bewusstsein unabhängige Bewertung der uns umgebenden Wirklichkeit.
Es verwundert daher nicht, dass die funktionellen Prozesse des
Selektionsverhaltens unserer Wahrnehmung das Grundmuster für die
Begehrlichkeiten einer Industrie liefern, die nichts sehnlicher erstrebt,
als diese Gesetze zu kennen und zu beherrschen. Sie setzt alles daran sie
nachzuahmen und herzustellen, sie hypothetisch zu imitieren. Ihre Jagd nach
Reizimitaten, die eine Wahrnehmungsattraktion simulieren, ist
unerschöpflich.
Hier hat alle Medienkybernetik ihren Ursprung.
Der Wunsch, ‘richtige’ Reize, die dem Selektionsdruck der Wahrnehmung
standhalten können, künstlich zu erzeugen, hat die ausgeklügelten
Techniken medialer Kommunikation hervorgebracht und perfektioniert .
Ihr
industrieller Charakter widerspiegelt aber auch, woran dieser grundsätzlich
gebunden ist: An den Glauben, dass die Beeinflussung des Menschen mit Hilfe
der ästhetischen Modulation seiner Sinne Vorteil , Macht und ein profitables
Geschäft verspricht.
Dabei mag die Aussicht auf Profit der Anlass sein. Noch bedeutender aber
ist, worauf heute alle kommunikative Instrumentalität hinausläuft - auf das
Design der Wahrnehmung selbst. Es liegt in der sensualistischen Natur der
Sache, die Wahrnehmungsregeln durch Gewöhnung so zu verändern, dass sie
sich auf manipulierte Reizmuster einlassen und sich deren visuelle
Rhetorik angleichen. Ein solcher Affirmationsprozess verspricht langfristig
einen noch größeren Gewinn, einen, der den Warencharakter unserer
Wirklichkeit verabsolutiert.
2.
Der bisher mühsam betriebene Versuch, durch immer raffiniertere ästhetische
Strategien von Außen ins Innere zu gelangen, ist aber für ein, auf
industrielle Ganzheitlichkeit ausgerichtetes „Kommunikations-Design“
letztlich nicht befriedigend.
Er könnte
–
darauf gehen alle wissenschaftlich-optimierten Strategien hin
–
bald von einer effizienteren Methode abgelöst werden; von einem alle Grenzen
überschreitenden, endogenen Design, welches sich des Inneren des Menschen
bemächtigt
(1).
Der umständliche Weg der externen Beeinflussung wäre damit obsolet. Die
Unberechenbarkeiten beim Selektionsverhalten unserer Wahrnehmung
–
z.B. bei komplex und kapitalintensiv erarbeiteten
Aufmerksamkeitsstrategien
–
verlören mit dem von innen designten sensorischen System ihren merkantilen
Schrecken.
Aber die Permanenz des Blicks und die sensualistische Natur unserer
Wahrnehmung haben uns auch ohne diese Visionen längst zu reizabhängigen
Rezeptoren gemacht. Neben der Fähigkeit wahrer Empfindungen prädestinieren
sie uns auch für mediale Verletzungen. In der Dialektik der Sinne ist so
etwas wie unser kommunikatives Schicksal verborgen; das Schicksal ewiger
Ambivalenz unseres Gefühlshaushalts. Erkenntnis und Obskurantismus liegen
hier dicht beieinander. Sie zu unterscheiden
–
wenn dieses denn möglich ist
–
wird die zentrale Herausforderung der kybernetischen Moderne des Dritten
Jahrtausends sein.
3.
Es wird klar, wie fragil der Umgang mit Bildern sich gestaltet. Nur die
geringste gewollte, oder ungewollte Leichtsinnigkeit im Umgang mit ihnen,
kann irreversible Folgen haben. Etwas, was im Arsenal nicht nur
industrieller, sondern auch ideologischer Strategien mittlerweile einen
distributiven Vorsatz hat
(2).
Die Folgen archetypischer Bilderfahrungen, die sich zeit- und raumlos in
unser Unterbewusstsein einbrennen, sprechen eine virulente Sprache. Sie
gewinnen in unserem Unterbewusstsein mehr Realität, als alle reale Realität
je für sich beanspruchen könnte. Gezielt für den säkularen Bereich des
medialen Alltags aktiviert, steigen sie wieder auf und entfalten ihre Macht
über Denken und Handeln
(3).
Die Industrialisierung des Blicks
–
ein ungestümer Prozess der sich heute mit der Optimierung seiner medialen
Werkzeuge exponentiell beschleunigt –
macht dieses Lust- und Gefahrenpotential deutlich.
Natürlich geht die Begierde synchron mit unserem Hedonismus; der Mensch ist
nicht einfach nur Opfer einer fremden Macht, er ist vielmehr Gegenstand
seiner eigenen Pleonexie. Das er dabei Schaden nimmt, will ihm solange nicht
einleuchten, wie er die sinnliche Erfahrung lustvoller Befriedigung
–
mag sie noch so anspruchslos und gefährlich sein
–
als etwas ‘Bestätigendes’ oder „Sensationelles“
–
also auch als etwas Unterhaltsames
– erlebt
(4).
Die libidinöse Inversion von ‘Bild’ und ‘Sinnlichkeit’ zeigt sich als eine
strukturelle Verquickung physikalisch gegebener Tatsachen und ästhetischer
Phänomene.
Der semiotisch komplementäre Bau von Welt und Bild, von Natur und Mensch
bewirkt eine Gleichschaltung von Physis und Phänomen. Sie ermöglicht eine
Veröffentlichung des Intimen und eine Intimisierung des Öffentlichen. Die
dadurch betriebene Aufhebung der Objekt-Subjekt-Grenzen suggeriert eine Art
Unmittelbarkeit, die der Wahrnehmung den Schein sinnlicher Authentizität
verleiht. Alles wird zum ‘Bild’, zur Zielabsicht des Blicks. Das Bild
ersetzt das Wirkliche.
Die Wirklichkeit ist dem Bild unterlegen, weil das Bild seine beweglichen
Teile verfügbar und
–
für Absichten aller Art
–
in der Schwebe halten kann.
Der Soziologe und Philosoph Niklas Luhmann unterscheidet zwischen Form und
Medium. Ein Medium besteht seiner Theorie zufolge in der losen Kopplung
zwischen Elementen, die keinerlei Widerstand gegen von außen auferlegte
Formen leisten. Die Formen dagegen erlegen den Elementen des Mediums rigide
Kopplungen auf, die wahrgenommen werden. (...) Warum also nicht die ganze
Wirklichkeit als Medium betrachten?
Das eine solche These nicht abwegig ist, hat einen gleichsam
psychophysischen Grund.
Raum, Zeit, Licht, Form, Farbe, Stoff und Bewegung
–
die identischen und permutativ miteinander verknüpften Koordinaten von
Welt und Wahrnehmung, oszillieren zwischen der physikalischen Faktizität
und der ästhetischen Phänomenologie ihrer Erscheinungsweisen, d. h., je nach
Blickrichtung unserer Wahrnehmung wechseln diese ihre Präsenz und die
Präferenz ihrer Wirkkräfte
–
und bleiben dennoch stets ein Ganzes, dass uns selbst einschließt. Welt- und
Bildbau changieren
–
als 3. katalysierendes Element
–
im energetischen Zugriff des Blicks, der so seine vektoriellen Energien
ausbildet. Dabei sind es unsere visuellen Sinne, die das energetische
Potenzial für die Verknüpfungmöglichkeiten der Zeichen bereitstellt ,damit
aus der abstrakt-ästhetischen Konfiguration ein Bild werden kann.
Das bedeutet nichts weniger, als das Bild und Subjekt, nicht wie angenommen,
in zwei voneinander unabhängige Entitäten auseinander fallen, so als könnten
wir mittels vernünftiger Urteilskraft zwischen ‘richtigen’ und ‘falschen’
Bildern und damit zwischen verschiedenen Formen des Wirklichen wählen.
Vielmehr verbindet die Wahrnehmung sie als Summe äußerer und innerer
Äquivalenz.
Wir verstehen sogleich, dass die Permanenz des Blicks, seine, die
Wirklichkeit antizipierende Natur, sich gegen ästhetische Reize nicht wehren
kann, selbst wenn wir es wollten.
In kalter Berechnung dieser Aporie machen wir aus Kommunikation eine Art
Rhetorik. In der Folge dieser, auf Persuasion ausgerichteten Absicht,
rüstet sich
–
massenmedial ökonomisiert
–
das technozide Denken und seine Industrien. (Und hier ist der Begriff
„rüsten“ angebracht, denn der strategische Effekt der Bilder ist längst auch
Mittel von kriegerischen Auseinandersetzungen). Der Perfektionismus ihrer
Technologien, die Erweiterung ihres Wissens, bündeln sich zu Angriffsmächten
auf die (noch) ambivalente Natur unserer Sinne.
‘Ästhetik’ als Methode des nützlichen Scheins, wird dadurch zum
Schlüsselwort medialer Sozialität. Sie entscheidet über die Modulation
unseres Wirklichkeits- und Selbstverständnisses. Um diese letztlich
widerspruchsfrei modulieren zu können, muss Wahrnehmung selbst, als
Konsequenz solchen Denkens verändert werden.
4.
Es wartet das große Geschäft. Die Instrumente dafür sind gerichtet und was
wir bereits heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, das ein Jahrhundert der
medialen Kybernetik sein wird, auf diesem Feld erleben, ist nur der Auftakt
einer Entwicklung, die auf keine ihrer Möglichkeiten verzichten wird.
Vor dem Hintergrund einer solch profitablen Zukunft ergibt sich eine
–
vielleicht die letzte
–
selbstbestimmte Frage. Sie richtet sich auf die Glaubwürdigkeit der
industriealisierten Reize, auf deren Wahrheitsgehalt, auf deren sittliche
Statur.
Bereits Teil einer solchen Wahrheit ist, dass unsere Fragen in Wirklichkeit
weniger auf die kybernetischen Strategien, als von diesen zurück auf das
Individuum selbst verweisen, um es in seinem Kommunikationsverhalten zu
prüfen. Sie thematisieren die Gefährdung und die damit verbundene
Verantwortung, z. B. bei der fortschreitenden Veröffentlichung des Intimen.
Denn die Veröffentlichung des Intimen geht einher mit dem Ende des Subjekts.
Und mit diesem Ende wäre auch jeder personale Lebensentwurf zu Ende, er
wäre dem ‘Design’ von Lebens- und Empfindungswelten geopfert.
Mit der ungewollten Preisgabe des Inneren durch die rezeptionelle Natur des
‘offenen Blicks’, machen wir uns verletzlich. Wir bezahlen quasi die
Teilhabe an wahrer Empfindung mit der Beschädigung durch
Rücksichtslosigkeiten des kommerziellen (oder ideologischen) Kalküls, dass
sich die Emotionen unterwerfen will.
Hier finden wir die Ursprungs-Differenz von Wirklichkeit und Wahrnehmung,
die Kenntnis und Wissen nötig macht, um die Sinneseindrücke nach ihrer
Glaubwürdigkeit (oder sittlichen Verantwortung) hin zu bewerten. Fehlt diese
Aneignungs- Kompetenz, sind Tür und Tor geöffnet für den instrumentellen
Zugriff auf das verletzlichste, das dem Menschen wesenhaft ist: Die Seele.
(s. Elisabeth Links hervorragenden Essay: „Ethik des Ästhetischen“,
Benteli Verlag).
Platon hat die Seele als Ort der Ideen entdeckt, hat hier die Urbilder
angesiedelt die sich in der säkularen Welt als Imitate, als nur ‘schöner
Schein’ reproduzieren. Wahrheit ist nicht in den Imitaten, so seine
Botschaft, sondern nur in der Idee selbst. Das auch er letztlich dazu
beigetragen hat, die Sinne zu säkularisieren und das Säkulare zu
mystifizieren, wusste schon sein Nachfolger Aristoteles. Er sah die Dinge
„moderner“ , ohne freilich den platonischen Blick aus unserem Ausdrucks- und
Wahrnehmungs-instrumentarium verbannt zu haben.
So gilt es, den Blick episthemisch mit den Ideen zu synchronisieren und sie
von den merkantilen oder ideologischen Imitaten zu unterscheiden. Hier
entsteht die Arbeit an der Bewusstheit des Blicks und der Wahrheit des
Bildes.
Nur Kunst arbeitet in dieser Weise noch an vorderster Front.
Im Zeitalter technologischer Medialität geht es
–
wenn es überhaupt noch um etwas gehen soll
–
um nichts mehr, als um die Frage nach der „Glaubwürdigkeit“ der Bilder, um
ihren wertsetzenden Anspruch und die Frage, wie ein solcher Anspruch
überhaupt noch eingelöst werden kann. Um etwas anderes wird es nicht mehr
gehen, wenn wir denn den Prozess medialer Totalisierung nicht widerstandslos
ertragen wollen... |
Der Autor
Bild:
© Erika Froehli
Prof.
Heiner H. Hoier
Studium an der Hochschule für Künste/Bremen.
Mitarbeit an verschiedenen Zeitschriften (u. a. Stern, Die Zeit,
Konkret, TransAtlantik, Pardon...) und Fernsehanstalten (Radio Bremen, ZDF,
ARD, NDR) Prof. a. D. Hochschule Niederrhein, Krefeld und der
Hochschule f. angew. Wissenschaften, München. Lebt und arbeitet als Maler /
Schreiber / Zeichner in Zürich und Hamburg.
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