Die Blogosphäre ist ein eigener Informationskosmos. Schnell wächst die Anzahl von Weblogs auf der ganzen Welt.
Der Zugang zur Öffentlichkeit erfolgt nicht mehr ausschließlich
über die klassischen Medien, sondern steht jedem zur Verfügung, der sich ein
Blog einrichten kann. Doch Aufmerksamkeit ist damit noch lange nicht
gegeben. In den USA haben führende Blogger einen deutlich größeren Einfluss
auf die öffentliche Kommunikation, als dies in Deutschland der Fall ist. Dort
liegt der Ursprung von
Weblogs, und dort sind einige
wenige Weblogs zu einem gewichtigen, konkurrierenden Alternativmedium für
die traditionelle Medienberichterstattung avanciert. Sie werden als A-Lister
oder A-List Blogs bezeichnet.
Ursprünglich ist der Begriff „A-List“ durch
den Journalisten James Ulmer geprägt worden. Mit einer selbst entwickelten Methode
war es ihm möglich, Schauspieler nach einem einhundert Punkte umfassenden
Kriterien-System zu quantifizieren. Diese Einordnung von Hollywoodgrößen
erlaubte Filmproduzenten eine bessere Finanzplanung für ihre anstehenden
Projekte. In der A-List geführte Schauspieler gelten nämlich als die
Schauspieler mit den höchsten Gagen, was bei einer anstehenden Produktion zu
berücksichtigen gilt. Der exklusivste Kreis wird sogar unter der A-Plus- List
geführt. Dabei handelt es sich jedoch um eine sehr geringe Anzahl von
Schauspielern, die genau beziffert werden kann. Bezogen auf die Blogosphäre gibt es kein solches ausführliches
Kriterien-System, welches Weblogs als A-Lister kategorisiert. Die Benennung
basiert ausschließlich auf ihren Verlinkungsstrukturen. A-Lister verbuchen
eine sehr große Anzahl von Linkverweisen anderer Weblogs auf ihren
Webseiten. Eine genaue Anzahl von A-Listern ist schwer zu
bestimmen. Der
Grund dafür sind zahlreiche Plattformen, die mit unterschiedlichen
Bewertungs-Algorithmen verschiedene Rankings erstellen. Außerdem gibt es
keine Festlegungen, ab welcher Verlinkungshäufigkeit ein Weblog als A-Lister
betitelt werden kann.
Die wohl bekanntesten Blograting-Plattformen sind
Technorati,
Blogpulse und
The Truth Laid Bear.
Technorati, als größte Plattform, verfolgt Ende November 2006 den
Informationsfluss von circa 60 Millionen Weblogs. Zur gleichen Zeit
identifiziert Blogpulse auf seiner Plattform rund 37 Millionen Weblogs. Am
22. November 2006 haben sich dort binnen 24 Stunden 40.738 neue Weblogs
registriert. Dagegen wirken die die rund 58.000 Weblogs, die von der Blograting-Plattform The Truth Laid Bear
ausgewertet werden, wie ein Tropfen
auf dem heißen Stein. Das "Truth"-Ranking der Plattform gilt in Bloggerkreisen allerdings als wichtig und prestigeträchtig,
denn die publizierten Inhalte
der dort geführten A-Lister sind größtenteils politisch motiviert. Sie
beziehen sich hauptsächlich auf Geschehnisse amerikanischer Politik. Daneben
betrachten sie ansatzweise das weltpolitische Geschehen. Andere Themen
werden eher am Rande behandelt.
Der Informationsprozess der meisten A-Lister
wird innerhalb anderer Rahmenbedingungen gestaltet, als
dies bei traditionellen
Medien mit professionellem Redaktionsapparat geschieht. Dieser Zustand bedeutet
jedoch nicht, dass sich innerhalb von A-Listern keine klassischen
redaktionellen Strukturen entwickeln können oder sich
bereits vereinzelt entwickelt haben. Die Vitalität der A-Lister
ist enorm: grundlegende Veränderungen kommen nicht selten
über Nacht. Alle A-Lister operieren mittlerweile in Verbänden von
Informationsangeboten, die als expandierende Online-Medienunternehmen betrachtet werden können.
In einem diesbezüglich besonders
fortgeschrittenen Entwicklungsstadium befinden sich zum
Beispiel
Talking Points Memo
von
Joshua Micah Marshall,
Hot Air von
Michelle Malkin
oder
Power Line von
John Hinderaker,
Scott Johnson und
Paul Mirengoff.
Es hat einige Zeit gedauert, bis Medien Weblogs in ihre
Online-Informationsangebote integriert haben. Eines der erfolgreichsten
Weblogs diesbezüglich ist
The Daily Dish von
Andrew Sullivan.
Das Weblog wird vom renommierten
Time Magazine
veröffentlicht. Weitere sind
The Blotter von
Brian Ross auf
ABC News oder
The Corner auf
National Review Online.
Die schleppende Integration von Weblog-Formaten in
klassische journalistische Angebote ist nicht ausschließlich auf die Neuheit der
Medienform zurückzuführen. Hier spielt ein weiterer Faktor eine Rolle: Es
gibt bis zum heutigen Tag keine allgemein anerkannten Blog-Standards, die
dem Informationsprozess bei Weblogs Regeln auferlegen und
Qualität messbar machen. Dieser Zustand bedroht,
besonders aus traditionell journalistischer Sicht, das ethische
Grundsatzverhalten des Informationsprozesses allgemein. An dem sind
mittlerweile
–
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vorausgesetzt
– nicht nur ausgebildete Journalisten beteiligt, sondern
theoretisch jeder Mensch, der ein Weblog unterhält. Für diese neuartige Form
von Journalismus hat der Blogger
Dan Gillmor den
Begriff „Grassroots Journalism“ in seinem Buch „We
the Media“ geprägt. Seiner Ansicht nach
bildet die Form von Journalismus ein Gegengewicht gegenüber dem Monopol der
großen Medienkonzerne. Die Rezipienten werden durch die heutigen technischen
Möglichkeiten zu aktiven Teilnehmern am Informationsprozess.
Die besondere Begeisterung der Amerikaner für Weblogs spiegelt sich in der
Pew Internet & American Life Project Studie „Bloggers.
A portrait of the Internet’s new storytellers”
vom Juli 2006 wider: Insgesamt unterhalten zwölf
Millionen volljährige Amerikaner (acht Prozent der amerikanischen Internetnutzer) ein Weblog. Die Anzahl der
Leser von Weblogs ist noch signifikant höher. Aus der Studie geht hervor,
dass 57 Millionen volljährige Amerikaner (39 Prozent der amerikanischen
Internetnutzer) Inhalte von Weblogs lesen. Die amerikanische Blogosphäre
breitet sich aus. Eine Stagnation des Wachstums ist nicht in
Sicht.
Noch intensiver entwickelt sich das
globale Wachstum der Blogosphäre.
Asien als Boomregion ist auch hier eine relevante Größe.
Die Modernisierung der
Infrastruktur erlaubt immer mehr Menschen den Zugriff auf das World Wide
Web. Sind erst einmal die Rahmenbedingungen geschaffen, ist eine Ausdehnung
der Blogosphäre nur noch eine Frage der Zeit. Etwaige Entwicklungen bleiben
nicht unbeobachtet in der „alten“ Blogosphäre. Seit September dieses Jahres
hat die Blograting-Plattform
Blogstreet ihren Fokus auf die indische
Blogosphäre ausgerichtet. Bisherige Rankings mit hauptsächlich
amerikanischen Weblogs wurden gelöscht. Seit dem Relaunch dürfen nur noch
Weblogs aus Indien bei Blogstreet registriert sein. Dies bedeutet aber
keinesfalls eine Schwächung der amerikanischen Blogosphäre. Sie wird
weiterhin eine Vorreiterrolle in der zukünftigen Entwicklung einnehmen.
In der Wissenschaft sowie innerhalb der Blogosphäre
werden für Weblogs, denen aufgrund ihrer besonders hohen Quantität an
eingehenden Links eine elitäre und zentrale Stellung eingeräumt wird, die
Begriffe A-Lister, Power Blog oder Elite Blog verwendet. Drezner und Farrell
(2004) verwenden den Begriff Elite Blog ebenso wie Schiffer (2005), während
Shirky (2003) und Herring et al. (2005) in identischem
Zusammenhang von A-List Blogs (A-Lister) sprechen. Ferner nennen Fraas und
Barczok (2005) unter Bezug auf bisherige Kenntnisse den Begriff A-List
Blog und Power Blog im selben Zusammenhang. Hier wird deutlich, dass
trennscharfe Zuordnungen fehlen, so dass mehrere Begriffe in ein und
demselben Bedeutungszusammenhang verwendet werden.
Genauso mangelt es an einer Strukturierung der Blogosphäre. Das haben
sekundäranalytische Erkenntnisse ebenfalls offengelegt. Das
im Folgenden
vorgeschlagene Vier-Ebenen-Modell kann auf verschiedenen Ebenen für eine
vorläufige Strukturierung sorgen: Es regelt eine allgemein anerkannte
Festlegung von Merkmalen, die Weblogs als Medienform kategorisieren.
Außerdem können durch eine Strukturierung verschiedene Bereiche definiert
werden, die wiederum unterschiedliche Weblogarten (Political Blogs, Tech
Blogs, Watch Blogs, Pundit Blogs, Online Diaries etc.) einordnen. Eine
sinnvolle Strukturierung kann zusätzlich eine hierarchische und qualitative
Einordnung vornehmen. Qualitative Unterscheidungen sollten insbesondere bei
der Gruppe der A-Lister vorgenommen werden. Sie sind mittlerweile in den
massenmedialen Informationsprozess involviert und tragen eine hohe
Verantwortung gegenüber ihren Rezipienten. Eine Differenzierung kann durch
die Operationalisierung ethischer Blog-Standards vorgenommen werden.
Schließlich ermöglicht die Strukturierung eine Unterscheidung von Weblogs
aufgrund ihrer Professionalität. Auf der Ebene wird verschiedenen Weblogarten ein organisatorischer Wirkungsbereich eingeräumt.
Das Vier-Ebenen-Modell des Verfassers, das hier als PDF-Download zur
Verfügung steht, kann in jeglicher Hinsicht einer Weiterentwicklung und
Ausdifferenzierung unterzogen werden. Es ist unter der
Creative Commons-Lizenz
Namensnennung-NichtKommerziell 2.0 Deutschland.lizenziert.
Vier-Ebenen-Modell
(Download als PDF)
Framework (Blogosphere)
Die Kategorie Weblogs via Definition als Dachgerüst
(Framework) des Modells lehnt sich im Grundsatz an das
Differenzierungsmodell von Ó Baioll (2004) an. Eine Definition von Weblogs
ist die Grundlage für die Identifikation von Weblogs allgemein. Sie umfasst
alle Arten von Weblogs. Dabei werden keine Weblogarten (in der Literatur
auch als Webloggenres oder -kategorien bezeichnet) unterschieden. Eine
allgemeine Definition hat ausschließlich die Aufgabe, die Medienform Weblog
als solche zu identifizieren und gleichzeitig von anderen Medienformen
abzugrenzen. Das Modell plädiert für eine allgemeine Definition, die sich
nur auf das Format mit seinen technischen Eigenschaften beschränkt. Oder wie
Hourihan (2002) ausdrückt, die Organisationsstruktur zu beschreiben und
inhaltliche Komponenten auszublenden. Auf diese Weise könnte der Medienform
Weblog eine allgemein anerkannte Einheitlichkeit verliehen werden –
realisierbar ist dieser Vorgang wohl nur sehr schwer.
Erste Ebene: Spheres
Die Ebene Spheres unterteilt Weblogs noch nicht nach hierarchischen
Kriterien. Sie schlägt vor, Weblogarten in vorerst drei verschiedene
Kategorien zu unterteilen. Dabei werden explorativ folgende drei Kategorien
als Kriterien eingeführt:
-
inhaltlicher Wirkungsbereich (Weblogs via
Sphere of Action),
-
strategische Funktionsweisen (Weblogs via
Strategic Functionality) von Weblogs sowie
-
persönliche
Tagebuchfunktion
(Weblogs via Online Personal Narrative Publishing „OPNP“).
Unter „funktionalem Wirkungsbereich“ sind Themengebiete wie Politik, Sport,
Kultur, Gesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft, Musik, Technik, Krieg,
Terror, Kunst et cetera einzuordnen. „Strategische Funktionsweise“ beinhaltet
Investigation, Überwachung, Ideologie, Bildung, Nachrichtenauswahl, Filtern
und so weiter. Die Kategorie „persönliche Tagebuchfunktion“ berührt Weblogs, die sich
persönlichen Beschreibungen von Tagesabläufen, Gefühlszuständen und
subjektiven Meinungsäußerungen, meistens aus dem nahen Umfeld des Bloggers,
widmen. Sicherlich ist als Kritik an der Ebene zu nennen, dass es zwischen
den Kategorien Schnittstellen gibt, die eine eindeutige Zuordnung von
Weblogarten nicht zulassen. Diese Schwachstellen könnten durch festgelegte,
allgemein anerkannte Merkmale der Kategorien behoben werden.
Zweite Ebene: Hierarchy
Die zweite Ebene Hierarchy hat erstmals die Aufgabe, Weblogs in
hierarchische Strukturen einzugliedern. Die Kategorie wird als Weblogs
via Linking bezeichnet, weil zum jetzigen Zeitpunkt eine hierarchische
Einteilung der Weblogs aufgrund von quantitativen Verlinkungsstrukturen
vollzogen wird. Drei Subkategorien zeigen auf, welche unterschiedlichen
Bemessungs-grundlagen für eine hierarchische Einordnung von Weblogs innerhalb
der Blogosphäre zugrunde liegen. Jede Kategorie umfasst danach eine Blograting-Plattform, die nach eigenen Kriterien Blogratings erstellt. Auf
dieser Ebene des Modells sind bisher alle A-Lister angesiedelt. Sie
definieren sich über ihre Verlinkungsstrukturen. Diese hierarchische
Einteilung gilt bis heute als die ultimative Einteilung. Das Modell fordert
jedoch in einem weiteren Schritt, zeitgemäß und der fortschreitenden
Entwicklung der Blogosphäre angemessen, eine zusätzliche Differenzierung.
A-Lister und auch andere Weblogs sollten nicht nur nach quantitativen
sondern auch nach qualitativen Maßstäben evaluiert werden können. Eine
qualitative Unterscheidung wird deswegen auf der folgenden Ebene angestrebt.
Dritte Ebene: Ethics
Die dritte Ebene Ethics hat die Aufgabe, A-Lister (und Weblogs
allgemein) auf die Einhaltung von ethischen Blog-Standards zu überprüfen.
Die daraus erzielten Ergebnisse rechtfertigen eine weitere Differenzierung.
Rückblickend auf die originäre A-List von James Ulmer wäre hier das
Kriterien-System anzusiedeln, um qualitative Maßstäbe bei Weblogs zu
definieren und eine A-Plus-Liste zu erstellen. Die Weblogart, die diesen
Kriterien standhält, ist dann als Elite Blog zu bezeichnen. Auf der Ebene
kann jedes Weblog auf Einhaltung von ethischen Standards überprüft werden.
Vornehmlich hat die Ebene die Aufgabe, A-Lister mit erheblichem,
massenmedialem Einfluss qualitativ zu differenzieren.
Die Schwierigkeit der angestrebten Vorgehensweise liegt in der
Operationalisierung ethischer Blog Standards, die eine Differenzierung
ermöglichen sollen. Ein weiteres Problem ist die fehlende allgemeine
Anerkennung bisheriger Standards innerhalb der Blogosphäre. Die Kategorie
ist als Weblogs via Ethics zu bezeichnen, weil sich die
Kriterien auf ethische Blog Standards (u.a. Blood 2002, Dube 2003, Kuhn 2005)
beziehen, die für die Blogger unverbindlich festgelegt worden sind. Im
Modell sind vorläufig drei Subkategorien als Bemessungsgrundlagen bestimmt
worden. Ihre Operationalisierung ist allerdings noch nicht ausgereift.
Außerdem gilt hier die Aufforderung, den Katalog an Subkategorien zu
erweitern, vielmehr der schwierigen Aufgabe einer Operationalisierung von
ethischen Blog Standards weiter nachzukommen.
Vierte Ebene: Organization
Die vierte Ebene Organization ist ein weiterentwickelter Abschnitt eines
Strukturierungsmodells nach Ó Baioll (2004). Weblogs werden nach der Art
ihrer Organisation eingeordnet. Dabei können Weblogs in ihrer Funktionsweise
entweder als Hobby oder Freizeitbeschäftigung, als Einkommensquelle oder als
professionelles Medium geführt werden. In diesem Zusammenhang ist ein Weblog
als professionelles Medium zu betrachten, wenn es von traditionellen Medien
für die Informationsverbreitung adoptiert wird. Die Ebene verdeutlicht,
welche Positionierung Elite Weblogs auf Basis eines organisatorischen
Wirkungsbereichs eingeräumt werden kann. |
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Literatur
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