Natürlich denkt man bei dem Namen Valentin – wenn überhaupt an etwas – auf keinen Fall an Medientheorie.
Karl Valentin, das ist: München, vielleicht
ein Komiker, sicher ein
Schauspieler, eventuell ein Regisseur,
gar ein Schriftsteller? Immerhin –
hier zeigt sich schon eine
Fülle von Aktivitäten, ein
mediales Crossover. Der Mann ist uns fast nicht mehr präsent, er ist verschwunden hinter
fragwürdigen Kategorisierungen und dennoch – oder gerade deshalb – führt der
Name immer noch sein Eigenleben im gesellschaftlichen Gedächtnis.
Anscheinend gibt es da etwas, das sich weigert, diesen Mann gänzlich
zu vergessen.
Stutzig machen kann den staunenden Zaungast zumindest die Frage,
weshalb Karl Valentin von bekannten Literatur- und Filmkritikern nicht nur
bewundert, sondern zum Teil auch kopiert wurde. Aber auch damit ist noch
kein Wort dazu gefallen, weshalb man sich Karl Valentin als einen der
frühesten Medientheoretiker vorzustellen hat. Denn gemeinhin schließen sich
die handelnde und die reflektierende Zunft in ihrer jeweiligen Praxis
wechselseitig aus.
Auch wenn Valentin ein Skeptiker gegenüber allen
technischen Innovationen war und sich gerne und oft die gute alte Zeit
zurückwünschte, so war er auf Grund seiner technischen Mediennutzung ein
moderner Medienkünstler. Seinen ersten Film drehte Valentin noch vor Charlie
Chaplin und als er 1929 seinen letzten Stummfilm fertig
stellte, konnte er auf
insgesamt 40 Kurzfilmrollen zurückblicken.
In seinen eigenen Filmen thematisierte Valentin nicht nur seine Umwelt,
sondern gleichfalls das Medium Film und seine besondern thematischen
Ausrichtungen. Der Filmtheoretiker Thomas Brandlmeier weist auf den
reflektierten Umgang Valentins mit Genreklischees hin, welche er meisterhaft
zu parodieren verstand.
Mustergültig unternimmt Valentin dies schon in seinem ersten Spielfilm
„Hochzeit“ von 1912. Hier bringt er zum Beispiel den Plot der Filme seiner Zeit,
die
die Ehe mit Gefängnis gleichsetzen, überspitzt auf einen Nenner und zeigt,
wie der Gatte von seiner Frau buchstäblich zu Tode gequetscht wird. Auf
formaler Ebene überführt der Film das Medium des Theaters auf die Leinwand.
Die Szene spielt auf einer Bühne, die ihrerseits in der freien Natur steht
und so ihrerseits Rückschlüsse auf den Inhalt zulässt.
Vieles in Valentins Aufzeichnungen weist darauf hin, dass er seine
erfolgreichen Bühnenauftritte mit Hilfe des Medium Films in der Zeit
zwischen 1909 und 1915 konservieren wollte. Allerdings sind diese Filme
verschwunden. Die Idee, als Künstler seine eigenen
Arbeiten nicht nur von einem flüchtigen Medium (die Bühne)
auf ein speicherfähiges Medium (das Zelluloid) zu übertragen, lässt, wenn
schon nicht an einen Theoretiker, so doch
zumindest an einen Medienpraktiker mit einer archivarischen Ader denken.
Diese Annahme wird noch durch den Umstand bestärkt, dass Valentin nicht nur
Fotografien archivierte, sondern aus ihnen durch seine spezifische
Interpretation Kunstwerke schuf. So weisen seine Colorierungs- und
Montagetechniken nicht nur ein Photo-Shop Verfahren avant le lettre auf,
sondern verweisen auf den Umstand der inhärenten Interpretation des Mediums
Fotografie.
Valentin beschäftigt sich auch mit dem Telefon,
einem neuen Medium seiner
Zeit. Hierbei entwickelt er – in dieser Hinsicht McLuhans Annahme von der
Massage, die das Medium ausübt sehr nahe – in „Telefon-Schmerzen“ die
Möglichkeiten fehlgeleiteter Kommunikation mittels dieses Mediums. Im „Schnellzeichner“ nimmt Valentin den Zoom-Effekt vorweg und überträgt das
Bild – als eigentlichen Inhalt – in das neue Medium des Films. Jahrzehnte
vor der Entwicklung der DVD träumt er zusammen mit Liesl Karlstadt in „Das
Heimkino“ von einer Bildschallplatte als Trägermedium.
Dass die Praxis ihre eigene Theorie hervorbringe und der Theorie eine eigene
Praxis innewohne ist ein Leitsatz, der auf Valentins Werk gemünzt scheint.
Denn seine Reflexionen zu Medien vermittelt er stets wieder künstlerisch.
Hierbei erkannte er nicht nur die aufkommende Konkurrenz zwischen den Medien, sondern machte sie zu seinem zentralen Thema. Die Parodie dient ihm
dabei oft als Mittel, um etwas im Verschwinden Befindliches zeigen zu
können.
Dass
er hierbei sein eigenes Verschwinden inhaltlich vorwegnahm und konservierte,
lag sicherlich nicht in der Absicht des Regisseurs. Nachdem mehrere seiner Filme von der NS-Zensur
verboten worden waren, trat
Valentin 1940 aus der „Reichsfachschaft Film“
aus und konnte daraufhin seine Kinoträume lediglich auf Manuskriptpapier
verwirklichen. Der nun arbeitslose Valentin hoffte, in der Nachkriegszeit
wieder Fuß zu fassen. Allerdings wurde er auch nach 1945
ausgegrenzt.
Dem Medienpraktiker Valentin ist nun eine Ausstellung im Düsseldorfer
Filmmuseum gewidmet: „Karl Valentin – Filmpionier und Medienhandwerker“.
Die Ausstellung entfernt sich bewusst von der biographisch fundierten
Annäherung an Valentin als regional geprägter Volkssänger und
Bühnenkomiker. Im Zentrum steht der komplexe Medienbezug seines Werks. Karl
Valentins groteske Bühnen-, Film- und Sprachwelt, sein experimentelles,
komisches Spiel mit Medieneffekten wird in über 200 Exponaten, in Bildern,
Original-Handschriften, Typoskripten, Briefen, Zeichnungen Fotos, Plakaten,
Lichtbildern, Schallplatten und Filmen präsentiert.
Die von Klaus Gronenborn und Matthias Knop konzipierte und realisierte
Ausstellung zu Karl Valentins 125. Geburtstag greift umfassend auf Karl
Valentins Nachlass, der seit über fünfzig Jahren in der
Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln beheimatet ist,
zurück.
Der Leiter der Sammlung, Prof. Elmar Buck, freut sich, nun den Nachlass
Valentins erstmals in einem solchen Umfang und zugleich thematisch gebündelt
einer großen Öffentlichkeit zu präsentieren. „Vielleicht ist dies auch die
Initialzündung, um endlich die Aufarbeitung des umfangreichen
Valentin-Nachlasses in Zusammenhang mit den übrigen Beständen des Künstlers
befördern zu können.“ Dafür seien aber
Spenden in Höhe von ca. 50.000 Euro nötig, so Buck.
Hier also treffen sie endgültig zusammen, die Theorie
der Praxis und die Praxis der Theorie. Gerade aus Sicht eines
Medienjournalisten lässt sich hier eine Menge Neues aus dem Alten, das dem
Verschwinden entrissen wurde, entdecken.
Valentin starb 1948 an den Folgen einer Lungenentzündung. Gleichwohl
war er sich wohl darüber im Klaren,
dass es für ihn im Kino ein Weiterleben geben würde, allerdings nach
Kriegsende nicht im Diesseits, wie er selber formulierte:
Dass ein Mensch, der bereits
das Diesseits verlassen hat, nicht nur im Jenseits, sondern auch im
Diesseits und nicht nur seelisch, sondern genau wie er gelebt hat,
weiterlebt, habe ich erst im Kino in einem älteren Film gesehen, in welchem
ein vor Jahren verstorbener Filmschauspieler seine Rolle heute noch spielt.
Es gibt also in unserer Gegenwart zwei Weiterleben nach dem Tode: eines im
Jenseits und eines im Kino.“
Valentin, der Meister des Weiterlebens im Verschwinden, lädt uns nun ein,
ihn neu zu entdecken. Als Medienpraktiker, als Filmpionier, als
Schriftsteller und erstmals auch als Medientheoretiker. |
Weitere Informationen
Die Ausstellung „Filmpionier und
Medienhandwerker“ im Düssel-dorfer
Filmmuseum ist zu sehen in der Zeit vom 27.01. 2007 bis 22.04.2007.
Am 27.
Februar 2007 wird erstmals eine Kassette mit sämtlichen Werken Valentins (neun
Bände) bei Piper erscheinen. Neben den Monologen, Stücken und Szenen ist
auch eine vollständige Ausgabe seiner Briefe und Filmprojekte enthalten. Die
Kassette mit den gebundenen Ausgaben kostet 69.90 Euro.
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