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Verschwinden als Form des Weiterlebens

Karl Valentin (1882-1948) als Medientheoretiker
 
Text: Nikolai Wojtko     Bild: Stock.xchng®  

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Natürlich denkt man bei dem Namen Valentin – wenn überhaupt an etwas – auf keinen Fall an Medientheorie. Karl Valentin, das ist: München, vielleicht ein Komiker, sicher ein Schauspieler, eventuell ein Regisseur, gar ein Schriftsteller? Immerhin – hier zeigt sich schon eine Fülle von Aktivitäten, ein mediales Crossover. Der Mann ist uns fast nicht mehr präsent, er ist verschwunden hinter fragwürdigen Kategorisierungen und dennoch – oder gerade deshalb – führt der Name immer noch sein Eigenleben im gesellschaftlichen Gedächtnis. Anscheinend gibt es da etwas, das sich weigert, diesen Mann gänzlich zu vergessen.

Stutzig machen kann den staunenden Zaungast zumindest die Frage, weshalb Karl Valentin von bekannten Literatur- und Filmkritikern nicht nur bewundert, sondern zum Teil auch kopiert wurde. Aber auch damit ist noch kein Wort dazu gefallen, weshalb man sich Karl Valentin als einen der frühesten Medientheoretiker vorzustellen hat. Denn gemeinhin schließen sich die handelnde und die reflektierende Zunft in ihrer jeweiligen Praxis wechselseitig aus.

Auch wenn Valentin ein Skeptiker gegenüber allen technischen Innovationen war und sich gerne und oft die gute alte Zeit zurückwünschte, so war er auf Grund seiner technischen Mediennutzung ein moderner Medienkünstler. Seinen ersten Film drehte Valentin noch vor Charlie Chaplin und als er 1929 seinen letzten Stummfilm fertig stellte, konnte er auf insgesamt 40 Kurzfilmrollen zurückblicken.

In seinen eigenen Filmen thematisierte Valentin nicht nur seine Umwelt, sondern gleichfalls das Medium Film und seine besondern thematischen Ausrichtungen. Der Filmtheoretiker Thomas Brandlmeier weist auf den reflektierten Umgang Valentins mit Genreklischees hin, welche er meisterhaft zu parodieren verstand.

Mustergültig unternimmt Valentin dies schon in seinem ersten Spielfilm „Hochzeit“ von 1912. Hier bringt er zum Beispiel den Plot der Filme seiner Zeit, die die Ehe mit Gefängnis gleichsetzen, überspitzt auf einen Nenner und zeigt, wie der Gatte von seiner Frau buchstäblich zu Tode gequetscht wird. Auf formaler Ebene überführt der Film das Medium des Theaters auf die Leinwand. Die Szene spielt auf einer Bühne, die ihrerseits in der freien Natur steht und so ihrerseits Rückschlüsse auf den Inhalt zulässt.

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ieles in Valentins Aufzeichnungen weist darauf hin, dass er seine erfolgreichen Bühnenauftritte mit Hilfe des Medium Films in der Zeit zwischen 1909 und 1915 konservieren wollte. Allerdings sind diese Filme verschwunden. Die Idee, als Künstler seine eigenen Arbeiten nicht nur von einem flüchtigen Medium (die Bühne) auf ein speicherfähiges Medium (das Zelluloid) zu übertragen, lässt, wenn schon nicht an einen Theoretiker, so doch zumindest an einen Medienpraktiker mit einer archivarischen Ader denken. Diese Annahme wird noch durch den Umstand bestärkt, dass Valentin nicht nur Fotografien archivierte, sondern aus ihnen durch seine spezifische Interpretation Kunstwerke schuf. So weisen seine Colorierungs- und Montagetechniken nicht nur ein Photo-Shop Verfahren avant le lettre auf, sondern verweisen auf den Umstand der inhärenten Interpretation des Mediums Fotografie.

Valentin beschäftigt sich auch mit dem Telefon, einem neuen Medium seiner Zeit. Hierbei entwickelt er – in dieser Hinsicht McLuhans Annahme von der Massage, die das Medium ausübt sehr nahe – in „Telefon-Schmerzen“ die Möglichkeiten fehlgeleiteter Kommunikation mittels dieses Mediums. Im „Schnellzeichner“ nimmt Valentin den Zoom-Effekt vorweg und überträgt das Bild – als eigentlichen Inhalt – in das neue Medium des Films. Jahrzehnte vor der Entwicklung der DVD träumt er zusammen mit Liesl Karlstadt in „Das Heimkino“ von einer Bildschallplatte als Trägermedium. 

Dass die Praxis ihre eigene Theorie hervorbringe und der Theorie eine eigene Praxis innewohne ist ein Leitsatz, der auf Valentins Werk gemünzt scheint. Denn seine Reflexionen zu Medien vermittelt er stets wieder künstlerisch. Hierbei erkannte er nicht nur die aufkommende Konkurrenz zwischen den Medien, sondern machte sie zu seinem zentralen Thema. Die Parodie dient ihm dabei oft als Mittel, um etwas im Verschwinden Befindliches zeigen zu können.

Dass er hierbei sein eigenes Verschwinden inhaltlich vorwegnahm und konservierte, lag sicherlich nicht in der Absicht des Regisseurs. Nachdem mehrere seiner Filme von der NS-Zensur verboten worden waren, trat Valentin 1940 aus der „Reichsfachschaft Film“ aus und konnte daraufhin seine Kinoträume lediglich auf Manuskriptpapier verwirklichen. Der nun arbeitslose Valentin hoffte, in der Nachkriegszeit wieder Fuß zu fassen. Allerdings wurde er auch nach 1945 ausgegrenzt.

Dem Medienpraktiker Valentin ist nun eine Ausstellung im Düsseldorfer Filmmuseum gewidmet: „Karl Valentin – Filmpionier und Medienhandwerker“.  Die Ausstellung entfernt sich bewusst von der biographisch fundierten Annäherung  an Valentin als regional geprägter Volkssänger und Bühnenkomiker. Im Zentrum steht der komplexe Medienbezug seines Werks. Karl Valentins groteske Bühnen-, Film- und Sprachwelt, sein experimentelles, komisches Spiel mit Medieneffekten wird in über 200 Exponaten, in Bildern, Original-Handschriften, Typoskripten, Briefen, Zeichnungen Fotos, Plakaten, Lichtbildern, Schallplatten und Filmen präsentiert.

Die  von Klaus Gronenborn und Matthias Knop konzipierte und realisierte Ausstellung zu Karl Valentins 125. Geburtstag greift umfassend auf Karl Valentins Nachlass, der seit über fünfzig Jahren in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln beheimatet ist, zurück.

Der Leiter der Sammlung, Prof. Elmar Buck, freut sich, nun den Nachlass Valentins erstmals in einem solchen Umfang und zugleich thematisch gebündelt einer großen Öffentlichkeit zu präsentieren. „Vielleicht ist dies auch die Initialzündung, um endlich die Aufarbeitung des umfangreichen Valentin-Nachlasses in Zusammenhang mit den übrigen Beständen des Künstlers befördern zu können.“ Dafür seien aber Spenden in Höhe von ca. 50.000 Euro nötig, so Buck.

Hier also treffen sie endgültig zusammen, die Theorie der Praxis und die Praxis der Theorie. Gerade aus Sicht eines Medienjournalisten lässt sich hier eine Menge Neues aus dem Alten, das dem Verschwinden entrissen wurde, entdecken.

Valentin starb 1948 an den Folgen einer Lungenentzündung. Gleichwohl war er sich wohl darüber im Klaren, dass es für ihn im Kino ein Weiterleben geben würde, allerdings nach Kriegsende nicht im Diesseits, wie er selber formulierte: Dass ein Mensch, der bereits das Diesseits verlassen hat, nicht nur im Jenseits, sondern auch im Diesseits und nicht nur seelisch, sondern genau wie er gelebt hat, weiterlebt, habe ich erst im Kino in einem älteren Film gesehen, in welchem ein vor Jahren verstorbener Filmschauspieler seine Rolle heute noch spielt. Es gibt also in unserer Gegenwart zwei Weiterleben nach dem Tode: eines im Jenseits und eines im Kino.“

Valentin, der Meister des Weiterlebens im Verschwinden, lädt uns nun ein, ihn neu zu entdecken. Als Medienpraktiker, als Filmpionier, als Schriftsteller und erstmals auch als Medientheoretiker.

Weitere Informationen


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ie Ausstellung „Filmpionier und Medienhandwerker“ im Düssel-dorfer Filmmuseum  ist zu sehen in der Zeit vom 27.01. 2007 bis 22.04.2007.

 Am 27. Februar 2007 wird erstmals eine Kassette mit sämtlichen Werken Valentins (neun Bände) bei Piper erscheinen. Neben den Monologen, Stücken und Szenen ist auch eine vollständige Ausgabe seiner Briefe und Filmprojekte enthalten. Die Kassette mit den gebundenen Ausgaben kostet 69.90 Euro.