„Die
Pressefreiheit endet, wo die Selbstzerstörung beginnt": Neue Technologien
und zunehmender ökonomischer Druck gefährden den Journalismus. Um seine
Qualität und Unabhängigkeit zu sichern, setzt sich das „Netzwerk Recherche“
für dieses Leitbild ein. Ist das realistisch?
Die Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“
versteht sich als „Lobby für den in Deutschland vernachlässigten
investigativen Journalismus“ und Interessensvertreter „jener Kollegen, die
oft gegen Widerstände in Verlagen und Sendern intensive Recherche
durchsetzen wollen“.
„Netzwerk Recherche“ hat im Februar 2006 einen zehn
Punkte umfassenden
„Medienkodex“ vorgelegt, der Journalisten aller Medien Orientierung in der
beruflichen Praxis geben soll. Um Qualität und Unabhängigkeit des
Journalismus zu sichern, setzt sich das Netzwerk für ein Leitbild ein, das
anspruchsvolle Qualitäts-Standards und Selbstverpflichtungen der
Journalisten fordert.
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Journalisten
berichten unabhängig, sorgfältig, umfassend und wahrhaftig. Sie achten die
Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte.
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Journalisten
recherchieren, gewichten und veröffentlichen nach dem Grundsatz „Sicherheit
vor Schnelligkeit“.
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Journalisten
garantieren uneingeschränkten Informantenschutz als Voraussetzung für eine
seriöse Berichterstattung.
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Journalisten
garantieren handwerklich saubere und ausführliche Recherche aller zur
Verfügung stehenden Quellen.
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Journalisten machen
keine PR.
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Journalisten
verzichten auf jegliche Vorteilsnahme und Vergünstigung.
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Journalisten
unterscheiden erkennbar zwischen Fakten und Meinungen.
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Journalisten
verpflichten sich zur sorgfältigen Kontrolle ihrer Arbeit und, wenn nötig,
umgehend zur Korrektur.
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Journalisten
ermöglichen und nutzen Fortbildung zur Qualitätsverbesserung ihrer Arbeit.
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Journalisten
erwarten bei der Umsetzung dieses Leitbildes die Unterstützung der in den
Medienunternehmen Verantwortlichen. Wichtige Funktionen haben dabei
Redaktions- und Beschwerdeausschüsse sowie Ombudsstellen und eine kritische
Medienberichterstattung.
Das „Netzwerk Recherche“
versteht den Medienkodex auch als Impuls für selbstkritische Diskussionen in
den Redaktionen und als Anregung zur beruflichen Reflexion.
Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Der Deutsche Presserat
hält den Medienkodex für praxisfern: Während der Pressekodex die gesammelte
Erfahrung aus einer kontinuierlichen Beschwerdearbeit des Presserats
darstelle, orientieren sich die Regeln des Medienkodex nach Ansicht des
Presserats eher an einem – unrealistischen – Idealzustand.
So sei es zwar ohne Frage wichtig, Werbung vom redaktionellen Teil streng zu
trennen, sagte die Sprecherin des Deutschen Presserates, Ilka Desgranges.
Die Forderung "Journalisten machen keine PR" gehe aber an den
Arbeitsbedingungen vor allem vieler junger Kolleginnen und Kollegen vorbei.
"Fasst man die Regel so eng, kommt das einem Berufsverbot für freie
Journalisten sehr nahe." Im Kodex des Deutschen Presserates dagegen ist die
Trennung von Redaktion und PR geregelt. Nach Ziffer 7 des Pressekodex haben
sich Verleger und Journalisten verpflichtet, dass redaktionelle
Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter
oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und
Journalisten beeinflusst werden. Und zu seinem 50jährigen
Bestehen hat der Presserat jetzt eine überarbeitete Fassung der
journalistischen Leitlinien präsentiert, in der ie Notwendigkeit der
Trennung von redaktionellem Teil und Werbung präzisiert wird.
Dem entgegnet Thomas Leif, Vorsitzender des Netzwerks Recherche,
im Medienmagazin „Insight“: „Wir wollen eine
Rückkehr zur Normalität, das heißt eine strikte Trennung von zwei
Berufswelten. Journalismus und PR haben verschiedene Aufgaben und
Anforderungen. An dieses Selbstverständlichkeit und weitere wichtige
Standards wollen wir mit dem Medienkodex erinnern. Es wäre sinnvoll, wenn
sich der Presserat mit diesem Verständnis von medialer Realität öffentlich –
und nicht hinter verschlossenen Türen –auseinandersetzen würde. Wir
plädieren für klar getrennte, aber selbstverständlich legitime Berufswelten.
PR-Mitarbeiter und Pressesprecher haben grundlegend andere Aufgaben als
Journalisten. Das muss wieder klar werden und darf nicht als Idealismus
diffamiert werden.“
Karin Wenk von der Gewerkschaft Ver.di nimmt jedoch die Kritik auf, die sich vor allem gegen
die „Arroganz der Netzwerker“ richtet. Realitätsverlust wird vermutet, da
die neuen „Kodexierer“ Regeln aufgestellt haben, die alltagsfern und in
ihrer Reinheit kaum durchsetzbar sind: „Die lancierte Initiative hat nicht
nur den faden Beigeschmack des Sich-selbst-zur-Schaustellens, sondern auch
der Ignoranz gegenüber der Masse der BerufskollegInnen,
den
Journalistengewerkschaften und Selbstkontrollgremien der Branche.“ (aus: ver.di-Kolumne „Einzeln oder vernetzt“? v. 25.03.2006).
Das sich diese schon seit Jahrzehnten mit ethischen Standards beschäftigen,
sei die Aussage in der Präambel des Medienkodex, dass es für Journalisten
eines Leitbildes bedarf weder neu noch originell. Karin Wenk: „Nun kommen die Netzwerker und sagen: „Journalisten
machen keine PR“. Ein Satz, den engagierte KollegInnen im Tiefsten ihres
Innern sicher gut heißen! Aber die Realität ist eine andere: Selbst
gestandene Journalisten machen nicht nur Journalismus, sondern auch PR, um
ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Nur: Sie trennen sauber, oder versuchen
es zumindest! Da provozieren die apodiktisch formulierten zehn
Netzwerk-Regeln eher genau so überzogene Gegen-Thesen wie die des
inzwischen im Printformat eingestellten Medienmagazins
V.i.S.d.P: „Journalisten machen pausenlos PR“. Fakt ist: der Druck der
werbenden Wirtschaft und von Profitmaximierern auf Redaktionen wächst, in
Zeitungs-Monopolkreisen oder bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt’s sogar
steigenden Politik-Druck – von ambitionierten Tendenzverlegern mal ganz
abgesehen. Eine oft unterschätzte Gefahr ist auch die emotionale Nähe von
Fachjournalisten zu Entscheidern in ihrer Branche: Einerseits sind
zuverlässige Kontakte und Quellen notwendig, andererseits erwächst aus
Einsichten und Achtung ein menschlich verständliches, aber trotzdem
professionell zu unterdrückendes „emotionales Bestechungspotenzial“.“
Das alles thematisiere Netzwerk Recherche in seinem Medienkodex ebenso wenig
wie die Ursachen dafür, dass viele freie Journalisten allein von
journalistischer Arbeit kaum überleben könnten.
Nach praktikablen Lösungsvorschlägen, wie dieser Trend zu stoppen und
umzukehren sei, suche man vergeblich. Andere Kritiker werfen die „Kodexierern“
fehlende Realitätsnähe aus dem Blickwinkel sicherer beruflicher Positionen
des öffentlichen Rundfunks vor: Thomas Leif, geb. 1959, promovierter
Politikwissenschaftler, ist Chefreporter Fernsehen beim SWR in Mainz.
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