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Medienkritik muss faktenorientiert sein  
Text: Nicole Kuhn, Leipzig     Bild: epd Bild/Norbert Neetz  

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Schleichwerbung in der Seifenoper „Marienhof“ und anderen öffentlich-rechtlichen Serien – Volker Lilienthal, verantwortlicher Redakteur von epd-Medien, dem Fachdienst des Evangelischen Pressedienstes, deckte den Schleichwerbeskandal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf. Neue Gegenwart sprach mit Lilienthal und epd-Chefredakteur Thomas Schiller darüber, was Medienjournalismus leisten kann, über den möglichen Einfluss der evangelischen Kirche auf ihre Berichterstattung und ob Medienjournalisten tatsächlich ein doppelt so dickes Fell haben müssen wie ihre Kollegen.

Neue Gegenwart: Herr Dr. Schiller, wie evangelisch ist der Evangelische Pressedienst?

Thomas Schiller: Der Evangelische Pressedienst behandelt Themen, die für die Kirche wichtig sind. Das heißt, wir bieten kein volles Themenportfolio wie die großen Nachrichtenagenturen dpa oder ddp, sondern wir haben einen Schwerpunktbereich. Dieser umfasst die engen kirchlichen Themen wie Kirche und Religion, Ethik und Glaubensfragen, schließt aber auch Entwicklungspolitik, Dritte Welt oder Soziales mit ein. Hinzu kommen traditionell die Felder Medien, Kultur und Film. Innerhalb dieses Spektrums, in dem ja auch viele andere kirchliche Initiativen, Dienste und Werke aktiv sind, arbeiten wir als unabhängige Redaktion.

Neue Gegenwart: „Der epd ist der Garant für die kirchliche Relevanz in der sakulären Medienwelt“ ist auf der Homepage des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik zu lesen. Wenn sie mit dem Argument konfrontiert werden, mit ihrem hohen Anteil kirchlicher Themen Öffentlichkeitsarbeit für diese Institution zu leisten, was entgegnen Sie?

Thomas Schiller: Wir machen keine Öffentlichkeitsarbeit für die evangelische Kirche, sondern wir gehen unabhängig journalistisch an Themen ran. Wir beschäftigen uns mit kirchlichen Themen natürlich intensiver als andere, aber wir haben kein Mandat für die evangelische Kirche zu sprechen oder Positionen der evangelischen Kirche zu vertreten.

Neue Gegenwart: Medienjournalismus ist ein weiter Begriff. Was verstehen sie und ihre Kollegen bei epd-Medien darunter?

Volker Lilienthal: Wir verstehen Medienjournalismus als Fachinformation. Unsere Leser sind hauptsächlich Entscheidungsträger, von der Ebene der verantwortlichen Redakteure über die Programmdirektoren bis hin zu den Intendanten und ähnlichen Positionen in Presseverlagen und in der Medienpolitik. Diesen Leuten müssen wir brauchbare Informationen in möglichst exklusiver Art an die Hand geben, damit sie gute Entscheidungen in ihrer alltäglichen Arbeit treffen. Wir schreiben im Schwerpunkt über die Fernsehbranche, haben aber in den letzten Jahren auch unsere Presseberichterstattung und unsere Internetberichterstattung wesentlich ausgeweitet. Denn diese Themenfelder sind ebenfalls wichtig. Zudem liefern wir aus dem von mir geleiteten Team „Medien und Kultur“ heraus regelmäßig aktuelle Berichterstattung für die Agentur. Das heißt mit unseren Medieninhalten spielen wir damit - wenn die Tageszeitungen uns nachdrucken – auch vor einem größeren Publikum.

Neue Gegenwart: Der Fachdienst epd-Medien wurde mit dem Anspruch gegründet, sich in besonderer Weise in die gesellschaftliche Diskussion über die Funktion eines wichtigen Massenmediums einzumischen, damals vor allem die des Rundfunks. Wie sehr kann die Einmischung heute noch gelingen?

Lilienthal: Das ist heute umso wichtiger. Es gab damals in Bielefeld-Bethel Kollegen, die sich aus einer kirchlichen Verantwortung heraus für die neuen Massenmedien interessiert haben. Am Anfang gab es Fernsehkritiken, die zum Beispiel das Weihnachtsprogramm sehr stark durch die kirchliche Brille betrachtet haben. Sie kritisierten, wie man der christlichen Familie ein so unterirdisches Programm am Heiligen Abend anbieten könne. Diese Einstellungen haben über die Jahre einer mehr professionellen Betrachtungsweise der Medien Platz gemacht. Das heißt aber nicht, dass wir die Wertorientierung der Kirche aus den Augen verloren haben. Bei Debatten wie zum Beispiel „Zu viel Sex oder Gewalt im Fernsehen“ waren wir als epd-Medien immer an vorderster Front und haben gegen diese Fehlentwicklungen Position bezogen. Beim Thema Schleichwerbung im Fernsehen haben wir uns auch sehr engagiert. Das sind Beispiele, wo wir heute tatsächlich eingreifen und den Medienprozess zumindest ein bisschen mitzusteuern versuchen.

Neue Gegenwart: Würden sie sagen, dass es einen Qualitätsverfall im deutschen Journalismus gibt? Wenn es den gibt, sind sie der Ansicht, dass Medienjournalismus dem entgegensteuern kann?

Lilienthal: Ich würde nicht pauschal von einem Qualitätsverfall im deutschen Journalismus sprechen. Eher ist es so, dass in den letzten 20 Jahren die Ausbildung von Journalisten erheblich professionalisiert wurde, mit dem Ergebnis, dass wir heute teilweise besseren Journalismus haben. Es gibt aber auch gegenläufige Prozesse in den Medien, eine gewisse Sensations- und Boulevard-Orientierung. Diese entsteht durch die starke Publikumsverpflichtung der Medien und aus ihrem Zwang, sich zu refinanzieren. Darin sind die Ursachen für die Negativentwicklungen zu sehen, die teilweise gute journalistische Konzepte überformen oder verfälschen. In diesen Fällen muss Medienkritik sich korrigierend zu Wort melden. Ich glaube, dass man diesbezüglich immer noch ein bisschen mehr tun kann. Wir müssen noch viel mehr über die verborgenen Realprozesse in den Medien wissen. Das ist eine Anforderung an Recherche. Was wir dann aber wirklich ausrichten können, das sollten wir nicht überschätzen. Wir können aber die Diskussion in den Medien und unter Journalisten lebendig halten und immer wieder neues Argumentationsfutter liefern, damit es eine gute, selbstreflexive Diskussion der Branche bleibt. So einen Extremfall wie bei „Marienhof“, bei der man eine extreme Fehlentwicklung durch profunde journalistische Enthüllung sofort abstellen konnte, gibt es eher selten.

Neue Gegenwart: Sie sehen es also bei epd-Medien als eine Ihrer Aufgaben an, moralischen Journalismus zu betreiben? Dies würde ja auch zum Selbstverständnis ihres Trägers, der evangelischen Kirche, passen.

Lilienthal: Moral spielt bei unserer Arbeit schon eine Rolle, auch Moral, die aus christlicher Orientierung kommt, aber das allein genügt nicht. Wir brauchen Fakten. Mit bloßem Meinen wird man keine guten Effekte erzielen. Medienkritik heute muss ganz stark faktenorientiert sein. Sie muss sich vollsaugen wie ein Schwamm mit Erfahrungen aus den Medien, um überhaupt bei den Medienverantwortlichen gehört und als gleichgewichtiger Gesprächspartner akzeptiert zu werden. Wenn man immer nur moralinsauer daher kommt, ist es für einen Medienverantwortlichen leicht, die Beiträge beiseite zu schieben. Wir müssen mit diesen Verantwortungsträgern so umgehen, dass wir ernst genommen werden.

Neue Gegenwart: Wenn man aber versuchen will eine gesellschaftliche Debatte anzuschieben, wäre es dabei für epd-Medien nicht auch sinnvoll, die breitere Öffentlichkeit zu sensibilisieren und nicht nur das Fachpublikum anzusprechen?

Lilienthal: Deswegen haben wir uns ja in einen Newsroomprozess eingelassen. Das Know-how, das der Fachdienst erarbeitet hat, fließt so viel stärker als früher in den epd-Basisdienst – die Serviceleistung für die Tageszeitung und Rundfunkanstalten – ein. So kommen diese Inhalte heute eher in die öffentliche Debatte und vor ein breites Publikum. Wir hatten über den Schleichwerbeskandal bei „Marienhof“ nicht nur einen großen Report im Fachdienst, sondern auch im Basisdienst ein ganzes Themenpaket im Angebot. Hinzu kam eine kontinuierliche Folge- und Reaktions-berichterstattung.

Neue Gegenwart: Herr Dr. Schiller, ist gerade die Tatsache, dass der epd von der evangelischen Kirche getragen wird, eine Voraussetzung dafür, dass sie Medienjournalismus so betreiben können, wie sie ihn betreiben?

Schiller: Es ist nicht unbedingt Voraussetzung dafür, aber es ist sehr hilfreich. Dass wir von der evangelischen Kirche getragen werden, sichert uns im Medienjournalismus eine große Unabhängigkeit. Immer wenn Medien über Medien berichten, gibt es dort einen blinden Fleck, wo die eigenen Interessen der Verlagshäuser oder Rundfunkanstalten betroffen sind und im Multimediazeitalter sind das immer weiter gehende Verpflichtungen. Wenn sich beispielsweise eine große Konzernpublikation über einen Medienzweig äußert, sind in großen Häusern wie Springer oder Bertelsmann immer irgendwelche anderen Interessen des Gesamtunternehmens betroffen. Die Redaktionen versuchen natürlich, trotz dieser Problematik guten Journalismus zu machen, aber stoßen gelegentlich an ihre Grenzen. Diese Grenzen haben wir nicht.

Neue Gegenwart: Muss man als Medienjournalist ein doppelt so dickes Fell haben wie andere Journalisten, weil es in der Berichterstattung um die Kollegen geht und man auch schon mal als „Nestbeschmutzer“ dasteht?

Lilienthal: Ein doppelt so dickes Fell sollte man sich nie zulegen, weil man dann nicht mehr so empfindlich wäre für die neuen Strömungen, die man wahrnehmen sollte. Man muss vielleicht manchmal sensibler sein, manchmal vorsichtiger vorgehen, da der Medienkritiker immer so ein bisschen in der Gefahr ist, sich über die Kollegen zu erheben, obwohl auch er nicht frei von Fehlern ist. Aber in dieser Branche sind alle Kommunikationsprofis: Auch nach einem Konflikt, nach Streit und Ärger weiß man, dass man weiter zusammenarbeiten muss. Das erleichtert auch manches.

Schiller: Ich glaube, dass es inzwischen kaum noch einen Bereich von Journalismus gibt, in dem es nicht den Versuch von Einflussnahme auf die tägliche Arbeit gibt, sei es von Kollegen oder es sei von großen Unternehmen, Lobbyverbänden oder politischen Parteien. Natürlich steht man besonders im Kreuzfeuer der Kritik, wenn man Medienjournalismus betreibt, aber alle großen Medien tun das. Insofern ist das keine andere Herausforderung als beispielsweise für einen politischen Korrespondenten, der sich im Berliner Alltagsgeschäft bewegt.

Dr. Volker Lilienthal (links im Bild), geboren 1959 in Minden, Westfalen, arbeitet seit 1989 als Redakteur beim Evangelischen Pressedienst (epd). 1997 wurde er stellvertretender Ressortleiter von epd-Medien, seit 2005 ist er dessen Leiter und verantwortlicher Redakteur. Nach dem Studium der Diplom-Journalistik und Neuen Deutschen Literaturwissenschaft in Dortmund promovierte Lilienthal 1987 im Fach Germanistik an der Gesamthochschule Siegen. Für seine journalistische Arbeit hat er bereits mehrere Auszeichnungen erhalten, unter anderem 2004 den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ und den Bert-Donnep-Preis für Medienpublizistik 2005, der die Aufdeckung von Schleichwerbung in der ARD-Serie „Marienhof“ durch Lilienthal würdigte. Zudem wurde Lilienthal 2006 der „Leipziger Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ überreicht. Lilienthal ist aber auch selbst Mitglied in Jurys, wie zum Beispiel in der des Otto-Brenner-Preises.


Dr. Thomas Schiller wurde 1963 in Dortmund geboren. Er ist seit 1999 Chefredakteur der Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes in Frankfurt am Main. Schiller studierte an der Universität Dortmund Geschichte und Diplom-Journalistik und promovierte dort. Von 1990 bis 1999 war er Redakteur bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Erfurt, München und Paris. Er ist Jurymitglied des „Hoffnung für Osteuropa“-Journalistenpreises und des Internationalen Frankfurter Medienpreises.