Ausgabe 58
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Presse

Den Zeitgeist in Szene setzen

Fotograf, Kurator, Sammler und Stifter F. C. Gundlach im Interview

Interview: Björn Brückerhoff     Bild oben: Frauke Thielking

Vier Jahrzehnte seines Schaffens hat F. C. Gundlach Mode für große Magazine fotografiert. Schon früh war er dafür weltweit unterwegs. Doch seine Inszenierungen dokumentieren nicht nur wechselnde Moden; sie interpretieren die Träume und Sehnsüchte im Deutschland der Nachkriegszeit und pointieren den Zeitgeist durch die Inszenierung bis ins Detail. Sie erzählen von mondänen Orten und luxuriösen Reisen – Traumwelten.

So verwundert es nicht, dass F. C. Gundlach sich oft als Märchenerzähler gesehen hat, dem das Bild stets das Wichtigste im Heft war. Was er zeigen konnte, war für die meisten Leser unerreichbar, auch in den 70er- und 80er-Jahren.

F. C. Gundlach gilt als einer der bedeutendsten Modefotografen der Nachkriegszeit. Heute ist er vorwiegend als Sammler, Kurator und Stifter tätig.
Seine Bilder sind in zahllosen Ausstellungen zu sehen gewesen. Ihre Qualität steht für sich.


Neue Gegenwart: Herr Professor Gundlach, was war Ihnen an der Modefotografie stets besonders wichtig?

F. C. Gundlach: Für mich war immer wichtig, mit meinen Fotos eine modische Information so aufzubereiten, dass sich ein großes Publikum, ein großer Kreis Frauen damit identifizieren konnte.

Ich habe im Wesentlichen für zwei Zeitschriften gearbeitet: Zwölf Jahre in den 50er- und 60er-Jahren für die Zeitschrift ‚Film und Frau’, die es leider nicht mehr gibt. Und anschließend 22 Jahre für die Zeitschrift ‚Brigitte’. Dort hatte ich einen sehr opulenten Vertrag mit 300 Seiten im Jahr – zumeist wurden es mehr. Ich war dort auch in die Konzeption einbezogen. Wir haben in der ‚Brigitte’ für die Generation, die den Krieg überlebt hat, ein neues Frauenbild entwickelt. Die Männer kamen zurück, die Frauen gingen an den Herd – so war es natürlich nicht ganz – diese Zeit war zwar eine restaurative Periode, aber sie war nicht so traurig und nicht so miefig, wie sie immer hingestellt wird. Wenn man Filme und auch meine Fotos aus der Zeit sieht, dann sind die immer von einer fast unterkühlten Erotik – von Sex konnte man gar nicht reden. Der war zwar drin, aber er war nicht so dominierend wie in den 80er- und 90er-Jahren. Mit der ‚Brigitte’ ist uns als erster Zeitschrift wirklich gelungen, den Typ der berufstätigen, selbstbewussten Frau zu prägen, sie anzuziehen und ihr ein Bild zu geben.

Ihre Modefotografie hat sich deutlich von den Arbeiten Ihrer damaligen Kollegen unterschieden.

Ja, natürlich. Ich habe vorher Reportagen fotografiert. Für mich war das Bild immer das Wichtigste im Heft. Das ging bei mir soweit, dass ich – als ich einmal 40 Seiten hintereinander hatte – zur Druckerei Gruner nach Itzehoe fuhr und dort mit den Lithografen redete, was für Vorlagen sie benötigten, damit die optimale Reproduktion gewährleistet war. Das machte sich in einem sehr positiven Sinne auch in der Zusammenarbeit bemerkbar. Die sagten immer nur: weicher, weicher, weiche Vorlagen, nicht zu große Kontraste, möglichst große Dias – das sind natürlich alles Dinge, die auch auf die Fotografie reflektierten.

Mode ist eine Form, wie sich Menschen selbst sehen, wie sie auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Keine Mode hat Erfolg, wenn sich die Menschen damit nicht identifizieren können. Einen Modetrend in die Welt setzen – das geht meist schief. Aus einem Trend wird erst eine Mode, wenn es zu einer kollektiven Akzeptanz des Trends kommt. Dann wird aus der Idee etwas, das für einen großen Kreis von Menschen wichtig ist. So verändert sich die Mode auch.

Viele Dinge, die wir in den 50er-Jahren gemacht haben und wie wir sie gemacht haben, zeigen das: eine Falte oder ein Schnitt konnte damals Gegenstand eines Modefotos sein. Später dann, wenn sie an die 80er- und 90er-Jahre denken, ging es nur noch um Stimmung, um Inszenierung.









Können Sie eine einheitliche Aussage aus der aktuellen Modefotografie ziehen?


Ich glaube nicht, dass man das noch so konkret sagen kann. Die Mode ist heute für alle zugänglich. Alle können daran teilhaben. Wenn ich an die Zeiten der Haute Couture denke: die war nur für einen kleinen Kreis bestimmt, nur eine Idee – ein Traum. Damals kam ich mir vor wie ein Märchenerzähler. Ich erzählte und realisierte Dinge, von denen die Frauen träumen konnten, aber diese Träume waren für sie eben nicht erreichbar. Das Erreichbare war höchstens, zur Hausschneiderin zu gehen und zu sagen: so möchte ich doch auch gerne aussehen.

Die Orte, an denen Sie damals Mode inszeniert haben, sind inzwischen für fast alle erreichbar geworden. Die Strategien der Modefotografen müssen sich verändert haben, um Märchen zu erzählen, die Betrachter noch entführen zu können.

Das ist richtig, aber auf der anderen Seite ist es eben auch so, dass beispielsweise in den 90er-Jahren die Supermodels kamen und die Filmstars ablösten, die immer weniger tonangebend waren. Wenn sie sich an die Schiffers – und wie sie alle hießen – erinnern: die wurden plötzlich zu Idolen! Eine Rolle, die ihnen normalerweise gar nicht zukommt. Sie hatten ja keine Message, aber sie wirkten eben durch ihr Erscheinungsbild.

Inzwischen sind wir soweit, dass Mode für alle da ist und jeder sein eigener Modedesigner sein kann. Jeder Mensch trifft doch am Morgen für sich eine modische Entscheidung, wenn er sich anzieht. Ich entscheide mich für blau oder grün oder schwarz und so zeige ich, wie ich gesehen werden, wie ich wahrgenommen werden will. Das gibt ja auch Signale: die Mode ist eine non-verbale Kommunikationsform. Das erste, was ich von einem Menschen sehe, ist natürlich sein äußeres Erscheinungsbild. Damit gibt er mir ein Signal, wie ich ihn sehen kann.

Die Digitalisierung der Fotografie hat ihre Möglichkeiten stark verändert. Was halten Sie von digitaler Fotografie?

Ich habe mich sehr früh mit digitaler Fotografie beschäftigt, also mit der Digitalisierung der Fotografie. Ich habe, sie werden es nicht glauben, 1980 den ersten Scanner gekauft. Die wurden damals aber nur in Druckereien verwendet. Und die sah ich dann plötzlich bei Gruner stehen. Wir machten damals unter anderem auch Kunstdrucke und brauchten Farbauszüge. Da bin ich in die Scanner-Fabrik nach Kiel gefahren – die hatten ein Weltmonopol damals. Dort haben sie sich mein Anliegen angehört und gesagt: „Was wollen sie denn mit einem Scanner, sie sind doch ein Fotograf?“ Der Scanner war übrigens zweieinhalb Meter breit, wog eine Tonne und kostete 300.000 Mark. Können sie sich das vorstellen, eine Tonne! Dann haben die mir erst keinen verkauft – aber als ich etwas später wieder hingefahren bin, hatten sie sich das nochmals überlegt. Sie haben mir dann gesagt: „Gut, sie kriegen 100.000 Mark Nachlass, wenn sie uns die Software, die sie dafür entwickeln, kostenlos überlassen.“ Software war ja kein Produkt zu der Zeit. Das haben wir natürlich gemacht. So begann meine digitale Zeit.

Und ich habe auch immer versucht, Künstlern die Möglichkeiten der Digitalisierung zu geben – von Polke bis Kippenberger, mit denen ich unter anderem zusammengearbeitet habe. Zunächst habe ich gedacht, dass die Digitalisierung der Fotografie auch andere Inhalte vermittelt. Aber das war nicht der Fall, es wurde zunächst nur das Aufzeichnungsmedium gewechselt. Dass es spezifische Werke gab, dass auch in der Kunst mit digitalen Mitteln gearbeitet wird, fängt in den vergangenen Jahren langsam an. Und dabei entstehen auch Werke, die nur digital möglich sind.

Die Digitalisierung hat sicher auch die Arbeitsbedingungen der Fotografen verändert.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Digitalisierung rein kulturpolitisch viel größere Auswirkungen haben wird – nicht nur auf unser bisschen Fotografie. Die Digitalisierung ist an der Geschwindigkeit der Globalisierung, am Zusammenwachsen der Welt in ungeheurem Maße beteiligt. Es gibt ja keine Grenzen mehr. Und sie sehen ja, wie das Internet heute unser Leben beherrscht. Ohne das Internet geht doch schon gar nichts mehr.

Retuschen hat es natürlich immer schon gegeben. Wenn sie sich die Bilder aus der Sowjetunion angucken: Da ist der Stalin mit vier Leuten, mit drei Leuten, mit zwei Leuten oder alleine auf einem Bild – und es ist immer dasselbe Bild. Die anderen wurden also weggepinselt. Das Moment der Fälschung ist natürlich gegeben. Heute, mit digitaler Technik, ist das nicht mehr nachweisbar – und jeder hat Zugriff auf die Technik. Wichtig ist, dass sich der Beruf des Fotografen dadurch in ungeheurem Maße verändert hat.

Welche Möglichkeiten haben Sie genutzt, um Ihre Bilder nachträglich positiv zu beeinflussen?

Es gab lange keine Kontrolle dessen, was der Fotograf macht. Wenn sie eine gewisse Position haben – und die hatte ich ja über viele Jahre – hat ihnen der Redakteur, der Kunde etwas zum gewünschten Foto gesagt und dann hat man etwas gemacht. Aber heute fängt die Diskussion schon in dem Augenblick an, wenn das erste Polaroid da ist oder das erste Digitalbild auf der Mattscheibe. Der Eingriff in die Kompetenzen des Fotografen findet sehr viel früher und sehr viel intensiver statt. Die Fotografen haben viel an Kompetenz verloren – es sei denn, es handelt sich um so genannte Stars, die sich das leisten können.

Es besteht durch nachträgliche Bildbearbeitung vielleicht auch die Gefahr, dass die Vorstellung vom Schönen extrem wird – wenn jede 20-Jährige noch mit Photoshop nachbearbeitet wird.

Ja, natürlich. Retusche hat es ja, wie gesagt, immer schon gegeben. Doch die Leute, die die Bilder digital bearbeiten, müssen genauso viel Gefühl haben wie die Fotografen. Alle Bilder gleich zu machen, das ist furchtbar. Wenn ich manchmal diese Modehefte heute sehe: da sehen alle aus wie Schaufensterpuppen. Wenn man mit der Retusche aber sensibel umgeht, dann können die Abgebildeten ihren Charakter behalten oder ihn dadurch erst bekommen.

Könnte Natürlichkeit also auch ein Trend werden, wenn die Bearbeitung als zu künstlich wahrgenommen wird?

Ich bin sehr dafür! Zu viel Bearbeitung wird verräterisch. Ich weiß nicht, ob sie das Bild von Frau Merkel gesehen haben, das überall plakatiert war. Das war schon super gemacht, mit sehr großer Kennerschaft. Aber da war schon einiges abgeschmirgelt, hätte ich beinahe gesagt.

Welche Fotografen haben Sie als Vorbilder gesehen – oder hatten sie die gar nicht?

Doch, natürlich! Ich treffe viele junge Fotografen, die mit ihren Portfolios zu mir kommen und mit mir über ihre Bilder diskutieren wollen. Manchmal fällt mir ihre erschütternde Unkenntnis der Fotografiegeschichte auf. Die Geschichte der Fotografie ist ja nicht lang, 170 Jahre – das ist überschaubar. Ich denke, dass alles aufeinander aufbaut. Wir wachsen heraus aus einer Situation und machen dann unser eigenes Ding. Das hat mit Kopieren gar nichts zu tun. Selbst wenn die gleichen Motive und die gleichen Models nochmals fotografiert werden, dann kommen andere Dinge dabei heraus.

Wenn Sie selbst etwas erneut fotografieren würden – sähen diese Bilder heute auch anders aus?

Ich bekomme mindestens jeden Monat ein Jobangebot, irgendetwas zu machen. Viele beziehen sich dann auf Dinge, die ich mal gemacht habe, vor Jahren oder Jahrzehnten. Das will ich schon gar nicht. Ich habe das immer abgelehnt. Wenn ich heute fotografieren würde, dann würde ich gerne sehr, sehr nah an der Wahrheit sein. Wenn ich Menschen fotografieren würde, dann würde ich porengenau und scharf fotografieren. Ohne Schnörkel. Ein jedes Porträt, wenn sie einen Menschen fotografieren, ist ja ein Dialog. Und der Dialog entsteht aus der Unterhaltung, aus der Begegnung. Das kann klappen, es kann aber auch schief gehen. Oder: Wenn sie große Stars fotografieren, bieten die ihnen zunächst einmal ihr Klischee an – wie sie sich selbst sehen. Da muss man dann erst durchkommen und das gelingt ja auch häufig. Man muss auf Augenhöhe arbeiten – das war bei den größten Stars immer am einfachsten.

Eine vermutlich recht schwierige Frage: Haben Sie ein Lieblingsbild aus Ihrem eigenen Werk?

Diese Frage habe ich mir vor einer halben Stunde selbst gestellt, denn wir haben hier gerade eintausend meiner gerahmten Bilder und sind dabei, sie zu sortieren. Da hat man natürlich sehr viele emotionale Momente – plötzlich sind Geschehnisse präsent, die mit der Entstehung des Bildes zusammenhängen. Aber: Ich könnte ihnen heute fünf rausstellen, die ich als typisch für meine Arbeit oder typisch für mich sehe – und morgen können das auch wieder andere sein.

Welches Shooting Ihrer Karriere ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

Ich habe natürlich sehr viele Dinge gemacht. Ich war der erste Modefotograf, der auf Reisen ging, weil ich zufällig einen Bericht im Stern gemacht hatte, als Lufthansa den Transatlantikverkehr wieder aufnahm. Herr Nannen und Herr Augstein waren Ehrengäste auf diesem Flug und es sollte eine große Reportage im Stern darüber gemacht werden. Die Maschinen waren klein, der Flug dauerte 16 Stunden und innen sahen die Flugzeuge aus wie Zigeunerwagen. Von Glamour war nichts zu sehen; geschrieben haben sie: „Das Hotel über den Wolken“.

Natürlich gab es Kaviar zu essen, aber die Bilder des Fluges sahen anders aus, es kam nichts dabei heraus. Und dann haben sie es noch einmal mit einem anderen Fotografen versucht, das wurde auch nichts. Und da fragte der Nannen mich, ob ich es nicht noch mal machen wolle – und ich habe ihm gesagt: „Ja, ich mache das, bitte stellt ein Flugzeug für zwei Tage mit der kompletten Crew und sämtlichen Requisiten auf den Flughafen in Hamburg.“ Und dann habe ich das am Flughafen inszeniert, und es ist ein Riesenerfolg geworden. Seitdem hatte ich ein sehr enges Verhältnis zur Lufthansa – also gut, Geld war nicht so wichtig für mich zu der Zeit. Ich machte alle wichtigen Bilder für sie und bekam dafür alle meine Honorare in Flugmeilen ausgezahlt.

So konnte ich mich seit Mitte der 50er-Jahre weltweit bewegen. Das war sehr wichtig, denn in Amerika begann nach dem Krieg ein Relaunch der großen Blätter und auch der Fotografie. Wenn ich mich an meinen ersten New York-Aufenthalt erinnere: da gingen einem die Augen über. Als erstes lernte ich Eileen Ford kennen, die das Modelbusiness erfunden hat – auch das hatten wir ja in Europa nicht. Diese Erlebnisse haben natürlich sehr geholfen und auch Perspektiven eröffnet – das war schon sehr spannend. In Amerika gab es Irving Penn und Richard Avedon und wie sie alle hießen, gerade in meinem Bereich. Und ich machte dann in den 50er-Jahren die Pariser Kollektionen und wir trafen uns immer ein- oder zweimal im Jahr in Paris. Da sehen sie auch, wie sich die Position des Fotografen verändert hat. Die Firmen machten das exklusiv, wir waren akkreditiert, durften nicht rausgehen. Sie haben Leinentücher über die Kleider geworfen, damit niemand sah, was wir dabei hatten. Und wenn sie heute die großen Schauen in Paris sehen, im Louvre – da ist ein Laufsteg, 100 Meter lang, perfekt ausgeleuchtet. Und am Ende des Laufstegs ist eine Tribüne aufgebaut und da stehen 50 Fotografen drauf und alle haben sie ein Einbeinstativ und eine 600er-Optik. Und alle machen die gleichen Bilder. Mode braucht Öffentlichkeit – aber das alles hat sich total gedreht: Früher war Fotografieren und Zeichnen streng verboten, alles war reguliert. Heute heischt man nach jedem Fetzen Publikation, den man kriegen kann.

Gab es auch Aufträge, die Ihnen nicht zugesagt haben?

Ach Gott, die hat es sicher gegeben. Aber auf der anderen Seite hatte ich immer den nötigen Spielraum. Wenn ich abgeliefert habe, dann waren das meine Bilder. Das konnte ich immer durchsetzen. Ich halte das auch für sehr wichtig, sonst sind die Ergebnisse nicht überzeugend. Ich habe ja primär im redaktionellen Bereich gearbeitet, bekam aber auch einige Werbeaufträge. Man fragte immer an, aber da ich meistens zwei bis drei Monate im Voraus täglich ausgebucht war und die Werber mehr mit kurzfristigen Anfragen kamen, habe ich ganz wenig in der Werbung gearbeitet. Aber ich habe das nicht unbedingt vermisst.

Sie haben das schon angesprochen: Häufig werden Sie von Nachwuchsfotografen gebeten, ihre Bilder zu beurteilen. Welche Nachwuchstalente haben Ihnen besonders gefallen?

Ich habe 1995 eine Ausstellung für das Institut für Auslandsbeziehungen gemacht. Die wollten gerne eine Ausstellung über 50 Jahre Modefotografie in Deutschland haben. Ich habe sie dann zusammengestellt. Sie heißt „Bildermode – Modebilder“. Und die reiste dann weltweit herum. Der englische Titel ist „Zeitgeist Becomes Form“. Aber ich weiß nicht, wie sie in Bangkok oder in Japan hieß. Diese Ausstellung läuft bereits seit über zwölf Jahren. Und die beiden jüngsten Fotografen, die ich 1995 gut fand und damals in die Ausstellung genommen habe, waren Wolfgang Tillmans und Juergen Teller – und beide haben inzwischen eine Weltkarriere gemacht – vor allem Tillmans natürlich. Und so geht es heute eben auch wieder. Talente müssen sich durchsetzen und hart an sich arbeiten, aber es gibt immer wieder große Überraschungen und außergewöhnliche Talente.

Welche Trends in der Fotografie sind heute ablesbar, die in zehn Jahren von Bedeutung sein könnten?

Für die Entwicklung der Fotografie ist ganz entscheidend, was mit ihrem Medium passiert. Der große Konflikt zwischen Print und TV ist entschieden. Er hat sich verschoben. Jetzt besteht die Konkurrenz zwischen Fernsehen und Internet. Das Internet braucht völlig andere Bilder, es erfordert ein völlig anderes Rezeptionsverhalten. Ich weiß nicht, wie wir alle darauf reagieren, wenn wir Informationen nur noch über Bildschirme erhalten. Schon eine Powerpoint-Präsentation mit Bildern ist für mich keine Fotografie mehr. Ich sehe ja nicht das Bild, sondern die Projektion eines Bildes – in einer anderen Größe, in einem anderen Medium. Das hat ja mit der Fotografie gar nichts mehr zu tun. Also muss man überlegen, welche Themen die Fotografie transportieren kann und wie sich das Rezeptionsverhalten der Menschen verändert.

Ich weiß zum Beispiel nicht, ob wir alle nur noch Hörbücher haben wollen, statt selbst zu lesen. Wenn ich mich abends ins Bett lege und ein Buch lese, dann lese ich mein Buch – aber wenn ich das Buch vorgelesen bekomme, dann ist das schon die Interpretation desjenigen, der das Buch vorliest. Also: Ich verliere einen Teil meiner eigenen Empfindsamkeit, wenn ich etwas nur über das Medium erfahre und nicht mehr selbst unmittelbar wahrnehmen kann.

Die Zukunft der Fotografie hängt sehr davon ab, wie es mit unserem Medienverhalten weiter geht, wie das Internet und die Digitalisierung dies beeinflussen. Wir können uns auch nicht mehr davor retten, dass ein Bild herunter geladen und irgendwo wandgroß veröffentlicht wird – und wir wissen nichts davon, wir haben nie davon erfahren.

Was planen Sie als nächstes Projekt?

Im letzten Jahr haben wir meine Retrospektive gemacht. Vier Kuratoren haben sich meine Arbeit vorgenommen und dabei die Publikationen, in denen die Bilder veröffentlicht worden sind, neben die Originale gestellt. So wird sichtbar, wie die Redaktionen mit den Bildern umgegangen sind. Die Ausstellung war sehr erfolgreich, die Inhalte sind als Buch erschienen. Ab Ende November wird sie für vier Monate im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt. Berlin ist immer ein wichtiger Ort für mich gewesen, weil wir in den 50er-Jahren nur in Berlin gearbeitet haben. Berlin war ja mal eine Welt-Modemetropole und jetzt scheint es zum ersten Mal wieder Ansätze zu geben, dass so etwas wieder entstehen könnte.

Zur Person

F. C. Gundlach, geboren 1926 in Heinebach (Hessen), verfügte schon 1938 über eine eigene Dunkelkammer. Nach Krieg, Kriegsgefangenschaft und Lazarettaufenthalt besuchte er die Private Lehranstalt für Moderne Lichtbildkunst in Kassel und arbeitete ab 1949 als Assistent in verschiedenen Studios in Wiesbaden, Stuttgart und Paris. Parallel Tätigkeit als freiberuflicher Fotograf u. a. für den Stern. Ab 1953 spezialisierte er sich auf Modefotografie im journalistischen Stil und arbeitete zunächst für die Zeitschrift Film und Frau, später für die Brigitte. Insbesondere fotografierte er deutsche Mode, die Pariser Haute Couture und Künstlerporträts, so zum Beispiel Stars wie Cary Grant, Romy Schneider, Hildegard Knef, Jean-Luc Godard und viele andere. Mit seinen Firmen CC (Creative Color GmbH, gegründet 1967) und PPS (Professional Photo Service) bot er zahlreiche Dienstleistungen rund um die Fotografie an, beispielsweise Mietstudios und Fotolabore. Seit 1988 ist F. C. Gundlach Professor an der Hochschule der Künste Berlin,
2000 gründete er die Stiftung F. C. Gundlach. Seit 2003 ist er Gründungsdirektor des Hauses der Photograhie in den Hamburger Deichtorhallen, das unter anderem die umfangreiche Sammlung F. C. Gundlachs "Das Bild des Menschen in der Photographie" als Dauerleihgabe beherbergt.


Ausstellung:

F. C. Gundlach.
Das fotografische Werk


Im Rahmen der Berliner Festspiele wird in Zusammenarbeit mit der Stiftung F. C. Gundlach vom 20. November 2009 bis 14. März 2010 im Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung
F. C. Gundlach. Das fotografische Werk gezeigt.
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