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Der
Alltag denkt mit
Text:
Polly Grigorova
Bild: A. Carlos Herrera
In the 21st
century the technology revolution
will move
into the everyday,
the small and
the invisible.
Mark Weiser (1952–1999)
Mit der zunehmenden
Mobilität unserer Gesellschaft lösen sich Kommunikation, Information und
Medienkonsum immer mehr von ihrer traditionellen Gebundenheit an Zeit, Ort
und Form ab. Als Vorreiter dieser Entwicklung gilt das „jüngste“ und
inzwischen reichweitenstärkste Medium – das Handy. Während klassische Medien
der indirekten und einseitigen Verbreitung von Aussagen an ein disperses
Publikum dienen, entsteht mit dem modernen Handy ein Hybridmedium, das
interpersonelle und öffentliche Kommunikation zusammenbringt und neue Räume
für Mediennutzung erschließt. So braucht der Mensch zum Beispiel nicht mehr
vor Ort zu sein, um seinen Alltag zu bewältigen, weil er
mit seinem Handy theoretisch immer
und überall Informationen verarbeiten und austauschen kann.
Je mehr Funktionen verschiedener Medien das Handy bedient, desto mehr
entwickelt es sich zu einem mobilen Alleskönner. Die Vorstellung von einer
totalen Konvergenz, in der ein einziges Endgerät alle anderen Medien
ersetzt, bleibt aufgrund einiger technischer Beschränkungen wie Akkukapazität
oder Speicherplatz noch sehr unrealistisch.
Wenn die verfügbaren Mittel nicht zum Ziel führen, liegt der Schlüssel zum
Erfolg manchmal darin, sie einfach anders einzusetzen: Statt die Funktionen
verschiedener Medien in einem Endgerät zu verbinden, könnte man auch die
Endgeräte miteinander vernetzen, so dass der User nicht mehr merkt, wo
welches Gerät „aufhört“ und wo welches „anfängt“. Und zwar soweit, bis die
Technik praktisch in Alltagsgegenstände verschwindet („disappearing computing")
– und somit gleichzeitig überall und nirgendwo (im Sinne von unsichtbar)
ist.
Die Vision einer unsichtbaren, allgegenwärtigen und umfassend vernetzten
Computerwelt hat ihre Wurzeln in den bahnbrechenden Arbeiten von Mark
Weiser, der bis zu seinem Tod 1999 als leitender Wissenschaftler am
Xerox-Forschungszentrum im Silicon Valley tätig war. In seinem Artikel „The
Computer for the 21st Century" (1990) zieht er zum ersten Mal einen
Vergleich zwischen ‚Virtual Reality’ und ‚Ubiquitous Computing’, verstanden
als „verkörperte Virtualität“. Danach stellt die Virtual Reality eine
grafische Welt dar, die die reale Welt aus Sicht der Nutzer zum Verschwinden
bringt. Ubiquitous Computing bedeutet dagegen die Einbettung der
Informationstechnologie in die physische Welt, wie eine „zweite Haut“, die
sich unbemerkt in der Realität nutzen lässt.
Selbst wenn „intelligente“ Produkte heute noch weitgehend Zukunftsmusik
sind, dürfte ‚ubiquitous computing’ mittel- und langfristig eine große
wirtschaftliche und soziale Bedeutung erlangen. So haben beispielsweise drei
Würzburger Informatikstudenten schon vor drei Jahren eine Benutzeroberfläche
– "Augmented Reality User Interface" – entwickelt, mit der sich mobile
Roboter steuern lassen. Diese Roboter sind mit einer Videokamera und mit
Ultraschall-Sensoren ausgestattet und können Gegenstände erkennen, die bis
zu fünf Meter entfernt sind. Auf diese Weise erhält der Benutzer
Informationen, die für die Augen unsichtbar bleiben. Wenn zum Beispiel ein
Auto mit einer solchen Videokamera und diversen Sensoren ausgestattet ist,
könnte das System bei Dunkelheit, dichtem Nebel oder starkem Regen den
Fahrer vor Gefahren warnen, wie etwa vor Hindernissen auf der Fahrbahn oder
vor Fußgängern am Straßenrand. Ein Wärmesensor könnte die für den
Fahrzeuglenker noch nicht sichtbaren Menschen aufspüren und sie
und sich selbst so vor einer Kollision bewahren.
Intelligente Technologie – Faszination oder Horror?
Nachdem die grundlegenden Technologien und Infrastrukturen einmal
eingeführt sind, könnten bald auch viele andere Gegenstände,
etwa Fertiggerichte, Möbelstücke, Spielzeuge einbezogen werden, auch wenn
sich die Nutzer dieses Umstands gar nicht bewusst sind. Dies verspricht
gleichzeitig faszinierende und erschreckende Möglichkeiten. So könnten
smarte Produkte in subtiler Form für sich selbst oder, im Sinne des
Cross-Marketings, für andere Produkte werben, indem z. B. ein smarter
Kühlschrank Kochrezepte zu den in ihm gelagerten Waren liefert. Wenn
schließlich alles, selbst herkömmliche Gegenstände wie Türschlösser oder
Schreibstifte, nur noch innerhalb eines vernetzten Systems funktionieren,
dann könnte eine große Abhängigkeit von diesem System und der zugrunde
liegenden Technik entstehen. Was würde passieren, wenn das
System versagt? Entwurfsfehler, Materialdefekte, Sabotage,
Überlastung, Naturkatastrophen, Krisensituationen etc. –
potenzielle Auslöser gibt es viele. Unsere biometrischen Daten, den
Angaben zu unserem Gesundheitszustand, unsere Geldgeschäfte
und zahllose weitere Daten – praktisch
unsere gesamte Identität – auf einem Schlag verschwinden.
Neben dem Problem der Zuverlässigkeit birgt die zunehmende Informatisierung
der Welt auch weitere Gefahren. Wenn der Weg der Virtualisierung konsequent
weitergedacht wird, werden elektronische Sensoren und Gedächtnisse immer
mehr die Menschlichen ersetzen, denn sie haben eine größere Lagerkapazität
und außerdem lassen sich die gespeicherten Informationen aus einem
Gedächtnis in ein anderes übertragen. Dann würden Gegenstände nicht nur
„wissen“, wo man sich beispielsweise gerade befindet und welche andere
Dingen oder Personen in der Nähe sind, sondern diese Informationen auch
selbstständig verarbeiten und verbreiten können. Langfristig stellt sich
dann die Frage, wer die Verantwortung über den Inhalt tragen beziehungsweise
die Objektivität und Richtigkeit von „Aussagen" ‚smarter’ Objekte und
Produkte garantieren könnte.
Außerdem wäre – sofern ‚intelligente’ Gegenstände immer aktiv sind – im
Unterschied zu heute mit dem Ausschalten des Computers keineswegs auch die
Übertragung von Informationen beendet. Dann werden die Möglichkeiten zur
Überwachung auch private Bereiche erfassen, die einem dauerhaften und
unauffälligen Monitoring bisher nicht zugänglich waren. Aus der totalen
Vernetzung würde eine ständige Kontrolle entstehen, die die Balance von
Freiheit und Sicherheit aus dem Gleichgewicht bringen könnte.
Ein solches Horrorszenario, in dem Freiheit in der Moderne nichts als Schein
ist, beschreibt der Kritiker und Theoretiker der Postmoderne, Jean
Baudrillard, in seinem Buch „Der unmögliche Tausch“. Seine Theorie basiert
auf der These, dass sich in der virtuellen Waren- und Zeichenwelt des
Konsums nicht mehr die User entscheiden, sondern die Dinge ihre Käufer
aussuchen. Diese umfassende Verführung der Konsumenten durch die Objekte
wird möglich, weil sich in der heutigen Medien- und Informationsgesellschaft
die Aussage immer mehr von der Wahrheit entfernen. Dadurch entsteht ein Raum
permanenter Simulation von Realität, die in Hyperrealität endet. Wenn die
reale Welt im Virtuellen ihr künstliches Äquivalent findet, wird sie am Ende
nutzlos:
Wenn das
Klonieren für die Reproduktion einer Gattung genügt, wird der Sex zu einer
nutzlosen Funktion. Wenn alles in numerischen Codes chiffriert werden kann,
wird die Sprache zu einer nutzlosen Funktion. Wenn alles im Gehirn und im
neuronalen Netzwerk resümiert werden kann, wird der Körper zu einer
nutzlosen Funktion. Wenn zur Produktion Informatik und maschinelle
Automatisation genügen, wird die Arbeit zu einer nutzlosen Funktion.
Vom Ubiquitous Computing zum Ubiquitous Knowledge
Um ein solches
Szenario zu vermeiden, muss zuerst eine Umorientierung von der
technologischen Entwicklung zu den realen Bedürfnissen des Menschen
stattfinden. Das Ergebnis einer solchen veränderten Beziehung zwischen
Technologie und Gesellschaft könnte sich zum Beispiel darin manifestieren,
dass anstelle vom ‚Ubiquitous Computing’ ‚Ubiquitous Knowledge’
beziehungsweise ‚allgegenwärtiges Wissen’ entsteht. Der Unterschied zwischen
den Begriffen liegt darin, dass der erste technologieorientiert, der zweite
eher nutzerorientiert ist. Erst ein solches Umdenken könnte das Leben in
einem realen, sozialen Netzwerk ermöglichen, in dem weniger die Technologie,
sondern mehr die Art und Weise ihrer sozialen Einbettung die
gesellschaftliche Entwicklung vorantreibt. |
Ausgabe
51
Die Macht unserer ständigen Begleiter
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Die Mobilisierung der
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Der Alltag denkt mit
Uneingeschränkte Mobilität
Mobile Inhalte: keine Selbstbedienung
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