Überwachung und Verrat


Das Mobiltelefon im Spielfilm



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Überwachung und Verrat

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Text: André Donk     Illustration: Kristina Schneider  

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Schöne neue Medienwelt. Die Geschichte der Medienentwicklung zeigt, dass die Durchsetzung neuer Medien maßgeblich von ihrem sozial-utopischen Potenzial abhängt. Mobiler Kommunikation ist ein Freiheitsversprechen inhärent: Freiheit von der Ortsgebundenheit direkter Kommunikation, Freiheit von alltäglicher Nicht-Erreichbarkeit. In aktuellen Spielfilmen ist das Mobiltelefon allerdings eher Medium der Überwachung und des Verrats, werden die Schattenseiten mobilen Schicks thematisiert.

Mit Beginn des neuen Jahrtausend beginnt auch der Siegeszug des Mobiltelefons: Weltweit wurden im Jahr 2005 mehr als zwei Milliarden Mobilfunkanschlüsse gezählt, in Deutschland stieg die Anzahl in den letzten zehn Jahren von knapp fünf auf über 82 Millionen Anschlüsse
(1) und übertrifft damit die Einwohnerzahl. Der Bremer Medienwissenschaftler Andreas Hepp sieht in der steigenden Bedeutung des Mobiltelefons in Alltag und Kultur einen Teil jenes großen sozialen Prozesses, den er als "mobile Privatisierung" (2)  bezeichnet. Alles ist in Bewegung. Sei es im Beruf, in der Partnerschaft oder der Freizeit: Zu überwindende räumliche Distanzen nehmen zu, immer mehr Menschen verbringen immer mehr Zeit unterwegs. Für den Einzelnen wird daher die Möglichkeit in Bewegung kommunizieren zu können, auch an Nicht-Orten erreichbar zu sein, immer wichtiger. Es kann also nicht verwundern, dass das Mobiltelefon in den letzten Jahren einen immer häufigeren Auftritt im Spielfilm hat, nicht mehr nur – wie noch in den frühen 1990ern als Attribut der Yuppies und Geschäftsleute fungiert, sondern zu einem veritablen Element im Handlungsaufbau avanciert.

Frank Costello stirbt, weil sein Handy klingelt. Auf der Flucht glaubt sich Costello sicher im Schutze der Dunkelheit. Doch sein Verfolger weiß, wie er ihn sichtbar machen kann: Ein kurzer Anruf auf dem Mobiltelefon genügt und das Klingeln macht den Paten der Bostoner Mafia schutzlos wie ein Reh auf der Lichtung. Überhaupt avanciert das Mobiltelefon in Martin Scorceses The Departed zum zentralen Handlungsträger. Es organisiert den diskreten Verrat. Und Costello bleibt nicht das einzige Opfer mobiler Leichtsinnigkeit, auch sein Counterpart Captain Queenan findet durchs Handy in die Falle gelockt den Tod.

 Es gibt kaum einen Film, in dem nicht telefoniert wird. Doch was unterscheidet das Telefon in seiner Bedeutung von anderen Requisiten? Der zentrale Unterschied liegt in der kommunikativen Funktion des Telefons. Bereits in den 1990er Jahren hat sich eine Forschergruppe unter Leitung des Kommunikationswissenschaftlers Bernhard Debatin mit dem Telefon im Spielfilm beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es vornehmlich der Thematisierung von Kommunikation samt ihrer Fallstricke und Untiefen dient
(3). Filmische Belege für diese These sind mittlerweile Legion. So listet die Internet Movie Data Base (www.imdb.com) 309 Titel unter dem Schlagwort 'phone-call' und 209 unter 'phone-booth'. Sucht man explizit nach Filmen, in denen Formen mobiler Kommunikation von Bedeutung sind, kommt man sogar auf fast 1.000 Treffer.

Kurt Wallander kommt noch einmal mit dem Schrecken davon, aber auch ihm wäre sein Mobiltelefon fast zum Verhängnis geworden. Der schwedische Fernsehpolizist nach den Romanen von Henning Mankell jagt in Die Brandmauer einen gefährlichen Killer. Unversehens nimmt jener aber Wallander unter Feuer. Der Jäger wird zum Gejagten, verschanzt sich, versteckt sich in einer Industrienanlage. Als dann sein Handy klingelt, nimmt der Schütze ihn ins Visier.

Lange Zeit dagegen galt: Wer unterwegs ist, ist auch frei, unerreichbar. Frei von den Zwängen des Alltags, frei von den normierenden Kräften sozialer Beobachtung. Telefone gab es nur an festen Orten, nicht on the road. Das New Hollywood Cinema der späten 1960er Jahre feierte diesen Mythos zum letzten Mal ausgiebig. Bonnie & Clyde (Arthur Penn) und Easy Rider (Dennis Hopper) sind in diesem Sinne Roadmovies einer telefonlosen Freiheitsutopie. In Deutschland hatten zu dieser Zeit gerade einmal 50 Prozent aller Haushalte einen Telefonanschluss. Heute ortet man Outlaws mittels GPS. Die romantische Utopie des Auf-Der-Walz-Seins ist im Zeitalter mobiler Kommunikation nicht länger aktuell.

Jessica Martins wurde entführt. In Cellular gelingt es ihr trotz beschädigten Telefons noch einen, vermutlich letzten Kontakt zur Außenwelt herzustellen – auf das Handy des ihr völlig unbekannten Ryan. Legt Ryan auf, bricht die Verbindung im Funkloch ab, scheint Jessica verloren.

Wer die totale Überwachung fürchtet, der fürchtet vor allem die allgegenwärtige Beobachtung, Orwells Diktum "Big Brother Is Watching You" ist heute mehr als zwanzig Jahre nach dem vermeintliche Schicksalsjahr 1984 zur populären Chiffre für diese Furcht geworden. Das Schreckensbild klassisch-moderner Dystopien ist die panoptische Gesellschaft. Jeremy Bentham – zu seiner Zeit als Sozialreformer bekannt – entwickelte im 19. Jahrhundert die Idee des Panoptikums, eines architektonischen Konzepts, das die Rationalisierung der
Überwachung gefährdeter wie gefährlicher Menschen zum Ziel hatte: "Sein Prinzip ist bekannt: an der Peripherie ein ringförmiges Gebäude; in der Mitte ein Turm, der von breiten Fenstern durchbrochen ist, welche sich nach der Innenseite des Ringes öffnen; das Ringgebäude ist in Zellen unterteilt, von denen jede durch die gesamte Tiefe des Gebäudes reicht; sie haben jeweils zwei Fenster, eines nach innen [...] und eines nach außen. [...] Es genügt demnach, einen Aufseher im Turm aufzustellen und in jeder Zelle einen Irren, einen Kranken, einen Sträfling, einen Arbeiter oder einen Schüler unterzubringen"
(4). Der Regisseur Joel Schumacher realisiert in Phone Booth eine modere Variante des Panoptikums: Die Telefonzelle. Als der Protagonist des Filmes Stu Sheperd den Hörer einer Telefonzelle abhebt, droht ihm ein unbekannter Teilnehmer am anderen Ende der Leitung mit seiner Tötung, sollte er auflegen. Mit dem Mobiltelefon potenzieren sich die Möglichkeiten totaler Überwachung und Kontrolle noch einmal.

Im ZDF-Samstagskrimi Lutter erlebt der Manager Marco Seidel den Druck der ständigen Erreichbarkeit. Als er seine Schulden nicht mehr begleichen kann, erhält er Drohungen per SMS. Kontrolle durch Furcht. Auch wenn Seidel sich entziehen will, den Schuldeneintreiber abwimmelt, die Nachrichten erreichen ihn immer und überall.


Nicht nur die omnipräsenten Kameraaugen staatlicher wie privater Sicherheitsagenturen haben die Überwachung ganzer Gesellschaften perfektioniert. Gerade mobile Kommunikationstechnologien erlauben ein bisher ungeahntes Maß an sozialer Kontrolle: Neben der Lokalisierung über GPS, der Speicherung von Telefongesprächen und der Identifizierung einzelner Personen in Menschenmengen durch einen gezielten Anruf ist der Druck, aus der Potenzialität ständiger Erreichbarkeit auch Realität werden zu lassen, enorm. Wer sein Handy abschaltet, macht sich verdächtig. Zum Schrecken des Panoptikums hat sich eine erste Ahnung über die Möglichkeiten panakustischer Beobachtung gesellt.

Der Autor




Andre Donk M. A.


Geboren 1981 in Oberhausen, 2001-2006 Studium der Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Neueren und Neuesten Geschichte an der Universität Münster. Während des Studiums studentische Hilfskraft und Tutor. Abschluss im Juli 2006 mit einer Magisterarbeit zur Diskussion um die Auswirkungen digitaler Medien auf soziale Erinnerung (‚Zwischen Verheißung und Verlust. Erinnerung im digitalen Zeitalter. Ein kritischer Theorievergleich.’). Praktische Erfahrungen in der Organisationskommunikation. Seit Oktober 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster.



Die Illustratorin




Kristina Schneider

Kristina Schneider, geboren im April 1983, studiert seit 2002 in Münster Kommunikationswissenschaft, Kunstgeschichte und Germanistik und arbeitet als PR-Volontärin für skulptur projekte münster 07. Neben der Theorie schlägt ihr Herz für spitze Minen, Federkiele und Grafiktablette: Kristina Schneider arbeite frei als Illustratorin. Außerdem hat sie praktische Erfahrung im Webdesign, Online- und Lokaljournalismus und absolvierte 2006 in Auslandssemester am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich.

Fußnoten

(1)
Quelle: http://www.bitkom.de/de/presse/43408_40990.aspx
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(2) Hepp, Andreas (2006): Kommunikative Mobilität als Forschungsperspektive: Anmerkungen zur Aneignung mobiler Medien- und Kommunikationstechnologie. In: Breiter, Andreas; Hepp, Andreas; Krotz, Friedrich; Pauleit, Winfried (Hrsg.): Mobil kommunizieren. In: Ästhetik & Kommunikation, Heft 135: 19.
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(3) Forschungsgruppe Telefonkommunikation (1991): Telefon und Kultur, Berlin.
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(4) Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen, Frankfurt a. M.
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