Das mobile
Internet auf dem Handy ist längst da. Auf fast jedem aktuellen Mobiltelefon
kann es aufgerufen werden. Der Durchschnittsnutzer wählt sich noch immer
durch einen versehentlichen Druck auf die zumeist absurd griffgünstig
platzierte Taste mit dem Weltkugel-Piktogramm ein und bemerkt dies erst ein
paar Wochen später auf seiner Telefonrechnung. Geschieht der Klick ins Netz
absichtlich, bleibt beim angestrengten Blick auf den Briefmarken-Bildschirm wohl nach kurzer Zeit kaum Interesse an Inhalten übrig.
Die Profis sind schon ein paar Schritte weiter. Damit das Web in gewohnter
Qualität zum Mitnehmen zur Verfügung steht – möglichst ohne Kompromisse
hinsichtlich Grafik und Geschwindigkeit – verfügen Smartphones wie das
Blackberry Pearl schon heute über größere Bildschirme und eine erweiterte
Tastatur. Das iPhone von Apple radikalisiert diesen Trend und ersetzt die
Tasten gleich vollständig durch eine virtuelle Tastatur auf einem
vergleichsweise riesenhaften Display, das nahezu die gesamte Oberseite des
Gerätes einnimmt. Die Handlichkeit bleibt dabei freilich auf der Strecke.
Der Nutzer muss sich entscheiden: Handlichkeit gegen Lesbarkeit.
Angesichts der Größe der Geräte wird vielen der Internetzugang zu Hause oder
im Büro noch ausreichen. Wenn in Zukunft Internet-Inhalte – zum Beispiel
journalistische Angebote – überall in gewohnter Qualität aufgerufen werden
sollen, sind neue Konzepte nötig. Zudem gewinnen insbesondere Angebote zur
Kommunikation und Interaktion von Menschen im mobilen Alltag (Stichwort Web
2.0) unterwegs deutlich an Reiz. Neue Gegenwart hat mit Focus
Online-Chefredakteur Jochen Wegner über Veränderungen durch die
Mobilisierung des Online-Journalismus gesprochen.
Herr Wegner, was halten sie von
Leserbeteiligung im Online-Journalismus via Mobiltelefon?
Ich glaube nicht an die Trennung zwischen mobilen und anderen
Online-Diensten. Es gibt nur ein Internet, und das wird absehbar auf dem
Handy genau so nutzbar sein wie am Computer. „Leserbeteiligung im
Online-Journalismus via Mobiltelefon“ klingt für mich deshalb etwas
pleonastisch.
Die Möglichkeiten der
mobilen Nutzerbeteiligung im Online-Journalismus sind bislang eher negativ
aufgefallen: „Leserreporter“, die Prominente per Handy-Kamera ablichten,
haben für Schlagzeilen gesorgt. Welche sinnvollen und seriösen Konzepte zur
mobilfunkbasierten Einbeziehung von Lesern sind denkbar?
Als wir unsere Leser etwa während der WM aufforderten, Fotos und Videos des
Geschehens auf unsere Bilderplattform
Focus Online Live
hochzuladen,
erhielten wir mehr als 3.000 Einsendungen, die selbstverständlich in unsere
redaktionelle Arbeit einflossen.
Wie eine Welt aussehen wird, in der diese Art von Bürgerjournalismus
selbstverständlich ist, zeigt für mich
Flickr immer noch am besten. Die
Gründerin Caterina Fake erzählte gerne die folgende Geschichte, um die
Bedeutung des „Hyperlokalen“ zu illustrieren: Ein Flickr-User aus San
Francisco bekam im Urlaub einen Anruf. Der Gebäudekomplex, in dem sich sein
Apartment befindet, stehe in Brand. Statt nun wild herumzutelefonieren, ging
der Mann wie selbstverständlich auf flickr.com und fand prompt aktuelle
Fotos des Ereignisses, soeben von Menschen auf der Straße aufgenommen und
direkt hochgeladen. Darauf war zu erkennen, dass sein Apartment nicht
betroffen war. Beruhigt setzte er seinen Urlaub fort. Die Geschichte
illustriert sehr schön, wie eine Welt aussehen wird, in der User zu
Alltagsreportern werden – abseits von kollektiven Großereignissen.
Wie
verträgt sich der Qualitätsanspruch journalistischer Print-Marken mit der
Möglichkeit „mobiler“ Nutzerbeteiligung in ihren Online-Ablegern?
Dieser Gegensatz klingt konstruiert.
Welche
Rahmenbedingungen würden sie „Leserreportern“ für ihre „Arbeit“ mitgeben?
Auf Focus Online Live gilt die übliche Netiquette. Wenn wir
Live-Fotos oder Live-Videos redaktionell verwenden, gelten dafür die üblichen Standards unserer
Redaktion. Das genügt.
Wie oft nutzen sie Ihr Handy, um
journalistische Nachrichten zu empfangen?
Mehrmals stündlich – ich schaue mir auf dem Blackberry www.focus.de an.
Focus
Online bietet SMS- und MMS-Dienste für die Leser. Podcasts und Videos für
Mobilfunknutzer gehören in vielen journalistischen Online-Angeboten
ebenfalls zum Standard. Welche journalistischen Angebote bieten sich
zusätzlich an, um Handy-Nutzer anzusprechen?
Wir begnügen uns derzeit mit einem für alle gängigen Display optimierten
Text- und Bild-Angebot. Der Ausbau mit vielen weiteren Features ist gerade
in Arbeit. Allerdings gestalten wir nur noch eine Übergangsphase. Das
klassische Internet wird in absehbarer Zeit ohnehin mobil nutzbar sein.
Mobile Endgeräte ermöglichen viele
Dienstleistungen, insbesondere Dienste mit lokaler Ausrichtung. Wie ist
diese Lokalisierung für den professionellen Nachrichten-Journalismus im
Internet umsetzbar?
Wir arbeiten zum Beispiel daran, unseren gesamten
Content mit
Geocodes zu versehen – einen ersten Test haben wir gemeinsam mit
Map24.de gestartet, wo eine Auswahl unserer Nachrichten auf einer Karte
verortet ist. Für Lokalmedien bieten sich hier natürlich noch größere
Chancen – warum sollte mein Handy nicht bald die Frage beantworten, was
gerade in der Gegend geschieht, in der ich mich befinde?
Bevor ich zu Focus Online kam, war ich dabei, mit Gleichgesinnten ein Startup zu gründen. Wir wollten einen Handy-Dienst schaffen, in dessen
Zentrum eine Art Location Based Community gestanden hätte. Heute gibt es
viele solcher Angebote. Ortsinformation – die Antwort auf die
Handy-Standardfrage „Wo bist Du?“ - ist ein starker sozialer Kleber. Dass
Angebote wie
plazes.com den Journalismus verändern können, wenn sie erst
einmal eine größere Zielgruppe erreichen, ist offensichtlich. Auf welche
Weise, das wage ich heute nicht zu sagen.
Wenn von mobilem
Online-Journalismus die Rede ist, geht es zumeist um die Zukunft. Laptops
sind als Darstellungsgerät noch immer zu sperrig, um von tatsächlicher
Mobilität und sofortiger Nutzbarkeit zu sprechen. Immerhin hat aber
beispielsweise das „iPhone“ von Apple bereits einen größeren Bildschirm, der
Websites gut anzeigen kann. Die Navigation ist jedoch – zum Beispiel
verglichen mit einer Zeitung – sehr umständlich. Die Bildschirmgröße wird
zudem mit Geräten wie dem „iPhone“ ihre Grenze bereits erreicht haben. Sind
langfristig gänzlich neue Endgeräte nötig? Und wie werden diese gestaltet
sein?
Das iPhone ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Für mich war
bereits mein erstes WLAN eine kleine mobile Revolution – plötzlich konnte
ich morgens am Frühstückstisch bequem das Netz lesen statt die Zeitung. Den
gleichen Sprung vollziehen wir jetzt noch einmal mit Handys. Sie haben in
absehbarer Zeit genügend Bandbreite und einen akzeptablen Formfaktor. Mein
persönliches Wunschgerät ist ein dünnes, berührungsempfindliches
DIN-A5-Display mit Breitband-Verbindung, das sich zusammenklappen und in die
Hosentasche stecken lässt.
Eine Zeitung auf „elektronischem
Papier“ würde wohl das Beste aus allen Medien kombinieren (Lesbarkeit,
Flexibilität, interaktive Werbeformate mit Darstellungen wie im
Print-Journalismus). Wann kommt die faltbare elektronische Zeitung? Oder
bleibt sie Ihrer Meinung nach eine Vision?
So sehr ich selbst dieser Vision nachhänge - ich bin mir nicht sicher, ob
das elektronische Papier, das seit vielen Jahren angeblich nur wenige Jahre
vor der Marktreife steht, nicht vor allem durch die Träume klassischer
Print-Journalisten am Leben erhalten wird. Für uns findet jedes Medium seine
Apotheose in der Papierform. Nach dem Wechsel von Print zu Online vor einem
guten Jahr habe ich mittlerweile ganz andere Phantomschmerzen und ertappe
mich während der Zeitungslektüre dabei, wie ich versuche,
Zeitungs-Überschriften anzuklicken. |
Zur Person
Jochen Wegner ist seit 2006 Chefredakteur von
Focus
Online.
Zuvor war der Diplom-Physiker stellvertretender Leiter des Ressorts
„Forschung
und Technik“
der Wochenzeitschrift Focus und Blogger (selbr.de).
In der Internet-Urzeit, genauer 1994, gründete er das inzwischen größte
deutschsprachige Forum für Journalisten im Internet,
Jonet.org.
Nach einer Ausbildung an der Kölner
Journalistenschule ab-solvierte Wegner ein Studium der Physik und der
Philosophie und schrieb an der Klinik für Epileptologie eine Diplomarbeit
über die
„Chaostheorie
des menschlichen Gehirns", die man heute leider nicht mehr bei Amazon
bestellen kann. Stattdessen gibt es dort sein Buch
„Warum
immer ich?". Jochen Wegner hat zudem zahlreiche Publikationen in der
Fachliteratur vorgelegt. |