Wir gestalten nur eine Übergangsphase

Focus Online-Chefredakteur Jochen Wegner über mobilen Online-Journalismus



A
usgabe 51
Die Macht unserer ständigen Begleiter


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Editorial von Björn Brückerhoff
„Wir gestalten nur eine Übergangsphase“
Gläserner Bürger 2.0
Continuous Partial Attention

Die Mobilisierung der Wissensarbeit
Überwachung und Verrat

Sag mir, wo Du stehst...
Revolution der Mobilfunkbranche?
Der Alltag denkt mit
Uneingeschränkte Mobilität
Mobile Inhalte: keine Selbstbedienung
Der Visionär
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Serie: Schönheiten des Alltags


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Interview: Björn Brückerhoff     Bild: Tomorrow Focus AG  

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Das mobile Internet auf dem Handy ist längst da. Auf fast jedem aktuellen Mobiltelefon kann es aufgerufen werden. Der Durchschnittsnutzer wählt sich noch immer durch einen versehentlichen Druck auf die zumeist absurd griffgünstig platzierte Taste mit dem Weltkugel-Piktogramm ein und bemerkt dies erst ein paar Wochen später auf seiner Telefonrechnung. Geschieht der Klick ins Netz absichtlich, bleibt beim angestrengten Blick auf den Briefmarken-Bildschirm wohl nach kurzer Zeit kaum Interesse an Inhalten übrig.

Die Profis sind schon ein paar Schritte weiter. Damit das Web in gewohnter Qualität zum Mitnehmen zur Verfügung steht – möglichst ohne Kompromisse hinsichtlich Grafik und Geschwindigkeit – verfügen Smartphones wie das Blackberry Pearl schon heute über größere Bildschirme und eine erweiterte Tastatur. Das iPhone von Apple radikalisiert diesen Trend und ersetzt die Tasten gleich vollständig durch eine virtuelle Tastatur auf einem vergleichsweise riesenhaften Display, das nahezu die gesamte Oberseite des Gerätes einnimmt. Die Handlichkeit bleibt dabei freilich auf der Strecke. Der Nutzer muss sich entscheiden: Handlichkeit gegen Lesbarkeit.

Angesichts der Größe der Geräte wird vielen der Internetzugang zu Hause oder im Büro noch ausreichen. Wenn in Zukunft Internet-Inhalte – zum Beispiel journalistische Angebote – überall in gewohnter Qualität aufgerufen werden sollen, sind neue Konzepte nötig. Zudem gewinnen insbesondere Angebote zur Kommunikation und Interaktion von Menschen im mobilen Alltag (Stichwort Web 2.0) unterwegs deutlich an Reiz. Neue Gegenwart hat mit Focus Online-Chefredakteur Jochen Wegner über Veränderungen durch die Mobilisierung des Online-Journalismus gesprochen.


Herr Wegner, was halten sie von Leserbeteiligung im Online-Journalismus via Mobiltelefon?

Ich glaube nicht an die Trennung zwischen mobilen und anderen Online-Diensten. Es gibt nur ein Internet, und das wird absehbar auf dem Handy genau so nutzbar sein wie am Computer. „Leserbeteiligung im Online-Journalismus via Mobiltelefon“ klingt für mich deshalb etwas pleonastisch.

Die Möglichkeiten der mobilen Nutzerbeteiligung im Online-Journalismus sind bislang eher negativ aufgefallen: „Leserreporter“, die Prominente per Handy-Kamera ablichten, haben für Schlagzeilen gesorgt. Welche sinnvollen und seriösen Konzepte zur mobilfunkbasierten Einbeziehung von Lesern sind denkbar?

Als wir unsere Leser etwa während der WM aufforderten, Fotos und Videos des Geschehens auf unsere Bilderplattform
Focus Online Live hochzuladen, erhielten wir mehr als 3.000 Einsendungen, die selbstverständlich in unsere redaktionelle Arbeit einflossen.

Wie eine Welt aussehen wird, in der diese Art von Bürgerjournalismus selbstverständlich ist, zeigt für mich
Flickr immer noch am besten. Die Gründerin Caterina Fake erzählte gerne die folgende Geschichte, um die Bedeutung des „Hyperlokalen“ zu illustrieren: Ein Flickr-User aus San Francisco bekam im Urlaub einen Anruf. Der Gebäudekomplex, in dem sich sein Apartment befindet, stehe in Brand. Statt nun wild herumzutelefonieren, ging der Mann wie selbstverständlich auf flickr.com und fand prompt aktuelle Fotos des Ereignisses, soeben von Menschen auf der Straße aufgenommen und direkt hochgeladen. Darauf war zu erkennen, dass sein Apartment nicht betroffen war. Beruhigt setzte er seinen Urlaub fort. Die Geschichte illustriert sehr schön, wie eine Welt aussehen wird, in der User zu Alltagsreportern werden – abseits von kollektiven Großereignissen.

Wie verträgt sich der Qualitätsanspruch journalistischer Print-Marken mit der Möglichkeit „mobiler“ Nutzerbeteiligung in ihren Online-Ablegern?

Dieser Gegensatz klingt konstruiert.

W
elche Rahmenbedingungen würden sie „Leserreportern“ für ihre „Arbeit“ mitgeben?

Auf Focus Online Live gilt die übliche Netiquette. Wenn wir Live-Fotos oder Live-Videos redaktionell verwenden, gelten dafür die üblichen Standards unserer Redaktion. Das genügt.

Wie oft nutzen sie Ihr Handy, um journalistische Nachrichten zu empfangen?


Mehrmals stündlich – ich schaue mir auf dem Blackberry www.focus.de an
.

Focus Online bietet SMS- und MMS-Dienste für die Leser. Podcasts und Videos für Mobilfunknutzer gehören in vielen journalistischen Online-Angeboten ebenfalls zum Standard. Welche journalistischen Angebote bieten sich zusätzlich an, um Handy-Nutzer anzusprechen?

Wir begnügen uns derzeit mit einem für alle gängigen Display optimierten Text- und Bild-Angebot. Der Ausbau mit vielen weiteren Features ist gerade in Arbeit. Allerdings gestalten wir nur noch eine Übergangsphase. Das klassische Internet wird in absehbarer Zeit ohnehin mobil nutzbar sein.

Mobile Endgeräte ermöglichen viele Dienstleistungen, insbesondere Dienste mit lokaler Ausrichtung. Wie ist diese Lokalisierung für den professionellen Nachrichten-Journalismus im Internet umsetzbar?

Wir arbeiten zum Beispiel daran, unseren gesamten Content mit
Geocodes zu versehen – einen ersten Test haben wir gemeinsam mit Map24.de gestartet, wo eine Auswahl unserer Nachrichten auf einer Karte verortet ist. Für Lokalmedien bieten sich hier natürlich noch größere Chancen – warum sollte mein Handy nicht bald die Frage beantworten, was gerade in der Gegend geschieht, in der ich mich befinde?

Bevor ich zu Focus Online kam, war ich dabei, mit Gleichgesinnten ein Startup zu gründen. Wir wollten einen Handy-Dienst schaffen, in dessen Zentrum eine Art Location Based Community gestanden hätte. Heute gibt es viele solcher Angebote. Ortsinformation – die Antwort auf die Handy-Standardfrage „Wo bist Du?“ - ist ein starker sozialer Kleber. Dass Angebote wie
plazes.com den Journalismus verändern können, wenn sie erst einmal eine größere Zielgruppe erreichen, ist offensichtlich. Auf welche Weise, das wage ich heute nicht zu sagen.

Wenn von mobilem Online-Journalismus die Rede ist, geht es zumeist um die Zukunft. Laptops sind als Darstellungsgerät noch immer zu sperrig, um von tatsächlicher Mobilität und sofortiger Nutzbarkeit zu sprechen. Immerhin hat aber beispielsweise das „iPhone“ von Apple bereits einen größeren Bildschirm, der Websites gut anzeigen kann. Die Navigation ist jedoch – zum Beispiel verglichen mit einer Zeitung – sehr umständlich. Die Bildschirmgröße wird zudem mit Geräten wie dem „iPhone“ ihre Grenze bereits erreicht haben. Sind langfristig gänzlich neue Endgeräte nötig? Und wie werden diese gestaltet sein?

Das iPhone ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Für mich war bereits mein erstes WLAN eine kleine mobile Revolution – plötzlich konnte ich morgens am Frühstückstisch bequem das Netz lesen statt die Zeitung. Den gleichen Sprung vollziehen wir jetzt noch einmal mit Handys. Sie haben in absehbarer Zeit genügend Bandbreite und einen akzeptablen Formfaktor. Mein persönliches Wunschgerät ist ein dünnes, berührungsempfindliches DIN-A5-Display mit Breitband-Verbindung, das sich zusammenklappen und in die Hosentasche stecken lässt.

Eine Zeitung auf „elektronischem Papier“ würde wohl das Beste aus allen Medien kombinieren (Lesbarkeit, Flexibilität, interaktive Werbeformate mit Darstellungen wie im Print-Journalismus). Wann kommt die faltbare elektronische Zeitung? Oder bleibt sie Ihrer Meinung nach eine Vision?

So sehr ich selbst dieser Vision nachhänge - ich bin mir nicht sicher, ob das elektronische Papier, das seit vielen Jahren angeblich nur wenige Jahre vor der Marktreife steht, nicht vor allem durch die Träume klassischer Print-Journalisten am Leben erhalten wird. Für uns findet jedes Medium seine Apotheose in der Papierform. Nach dem Wechsel von Print zu Online vor einem guten Jahr habe ich mittlerweile ganz andere Phantomschmerzen und ertappe mich während der Zeitungslektüre dabei, wie ich versuche, Zeitungs-Überschriften anzuklicken.

Zur Person

Jochen Wegner ist seit 2006 Chefredakteur von
Focus Online. Zuvor war der Diplom-Physiker stellvertretender Leiter des Ressorts „Forschung und Technik“ der Wochenzeitschrift Focus und Blogger (selbr.de). In der Internet-Urzeit, genauer 1994, gründete er das inzwischen größte deutschsprachige Forum für Journalisten im Internet, Jonet.org. Nach einer Ausbildung an der Kölner Journalistenschule ab-solvierte Wegner ein Studium der Physik und der Philosophie und schrieb an der Klinik für Epileptologie eine Diplomarbeit über die Chaostheorie des menschlichen Gehirns", die man heute leider nicht mehr bei Amazon bestellen kann. Stattdessen gibt es dort sein Buch Warum immer ich?". Jochen Wegner hat zudem zahlreiche Publikationen in der Fachliteratur vorgelegt.