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Text: Jens O. Brelle     Bild: Sam LeVan  

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Die GEMA und einige Musikverlage streiten bereits um mobil genutzte Kreativleistungen. Wie wird sich das Thema Rechte und Klingeltöne/Videoklingeltöne/sonstige für Mobiltelefone genutzte Kreativleistungen" weiter entwickeln? Versuch einer mobilen "Vision".

Die Vergabe von Lizenzen zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke, zum Beispiel auf dem Gebiet der Musik, erfolgt in Europa seit über hundert Jahren auf zweifache Weise. Individuell, das heißt unmittelbar durch den Kreativen, beispielsweise den Komponisten, Textdichter oder deren Verleger oder kollektiv, also durch die von den Rechteinhabern gegründeten Verwertungsgesellschaften. Das ist zum Beispiel die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA).

In einem Rechtsstreit der GEMA mit einem Musikverlag entschied das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg am 18. Januar 2006, dass die Nutzung urheberrechtlich geschützter Musik als Handy-Klingelton einen Eingriff in das Urheberpersönlichkeitsrecht gemäß den §§ 14, 23 Urhebergesetz darstellt. Dies gelte gleichermaßen für monophone (v. griech. μονο, mono „eins“ und φονος, phonos „Klang“, also „Einklang“) als auch für polyphone (v. griech. πολυ poly „mehr“) Klingeltöne. Der Musikverlag hatte geklagt, weil die GEMA ohne dessen Zustimmung Musik aus dem Verlagsrepertoire als Handyklingelton weiter lizenziert hatte.

Durch die Änderung des GEMA-Berechtigungsvertrages im Jahre 2002 war die GEMA jedoch nicht umfassend berechtigt worden, die Rechte zur Bearbeitung und Verwendung von Musik als Handy-Klingelton ohne Zustimmung der Urheber zu vergeben. Die Zustimmung der Urheber muss sogar dann eingeholt werden, wenn der Urheber einem anderen Nutzer bereits eine identische oder unwesentlich abweichende Klingeltonversion lizenziert hat. Da Nutzung von Musik als Klingelton eher einer Merchandising-Nutzung nahe kommt als der herkömmlichen Nutzung in Konzerten, im Rundfunk oder auf Tonträger, sah das Gericht die Einräumung der Rechte für Klingeltöne nicht vom GEMA-Berechtigungsvertrag umfasst.

Bereits am 19. Juli 1995 hatte die Europäische Kommission ein Grünbuch zum Thema "Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft" vorgelegt. In dem Grünbuch fordert die Kommission neue und effiziente Mechanismen für die Einräumung von Urheberrechten für Multimediaproduktionen, sei es offline, sei es online und mahnte eine drastische Vereinfachung der Rechtevergabe an. Der Vorschlag der Kommission lautete, „die Verwertungsgesellschaften und andere Verwalter solcher Rechte (sollten) angeregt werden, gemeinsame Organisationen zu schaffen, die eine Vereinfachung der Verwaltung der Rechte erlauben".

Konkret schlug die Kommission vor, dass Verwertungsgesellschaften und bestimmte individuelle Rechteinhaber so genannte "zentrale Anlaufstellen" beziehungsweise "Clearing-Houses" gründen, um den Nutzern das umständliche, zeitaufwendige und oft auch erfolglose Suchen nach Rechteinhabern (beispielsweise) musikalischer Werke zu erleichtern. Dem Wunsch der Kommission sind die Verwertungsgesellschaften auf zweifache Weise nachgekommen: durch Gründung von Clearingsystemen für Multimediaprodukte sowie durch die Ausweitung ihrer Gegenseitigkeits-verträge.

Auch zukünftig wird daher das zweigliedrige europäische System der Rechteinräumung erhalten bleiben. Zwischen beiden Formen der Rechteinräumung (individuell oder kollektiv) gibt es weder eine Hierarchie noch einen Qualitätsunterschied. Wo dies aus praktischen Gründen möglich ist, weil der Urheber die wirtschaftlichen ebenso wie die nicht wirtschaftlichen Bedingungen für die Nutzung seiner Werke selbst festlegen und kontrollieren kann, ist die individuelle Methode der Rechtewahrnehmung und Rechtevergabe die beste. Wo dies jedoch wegen der Technik der Nutzung oder wegen der Vielzahl der Werkenutzer unmöglich ist, ist die kollektive Rechtewahrnehmung und Rechtevergabe durch Verwertungsgesellschaften der beste Weg, die ideellen und wirtschaftlichen Interessen der schöpferischen Menschen wahrzunehmen und zu schützen.

Die herkömmlichen Gründe, die aus der Sicht von Rechteinhabern sowie von Rechtenutzern für eine kollektive Rechteverwaltung gesprochen haben, bleiben auch im Zeitalter moderner Kommunikation bestehen. Eine Verwertungsgesellschaft kann einem Lizenznehmer das Weltrepertoire aber nur dann anbieten, wenn sie an einem globalen Netz von Gegenseitigkeitsverträgen beteiligt ist. So überträgt z.B. nach den herkömmlichen Gegenseitigkeitsverträgen die GEMA das Repertoire ihrer Mitglieder auf eine ausländische Schwestergesellschaft zur Verwertung in deren jeweiligem Verwaltungsgebiet. Dieses System entspricht aber nicht mehr den Bedürfnissen der modernen Kommunikation, in dem geschützte Werke über Länder- und Verwaltungsgrenzen hinweg genutzt werden. Die Verwertungsgesellschaften waren sich deshalb frühzeitig einig, dass es einem Content-Provider, der seine Dienste im Internet weltweit anbieten will, nicht zugemutet werden soll, mit jeder Verwertungsgesellschaften in jedem Land, in dem seine musikalischen Dienste online dar- bzw. angeboten werden, Lizenzverträge abzuschließen. Das gleiche gilt für mobil genutzte kreative Leistungen.

Daher haben die musikalischen Verwertungsgesellschaften einen (Muster-) Zusatzvertrag zu den geltenden Gegenseitigkeitsverträgen, das sog. "Santiago-Abkommen" entworfen (dieses wurde anlässlich des CISAC-Kongresses 2000 in Santiago de Chile unterzeichnet), auf dessen Grundlage die Verwertungsgesellschaften Lizenzen auch für Werke ihrer Schwestergesellschaften zur Nutzung von Musik im Internet und in der mobilen Kommunikation auch über ihre jeweiligen Verwaltungsgebiete hinaus, das heißt im Zweifel weltweit, erteilen können.

Nach dem Santiago-Abkommen braucht ein Content-Provider, wenn ihm einmal eine Lizenz von der nach obigen Kriterien für ihn zuständigen Verwertungsgesellschaft erteilt worden ist, keine weiteren Genehmigungen mehr von einer anderen Verwertungsgesellschaft auf dem Gebiet der Musik einzuholen. Dies verschafft den Internet- und Mobilcontent-Anbietern die Rechtssicherheit, die sie für ihre Tätigkeit benötigen.

Für das wichtige anglo-amerikanische Repertoire gilt folgende Besonderheit:

Auf der Grundlage des Santiago Abkommens kann die GEMA für das Aufführungsrecht, das sie von ihren amerikanischen Schwestergesellschaften ASCAP und BMI sowie ihrer britischen Schwestergesellschaft PRS, erhält, eine weltweite Lizenz erteilen. Für das mechanische Recht am anglo-amerikanischen Repertoire hat die GEMA das Recht, auf der Grundlage ihrer Berechtigungsverträge mit den jeweiligen anglo-amerikanischen Subverlagen in Deutschland, das mechanische Rechte nur für die Nutzung in Deutschland zu lizenzieren. Der Download beziehungsweise die mobile Nutzung in einem Drittland müsste von der dort zuständigen Verwertungsgesellschaft lizenziert werden, die das dafür notwendige mechanische Vervielfältigungsrecht ebenfalls von ihrem Subverleger-Mitglied nur für ihr eigenes Verwaltungsgebiet erhält, da auch der einschlägige Subverlag diese Subverlagsrechte vom Originalverlag nur für das jeweilige Land erhält, in dem die Verwertungsgesellschaft, bei der er Mitglied ist, tätig ist.

Mit der Ausweitung ihrer Gegenseitigkeitsverträge haben die Verwertungs-gesellschaften ganz im Sinne der Anregung der EU-Kommission reagiert und den Nutzern auf dem Internet-Markt ein One-Stop-Shop-System zum schnellen und unkomplizierten Rechteerwerb geschaffen. Gäbe es das Santiago-Abkommen nicht, dann wären die Nutzer gezwungen, eine Erlaubnis zur Nutzung des jeweiligen Musikrepertoires bei jeder Verwertungsgesellschaft, in deren Territorium Nutzungen vorgenommen werden sollen, einzuholen.

Der Autor



Jens O. Brelle

Rechtsanwalt

Geboren am 15. November 1968. Hamburger Medienanwalt. Seit 2004 freier Dozent am Institut für Kultur- und Medienmanagement, Hamburg. Seit 2003 Rechtsdozent an der Akademie Mode und Design GmbH (AMD), Hamburg. Seit 2003 Contributor beim M-109 Network  "M-Publication", Frankfurt. Seit 2000 Rechts- und Medienanwalt, Hamburg & Berlin. Die Kanzlei betreut kreative und gestalterisch tätige Unternehmer. Der kostenlose Newsletter >>>ART-LAWYER®.DE #actuals bringt immer montags aktuelle Rechtsinfos, Wirtschafts-news und Veranstaltungstipps aus der Design-, Medien- und Kulturbranche.

Quellen und Links


Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte

Urteil des Hans. OLG Hamburg vom 18. Januar 2006, in:
JurPC Web-Dok. 22/2006, Abs. 1 – 62.
Online-Dokument

Wikipedia zur GEMA

Reinhold Kreile und Jürgen Becker: „Das Internet und digitales Rechtemanagement aus Sicht der GEMA“, aus: Das Handbuch der Musikwirtschaft (Herausgeber: Moser/Scheuermann, 6. Auflage, ISBN: 3-7808-0188-4).