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Sag
mir, wo du stehst
(und ich sage dir,
was du willst)
Ortsgebundene Informationsdienste
Text:
Polly Grigorova
Bild: Neue Gegenwart
Mobilität und Flexibilität
werden im privaten
und beruflichen Leben als immer wichtiger empfunden. Entsprechend erhöht sich die
Nachfrage nach Produkten, die an jedem Ort und zu jeder Zeit die Nutzung,
Verarbeitung von Informationen ermöglichen.
Eine neue Gerätegeneration ermittelt die Alltagssituation, in der sich die Nutzer befinden
und filtert passende Informationen für sie heraus.
Die technische Lösung dazu gibt es bereits.
Mit dem kürzlich vorgestellten „iPhone“
von Apple kann man zum Beispiel nicht nur telefonieren, sondern auch Musik
abspielen und Filme zeigen, im Internet surfen und E-Mails schreiben. Moderne
Handys verbinden also nicht nicht nur Eigenschaften bisheriger Massenmedien,
sondern machen
sie vor allem mobil. Diese Mobilität ermöglicht auf der einen Seite die
ortsungebundene Übertragung von Informationen und auf der anderen Seite die
Lokalisierbarkeit der Handynutzer über die Funkzelle, in der sie sich gerade
befinden. Die Kombination dieser beiden Handy-Eigenschaften bildet die
Grundlage für die Entwicklung standortbezogener Dienste, auch Location
Based Services (LBS) genannt, die theoretisch jedem stets die zu seinem
Ort und seiner Situationen passenden Informationen liefern sollen.
Eine präzise Ortung der Nutzer ist zwar bereits heute durch das
Global Positioning System
(GPS) möglich, doch GPS funktioniert zum Beispiel nicht in
geschlossenen Räumen. Hier kann UMTS (dritte Mobilfunkgeneration) nicht nur
solche Lücken schließen, sondern durch die hohe Zellendichte auch eine
breite Anwendung für LBS-Dienste ermöglichen.
Wenn sich ein Nutzer mit einem W-LAN- oder bluetooth-fähigen mobilen
Endgerät an einem entsprechenden Hotspot anmeldet, lässt sich ihr Standort
auch darüber bestimmen. Damit ortsbezogene multimediale Inhalte trotz der
Vielzahl an Übertragungsstandards reibungslos übermittelt werden können,
müssen zuerst die Mobilfunknetze kompatibel werden.
Push- vs. Pull-Modell
Eine Lösung für die technischen Probleme zu finden scheint aber nicht
die größte Herausforderung für die Entwicklung und Umsetzung von Location
Based Services zu sein. Als deutlich komplizierter zu beantworten erweist
sich aus Anbietersicht die Frage, welche Geschäftsmodelle die Bedürfnisse
der Handynutzer besser bedienen können. Theoretisch gesehen lassen sich
Orts- und situationsbezogene Informationen sowohl als Push- als auch als
Pull-Dienste realisieren. Im Push-Modell werden dem mobilen Nutzer
Nachrichten ohne Informations-anforderung zur Verfügung gestellt. Damit
solche Push-Dienste dem tatsächlichen Informationsbedarf der Nutzer
entsprechen, erfordern sie jedoch beispielsweise persönliche
Nutzer-informationen über Kaufgewohnheiten und -präferenzen. Eine solche
Datenbank mit Kundeninformationen aufzubauen erweist sich in der Praxis aber
oft als problematisch, weil das Handy im Gegensatz zu anderen Medien ein
sehr persönlicher Gegenstand ist und überwiegend mit persönlichen
Nachrichten assoziiert wird, deren Inhalte die Nutzer gut geschützt wissen
wollen.
Ortsbasierte Pull-Dienste können dagegen deutlich einfacher umgesetzt
werden, ohne auf das private Leben der Nutzer eingreifen zu müssen, weil sie
nur auf Anforderung des Empfängers bereitgestellt werden. So können
Handynutzer beispielsweise durch den Versand einer SMS weitere Informationen
zu ihrem aktuellen Aufenthaltsort anfordern. Nach erfolgter Ortung können
dann auch Push-Dienste von räumlich nahe liegenden Produkt- und
Serviceanbietern zugesandt werden, wie zum Beispiel Informationen über ein
bestimmtes Konzert in der Nähe.
Welches Modell sich in der Zukunft durchsetzen wird, liegt vor allem an der
Bereitschaft der Nutzer, zu bestimmten Themen Botschaften empfangen zu
wollen – und natürlich wann und wie viele (Permission Marketing). Damit
insbesondere Push-Dienste nicht als störend empfunden werden, kann
beispielsweise ein Modell mit abgestuften Filtern eingesetzt werden, bei dem
die Nachrichten je nach Wichtigkeit aussortiert werden. Somit werden die
Kunden nur Informationen über Produkte und Dienstleistungen per Handy
erhalten, die wirklich relevant für sie sind. Da die Realisierung solcher
mehrstufiger Modelle noch sehr aufwendig ist, dominieren ortsbasierte
Pull-Dienste derzeit den mobilen Markt. Solche Location Based Services
können zum Beispiel in den Bereichen Navigation (Stadtführer, Verkehr) und
Telematik (Stau, Tankstellen), Tracking und Tracing (Find a friend) sowie
Notrufdienste (Feuerwehr, Polizei) einen besonderen Mehrwert für die
Handynutzer bieten.
LBS als Navigation- und
Telematikdienste
Die zumeist nachgefragten Location Based Services sind derzeit Navigationsfunktionen und
spezifische Suchanfragen. Mit ihrer Hilfe können Reisende jederzeit orts-
und situationsgebundene Dienste nutzen und Informationen per Handy abrufen.
Sie erfahren beispielsweise, wo die günstigste Tankstelle in der Umgebung
liegt, können lokale oder regionale Landkarten einsehen oder sogar
individuelle Routen berechnen wie etwa eine Wegplanung mit verschiedenen
Verkehrsmitteln unter Berücksichtigung der Kosten- und Zeitfaktoren. Darüber
hinaus bieten sich neue Geschäftsmodelle an, zum Beispiel für
Automobilverkäufer, die intermediäre Informationen von fahrenden
Kunden an Raststätten oder Hotels verkaufen, die ihrerseits den Kunden
kontextspezifische Dienstleistungen anbieten.
Die hohen Übertragungsraten der modernen Netze und die leistungsfähigeren
Bildschirme der mobilen Endgeräte ermöglichen zudem die Einbindung von
multimedialen Inhalten, etwa Bildern oder Videos. Die Berliner
Mobilfunkfirma Gate5 bietet zum Beispiel dreidimensionale Ansichten von
Straßenkarten an – wie bei einer virtuellen Geländetour. Dadurch erweitert
sich nicht nur das Einsatzspektrum mobiler Dienste, sondern auch ihre
Nutzerfreundlichkeit.
Navigationsapplikationen wie Routenplaner, Stadtpläne oder Museumsführungen
können auch für Touristen einen großen Vorteil bieten. Eine der neuesten
Entwicklungen in der Reisebranche heißt ‚Talking Street’ und kommt von der
New Yorker Medienfirma Candide Media. ‚Talking Street’ ist eine Audiotour
für Mobiltelefone, die den Kunden eine Stunde lang mit Storys und
Zeitzeugenberichten versorgt. Im einem nächsten Schritt soll der Service
sogar durch Multimediasequenzen erweitern werden: Wer ein Multimediahandy
hat, dem will ‚Talking Street’ zukünftig auch Videoclips von Straßenszenen
von vor 60 Jahren zuschicken.
LBS als Tracking-Dienste
Ein weiteres wichtiges Feld der Location Based Services stellen Tracking- und
Tracingfunktionen dar. Vor allem in der Arbeitswelt, die zunehmend mobiler
wird, haben solche Dienste in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen.
Sie erlauben Unternehmen zum Beispiel, die Position ihrer
Außendienstmitarbeiter zu lokalisieren oder die Anlieferung bestellter Waren
zu überwachen und zu steuern.
Auch in der privaten Lebenswelt finden Trackingfunktionen verstärktes
Interesse. Mit ihrer Hilfe können Eltern ihre Kinder zu jeder Zeit ausfindig
machen und sie dadurch besser schützen. Auch Freunde und Bekannte, die sich
gerade in der Nähe voneinander aufhalten, können so spontane Treffen
vereinbaren. Nach dem Hamburger Unternehmen Mobiloco, das der ‚Friendfinder’
entwickelt hat, bedient der Dienst vor allem das menschliche Grundbedürfnis
nach Kommunikation mit Freunden. Die Zielgruppe der ‚Friendfinder’ sind
insbesondere jugendliche Mobilfunkuser, die sich als Bestandteil einer
festen Community fühlen. Location Based Services bieten so die Möglichkeit,
die Bindung an eine Gruppe und die Teilnahme an Gruppenaktivitäten zu
intensivieren.
Damit sich niemand seine Privatsphäre
verletzt sieht, müssen die gesuchten Freunde davor ihr Einverständnis zur
Positionsbestimmung geben. Wissenschaftler der Technischen Universität
München beschäftigen sich derzeit schon mit der nächsten Generation von ‚Friendfindern’.
Im Gegensatz zu der ersten Generation ortet das neue System die Probanden
nicht auf Anfrage, sondern verfolgt ständig deren Spur. Über den Erfolg des
Projekts wird vermutlich weniger die technologische Entwicklung entscheiden,
sondern vielmehr die Nutzer und ihre Bereitschaft zur Preisgabe von
Privatsphäre.
LBS als Notrufdienste
Besonders im Notfall, wenn es um sekundenschnelle Reaktionen geht,
kann das Handy Leben retten. In solchen Situationen bietet ein Mobiltelefon oft die einzige Möglichkeit,
Polizei, Rettungsdienst oder Feuerwehr zu alarmieren. So bestätigt
eine Umfrage des Providers Talkline vom 2005, dass sich fast drei Viertel
der befragten Nutzer mit dem Handy in der Tasche sicherer fühlen und es in
einem Notfall als Erstes nutzen würden. Vor allem ältere Menschen, die in
ihrer Mobilität eingeschränkt sind, profitieren von der Kommunikation
via Mobilfunk. Sie haben die Gewissheit, per Handy schnell und jederzeit
Hilfe holen zu können. So kommt beim Frankfurter Verband für Alten- und
Behindertenhilfe zum Beispiel ein speziell entwickeltes GPS-Handy des
finnischen Spezialisten Benefon zum Einsatz. Kranke und ältere Menschen, die
allein unterwegs sind, müssen im Notfall nur einen einzigen Knopf drücken,
damit die Leitstelle deren Aufenthaltsort bis auf wenige Meter genau
ermitteln kann.
Auch in der Medizin eröffnet die Mobilfunktechnik neue Möglichkeiten. Ihr
wesentlicher Nutzen besteht in einem deutlich verbesserten
Informationsaustausch zwischen Arztpraxen, Kliniken, Rehabilitationszentren
und Patienten. Die Deutsche Krankenversicherung (DKV) hat beispielsweise in
Zusammenarbeit mit Siemens Business Services ein Konzept für ein umfassendes
mobiles Gesundheitsmanagement entwickelt. Danach kann der Patient im Notfall
direkt mit seinem Arzt oder den Mitarbeitern des DKV-Gesundheitsmanagements
Kontakt aufnehmen. Sein Handy übermittelt dabei sowohl aktuelle medizinische
Daten, als auch den Aufenthaltsort automatisch an den Rettungsdienst.
Vor allem bei der Versorgung chronisch Kranker könnte das Handy eine
effektive und effiziente Hilfe leisten. Immerhin ließen sich in diesem
Bereich bis zu 30 Prozent der jährlichen Versorgungskosten durch die
konsequente Anwendung von Telemedizin einsparen. Ein mögliches Einsatzfeld
für Handys stellt zum Beispiel die Vorsorge bei Epileptikern dar. Mit Hilfe
eines Mobiltelefons lassen sich durch Datenübertragung jederzeit
Veränderungen des Blutbildes feststellen, die einen epileptischen Anfall
ankündigen. Sollten gravierende Unregelmäßigkeiten auftauchen, wird der
Patient per Mobiltelefon informiert und aufgefordert, umgehend seinen Arzt
aufzusuchen.
LBS – vor allem nutzerorientiert
Die oben beschriebenen Szenarien sind nur ein kleiner Teil der noch zu
entdeckenden Möglichkeiten der modernen mobilen Technologie und
Kommunikation. Damit Location Based Services in Zukunft eine
Massenverbreitung finden, müssen sie dem Nutzer vor allem einen echten
Mehrwert bieten. So ist ein mobiler Routenführer im Ausland wegen des
Verständigungsproblems deutlich sinnvoller als im Inland, wo auch Taxifahrer
und Passanten den Weg zum nächsten Restaurant weisen könnten. Um
erfolgreiche Dienste zu entwickeln, müssen sich die Anbieter also noch
stärker an die realen Bedürfnissen ihrer Kunden orientieren, statt wie bisher
oftmals nur am technisch Machbaren. |
Ausgabe
51
Die Macht unserer ständigen Begleiter
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Editorial von Björn Brückerhoff
„Wir
gestalten nur eine Übergangsphase“
Gläserner Bürger 2.0
Continuous Partial
Attention
Die Mobilisierung der
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Überwachung und Verrat
Sag mir, wo Du
stehst...
Revolution der Mobilfunkbranche?
Der Alltag denkt mit
Uneingeschränkte Mobilität
Mobile Inhalte: keine Selbstbedienung
Der Visionär
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Literatur
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Reichwald, Ralf (Hrsg.) (2002): Mobile Kommunikation. Wertschöpfung,
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