TEXT: BJÖRN
BRÜCKERHOFF
BILDER: VEREINIGTE
DIENSTLEISTUNGSGEWERKSCHAFT
Grund zum Selbstmord haben Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz
bekommen. Dieser Meinung ist offenbar die Jugendabteilung der
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Ein Werbeclip der Verdi-Jugend, der seit
dem 22. Oktober im Abend- und Nachtprogramm auf dem Musiksender Viva läuft,
soll für umlagefinanzierte Ausbildungsplätze werben – mit Selbstmordszenen
von Teenagern.
Im
Werbespot
der Gewerkschaft steckt sich ein Junge einen Revolver in den Mund, ein
anderer vergiftet sich mit Autoabgasen. Ein Mädchen erhängt sich, ein
anderes schneidet sich die Pulsadern auf. Zu allen Bildern läuft aggressive
Punkmetal-Musik: „Stand up and fight“. Am Ende des Spots der kühle
Nachrichtentext: „Nach offiziellen Angaben fehlen zurzeit in Deutschland
150.000 Ausbildungsplätze.“ Dann die Slogans der Kampagne: „Jugend braucht
Zukunft. Jugend braucht Ausbildungsplätze“.
Torsten Tenbieg,
Verdi-Bundesjugendsekretär, sieht die Angelegenheit eher entspannt. „Wir
wollten mit dem Clip starke Reaktionen hervorrufen“, sagte er gegenüber
Spiegel Online. „Krasse Situationen erfordern krasse Maßnahmen“.
VERDI-VIDEO: STARKE REAKTIONEN
Die Ausbildungssituation sei
katastrophal. Man müsse um Ausbildungsplätze kämpfen. Den Kampf um
Aufmerksamkeit für Verdi hat Tenbieg mit seinem Spot
immerhin schon gewonnen. Dass Jugendliche den Spot als Bestätigung ihrer
Befürchtungen sehen könnten und tatsächlich zum Strick greifen, daran denkt
Torsten Tenbieg leider nicht.
In einer Verdi-Presserklärung zum „Horror-Video“ (Bild): „Wer den Film als
zu drastisch empfindet oder ihn gar als Aufforderung zum Selbstmord
betrachtet, möge bedenken: Es ist der Mangel an Zukunft und Perspektive, der
Jugendliche manchmal verzweifeln lässt - nicht ein Film, der diesen Mangel
anprangert und dazu aufruft, ihn überwinden zu helfen.“ Auch Verdi-Vize
Frank Werneke hält das Video für ungefährlich: „Wenn dies ein Tabu war,
musste es gebrochen werden“, sagte er gegenüber der Bild-Zeitung. Unklar
bleibt, was Herr Werneke damit meint. Bei den dargestellten Szenen handelt
es sich schließlich nicht um einen Tabubruch, sondern um eine
Unverantwortlichkeit gegenüber psychisch labilen Jugendlichen, deren
Suizidrisiko bekannt ist.
Ziele unklar
Die Botschaft des Videos ist eine andere, als sich die Macher ausgedacht
haben. Das Hintergrundgedröhne „Stand up and fight“, eigentlich dafür
vorgesehen, Eigen-initiative von den Jugendlichen zu
fordern und klar zu machen, dass Selbstmord keine Lösung ist, geht
angesichts der harten Bilder vollkommen unter. Aber die
Ziele des Videos sind selbst innerhalb der Gewerkschaft unklar.
VERDI-VIZE WERNEKE:
"KEINE EFFEKTHASCHEREI"
Tenbieg und Werneke scheinen
sich nicht über die Zielsetzung des Gewaltvideos einig zu sein.Während Tenbieg betonte, es ginge darum, die Aufmerksamkeit auf eine
Verdi-Kampagne zu lenken, sagte Verdi-Vize Werneke gegenüber der
Bild-Zeitung: „Uns geht es nicht um Effekthascherei, sondern darum, die
Diskussion um die Lage am Ausbildungsmarkt voran zu bringen.“Das im Zusammenhang nicht ganz unwichtige Wort „Umlagefinanzierung“
taucht im gesamten Clip nicht auf.
Zielgruppe Unternehmer
Zielgruppe der Initiative dürften vor allem Unternehmer und Manager sein.
Warum der Spot dann auf Musiksendern läuft, ist unklar. Verdi hält mit dem
Spot vielmehr der Zielgruppe der 14- bis 29jährigen einen Zerrspiegel vor.
Und natürlich wird jetzt nur noch über das Video und seine zweifelhafte
Wirkung, aber nicht mehr über den Ausbildungsmarkt gesprochen. Der
Verdi-Bundeskongress hat den Spot durchgewunken. „Heftig, aber okay“ sei das
überwiegende Statement der Delegierten zum Selbstmordclip.
Selbstmord keine Lösung
„Logischerweise überzogen“ seien die Selbstmordszenen, gibt Tenbieg zu, das
sei aber kein Problem. Schließlich sei der Musiktext Warnung genug: „Stand
up and fight“. Selbstmord sei keine Lösung für Probleme. Brandenburgs
Innenminister Jörg Schönbohm
VERDI: SELBSTMORD NACH
ABSAGE
(CDU) sagte gegenüber der
Bild-Zeitung: „Mit diesem Spot hat sich Verdi endgültig als seriöser
Verhandlungsführer verabschiedet.“ Auch Berlins Bildungssenator Klaus Böger
(SPD) verurteilt den Spot:
„Die Situation auf
dem Arbeitsmarkt ist dramatisch. Aber man sollte auf dem Teppich bleiben und
nicht solche Mittel wählen.“
Allein in Berlin tötet sich alle neun Tage ein Jugendlicher. Die Zahl der
Selbstmordversuche liegt deutlich höher. Liebeskummer, das Gefühl des
Alleingelassenwerdens oder gar schlechte Noten sind die häufigsten Gründe.
Verdi schießt den Vogel treffsicher ab.