Von wegen Einzelkämpfer: Ganze Stäbe arbeiten jeden Tag Hand in Hand, um die
Arbeitsprozesse der Fußballberichterstattung professionell zu
bewerkstelligen. Wie verändert der digitale Medienwandel die Organisation
von Sportredaktionen und welche Arbeitsschritte sind vonnöten, um Fußball
medial zu transportieren?
Die Sportjournalistik hat in den vergangenen
Jahren Einblicke in das redaktionelle Agieren gesammelt. Dabei aufgefallen
ist: Heute sind gerade Fußballberichterstatter vor dem Hintergrund der
intensiven Rezeption ihrer Medientexte als Kulturvermittler gefragt. Sie
erreichen breiteste Bevölkerungsschichten mit ihrer aktiven
Sprachverwendung. Dass sie vor dem Hintergrund ihrer professionellen Aufgabe
somit auch Sprachbildner für die Gesellschaft sind, wird selten
thematisiert.
Wirklichkeitsabbildend, im besten Sinne authentisch zu sein ist das
kommunikative Prinzip im Sportjournalismus im Allgemeinen und der
Fußballberichterstattung im Besonderen. Reporter sollen wahrhaft und
augenscheinlich recherchieren und texten. Als Augen- und Ohrenzeugen tätig
sein. Ereignisse werden beim sportjournalistischen reportieren in Handlungen
aufgelöst und als nüchterne Informationen oder als Erlebnisse vermittelt.
Ziel ist, die Unmittelbarkeit des Fußballs in eine unmittelbare Sprache
übertragen zu können. In der Außenwahrnehmung sind es häufig einzelne
Fußballberichterstatter wie der TV-Kommentator einer Live-Übertragung oder
der einzelne Autor eines Fußballmagazins wie dem Kicker, der stets über die
Geschehnisse eines Bundesligavereins schreibt, die auffallen. De facto wird
die Fußballberichterstattung in Deutschland aber häufig arbeitsteilig in
Sportredaktionen im Kollektiv produziert. Wie dieses Räderwerk ineinander
greift wird jedoch selten dargestellt oder hinterfragt. Die
Sportjournalistik hat sich deshalb in den vergangenen Jahren vor dem
Hintergrund der Veränderungen durch den digitalen Medienwandel verstärkt
bemüht, das redaktionelle Geschehen insgesamt zu betrachten und
Arbeitsprozesse der Fußballberichterstattung zu identifizieren sowie zu
beschreiben (Bölz 2014).
Experten beschreiben als evolutionäres Resultat komplexer Neuarrangements
und Strukturänderungen zwischen sozialen Systemen und Medientechnologien ein
verändertes Erscheinen der Fußballmedien. Dabei gilt: Die Realität in der
Fußballberichterstattung beispielsweise ist nicht beliebig konstruierbar.
Die medial konstruierte kulturelle Vorstellungswelt des Fußballs muss für
die Rezipienten Sinn ergeben, also nützlich sein für den Menschen. Doch
nicht nur der Fußballberichterstatter konstruiert als Resultat seiner
Arbeitsschritte eine Fußballmedienrealität. Vor dem Hintergrund der
Explosion an Medienangeboten durch die neuen digitalen Medientechniken
rezipiert der Mensch auf unterschiedlichen Weisen Fußball – und bedient sich
der Multimodalität, um Wahrheit für sich vielfältig zu konstruieren. Es sind
somit zwei Konstruktionsprozesse, die beim Prozess des Medienfußballs
interagieren. Der Wunsch nach Multimodalität verändert die Anforderungen an
die Fußballberichterstatter im Einzelnen. Vor allem aber an das Räderwerk
der Arbeitsweisen der Fußballberichterstattung eines Medienhauses insgesamt.
Der digitale Medienwandel hat den Workflow in Sportredaktionen nachhaltig
verändert. Medienhäuser und Sendeanstalten sind vor dem Hintergrund der
Wucht der Veränderungen gezwungen, sich mit veränderten Rahmenbedingungen
auseinanderzusetzen. Und die meisten haben inzwischen ihre organisierte
Verfasstheit den neuen kommunikativen Praktiken angepasst. Klar ist: Neben
dem klassischen Medium (wie beispielsweise eine Tageszeitung, einem Radio-
oder TV-Kanal) gehört es heute für eine Sportredaktion zum
Standardrepertoire, Webseiten, Blogs, Social Media-Anwendungen wie Twitter
oder Facebook, Videos, themenspezifische Apps, TV-Bildschirme in U-Bahnen
oder Push-Nachrichten für Smartphones aktuell und professionell mit Inhalten
aus der Welt des (professionellen) Fußballs zu bespielen. Das Zauberwort für
den/die crossmedial aufgestellten Fußballberichterstatter heißt dabei
Konvergenz (Pavlik 2009: 26). Der Workflow in den Sportredaktionen – auch in
der Verzahnung mit dem redaktionellen Gesamtauftritt – basiert somit darauf,
dass Sportjournalisten einen Beitrag einmalig recherchieren, dieser dann
einem redaktionellen Kreislauf zugeführt wird, welcher den Inhalt
professionell für die unterschiedlichen Kanäle aufbereitet.
Zudem wird der Spagat zwischen sportjournalistischer Massenkommunikation
(auch „One-to-Many-Kommunikation“ genannt) und dialogischer
Individualkommunikation („One-to-One-Kommunikation“) professionell
gesteuert. Im Sinne eines als Prozessjournalismus verstandenen
Arbeitsablaufes können Rezipienten das sportjournalistische Produkt live
rezipieren, aber auch individuell in Dialog treten und auf neue Aspekte,
Meinungen oder Recherchedetails hinweisen. So wird der Rezipient durch die
digitalen Kommunikationsmöglichkeiten plötzlich zu einem (kleinen,
vielleicht aber sogar auch großen) Mitproduzenten der sportjournalistischen
Inhalte. Diese Entwicklung der Organisationsform des modernen
Sportjournalismus hat die Stärke, differenziert und kanalaffin Zielgruppen
ansprechen zu können. In der Konsequenz bewirkt diese Transformation der
Sportkommunikation ein Praktizieren weg von Push zu Pull und vor allem weg
vom einseitigen Monolog hin zu einem dialogorientierten Sportjournalismus,
der versucht, sein Publikum zu integrieren statt zu exkludieren (vgl. Holzinger/Sturmer 2012: 167). Solch eine Redaktionsorganisation wird seit ein paar
Jahren das „Newsdesk-Modell“ oder „Newsdesk-Prinzip“ benannt. Ein Prinzip,
welches die Arbeit in allen journalistischen Ressorts verändert – auch im
Sport.
Grundsätzliche Idee der Arbeit nach diesem Modell ist, Themen und Inhalte
von der Idee über die Recherche bis zur Aufbereitung und Präsentation
crossmedial und einem prozessualen Kommunikationsverständnis folgend anlegen
und strukturieren zu können.
Redaktionelles Know-How über Zielgruppen kann dabei selbstverständlich im
Sinne einer lernenden Organisation auf- und ausgebaut werden. Die digitalen
Kanäle wollen gepflegt und im Sinne eines (so der Anglizismus) Communitybuildings eingesetzt werden. Die Interaktion und Kommunikation kann
in diesem Sinne neben dem sportredaktionellen Dialog auch im Sinne der
Markenführung genutzt werden. Seriöses Agieren der Fußballmedien bedeutet
dabei aber auch: Werbung und redaktionelle Inhalte müssen klar voneinander
getrennt sein.
Dieser Paradigmenwandel in der Organisation von Redaktionen stammt aus den
USA (vgl. Neininger-Schwarz 2010). Tatsächlich hat in den vergangenen Jahren
die große Mehrheit der relevanten Medienhäuser, Verlage und Sendeanstalten
im deutschsprachigen Raum vor dem Hintergrund der technischen und
redaktionellen Möglichkeiten und Anforderungen, die mit dem digitalen
Medienwandel einhergehen, Newsdeskmodelle eingeführt. Und so einen digitalen
Workflow im Journalismus insgesamt und im Speziellen auch in der
professionellen Fußballberichterstattung etabliert. Dabei ist wichtig: Die
Qualität des fußballjournalistischen Inhalts steht und fällt mit der
Qualität der Reporter, die sich im Newsdeskmodell gänzlich auf das
Recherchieren und Verfassen von Sportmedientexten konzentrieren sollen.
Deshalb sitzen sie auch nicht mit am Newsdesk, sondern erarbeiten die
Inhalte räumlich getrennt. Dies hat den großen Vorteil, dass die
Fußballreporter sich auf die journalistische Kernaufgabe konzentrieren
können und nicht wertvolle Arbeitszeit in Konferenzen, Abstimmungsprozessen,
Diskussionen über die Bildauswahl oder andere Visualisierungen,
redaktionsbürokratischen Anforderungen, internen oder externen dialogischen
Aufgaben oder redaktionsstrategischen Überlegungen verlieren (vgl. Meier 2012).
Vor allem müssen sie keine Fremdtexte redigieren, Agenturmeldungen oder
Bilder auswählen oder Seiten layouten, was jahrelang als Mantra des
Redakteursberufes angesehen wurde („Redakteur kommt von Redigieren“, so der
Ausspruch, mit dem in Deutschland Generationen von Zeitungsjournalisten
daran erinnert wurden, dass erst das Blatt in allen Schritten zu produzieren
sei. Und dann erst, falls noch Zeit ist, Texte recherchiert oder geschrieben
werden können). Klassisch sitzen die Sportreporter in ihrer Redaktion. Im
Regelfall ist auch der Sport-Ressortleiter in der Redaktion. Die
Koordination am Newsdesk hingegen übernimmt ein Kollege aus der
Sportredaktion, der am Desk sitzt und dort in enger Abstimmung und
Verzahnung die Stimme der Sportredaktion bei allen relevanten Prozessen des
digitalen Workflows darstellt. Selbstverständlich sind solche
Newsdeskmodelle jeweils auf die spezifische Situation eines Medienhauses
abgestimmt. Bedeutet: Dieser Deskchef könnte zum Beispiel auch der
Redaktionsleiter Sport sein. Oder am Desk sitzt nicht nur ein Vertreter der
Sportredaktion, sondern gleich eine ganze Mannschaft an Sportredakteuren,
die dort am Tisch Seiten layouten, Texte redigieren und Beiträge kanalaffin
aufbereiten und technisch veröffentlichen. Ein Beispiel dafür ist der
zentrale Newsdesk des Madsack-Verlages. In einem sogenannten
„Redaktionsnetzwerk Deutschland“ entsteht an diesem Newsdesk von einer
Sportredaktion der Sportmantelteil von zahlreichen Tageszeitungstiteln und
allen angeschlossenen digitalen Kanälen. Vom Newsdesk in Hannover wird somit
die Mantelsportberichterstattung beispielsweise der Kieler Nachrichten, der
Leipziger Volkszeitung, der Dresdner Neuesten Nachrichten aber auch der
Hannoverschen Allgemeinen gemacht. Trotzdem haben diese ganzen Zeitungstitel
auch noch jeweils eine eigene Sportredaktion vor Ort.
An diesem zentralen Newsdesk in Hannover sitzt immer ein ganzer Stab an Redakteuren, in dem
Newsdeskmodell auch Editor oder Newsdeskmanager genannt, die im Sinne des
digitalen Workflows produzieren. Da an dem zentralen Newsdesk die aktuelle
Berichterstattung und der aktuelle Arbeitsprozess situativ geführt, ständig
aktualisiert und koordiniert wird, müssen Vertreter der Ressorts, der
Redakteure am Newsdesk sowie CvD, übergeordnete Newsdeskmanager oder gleich
Mitglieder der Chefredaktion, die die Gesamtsteuerung dieses Prozesses
koordinieren, permanent miteinander kommunizieren (vgl. Meier 2013). Sie bilden
somit ein Koordinationsteam mit einer übergeordneten Chefredaktion, die
strategische Planungen übernimmt und Personalentscheidungen trifft. Vor dem
Hintergrund der Komplexität der Prozesse ist nicht verwunderlich, wenn
Sport-Ressortleiter solcher Gebilde inzwischen auch an der höchsten
Entscheidungsebene direkt angedockt werden. Ein Beispiel für solch eine
Entwicklung ist der Leiter der Sportredaktion des Redaktionsnetzwerkes
Deutschlands, Marco Fenske. Trotz seines jugendlichen Alters von 31 Jahren
ist er 2015 zum Mitglied der Chefredaktion des Geflechts von über 20
Tageszeitungen geworden. Daran ist auch der hohe Stellenwert der
Fußballberichterstattung für moderne Medienunternehmen abzulesen.
Als Faustregel gilt: Die Größe des Newsdesks korrespondiert mit dem
Arbeitsaufkommen. Christoph Keese, ehemaliger Chefredakteur der „Welt“ und
jetzt Digitalexperte des Axel-Springer Verlags, beschreibt den Newsroom wie
ein Schiff, in dem Editoren und Führungskräfte miteinander rudern und
steuern (Keese 2009: 21 ff.). Kapitän ist der CvD, der den Überblick über
die Themen und das Agieren der Ressorts stets im Blick haben sollte. Genauso
wie er immer auch an dem Prozess beteiligt sein soll, welche Themen wie auf
welchem Kanal von den Ressorts und den Deskmitarbeitern umgesetzt werden. Er
hat sozusagen die Endgewalt über den Themenmix, die Themenausrichtung, den
Rezipientendialog sowie die Kanalaufbereitung.
Insbesondere die Differenzierung zwischen Reportern und Editoren sorgt
dafür, dass sich Sportjournalisten spezialisieren können. Zum Beispiel zu
Berichterstattern, die intensiv die Geschehnisse eines Vereins beobachten.
Ihr Informationsfluss an den Newsdesk ist dabei sehr relevant.
Redaktionsexperte Christoph Keese bezeichnet den Newsroom als eine Art
Marktplatz: „Wo Menschen aufeinandertreffen, werden Geschichten erzählt und
Informationen ausgetauscht“ (Keese 2009: 19). Dieser Informationsaustausch
verbunden mit einer effizienteren Organisation und dem Gewinn von Freiheiten
für die Reporter besitzen höchste Priorität bei der Organisation der
Sportberichterstattung in modernen Medienunternehmen.
Zudem verweisen Redaktionspraktiker auf den Vorteil, dass im Newsroom
schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen – und vor dem Hintergrund
der kurzen bis nicht vorhandenen Wege auch getroffen werden können. Der enge
Kontakt der Redakteure miteinander kann, professionell geführt, zu einem
hohen Austausch führen. Kreative Prozesse, ressortübergreifendes Denken,
eine hohe Flexibilität und eine dadurch ausgeprägte Reaktionsfähigkeit auf
außergewöhnliche thematische Lagen machen das Modell attraktiv (Gniffke
2009: 47). Situatives Führen von Sportredaktionen ist so machbar.
Beispielsweise können bei herausfordernden Aufgaben wie der
Berichterstattung über Fußball-Weltmeisterschaften viel einfacher
redaktionelle Ressourcen der Sportredaktion zugeordnet werden. Die Gefahr,
dass in der Praxis solche neuen Modelle wiederum nicht einen Zugewinn
redaktioneller Qualität, sondern eher eine geschickt getarnte
Sparmöglichkeit sein sollen, ist aber auch gegeben.
Für die Sportredakteure am Desk ist das Arbeiten häufig stark verknüpft mit
einem systematischen Themenmanagement, teilweise auch Issue Management
genannt. Thematische Dubletten können so besser verhindert werden. Wenn
beispielsweise ein Wirtschaftsredakteur über die Pleite eines Sponsors des
lokalen Fußball-Bundesligisten berichtet – und am nächsten Tag der
Sportredakteur, der ebenfalls an dem Thema dran war, beim Lesen der Zeitung
entdeckt, dass der Inhalt seines Artikels mit anderen Worten von einem
Kollegen geschrieben auch im Wirtschaftsteil steht. Newsdeskprozesse
verhindern solche Dubletten und bieten sogar die Chance, die generelle
organisatorische Ausrichtung an journalistischen Themen und Prozessen
auszurichten und so ein tatsächlich inhaltlich motiviertes
Qualitätsmanagement in der Redaktion zu implementieren (vgl. Moss 1998:148 ff.;
Meckel 1999).
Doch bei aller Intelligenz der Redaktionsorganisation:
Redaktionsbeobachtungen dokumentieren anschaulich, dass Sportjournalismus
eine Tätigkeit mit objektiv als Stressoren zu bewertenden Situationen ist.
Der Tagesablauf von Sportredakteuren ist geprägt von unvorhersehbaren
Ereignissen, auf die sie reagieren müssen und die sie zum Teil auch für ihre
Berichterstattung benötigen. Das bedeutet dann, dass jederzeit die Planung
wieder komplett über den Haufen geworfen werden muss. So zum Beispiel, weil
der Trainer eines relevanten Vereins plötzlich entlassen wird und in der
Folge die Themengewichtung auf der Seite nicht mehr stimmt. Oder weil der
Journalist vom Trainingsgelände mit der Information anruft, dass ihm ein
Spieler anonym gesteckt hat, dass der Stürmerstar des lokalen Vereines ein
lukratives Angebot eines internationalen Spitzenvereins bekommen hat. Also
Vorgänge, die eher typisch als atypisch im Profifußball sind. So kommt es
fast regelmäßig vor, dass die Planungen des Vormittags am Nachmittag wieder
über Bord geworfen werden, die ersten Eilmeldungen dazu erst mal für die
Online-Kanäle getextet werden müssen – vielleicht sogar die Leserführung in
Absprache mit dem CvD am Newsdesk außerhalb der Sportredaktion umgestellt
wird und die Blattplanung wieder neu beginnt. Sehr häufig werden starke
Sportthemen von der Redaktionsleitung dann so bewertet, dass zum Beispiel
Texte auf der Titelseite einer Zeitung neben den – noch nicht fertigen –
Texten auf der eigenen Sportseite erstellt werden müssen. Dabei wird
anscheinend in Kauf genommen, dass Informationen zuweilen erst am frühen
Abend wirklich auf ihren Wahrheitsgehalt verifiziert werden können und
teilweise wieder vollständig aus dem Blatt verschwinden müssen, weil sich
die Recherche im Nachhinein als haltlos entpuppte. Zum Beispiel weil man
nachrecherchiert ob das Gerücht mit dem Vereinswechsel des Stürmers wirklich
stimmt und dabei bemerkt, dass es eine „Ente“, eine Fehlinformation, war.
Das Prinzip „Be the first. But First, be correct“ sorgt dann in einem
digitalisierten Kommunikationsraum wie dem Profifußball für enorme
redaktionelle Herausforderungen.
Da inzwischen viele Medienhäuser das sogenannte „Online First“-Prinzip
eingeführt haben, also als ersten Bearbeitungsschritt automatisch die
Veröffentlichung auf der Onlineseite umzusetzen ist, werden auch
eintreffende Texte von freien Mitarbeitern oder die Texte von Kollegen, die
am frühen Abend von ihrer Recherche zurückkommen und ihre Texte in das
System schreiben, sofort online gestellt. Gerade ältere
Fußballberichterstatter bewerten diesen Vorgang kritisch. Aus ihrer Sicht
werden die teure Arbeit und die Dienstleistung der Recherche und des
Schreibens gratis an die Online-Leser „verscherbelt“. Medienethnografische
Studien zum Workflow in Sportredaktionen zeigen: Einige Fußballjournalisten
fragen sich, warum man dann am nächsten Tag noch Geld für eine Zeitung
ausgeben soll (vgl. Bölz 2014: 190 ff.). Dabei sind die Journalisten der Meinung,
dass ihnen im Zuge des digitalen Medienwandels eine starke
Arbeitsverdichtung aufgebürdet wird. Aus ihrer Sicht wird dies konstatiert,
aber ohne großes Wehklagen umgesetzt. Man hat anscheinend akzeptiert, dass
sich das Berufsbild im Zuge der Digitalisierung stark gewandelt hat und man
Mehrarbeit in Kauf nehmen muss. Zwar ist Stress immer eine subjektive
Wahrnehmung des Individuums und objektiv nur schwer messbar, jedoch gibt es
potenzielle Auslöser von Stress, die im sportjournalistischen Alltag
strukturell bedingt besonders häufig vorkommen. Redaktionsbeobachtungen
zeigen: Während die Redakteure bei Tageszeitungen von Wirtschaft, Politik,
Lokales oder Kultur Kernarbeitszeiten zwischen zehn und 20 Uhr aufweisen,
zeigen die Beobachtungen und die Gespräche, dass die Sportredaktionen im
Regelfall gemäß der Maxime der größtmöglichen Aktualität bis zu den
jeweiligen Andruckzeiten der Tageszeitungen arbeiten und teilweise sogar
mehrere Versionen ihrer Seiten vorproduzieren müssen, weil (Abend-)Ereignisse
wie Champions League-Partien in manchen Ausgaben zeitlich noch mitgenommen
werden können, in anderen wiederum nicht. Dies bedeutet, dass bei
Abendveranstaltungen den Sportjournalisten nach Beendigung eines Wettkampfs
teilweise nur bis zu fünf Minuten Zeit bleibt, um einen Bericht zu
schreiben, weswegen die Texte größtenteils bereits während der Ereignisse
entstehen.
Selbstverständlich sorgt die Digitalisierung auch bei vielen anderen Berufen
für Entgrenzungserfahrungen. Dennoch: Das Arbeitstempo ist atemberaubend.
Das ineinander greifen der Arbeitsprozesse in der Redaktion wirkt bei
distanzierter Betrachtung teilweise wie ein Maschinenraum. In der Hitze des
Gefechts kann man sich aber verbrennen. Denn der Zeitdruck führt in
einzelnen Redaktionen zu keiner professionellen Fehlerkultur. Die
Dramaturgie des Fußballs lehrt aber, dass in den letzten Minuten einer
Partie ganze Spiele drehen – und eine „vorgeschriebene“ Analyse innerhalb
zweier Tore in den letzten drei Minuten schlichtweg reif für den Papierkorb
sein kann. Dann müssen die Sportberichterstatter mittels guter Praktiken
diesen Konflikt lösen und „funktionieren“ – und in sehr kurzer Zeit ganze
Artikel neu schreiben – teilweise ohne eine Endabnahme eines externen
Kollegen oder einer andersartigen Form von Qualitätskontrolle, wie etwa
unabhängigen Korrekturlesern. Ein professionelles, teamorientiertes
Redaktionsklima hilft, solche Situationen gut zu meistern. Solch ein Klima
ist im Fußballjournalismus insgesamt aber keine Selbstverständlichkeit (vgl. Bölz
2018).
Moderne Redaktionssysteme machen es möglich, im Stadion noch zusätzlich die
Seite(n) zu layouten, da sie sich immer dem Druckbeginn der Zeitung anpassen
müssen. Gleichzeitig ist der Printjournalist bei einigen Tageszeitungen aber
auch noch Online-Journalist und verfasst schnelle Einschätzungen im
Live-Ticker oder in Tweets – und hat niemanden, der ihm dabei hilft. Es ist
oft nötig, die Sport-Seiten kurz vor Druckschluss großflächig zu ändern.
Zudem verdrängt der Sport Themen und somit redaktionelle Fläche anderer
Ressorts. Sportjournalisten sehen sich häufig in einer Sonderrolle, weil die
Arbeitsbedingungen und der antizyklische Tagesverlauf im Gegensatz zu
anderen Ressorts flexibel sind – und ihnen in den meisten Medienhäusern
Sonderrechte und eine gewisse redaktionelle Autonomie einbringen. Die
Arbeitszeiten schränken vor allem das Privatleben ein und erfordern
Flexibilität.
Fußballberichterstatter produzieren Medientexte, die als Gebrauchstexte zu
verstehen sind. Ihre Sprachverwendung muss professionell sein.
Verständlichkeit und Unterhaltsamkeit sind erwünscht. Die Dinge und Prozesse
der Welt des Fußballs selber sprechen zu lassen. Unter Zuhilfenahme aller
Sinne authentische Eindrücke vom Ort eines Geschehens zu sammeln und eine
gründliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben von Zuständen und den
Geschichten in ihnen zu liefern. Dies ist die Aufgabe eines Journalisten im
Fußballjournalismus. Dabei differenzieren sich die Möglichkeiten des Aufbaus
der Beiträge stark vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten in den
unterschiedlichen Medien und Medientextgattungen. Authentisch zu schildern
ist etwas anderes, wenn live beispielsweise im TV aus einem Stadion
berichtet wird oder wenn eine Sportjournalistin eine Reportage über Hamburg
am Tag des HSV-Abstiegs schreibt. Neben dem Denkstil ist es für
Fußballjournalisten von hoher Relevanz, welche Ausdrucksweisen und welche
Worte er für seine Formulierungen verwenden sollte. Dabei sind einige
linguistische Aspekte zu beachten wie beispielsweise die Lexikalik (der
Gebrauch der Wörter) oder die Syntax (die Struktur von Sätzen). Der
professionelle Umgang mit der Sprache lebt von der Kritikfähigkeit der
kompletten Redaktion. Selbstverständlich entwickelt jede professionelle
Sportredaktion Verfahrensweisen, wie die Texte auf stilistische oder
grammatikalische Fehler gegengelesen werden (vgl. Häußermann 2011). Als
direktes Zeichen der Vermittlung spielt die Sprachverwendung eine zentrale
Rolle bei der Frage nach Qualität im Fußballjournalismus. Wie intensiv die
Vermittlung von Wahrheiten vom Sprachgebrauch abhängig ist, hat bereits die
Erkenntnistheorie vor 50 Jahren diskutiert (vgl. Geiger 1968: 124 ff.).
Selbstverständlich stehen sportjournalistische Produkte, die
im Kern Öffentlichkeit herstellen, vor allem: in der Öffentlichkeit. Und wer
sich in die Öffentlichkeit begibt, muss in einer
demokratisch-pluralistischen Gesellschaftsform damit zurechtkommen, dass er
mit seinem Agieren und seinen produzierten Kommunikaten öffentlich
kritisiert wird. Dies ist primär positiv, da Kritik eine Rückmeldung der
Umwelt auf das Agieren ist, die einer Sportredaktion helfen kann, zu lernen
und zu wachsen. Kritik kann Sportjournalisten anspornen, sie kann aber auch
Menschen frustrieren. Der Journalismusforscher Jürg Häußermann beschreibt
den professionellen Umgang mit Kritik als eine selbstverständliche
Komponente des redaktionellen Arbeitsprozesses (vgl. Häußermann 2011).
Anschaulich stellt der Schweizer Wissenschaftler dar, welche vielen Schritte
von der ersten Recherche bis zur letzten Fassung eines Beitrags begleitet
sind von Redigaturen, Korrekturen, Diskussionen mit Kollegen über die
Relevanz des Inhalts und sonstigen Überprüfungen. Wenn der Beitrag dann
gesendet oder veröffentlicht wird, wird er intern und vor allem extern
kritisiert. Für die interne Kritik gilt: Teamwork ist im Sportjournalismus
eine entscheidende Größe. Gute Sportredaktionen zeichnen sich dadurch aus,
dass ein produktives und angenehmes Arbeitsklima herrscht, in Stresszeiten
die Kollegen sich gegenseitig intensiv und fokussiert helfen – und der Spaß
am Umgang mit der Materie Fußball nicht zu kurz kommt. Spannung und
Lockerheit sollten sich abwechseln. Und eine institutionalisierte Form von
Kritik sollte im Redaktionsalltag fest implementiert sein. Grundsätzlich
gilt die redaktionelle Faustregel: Jeder Beitrag muss redigiert und noch mal
von jemand Drittem gegengelesen werden. Wenn dies zeitlich möglich ist.
Insgesamt betrachtet haben sich Arbeitsroutinen in der
Fußballberichterstattung in den vergangenen Jahren somit stark verändert.
Sportredaktionen sind heute hocheffiziente, crossmedial agierende
Entscheidungs-, Produktions- und Koordinationszentralen. Arbeitsabläufe,
Kompetenzanforderungen und professionelle Rollen ändern sich durch diese
Entwicklungen. Laut dem Kommunikationswissenschaftler Michael Schaffrath
(vgl. 2006: 3 ff.) gelten Fußballberichterstatter im Gesamtkanon der Journalisten
heute als Leitjournalisten. Sie werden in der Öffentlichkeit besonders
wahrgenommen und nehmen so – ob gewollt oder nicht – eine exponierte
Stellung im Mediensystem ein. Dieser Entwicklung ist es auch geschuldet,
dass einige Fußballjournalisten aus dem Bereich TV als „Stars“ wahrgenommen
und auch in andere Unterhaltungsformate außerhalb des Sports vordringen
(Jauch, Beckmann, Kerner, Welke, Pilawa,…). Ihr Status ist bei nicht
wenigen, was Präsenz und Entlohnung angeht, sogar mit aktiven Spielern zu
vergleichen und verknüpft bei den Rezipienten nur durch das bloße Erscheinen
der bekannten Unterhaltungsgröße neben dem Rasen bereits das Thema
Entertainment mit dem Thema Fußball. Insgesamt kann man den Profisport und
die Berichterstattung darüber als einen Grenzfall der Unterhaltungsindustrie
einordnen. Systeme wie der europäische Profifußball sind eine
Milliardenindustrie des Unterhaltungsbetriebes, auch mit negativen
Konsequenzen bis hin zur Kriminalität. Die Branche entwickelt also Stars –
funktioniert aber in der Praxis als redaktionelle Mannschaft.
Studien belegen: Für TV-Sportjournalisten ist klar, dass sie in ihrem Beruf
auch, aber nicht nur Unterhalter sind. Insgesamt gilt es aber zu
berücksichtigen, dass je nach Mediengattung ein unterschiedlicher
Schwerpunkt gesetzt wird. Während das Fernsehen von den Rezipienten in einem
starken Maße als Unterhaltungsmedium angesehen wird, ist die Kernkompetenz
der Zeitungen eher im informativen Bereich angesiedelt. Zu konstatieren ist
dabei, dass auch in der Fußballberichterstattung von Zeitungen
beispielsweise mit einer personalisierten Berichterstattung oder mit dem
verstärkten Einsatz von Glossen unterhaltende Faktoren gesetzt werden – und
sich Print-Fußballredakteure im Gespräch auch immer weniger davor
verschließen, in ihrem Beruf auch „Unterhalter“ zu sein. Dies führt zu einer
verstärkten Personalisierung – und damit auch Entertainisierung der
Berichterstattung. Dieser Befund ist sowohl bei der Printberichterstattung
wie auch bei der TV-Berichterstattung zu erkennen. Printjournalisten
benötigen den Zugang zu Spielern und Offiziellen elementar, vor allem, weil
verstärkt die Komplementärfunktion der Tageszeitung im Medienkanon betont
wird und die Berichterstattung bei den Tageszeitungen daran interessiert
ist, eigene Themen zu setzen. Dem Leser soll also mehr geboten werden, als
die sogenannte „1:0-Berichterstattung“. Dementsprechend sind Rubriken wie
„Typen des Tages“ oder personalisierte Zusammenfassungen entstanden, die
zwingend exklusive Randinformationen des Profi-Fußballbetriebs benötigen.
Für die regionalen Boulevardmedien kommt in der Fußballberichterstattung
noch erschwerend hinzu, dass teilweise sehr viele Seiten pro Ausgabe mit
Inhalten zu einem Verein gefüllt werden müssen.
Insgesamt ist die Leistung von Redaktionen, die medial Fußball
transportieren, von hoher Relevanz für den Sport. Redaktionell organisierte
Fußballmedien synchronisieren unsere Gesellschaft
sachlich, sozial und temporal (vgl. Görke 2008: 175 ff.). Sachlich, indem sie die
Selbstbeobachtung unserer Gesellschaft herstellen und den Menschen
beispielsweise die Chance geben zu erfahren, ob der vom regional bedeutenden
Zweitligaverein neu verpflichtete Stürmer in seiner ersten Partie
tatsächlich schon getroffen hat. Sozial, indem sie das Publikum in Prozesse
des Fußballs inkludiert. Wenn beispielsweise ein Fußballverein häufig
verliert und in der Tabelle auf einem Abstiegsrang platziert ist, so kann es
passieren, dass sich die Anhänger des Vereins lautstark gegen die Leistungen
der Akteure auf dem Platz positionieren und beispielsweise eine mangelnde
Einsatzbereitschaft der Mannschaft anprangern. Laut dem Journalismusforscher
Christoph Neuberger hat das Publikum nun zwei Möglichkeiten: „Exit“ (Beispiel: Der Fan
wandert ab und wird Anhänger eines anderen Vereins) und „Voice“ (Beispiel:
Der Widerspruch der Anhänger wird von Sportjournalisten gesammelt; diese
geben den Fans dadurch eine Stimme) (vgl. Neuberger 2004: 301). So werden
Sportler neben ihrer (möglichen) Wahrnehmung des Protestes gegen ihre
Leistung auch medial auf den Protest aufmerksam. Übertragen auf unser
Beispiel haben nun die betroffenen Spieler die Möglichkeit, die
Beobachtungsstrukturen des Sportjournalismus zu nutzen, um die Ansichten
ihrer Anhänger wahrzunehmen. Ihre Ansichten, Wünsche und Vorstellungen
werden für die Aktiven transparent. Die temporale oder zeitliche Kopplung
findet über die dem Fußballjournalismus inhärente Ebene der Aktualität
statt. Bereits der Systemtheoretiker Niklas Luhmann unterstellte dem
Journalismus insgesamt ein geradezu „neurotisches“ Verhältnis zum
redaktionellen Arbeitsprozess, den Rezipienten etwas Neues liefern zu müssen
(vgl. Luhmann 1997: 44).
Luhmann vergleicht hierbei das System Journalismus mit dem
Wirtschaftssystem. Während dieses permanent neues Geld benötigt um zu
funktionieren, benötigt das System Fußballjournalismus neue Tatsachen,
Hintergründe, Informationen, Ereignisse, Ergebnisse oder Zusammenhänge. Neue
Ereignisse und Entwicklungen haben viel eher eine Chance, in die
Fußballmedien zu kommen, als solche, die bereits länger zurückliegen. Vor
einer Stunde gab es eine 0:2-Niederlage der deutschen
Fußball-Nationalmannschaft, seit heute spielt ein neuer Außenverteidiger für
den VfB Stuttgart, die Ergebnisse einer Wahl zum Sportler des Jahres sind
soeben bekannt geworden – das alles ist aktuell. Aktualität bemisst sich
nach zwischen Ereignis und diesbezüglicher Veröffentlichung vergehender
Zeit. Die Fußballberichterstattung ist in einem ausgeprägten Maße
daueraktuell.
Der Anspruch der Rezipienten, aktuell informiert und über die Geschehnisse
des Fußballs aufgeklärt zu werden, ist hoch. Die zeitliche Synchronisation
zwischen Akteuren des Systems Fußball und den interessierten Rezipienten ist
offensichtlich. Doch nicht nur das Bedürfnis der Rezipienten nach schneller
Information wird über diese Synchronisation gestillt. Das System Fußball
profitiert von der zeitlichen Kopplung mit dem Journalismus ebenfalls. Denn
die permanente Aktualisierungsleistung der redaktionell organisierten
Fußballmedien führt dazu, dass Fußball (im Gegensatz zu Systemen wie
beispielsweise der Religion, die schwer in den Code Aktualität einzuordnen
sind) permanent medial thematisiert wird und so selbstverständlich eine hohe
gesellschaftliche Relevanz suggeriert wird.
Wer in einem weiteren Gedankenschritt der hier begonnenen
systemtheoretischen Argumentation folgt, der sieht als Konsequenz der
permanenten redaktionell produzierten Synchronisation des Fußballgeschehens
die Ausprägung einer einheitlichen wie singulären Fußballgesellschaft. Es
entsteht im Sinne Luhmanns als Konsequenz ein massenkulturell geprägtes
globales System in Form einer Weltgemeinschaft des Fußballs, die nach
ähnlichen Mustern und Regeln agiert und kommuniziert (vgl. Luhmann 1997: 534).
Die modernen, redaktionell organisierten (Fast-)Echtzeitmassenmedien des
Fußballs ermöglichen in dieser Lesart nicht nur die Synchronisierung
weltweiter fußballspezifischer Ereignisse. Sie schaffen auch ein kollektives
Gedächtnis des Fußballs. Die Sportredaktionen produzieren somit Geschichte
und lassen uns gemeinschaftlich an Fußballgeschichte teilhaben. Sie schaffen
dabei in einem hohen Maße Anschlusskommunikation, weil beim Bier nach der
Partie die entscheidenden Szenen noch mal diskutiert werden. Im Gesamten
formuliert sorgen redaktionell organisierte Sportmedien durch die
Synchronisation der Gesellschaft für die notwendige kommunikative
Infrastruktur des Systems Fußball.
Sportredaktionen konstruieren,
konstituieren, strukturieren, sie begrenzen oder erweitern permanent
Handlungen und Kommunikation der Sphäre des Fußballs. Zudem verbreiten sie
über Grenzen hinweg im Zuge ihrer Berichterstattung relevante Informationen
aus der Welt des Fußballs und wirken dadurch sozial integrierend.
Interessant dabei ist für den redaktionellen Workflow und die
sportjournalistische Narration: Bildhaftes Wahrnehmen, also das Anschauen
und Imaginieren eines Prozesses, steht in der Entwicklung des Menschen vor
dem Begreifen und Erzählen mithilfe von Worten. Die Bildkultur ist somit für
den Fußballjournalismus von hoher Relevanz. Zwar ist die gesprochene Sprache
auch in der Kultur des Fußballs das zentrale Mittel für die menschliche
Existenz, durch die Normen ausgeprägt, Werte vermittelt und soziale Muster
verfestigt werden. Doch die besondere Wirkung des bewegten Bildes im Fußball
basiert darauf, dass wir uns als Augenzeuge fühlen dürfen. Der
Kommunikationsexperte Thomas Meyer bezeichnet dies als eine metaphysische
Gewissheit des Augenscheins, welchem wir instinktiv eher Glauben schenken in
Relation zur (schriftlich oder mündlich geführten) sprachlichen
Argumentation, die immer Belege oder Beweise ausführen muss, um nicht als
Behauptung zu gelten. Bildersequenzen, gerade bei einem ästhetisch
überladenen Sujet wie dem Fußball, reichen dagegen intuitiv aus um Menschen
von einer Wahrhaftigkeit des Gezeigten zu überzeugen. Diesen ontologischen
Vorrang des Bildes vor dem Wort erkennt man in der Wirkung von Fußball im
TV. Die Art, wie das Fernsehen uns die Welt zeigt, wird zur Art, wie wir die
Welt sehen, beschreibt Thomas Meyer die Wirkung der bewegten Bilder (vgl. Meyer
1992). Gerade die Digitalisierung der Fußballmedien erhöht aber auch die
Anzahl an Werkzeugen, Authentizität zu illusionieren. Praktisch gesprochen:
Die Bildregie des Fernsehsignals von Übertragungen der Fußball-Bundesliga
liegt beispielsweise nicht in der Hand der Redaktion der ARD-Sportschau,
sondern einer Tochterfirma der Deutschen Bundesliga. Wenn deren Strategie
ist, Bilder von Zuschauerausschreitungen während eines Spieles nicht zu
senden, dann erscheinen diese in dem Spielbericht in der ARD Sportschau auch
nicht. Ob der Zuschauer sich dieser Manipulationsmöglichkeit des bewegten
Bildes in der Fußballberichterstattung gewiss ist?
Ein weiterer Aspekt: Die Synchronisierung der Gesellschaft durch
Fußballmedien, insbesondere durch die Bildhaftigkeit des Sports, nivelliert
in einem weiteren Schritt den Abstand wieder, der mit der Entfaltung der
Schriftkultur zu Beginn der Moderne innerhalb der Gesellschaft entstanden
ist. Gesellschaftliche Eliten vergnügen sich an denselben medialen
Inszenierungen des Fußballs wie alle sozialen Milieus unserer Gesellschaft
und finden somit in einer überkomplex werdenden Wissensgesellschaft einen
gemeinsamen Kommunikationsnenner mit allen Bevölkerungsschichten. Egal, ob
es dabei um den überraschenden Sieg der Frankfurter Eintracht oder die
Innenverteidigung der Mönchengladbacher Borussia geht. Redaktionen erreichen
somit auch in Zukunft mit ihrer Arbeit weiterhin viele Menschen. Denn: Die
Dauersoap Profifußball wird wohl auch weiterhin – trotz horrender Kosten für
die zahlenden Medienunternehmen – der meistrezipierte mediale Inhalt
Deutschlands bleiben. Ein Beispiel dafür: Fußball als
TV-Berichterstattungsgegenstand generiert die höchsten Einschaltquoten und
Reichweiten im deutschen Fernsehen. Schaut man sich die reichweitenstärksten
Programme im TV insgesamt an, ist festzustellen, dass die elf
meistgeschauten TV-Sendungen in der deutschen Fernsehgeschichte allesamt
Fußballspiele sind – oder die in den Halbzeitpausen dieser Spiele
ausgestrahlten Nachrichtensendungen. Erst auf Rang zwölf folgt mit der
siebten Folge der „Schwarzwaldklinik“ im ZDF ein Nicht-Fußballereignis (vgl. Bölz
2018). Der redaktionelle Aufwand scheint sich zu lohnen.
Literatur
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redaktioneller Arbeitsprozesse. Wiesbaden: Springer VS.
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Der Autor
Prof. Dr.
Marcus Bölz hat an der Universität Dortmund Journalistik auf Diplom und
Psychologie als Nebenfach studiert und 2005 abgeschlossen. Er arbeitete als
freier Journalist und als Redakteur für diverse Medien, unter anderem für
die Deutsche Welle, DPA, Zeit-Online, die Frankfurter Rundschau, die
Schwäbische Zeitung und die Rhein-Zeitung. Nach seiner Promotion im
Fachbereich Medien an der Universität Koblenz-Landau und zahlreichen
Lehraufträgen an diversen Hochschulen wurde er 2013 an der Fachhochschule
des Mittelstands (FHM) in Hannover zum Professor für Journalistik und
Sportpublizistik ernannt. Seit Sommer 2014 ist Bölz Leiter des Instituts für
Sportkommunikation der FHM. Er ist verheiratet mit der Journalistin und
Theodor-Wolff-Preisträgerin Rena Lehmann sowie Vater von Grete, Romy und
Felix Bölz. |