Ausgabe 60
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Digitale Transformation im Maschinenraum
der Fußballberichterstattung

Text: Marcus Bölz    Bild: Markus Spiske (CC0)

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Über Neue Gegenwart
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Von wegen Einzelkämpfer: Ganze Stäbe arbeiten jeden Tag Hand in Hand, um die Arbeitsprozesse der Fußballberichterstattung professionell zu bewerkstelligen. Wie verändert der digitale Medienwandel die Organisation von Sportredaktionen und welche Arbeitsschritte sind vonnöten, um Fußball medial zu transportieren?

Die Sportjournalistik hat in den vergangenen Jahren Einblicke in das redaktionelle Agieren gesammelt. Dabei aufgefallen ist: Heute sind gerade Fußballberichterstatter vor dem Hintergrund der intensiven Rezeption ihrer Medientexte als Kulturvermittler gefragt. Sie erreichen breiteste Bevölkerungsschichten mit ihrer aktiven Sprachverwendung. Dass sie vor dem Hintergrund ihrer professionellen Aufgabe somit auch Sprachbildner für die Gesellschaft sind, wird selten thematisiert.

Wirklichkeitsabbildend, im besten Sinne authentisch zu sein ist das kommunikative Prinzip im Sportjournalismus im Allgemeinen und der Fußballberichterstattung im Besonderen. Reporter sollen wahrhaft und augenscheinlich recherchieren und texten. Als Augen- und Ohrenzeugen tätig sein. Ereignisse werden beim sportjournalistischen reportieren in Handlungen aufgelöst und als nüchterne Informationen oder als Erlebnisse vermittelt. Ziel ist, die Unmittelbarkeit des Fußballs in eine unmittelbare Sprache übertragen zu können. In der Außenwahrnehmung sind es häufig einzelne Fußballberichterstatter wie der TV-Kommentator einer Live-Übertragung oder der einzelne Autor eines Fußballmagazins wie dem Kicker, der stets über die Geschehnisse eines Bundesligavereins schreibt, die auffallen. De facto wird die Fußballberichterstattung in Deutschland aber häufig arbeitsteilig in Sportredaktionen im Kollektiv produziert. Wie dieses Räderwerk ineinander greift wird jedoch selten dargestellt oder hinterfragt. Die Sportjournalistik hat sich deshalb in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund der Veränderungen durch den digitalen Medienwandel verstärkt bemüht, das redaktionelle Geschehen insgesamt zu betrachten und Arbeitsprozesse der Fußballberichterstattung zu identifizieren sowie zu beschreiben (Bölz 2014).
 
Experten beschreiben als evolutionäres Resultat komplexer Neuarrangements und Strukturänderungen zwischen sozialen Systemen und Medientechnologien ein verändertes Erscheinen der Fußballmedien. Dabei gilt: Die Realität in der Fußballberichterstattung beispielsweise ist nicht beliebig konstruierbar. Die medial konstruierte kulturelle Vorstellungswelt des Fußballs muss für die Rezipienten Sinn ergeben, also nützlich sein für den Menschen. Doch nicht nur der Fußballberichterstatter konstruiert als Resultat seiner Arbeitsschritte eine Fußballmedienrealität. Vor dem Hintergrund der Explosion an Medienangeboten durch die neuen digitalen Medientechniken rezipiert der Mensch auf unterschiedlichen Weisen Fußball – und bedient sich der Multimodalität, um Wahrheit für sich vielfältig zu konstruieren. Es sind somit zwei Konstruktionsprozesse, die beim Prozess des Medienfußballs interagieren. Der Wunsch nach Multimodalität verändert die Anforderungen an die Fußballberichterstatter im Einzelnen. Vor allem aber an das Räderwerk der Arbeitsweisen der Fußballberichterstattung eines Medienhauses insgesamt. Der digitale Medienwandel hat den Workflow in Sportredaktionen nachhaltig verändert. Medienhäuser und Sendeanstalten sind vor dem Hintergrund der Wucht der Veränderungen gezwungen, sich mit veränderten Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Und die meisten haben inzwischen ihre organisierte Verfasstheit den neuen kommunikativen Praktiken angepasst. Klar ist: Neben dem klassischen Medium (wie beispielsweise eine Tageszeitung, einem Radio- oder TV-Kanal) gehört es heute für eine Sportredaktion zum Standardrepertoire, Webseiten, Blogs, Social Media-Anwendungen wie Twitter oder Facebook, Videos, themenspezifische Apps, TV-Bildschirme in U-Bahnen oder Push-Nachrichten für Smartphones aktuell und professionell mit Inhalten aus der Welt des (professionellen) Fußballs zu bespielen. Das Zauberwort für den/die crossmedial aufgestellten Fußballberichterstatter heißt dabei Konvergenz (Pavlik 2009: 26). Der Workflow in den Sportredaktionen – auch in der Verzahnung mit dem redaktionellen Gesamtauftritt – basiert somit darauf, dass Sportjournalisten einen Beitrag einmalig recherchieren, dieser dann einem redaktionellen Kreislauf zugeführt wird, welcher den Inhalt professionell für die unterschiedlichen Kanäle aufbereitet.

Zudem wird der Spagat zwischen sportjournalistischer Massenkommunikation (auch „One-to-Many-Kommunikation“ genannt) und dialogischer Individualkommunikation („One-to-One-Kommunikation“) professionell gesteuert. Im Sinne eines als Prozessjournalismus verstandenen Arbeitsablaufes können Rezipienten das sportjournalistische Produkt live rezipieren, aber auch individuell in Dialog treten und auf neue Aspekte, Meinungen oder Recherchedetails hinweisen. So wird der Rezipient durch die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten plötzlich zu einem (kleinen, vielleicht aber sogar auch großen) Mitproduzenten der sportjournalistischen Inhalte. Diese Entwicklung der Organisationsform des modernen Sportjournalismus hat die Stärke, differenziert und kanalaffin Zielgruppen ansprechen zu können. In der Konsequenz bewirkt diese Transformation der Sportkommunikation ein Praktizieren weg von Push zu Pull und vor allem weg vom einseitigen Monolog hin zu einem dialogorientierten Sportjournalismus, der versucht, sein Publikum zu integrieren statt zu exkludieren (vgl. Holzinger/Sturmer 2012: 167). Solch eine Redaktionsorganisation wird seit ein paar Jahren das „Newsdesk-Modell“ oder „Newsdesk-Prinzip“ benannt. Ein Prinzip, welches die Arbeit in allen journalistischen Ressorts verändert – auch im Sport. Grundsätzliche Idee der Arbeit nach diesem Modell ist, Themen und Inhalte von der Idee über die Recherche bis zur Aufbereitung und Präsentation crossmedial und einem prozessualen Kommunikationsverständnis folgend anlegen und strukturieren zu können.

Redaktionelles Know-How über Zielgruppen kann dabei selbstverständlich im Sinne einer lernenden Organisation auf- und ausgebaut werden. Die digitalen Kanäle wollen gepflegt und im Sinne eines (so der Anglizismus) Communitybuildings eingesetzt werden. Die Interaktion und Kommunikation kann in diesem Sinne neben dem sportredaktionellen Dialog auch im Sinne der Markenführung genutzt werden. Seriöses Agieren der Fußballmedien bedeutet dabei aber auch: Werbung und redaktionelle Inhalte müssen klar voneinander getrennt sein.
Dieser Paradigmenwandel in der Organisation von Redaktionen stammt aus den USA (vgl. Neininger-Schwarz 2010). Tatsächlich hat in den vergangenen Jahren die große Mehrheit der relevanten Medienhäuser, Verlage und Sendeanstalten im deutschsprachigen Raum vor dem Hintergrund der technischen und redaktionellen Möglichkeiten und Anforderungen, die mit dem digitalen Medienwandel einhergehen, Newsdeskmodelle eingeführt. Und so einen digitalen Workflow im Journalismus insgesamt und im Speziellen auch in der professionellen Fußballberichterstattung etabliert. Dabei ist wichtig: Die Qualität des fußballjournalistischen Inhalts steht und fällt mit der Qualität der Reporter, die sich im Newsdeskmodell gänzlich auf das Recherchieren und Verfassen von Sportmedientexten konzentrieren sollen. Deshalb sitzen sie auch nicht mit am Newsdesk, sondern erarbeiten die Inhalte räumlich getrennt. Dies hat den großen Vorteil, dass die Fußballreporter sich auf die journalistische Kernaufgabe konzentrieren können und nicht wertvolle Arbeitszeit in Konferenzen, Abstimmungsprozessen, Diskussionen über die Bildauswahl oder andere Visualisierungen, redaktionsbürokratischen Anforderungen, internen oder externen dialogischen Aufgaben oder redaktionsstrategischen Überlegungen verlieren (vgl. Meier 2012). Vor allem müssen sie keine Fremdtexte redigieren, Agenturmeldungen oder Bilder auswählen oder Seiten layouten, was jahrelang als Mantra des Redakteursberufes angesehen wurde („Redakteur kommt von Redigieren“, so der Ausspruch, mit dem in Deutschland Generationen von Zeitungsjournalisten daran erinnert wurden, dass erst das Blatt in allen Schritten zu produzieren sei. Und dann erst, falls noch Zeit ist, Texte recherchiert oder geschrieben werden können). Klassisch sitzen die Sportreporter in ihrer Redaktion. Im Regelfall ist auch der Sport-Ressortleiter in der Redaktion. Die Koordination am Newsdesk hingegen übernimmt ein Kollege aus der Sportredaktion, der am Desk sitzt und dort in enger Abstimmung und Verzahnung die Stimme der Sportredaktion bei allen relevanten Prozessen des digitalen Workflows darstellt. Selbstverständlich sind solche Newsdeskmodelle jeweils auf die spezifische Situation eines Medienhauses abgestimmt. Bedeutet: Dieser Deskchef könnte zum Beispiel auch der Redaktionsleiter Sport sein. Oder am Desk sitzt nicht nur ein Vertreter der Sportredaktion, sondern gleich eine ganze Mannschaft an Sportredakteuren, die dort am Tisch Seiten layouten, Texte redigieren und Beiträge kanalaffin aufbereiten und technisch veröffentlichen. Ein Beispiel dafür ist der zentrale Newsdesk des Madsack-Verlages. In einem sogenannten „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ entsteht an diesem Newsdesk von einer Sportredaktion der Sportmantelteil von zahlreichen Tageszeitungstiteln und allen angeschlossenen digitalen Kanälen. Vom Newsdesk in Hannover wird somit die Mantelsportberichterstattung beispielsweise der Kieler Nachrichten, der Leipziger Volkszeitung, der Dresdner Neuesten Nachrichten aber auch der Hannoverschen Allgemeinen gemacht. Trotzdem haben diese ganzen Zeitungstitel auch noch jeweils eine eigene Sportredaktion vor Ort.

An diesem zentralen Newsdesk in Hannover sitzt immer ein ganzer Stab an Redakteuren, in dem Newsdeskmodell auch Editor oder Newsdeskmanager genannt, die im Sinne des digitalen Workflows produzieren. Da an dem zentralen Newsdesk die aktuelle Berichterstattung und der aktuelle Arbeitsprozess situativ geführt, ständig aktualisiert und koordiniert wird, müssen Vertreter der Ressorts, der Redakteure am Newsdesk sowie CvD, übergeordnete Newsdeskmanager oder gleich Mitglieder der Chefredaktion, die die Gesamtsteuerung dieses Prozesses koordinieren, permanent miteinander kommunizieren (vgl. Meier 2013). Sie bilden somit ein Koordinationsteam mit einer übergeordneten Chefredaktion, die strategische Planungen übernimmt und Personalentscheidungen trifft. Vor dem Hintergrund der Komplexität der Prozesse ist nicht verwunderlich, wenn Sport-Ressortleiter solcher Gebilde inzwischen auch an der höchsten Entscheidungsebene direkt angedockt werden. Ein Beispiel für solch eine Entwicklung ist der Leiter der Sportredaktion des Redaktionsnetzwerkes Deutschlands, Marco Fenske. Trotz seines jugendlichen Alters von 31 Jahren ist er 2015 zum Mitglied der Chefredaktion des Geflechts von über 20 Tageszeitungen geworden. Daran ist auch der hohe Stellenwert der Fußballberichterstattung für moderne Medienunternehmen abzulesen.

Als Faustregel gilt: Die Größe des Newsdesks korrespondiert mit dem Arbeitsaufkommen. Christoph Keese, ehemaliger Chefredakteur der „Welt“ und jetzt Digitalexperte des Axel-Springer Verlags, beschreibt den Newsroom wie ein Schiff, in dem Editoren und Führungskräfte miteinander rudern und steuern (Keese 2009: 21 ff.). Kapitän ist der CvD, der den Überblick über die Themen und das Agieren der Ressorts stets im Blick haben sollte. Genauso wie er immer auch an dem Prozess beteiligt sein soll, welche Themen wie auf welchem Kanal von den Ressorts und den Deskmitarbeitern umgesetzt werden. Er hat sozusagen die Endgewalt über den Themenmix, die Themenausrichtung, den Rezipientendialog sowie die Kanalaufbereitung.

Insbesondere die Differenzierung zwischen Reportern und Editoren sorgt dafür, dass sich Sportjournalisten spezialisieren können. Zum Beispiel zu Berichterstattern, die intensiv die Geschehnisse eines Vereins beobachten. Ihr Informationsfluss an den Newsdesk ist dabei sehr relevant. Redaktionsexperte Christoph Keese bezeichnet den Newsroom als eine Art Marktplatz: „Wo Menschen aufeinandertreffen, werden Geschichten erzählt und Informationen ausgetauscht“ (Keese 2009: 19). Dieser Informationsaustausch verbunden mit einer effizienteren Organisation und dem Gewinn von Freiheiten für die Reporter besitzen höchste Priorität bei der Organisation der Sportberichterstattung in modernen Medienunternehmen.
Zudem verweisen Redaktionspraktiker auf den Vorteil, dass im Newsroom schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen – und vor dem Hintergrund der kurzen bis nicht vorhandenen Wege auch getroffen werden können. Der enge Kontakt der Redakteure miteinander kann, professionell geführt, zu einem hohen Austausch führen. Kreative Prozesse, ressortübergreifendes Denken, eine hohe Flexibilität und eine dadurch ausgeprägte Reaktionsfähigkeit auf außergewöhnliche thematische Lagen machen das Modell attraktiv (Gniffke 2009: 47). Situatives Führen von Sportredaktionen ist so machbar. Beispielsweise können bei herausfordernden Aufgaben wie der Berichterstattung über Fußball-Weltmeisterschaften viel einfacher redaktionelle Ressourcen der Sportredaktion zugeordnet werden. Die Gefahr, dass in der Praxis solche neuen Modelle wiederum nicht einen Zugewinn redaktioneller Qualität, sondern eher eine geschickt getarnte Sparmöglichkeit sein sollen, ist aber auch gegeben.
Für die Sportredakteure am Desk ist das Arbeiten häufig stark verknüpft mit einem systematischen Themenmanagement, teilweise auch Issue Management genannt. Thematische Dubletten können so besser verhindert werden. Wenn beispielsweise ein Wirtschaftsredakteur über die Pleite eines Sponsors des lokalen Fußball-Bundesligisten berichtet – und am nächsten Tag der Sportredakteur, der ebenfalls an dem Thema dran war, beim Lesen der Zeitung entdeckt, dass der Inhalt seines Artikels mit anderen Worten von einem Kollegen geschrieben auch im Wirtschaftsteil steht. Newsdeskprozesse verhindern solche Dubletten und bieten sogar die Chance, die generelle organisatorische Ausrichtung an journalistischen Themen und Prozessen auszurichten und so ein tatsächlich inhaltlich motiviertes Qualitätsmanagement in der Redaktion zu implementieren (vgl. Moss 1998:148 ff.; Meckel 1999).

Doch bei aller Intelligenz der Redaktionsorganisation: Redaktionsbeobachtungen dokumentieren anschaulich, dass Sportjournalismus eine Tätigkeit mit objektiv als Stressoren zu bewertenden Situationen ist. Der Tagesablauf von Sportredakteuren ist geprägt von unvorhersehbaren Ereignissen, auf die sie reagieren müssen und die sie zum Teil auch für ihre Berichterstattung benötigen. Das bedeutet dann, dass jederzeit die Planung wieder komplett über den Haufen geworfen werden muss. So zum Beispiel, weil der Trainer eines relevanten Vereins plötzlich entlassen wird und in der Folge die Themengewichtung auf der Seite nicht mehr stimmt. Oder weil der Journalist vom Trainingsgelände mit der Information anruft, dass ihm ein Spieler anonym gesteckt hat, dass der Stürmerstar des lokalen Vereines ein lukratives Angebot eines internationalen Spitzenvereins bekommen hat. Also Vorgänge, die eher typisch als atypisch im Profifußball sind. So kommt es fast regelmäßig vor, dass die Planungen des Vormittags am Nachmittag wieder über Bord geworfen werden, die ersten Eilmeldungen dazu erst mal für die Online-Kanäle getextet werden müssen – vielleicht sogar die Leserführung in Absprache mit dem CvD am Newsdesk außerhalb der Sportredaktion umgestellt wird und die Blattplanung wieder neu beginnt. Sehr häufig werden starke Sportthemen von der Redaktionsleitung dann so bewertet, dass zum Beispiel Texte auf der Titelseite einer Zeitung neben den – noch nicht fertigen – Texten auf der eigenen Sportseite erstellt werden müssen. Dabei wird anscheinend in Kauf genommen, dass Informationen zuweilen erst am frühen Abend wirklich auf ihren Wahrheitsgehalt verifiziert werden können und teilweise wieder vollständig aus dem Blatt verschwinden müssen, weil sich die Recherche im Nachhinein als haltlos entpuppte. Zum Beispiel weil man nachrecherchiert ob das Gerücht mit dem Vereinswechsel des Stürmers wirklich stimmt und dabei bemerkt, dass es eine „Ente“, eine Fehlinformation, war. Das Prinzip „Be the first. But First, be correct“ sorgt dann in einem digitalisierten Kommunikationsraum wie dem Profifußball für enorme redaktionelle Herausforderungen.
Da inzwischen viele Medienhäuser das sogenannte „Online First“-Prinzip eingeführt haben, also als ersten Bearbeitungsschritt automatisch die Veröffentlichung auf der Onlineseite umzusetzen ist, werden auch eintreffende Texte von freien Mitarbeitern oder die Texte von Kollegen, die am frühen Abend von ihrer Recherche zurückkommen und ihre Texte in das System schreiben, sofort online gestellt. Gerade ältere Fußballberichterstatter bewerten diesen Vorgang kritisch. Aus ihrer Sicht werden die teure Arbeit und die Dienstleistung der Recherche und des Schreibens gratis an die Online-Leser „verscherbelt“. Medienethnografische Studien zum Workflow in Sportredaktionen zeigen: Einige Fußballjournalisten fragen sich, warum man dann am nächsten Tag noch Geld für eine Zeitung ausgeben soll (vgl. Bölz 2014: 190 ff.). Dabei sind die Journalisten der Meinung, dass ihnen im Zuge des digitalen Medienwandels eine starke Arbeitsverdichtung aufgebürdet wird. Aus ihrer Sicht wird dies konstatiert, aber ohne großes Wehklagen umgesetzt. Man hat anscheinend akzeptiert, dass sich das Berufsbild im Zuge der Digitalisierung stark gewandelt hat und man Mehrarbeit in Kauf nehmen muss. Zwar ist Stress immer eine subjektive Wahrnehmung des Individuums und objektiv nur schwer messbar, jedoch gibt es potenzielle Auslöser von Stress, die im sportjournalistischen Alltag strukturell bedingt besonders häufig vorkommen. Redaktionsbeobachtungen zeigen: Während die Redakteure bei Tageszeitungen von Wirtschaft, Politik, Lokales oder Kultur Kernarbeitszeiten zwischen zehn und 20 Uhr aufweisen, zeigen die Beobachtungen und die Gespräche, dass die Sportredaktionen im Regelfall gemäß der Maxime der größtmöglichen Aktualität bis zu den jeweiligen Andruckzeiten der Tageszeitungen arbeiten und teilweise sogar mehrere Versionen ihrer Seiten vorproduzieren müssen, weil (Abend-)Ereignisse wie Champions League-Partien in manchen Ausgaben zeitlich noch mitgenommen werden können, in anderen wiederum nicht. Dies bedeutet, dass bei Abendveranstaltungen den Sportjournalisten nach Beendigung eines Wettkampfs teilweise nur bis zu fünf Minuten Zeit bleibt, um einen Bericht zu schreiben, weswegen die Texte größtenteils bereits während der Ereignisse entstehen.

Selbstverständlich sorgt die Digitalisierung auch bei vielen anderen Berufen für Entgrenzungserfahrungen. Dennoch: Das Arbeitstempo ist atemberaubend. Das ineinander greifen der Arbeitsprozesse in der Redaktion wirkt bei distanzierter Betrachtung teilweise wie ein Maschinenraum. In der Hitze des Gefechts kann man sich aber verbrennen. Denn der Zeitdruck führt in einzelnen Redaktionen zu keiner professionellen Fehlerkultur. Die Dramaturgie des Fußballs lehrt aber, dass in den letzten Minuten einer Partie ganze Spiele drehen – und eine „vorgeschriebene“ Analyse innerhalb zweier Tore in den letzten drei Minuten schlichtweg reif für den Papierkorb sein kann. Dann müssen die Sportberichterstatter mittels guter Praktiken diesen Konflikt lösen und „funktionieren“ – und in sehr kurzer Zeit ganze Artikel neu schreiben – teilweise ohne eine Endabnahme eines externen Kollegen oder einer andersartigen Form von Qualitätskontrolle, wie etwa unabhängigen Korrekturlesern. Ein professionelles, teamorientiertes Redaktionsklima hilft, solche Situationen gut zu meistern. Solch ein Klima ist im Fußballjournalismus insgesamt aber keine Selbstverständlichkeit (vgl. Bölz 2018).

Moderne Redaktionssysteme machen es möglich, im Stadion noch zusätzlich die Seite(n) zu layouten, da sie sich immer dem Druckbeginn der Zeitung anpassen müssen. Gleichzeitig ist der Printjournalist bei einigen Tageszeitungen aber auch noch Online-Journalist und verfasst schnelle Einschätzungen im Live-Ticker oder in Tweets – und hat niemanden, der ihm dabei hilft. Es ist oft nötig, die Sport-Seiten kurz vor Druckschluss großflächig zu ändern. Zudem verdrängt der Sport Themen und somit redaktionelle Fläche anderer Ressorts. Sportjournalisten sehen sich häufig in einer Sonderrolle, weil die Arbeitsbedingungen und der antizyklische Tagesverlauf im Gegensatz zu anderen Ressorts flexibel sind – und ihnen in den meisten Medienhäusern Sonderrechte und eine gewisse redaktionelle Autonomie einbringen. Die Arbeitszeiten schränken vor allem das Privatleben ein und erfordern Flexibilität.

Fußballberichterstatter produzieren Medientexte, die als Gebrauchstexte zu verstehen sind. Ihre Sprachverwendung muss professionell sein. Verständlichkeit und Unterhaltsamkeit sind erwünscht. Die Dinge und Prozesse der Welt des Fußballs selber sprechen zu lassen. Unter Zuhilfenahme aller Sinne authentische Eindrücke vom Ort eines Geschehens zu sammeln und eine gründliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben von Zuständen und den Geschichten in ihnen zu liefern. Dies ist die Aufgabe eines Journalisten im Fußballjournalismus. Dabei differenzieren sich die Möglichkeiten des Aufbaus der Beiträge stark vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten in den unterschiedlichen Medien und Medientextgattungen. Authentisch zu schildern ist etwas anderes, wenn live beispielsweise im TV aus einem Stadion berichtet wird oder wenn eine Sportjournalistin eine Reportage über Hamburg am Tag des HSV-Abstiegs schreibt. Neben dem Denkstil ist es für Fußballjournalisten von hoher Relevanz, welche Ausdrucksweisen und welche Worte er für seine Formulierungen verwenden sollte. Dabei sind einige linguistische Aspekte zu beachten wie beispielsweise die Lexikalik (der Gebrauch der Wörter) oder die Syntax (die Struktur von Sätzen). Der professionelle Umgang mit der Sprache lebt von der Kritikfähigkeit der kompletten Redaktion. Selbstverständlich entwickelt jede professionelle Sportredaktion Verfahrensweisen, wie die Texte auf stilistische oder grammatikalische Fehler gegengelesen werden (vgl. Häußermann 2011). Als direktes Zeichen der Vermittlung spielt die Sprachverwendung eine zentrale Rolle bei der Frage nach Qualität im Fußballjournalismus. Wie intensiv die Vermittlung von Wahrheiten vom Sprachgebrauch abhängig ist, hat bereits die Erkenntnistheorie vor 50 Jahren diskutiert (vgl. Geiger 1968: 124 ff.).

Selbstverständlich stehen sportjournalistische Produkte, die im Kern Öffentlichkeit herstellen, vor allem: in der Öffentlichkeit. Und wer sich in die Öffentlichkeit begibt, muss in einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaftsform damit zurechtkommen, dass er mit seinem Agieren und seinen produzierten Kommunikaten öffentlich kritisiert wird. Dies ist primär positiv, da Kritik eine Rückmeldung der Umwelt auf das Agieren ist, die einer Sportredaktion helfen kann, zu lernen und zu wachsen. Kritik kann Sportjournalisten anspornen, sie kann aber auch Menschen frustrieren. Der Journalismusforscher Jürg Häußermann beschreibt den professionellen Umgang mit Kritik als eine selbstverständliche Komponente des redaktionellen Arbeitsprozesses (vgl. Häußermann 2011). Anschaulich stellt der Schweizer Wissenschaftler dar, welche vielen Schritte von der ersten Recherche bis zur letzten Fassung eines Beitrags begleitet sind von Redigaturen, Korrekturen, Diskussionen mit Kollegen über die Relevanz des Inhalts und sonstigen Überprüfungen. Wenn der Beitrag dann gesendet oder veröffentlicht wird, wird er intern und vor allem extern kritisiert. Für die interne Kritik gilt: Teamwork ist im Sportjournalismus eine entscheidende Größe. Gute Sportredaktionen zeichnen sich dadurch aus, dass ein produktives und angenehmes Arbeitsklima herrscht, in Stresszeiten die Kollegen sich gegenseitig intensiv und fokussiert helfen – und der Spaß am Umgang mit der Materie Fußball nicht zu kurz kommt. Spannung und Lockerheit sollten sich abwechseln. Und eine institutionalisierte Form von Kritik sollte im Redaktionsalltag fest implementiert sein. Grundsätzlich gilt die redaktionelle Faustregel: Jeder Beitrag muss redigiert und noch mal von jemand Drittem gegengelesen werden. Wenn dies zeitlich möglich ist.

Insgesamt betrachtet haben sich Arbeitsroutinen in der Fußballberichterstattung in den vergangenen Jahren somit stark verändert. Sportredaktionen sind heute hocheffiziente, crossmedial agierende Entscheidungs-, Produktions- und Koordinationszentralen. Arbeitsabläufe, Kompetenzanforderungen und professionelle Rollen ändern sich durch diese Entwicklungen. Laut dem Kommunikationswissenschaftler Michael Schaffrath (vgl. 2006: 3 ff.) gelten Fußballberichterstatter im Gesamtkanon der Journalisten heute als Leitjournalisten. Sie werden in der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen und nehmen so – ob gewollt oder nicht – eine exponierte Stellung im Mediensystem ein. Dieser Entwicklung ist es auch geschuldet, dass einige Fußballjournalisten aus dem Bereich TV als „Stars“ wahrgenommen und auch in andere Unterhaltungsformate außerhalb des Sports vordringen (Jauch, Beckmann, Kerner, Welke, Pilawa,…). Ihr Status ist bei nicht wenigen, was Präsenz und Entlohnung angeht, sogar mit aktiven Spielern zu vergleichen und verknüpft bei den Rezipienten nur durch das bloße Erscheinen der bekannten Unterhaltungsgröße neben dem Rasen bereits das Thema Entertainment mit dem Thema Fußball. Insgesamt kann man den Profisport und die Berichterstattung darüber als einen Grenzfall der Unterhaltungsindustrie einordnen. Systeme wie der europäische Profifußball sind eine Milliardenindustrie des Unterhaltungsbetriebes, auch mit negativen Konsequenzen bis hin zur Kriminalität. Die Branche entwickelt also Stars – funktioniert aber in der Praxis als redaktionelle Mannschaft.

Studien belegen: Für TV-Sportjournalisten ist klar, dass sie in ihrem Beruf auch, aber nicht nur Unterhalter sind. Insgesamt gilt es aber zu berücksichtigen, dass je nach Mediengattung ein unterschiedlicher Schwerpunkt gesetzt wird. Während das Fernsehen von den Rezipienten in einem starken Maße als Unterhaltungsmedium angesehen wird, ist die Kernkompetenz der Zeitungen eher im informativen Bereich angesiedelt. Zu konstatieren ist dabei, dass auch in der Fußballberichterstattung von Zeitungen beispielsweise mit einer personalisierten Berichterstattung oder mit dem verstärkten Einsatz von Glossen unterhaltende Faktoren gesetzt werden – und sich Print-Fußballredakteure im Gespräch auch immer weniger davor verschließen, in ihrem Beruf auch „Unterhalter“ zu sein. Dies führt zu einer verstärkten Personalisierung – und damit auch Entertainisierung der Berichterstattung. Dieser Befund ist sowohl bei der Printberichterstattung wie auch bei der TV-Berichterstattung zu erkennen. Printjournalisten benötigen den Zugang zu Spielern und Offiziellen elementar, vor allem, weil verstärkt die Komplementärfunktion der Tageszeitung im Medienkanon betont wird und die Berichterstattung bei den Tageszeitungen daran interessiert ist, eigene Themen zu setzen. Dem Leser soll also mehr geboten werden, als die sogenannte „1:0-Berichterstattung“. Dementsprechend sind Rubriken wie „Typen des Tages“ oder personalisierte Zusammenfassungen entstanden, die zwingend exklusive Randinformationen des Profi-Fußballbetriebs benötigen. Für die regionalen Boulevardmedien kommt in der Fußballberichterstattung noch erschwerend hinzu, dass teilweise sehr viele Seiten pro Ausgabe mit Inhalten zu einem Verein gefüllt werden müssen.

Insgesamt ist die Leistung von Redaktionen, die medial Fußball transportieren, von hoher Relevanz für den Sport. Redaktionell organisierte Fußballmedien synchronisieren unsere Gesellschaft sachlich, sozial und temporal (vgl. Görke 2008: 175 ff.). Sachlich, indem sie die Selbstbeobachtung unserer Gesellschaft herstellen und den Menschen beispielsweise die Chance geben zu erfahren, ob der vom regional bedeutenden Zweitligaverein neu verpflichtete Stürmer in seiner ersten Partie tatsächlich schon getroffen hat. Sozial, indem sie das Publikum in Prozesse des Fußballs inkludiert. Wenn beispielsweise ein Fußballverein häufig verliert und in der Tabelle auf einem Abstiegsrang platziert ist, so kann es passieren, dass sich die Anhänger des Vereins lautstark gegen die Leistungen der Akteure auf dem Platz positionieren und beispielsweise eine mangelnde Einsatzbereitschaft der Mannschaft anprangern. Laut dem Journalismusforscher Christoph Neuberger hat das Publikum nun zwei Möglichkeiten: „Exit“ (Beispiel: Der Fan wandert ab und wird Anhänger eines anderen Vereins) und „Voice“ (Beispiel: Der Widerspruch der Anhänger wird von Sportjournalisten gesammelt; diese geben den Fans dadurch eine Stimme) (vgl. Neuberger 2004: 301). So werden Sportler neben ihrer (möglichen) Wahrnehmung des Protestes gegen ihre Leistung auch medial auf den Protest aufmerksam. Übertragen auf unser Beispiel haben nun die betroffenen Spieler die Möglichkeit, die Beobachtungsstrukturen des Sportjournalismus zu nutzen, um die Ansichten ihrer Anhänger wahrzunehmen. Ihre Ansichten, Wünsche und Vorstellungen werden für die Aktiven transparent. Die temporale oder zeitliche Kopplung findet über die dem Fußballjournalismus inhärente Ebene der Aktualität statt. Bereits der Systemtheoretiker Niklas Luhmann unterstellte dem Journalismus insgesamt ein geradezu „neurotisches“ Verhältnis zum redaktionellen Arbeitsprozess, den Rezipienten etwas Neues liefern zu müssen (vgl. Luhmann 1997: 44).

Luhmann vergleicht hierbei das System Journalismus mit dem Wirtschaftssystem. Während dieses permanent neues Geld benötigt um zu funktionieren, benötigt das System Fußballjournalismus neue Tatsachen, Hintergründe, Informationen, Ereignisse, Ergebnisse oder Zusammenhänge. Neue Ereignisse und Entwicklungen haben viel eher eine Chance, in die Fußballmedien zu kommen, als solche, die bereits länger zurückliegen. Vor einer Stunde gab es eine 0:2-Niederlage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, seit heute spielt ein neuer Außenverteidiger für den VfB Stuttgart, die Ergebnisse einer Wahl zum Sportler des Jahres sind soeben bekannt geworden – das alles ist aktuell. Aktualität bemisst sich nach zwischen Ereignis und diesbezüglicher Veröffentlichung vergehender Zeit. Die Fußballberichterstattung ist in einem ausgeprägten Maße daueraktuell.

Der Anspruch der Rezipienten, aktuell informiert und über die Geschehnisse des Fußballs aufgeklärt zu werden, ist hoch. Die zeitliche Synchronisation zwischen Akteuren des Systems Fußball und den interessierten Rezipienten ist offensichtlich. Doch nicht nur das Bedürfnis der Rezipienten nach schneller Information wird über diese Synchronisation gestillt. Das System Fußball profitiert von der zeitlichen Kopplung mit dem Journalismus ebenfalls. Denn die permanente Aktualisierungsleistung der redaktionell organisierten Fußballmedien führt dazu, dass Fußball (im Gegensatz zu Systemen wie beispielsweise der Religion, die schwer in den Code Aktualität einzuordnen sind) permanent medial thematisiert wird und so selbstverständlich eine hohe gesellschaftliche Relevanz suggeriert wird.

Wer in einem weiteren Gedankenschritt der hier begonnenen systemtheoretischen Argumentation folgt, der sieht als Konsequenz der permanenten redaktionell produzierten Synchronisation des Fußballgeschehens die Ausprägung einer einheitlichen wie singulären Fußballgesellschaft. Es entsteht im Sinne Luhmanns als Konsequenz ein massenkulturell geprägtes globales System in Form einer Weltgemeinschaft des Fußballs, die nach ähnlichen Mustern und Regeln agiert und kommuniziert (vgl. Luhmann 1997: 534). Die modernen, redaktionell organisierten (Fast-)Echtzeitmassenmedien des Fußballs ermöglichen in dieser Lesart nicht nur die Synchronisierung weltweiter fußballspezifischer Ereignisse. Sie schaffen auch ein kollektives Gedächtnis des Fußballs. Die Sportredaktionen produzieren somit Geschichte und lassen uns gemeinschaftlich an Fußballgeschichte teilhaben. Sie schaffen dabei in einem hohen Maße Anschlusskommunikation, weil beim Bier nach der Partie die entscheidenden Szenen noch mal diskutiert werden. Im Gesamten formuliert sorgen redaktionell organisierte Sportmedien durch die Synchronisation der Gesellschaft für die notwendige kommunikative Infrastruktur des Systems Fußball.

Sportredaktionen konstruieren, konstituieren, strukturieren, sie begrenzen oder erweitern permanent Handlungen und Kommunikation der Sphäre des Fußballs. Zudem verbreiten sie über Grenzen hinweg im Zuge ihrer Berichterstattung relevante Informationen aus der Welt des Fußballs und wirken dadurch sozial integrierend. Interessant dabei ist für den redaktionellen Workflow und die sportjournalistische Narration: Bildhaftes Wahrnehmen, also das Anschauen und Imaginieren eines Prozesses, steht in der Entwicklung des Menschen vor dem Begreifen und Erzählen mithilfe von Worten. Die Bildkultur ist somit für den Fußballjournalismus von hoher Relevanz. Zwar ist die gesprochene Sprache auch in der Kultur des Fußballs das zentrale Mittel für die menschliche Existenz, durch die Normen ausgeprägt, Werte vermittelt und soziale Muster verfestigt werden. Doch die besondere Wirkung des bewegten Bildes im Fußball basiert darauf, dass wir uns als Augenzeuge fühlen dürfen. Der Kommunikationsexperte Thomas Meyer bezeichnet dies als eine metaphysische Gewissheit des Augenscheins, welchem wir instinktiv eher Glauben schenken in Relation zur (schriftlich oder mündlich geführten) sprachlichen Argumentation, die immer Belege oder Beweise ausführen muss, um nicht als Behauptung zu gelten. Bildersequenzen, gerade bei einem ästhetisch überladenen Sujet wie dem Fußball, reichen dagegen intuitiv aus um Menschen von einer Wahrhaftigkeit des Gezeigten zu überzeugen. Diesen ontologischen Vorrang des Bildes vor dem Wort erkennt man in der Wirkung von Fußball im TV. Die Art, wie das Fernsehen uns die Welt zeigt, wird zur Art, wie wir die Welt sehen, beschreibt Thomas Meyer die Wirkung der bewegten Bilder (vgl. Meyer 1992). Gerade die Digitalisierung der Fußballmedien erhöht aber auch die Anzahl an Werkzeugen, Authentizität zu illusionieren. Praktisch gesprochen: Die Bildregie des Fernsehsignals von Übertragungen der Fußball-Bundesliga liegt beispielsweise nicht in der Hand der Redaktion der ARD-Sportschau, sondern einer Tochterfirma der Deutschen Bundesliga. Wenn deren Strategie ist, Bilder von Zuschauerausschreitungen während eines Spieles nicht zu senden, dann erscheinen diese in dem Spielbericht in der ARD Sportschau auch nicht. Ob der Zuschauer sich dieser Manipulationsmöglichkeit des bewegten Bildes in der Fußballberichterstattung gewiss ist?
 
Ein weiterer Aspekt: Die Synchronisierung der Gesellschaft durch Fußballmedien, insbesondere durch die Bildhaftigkeit des Sports, nivelliert in einem weiteren Schritt den Abstand wieder, der mit der Entfaltung der Schriftkultur zu Beginn der Moderne innerhalb der Gesellschaft entstanden ist. Gesellschaftliche Eliten vergnügen sich an denselben medialen Inszenierungen des Fußballs wie alle sozialen Milieus unserer Gesellschaft und finden somit in einer überkomplex werdenden Wissensgesellschaft einen gemeinsamen Kommunikationsnenner mit allen Bevölkerungsschichten. Egal, ob es dabei um den überraschenden Sieg der Frankfurter Eintracht oder die Innenverteidigung der Mönchengladbacher Borussia geht. Redaktionen erreichen somit auch in Zukunft mit ihrer Arbeit weiterhin viele Menschen. Denn: Die Dauersoap Profifußball wird wohl auch weiterhin – trotz horrender Kosten für die zahlenden Medienunternehmen – der meistrezipierte mediale Inhalt Deutschlands bleiben. Ein Beispiel dafür: Fußball als TV-Berichterstattungsgegenstand generiert die höchsten Einschaltquoten und Reichweiten im deutschen Fernsehen. Schaut man sich die reichweitenstärksten Programme im TV insgesamt an, ist festzustellen, dass die elf meistgeschauten TV-Sendungen in der deutschen Fernsehgeschichte allesamt Fußballspiele sind – oder die in den Halbzeitpausen dieser Spiele ausgestrahlten Nachrichtensendungen. Erst auf Rang zwölf folgt mit der siebten Folge der „Schwarzwaldklinik“ im ZDF ein Nicht-Fußballereignis (vgl. Bölz 2018). Der redaktionelle Aufwand scheint sich zu lohnen.

 



Literatur

 

Bölz, Marcus (2014): Fußballjournalismus. Eine medienethnographische Analyse redaktioneller Arbeitsprozesse. Wiesbaden: Springer VS.

Bölz, Marcus (2018): Sportjournalistik. Wiesbaden: Springer VS.

Geiger, Theodor (1968): Ideologie und Wahrheit. Eine soziologische Kritik des Denkens (2. Aufl.). Neuwied: Luchterhand.

Görke, Alexander (2008): Perspektiven einer Systemtheorie öffentlicher Kommunikation. In: Winter, Carsten; Hepp, Andreas; Krotz, Friedrich (Hrsg.), Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Grundlegende Diskussionen, Forschungsfelder und Theorieentwicklungen (S. 173–191). Wiesbaden: Springer VS.

Gniffke, Kai (2009): Der digitale Newsroom von ARD-aktuell. Sichtweisen der Praxis. In; Fengler, Susanne; Kretzschmar, Sonja (Hrsg.), Innovationen für den Journalismus (S. 37–48). Wiesbaden: Springer VS.

Häußermann, Jürg (2011): Journalistisches Texten. Konstanz: UVK.

Holzinger, Thomas; Sturmer, Martin (2012): Im Netz der Nachricht. Die Newsroom-Strategie als PR-Roman. Berlin: Springer.

Keese, Christoph (2009): Innovationen im Redaktionsmanagement I: Newsrooms als Marktplätze für neue Ideen. In: Fengler, Susanne; Kretzschmar, Sonja (Hrsg.), Innovationen für den Journalismus (S. 17–24). Wiesbaden: Springer VS.

Luhmann, Niklas (1997): Die Realität der Massenmedien (2. Aufl.). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Meckel, Miriam (1999): Redaktionsmanagement. Ansätze aus Theorie und Praxis. München: Fischer.

Meier, Klaus (2013): Journalistik. Stuttgart: UTB.

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Der Autor



Prof. Dr. Marcus Bölz hat an der Universität Dortmund Journalistik auf Diplom und Psychologie als Nebenfach studiert und 2005 abgeschlossen. Er arbeitete als freier Journalist und als Redakteur für diverse Medien, unter anderem für die Deutsche Welle, DPA, Zeit-Online, die Frankfurter Rundschau, die Schwäbische Zeitung und die Rhein-Zeitung. Nach seiner Promotion im Fachbereich Medien an der Universität Koblenz-Landau und zahlreichen Lehraufträgen an diversen Hochschulen wurde er 2013 an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Hannover zum Professor für Journalistik und Sportpublizistik ernannt. Seit Sommer 2014 ist Bölz Leiter des Instituts für Sportkommunikation der FHM. Er ist verheiratet mit der Journalistin und Theodor-Wolff-Preisträgerin Rena Lehmann sowie Vater von Grete, Romy und Felix Bölz.