Die Digitalisierung hat die Dynamik des Journalismus und das Berufsbild des
Journalisten entscheidend verändert. Dieser Entwicklung sollte auch die
Journalistenausbildung Rechnung tragen. Sie sollte neue Kompetenzen
vermitteln, die von Journalisten heutzutage gefordert werden, wie zum
Beispiel datenjournalistische Fähigkeiten – dabei aber auf keinen Fall die
Vermittlung von Kernkompetenzen vernachlässigen, sind sich Journalisten und
Journalistenausbilder einig.
„In ganz vielen Bereichen hilft das sehr, wenn man ein bisschen coden kann
und wenn man sich mit allem Digitalen auskennt. Der Bereich
Datenjournalismus wird noch sehr wachsen, da es auch immer mehr Daten geben
wird, die öffentlich verfügbar sind, weil der Druck zu Transparenz weiter
steigen wird. Ich empfehle sehr, sich damit zu befassen“, sagt Bastian
Obermayer, Leiter des Ressorts Investigative Recherche der Süddeutschen
Zeitung. Ihm wurden 2016 die Daten der Panama Papers zugespielt – insgesamt
2,6 Terabyte. Und Obermayer war in diesem Bereich kein Experte, wie er
betont: „Ich wusste vorher nur ein bisschen was, und ich musste mir in sehr
kurzer Zeit, während das Leak passiert ist, sehr mühsam mein Wissen
erarbeiten – auch damit ich keine Fehler mache, die die Quelle gefährden
könnten.“
Für das von der EU geförderte Projekt „New skills for the next generation of
journalists“ wurden in Deutschland, Portugal, Rumänien und Ungarn insgesamt
25 akademische Journalistenausbilder und 21 führende Journalisten befragt
und die Lehrpläne von 24 Journalismus-Studiengängen unter die Lupe genommen.
Im Fokus stand dabei die Frage, welche neuen Kompetenzen die Ausbildung
bezüglich Datenjournalismus, kollaborativem Journalismus, neuen
Geschäftsmodellen und ethischen Herausforderungen im digitalen Zeitalter
vermitteln sollte – und welche tatsächlich vermittelt werden. Der
vorliegende Text fokussiert sich auf die Vermittlung des Datenjournalismus.
Während in Portugal, Rumänien und Ungarn der Datenjournalismus noch eine
eher untergeordnete Rolle im journalistischen Tagesgeschäft spielt, setzen
in Deutschland immer mehr und mehr Redaktionen auf diese Spielart des
Online-Journalismus, die Daten zum zentralen Gegenstand der
Berichterstattung macht.
Auch die Journalistenausbilder haben erkannt, dass Journalisten in Zukunft
an Daten nicht vorbeikommen werden. In Deutschland lehren alle sechs der
analysierten Studiengänge Datenjournalismus, aber Inhalte und Anteile
variieren stark. Der Bachelor-Studiengang Wissenschaftsjournalismus an der
TU Dortmund bietet seit 2014 Datenjournalismus als Zweitfach an; der Umgang
mit Daten nimmt hier einen großen Teil des Studiums ein. Im
Master-Studiengang Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der
Universität Hamburg werden Aspekte des Datenjournalismus in bestehende Kurse
integriert. Die anderen Studiengänge bieten spezielle einzelne Seminare oder
Workshops zum Thema an. Auf dem Lehrplan stehen unter anderem die Grundlagen
der Statistik, grundlegende Programmierkenntnisse (meist mit R),
Storytelling auf Basis von Daten und der Einsatz von Visualisierungstools.
Während im Bachelor-Studiengang Journalismus an der Hochschule Macromedia in
Köln und im Master-Studiengang Journalistik und Kommunikationswissenschaft
an der Universität Hamburg das datenjournalistische Lehrangebot künftig
ausgebaut werden soll, gibt es im Bachelor-Studiengang Journalistik an der
Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und im Master-Studiengang
Journalismus an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz solche Pläne nicht.
Die Journalismus-Professoren Klaus Meier (Eichstätt-Ingolstadt) und Tanjev
Schultz (Mainz) machen deutlich, dass nicht zu viele Datenjournalisten
ausgebildet werden sollten, da der Arbeitsmarkt nicht für alle Absolventen
Jobs in dieser Spezialisierung bereithalte.
„Ich glaube nicht, dass jeder Journalist als Datenjournalist arbeiten können
muss – dafür ist es einfach zu spezialisiert“, sagt auch Ulrike Köppen,
Leiterin des BR Data Teams. Was aber auf keinen Fall schaden könne, sei
Datenverständnis. Holger Wormer, Inhaber des Lehrstuhls
Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund, sieht das ähnlich: „Man muss
nicht alles selbst programmieren oder analysieren können. Man muss jedoch
ein Gespür für Daten haben.“ Die befragten Experten sind sich einig, dass
nicht jeder Journalist ein Experte im Programmieren sein müsse. Für den
durchschnittlichen Journalisten reiche es aus, über Kenntnisse der Statistik
zu verfügen und Datenbanken als eine von mehreren Quellen zu akzeptieren.
Jeder Journalist sollte wissen, was mit Daten möglich ist, welche Werkzeuge
und verschiedenen Formen der Visualisierung zur Verfügung stehen und sollte
mit Datenjournalisten und Programmierern kommunizieren und zusammenarbeiten
können. Im Mittelpunkt stehe natürlich weiterhin die Story, betont Bastian
Obermayer von der Süddeutschen Zeitung: „Wir haben auch schon mit jemandem
gearbeitet, der war total fit mit Daten, hat aber auch die Geschichte dann
nicht gesehen, wenn man sie ihm aufs Gesicht gepinselt hat.“
Es liegt auf der Hand, dass das Internet und die neuen Technologien den
Beruf des Journalisten stark verändert haben. Es sollte aber auf keinen Fall
vergessen werden, so die Befragten einstimmig, dass im Journalismus
lediglich neue Kompetenzbereiche hinzugekommen seien – und die
Kernkompetenzen gleichgeblieben seien. Besonders wichtige Kompetenzen seien
nach wie vor Recherche- und Präsentationsfähigkeiten. Journalisten sollten
in der Lage sein, ihren Publika komplexes Wissen zu vermitteln. Sie sollten
wissen, wie sie an ihre Informationen kommen und ihre Auskunftsansprüche
kennen.
Zudem sollten sich Journalisten im Medienrecht und der Medienökonomie
auskennen. Unabdingbar seien auch kritisches Denken und medienethisches
Wissen. Wer als Journalist arbeite, brauche zudem weiterhin eine ordentliche
Portion Neugier und sollte offen sein – sowohl für andere Meinungen als eben
auch für neue technologische Entwicklungen. Die Rolle des
Journalistenausbilders aber sollte die eines Kritikers sein, der Trends aus
der Distanz beobachte und nur in die Lehre mit aufnehme, wenn sie wirklich
relevant seien. Datenjournalismus ist mit Sicherheit ein Trend, der anhalten
wird.
Für das Projekt „New skills for the next generation of journalists “ wurden
in Deutschland die folgenden Expertinnen und Experten befragt und die
Lehrpläne der folgenden Journalismusstudiengänge analysiert:
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Ulrike Köppen, Leiterin BR-Data-Team
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Bastian Obermayer, Leiter Ressort Investigative Recherche, Süddeutsche
Zeitung
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Jens Radü, Leiter Ressort Multimedia, Der Spiegel
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David Schraven, Geschäftsführer Correctiv
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Marie-Louise Timcke, Leiterin Interaktiv-Team, Berliner Morgenpost
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Michael Brüggemann, Professor für Kommunikationswissenschaft, Universität
Hamburg
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Klaus Meier, Professor für Journalistik, Universität Eichstätt-Ingolstadt
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Marlis Prinzing, Professorin für Journalistik, Macromedia Hochschule Köln
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Lars Rinsdorf, Professor für Journalistik, Hochschule der Medien Stuttgart
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Tanjev Schultz, Professor für Journalistik, Johannes Gutenberg-Universität
Mainz
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Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus, Technische
Universität Dortmund
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Bachelor Journalistik, Universität Eichstätt-Ingolstadt
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Bachelor Journalistik, Macromedia Hochschule Köln
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Bachelor Crossmedia-Redaktion, Hochschule der Medien Stuttgart
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Bachelor Wissenschaftsjournalismus, Technische Universität Dortmund
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Master Journalismus, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Master Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg
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Die Autorin
Tina
Bettels-Schwabbauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der TU Dortmund. Sie
ist leitende Redakteurin der deutschen Ausgabe des
European Journalism
Observatory (EJO) und Mitarbeiterin im von der EU geförderten Projekt „New skills for the next generation of journalists“. |