Mein Leben mit (und ohne) Dr. Jones
Text:
Hendrik Steinkuhl
Bild:
LucasArts
Als
meine Freunde noch auf der Datasette gespult und kryptische Befehle mit
Dollarzeichen in ihren C64 gehackt haben, da besaß ich bereits einen 386er.
Heute bin ich ein wenig stolz darauf, früher habe ich meine Mutter für diese
Anschaffung gehasst. „PCs sind die Rechner der Zukunft, außerdem sind sie
super in der Textverarbeitung.“ Irgendwie fehlte meiner Mutter das Gespür
dafür, mich Zwölfjährigen von den Vorzügen dieser hässlichen IBM-Kiste zu
überzeugen. Als meine Freunde sich durch Sex-Games geruckelt haben, da fraß
sich bei mir der Pacman über den Bildschirm – so muss man das sehen! Und was
half mir die Textverarbeitung, wir hatten ja nicht mal einen Drucker.
Die geschätzte
Hälfte meiner aufgetürmten Komplexe verschwand dann mit dem „Prince of Persia“.
„Geile Grafik!“
Wie lange hatte ich auf diese Anerkennung meiner Freunde gewartet! Zum
ersten Mal in meinem Leben machte ich eine Nacht durch, in der der tapfere
Gräbenspringer und Schwertkämpfer wohl dutzende Male sein Leben verlor. Im
Morgengrauen stand ich endlich im zweiten Level.
Die zweite Hälfte
meiner Scham tilgte der bekannte Archäologe Dr. Jones, Vorname: „Indiana“.
„Hieß nicht der
Hund der Familie so?“
Rhetorische Frage
der rothaarigen Begleiterin Sofia Hapgood (Hauptberuf: Parapsychologin) in
meinem absoluten Lieblingsspiel „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“.
Filmheld Doctor Jones, eine scharfe Pixelbraut mit Humor, dazu die übliche
krude Geschichte in überragender Grafik und natürlich sämtliche bekannte
Suchtfaktoren von Adventure-Games – kurzum, ich war zwei Wochen lang nur zum
schnell-wieder-nach-Hause-fahren in der Schule.
In meinem Zimmer flog ich
dann vom algerischen Teppich-Händler Omar Al-Jabbar zum krüppeligen
Archäologen Prof. Costa auf die Azoren, mit Zwischenstopp auf Island
natürlich, vielleicht hatte ich im Schnee irgendwas liegengelassen. Ich
freute mich wie ein Kind, als ich in einer Höhle zwecks Orientierung gar
keine Taschenlampe suchen musste, weil ich zuvor darauf gekommen war,
einfach die Bildschirmhelligkeit zu erhöhen. Ich prügelte mich mit Türsteher
Biff, erhöhte damit meinen Indy-Quotienten (Abkürzung: IQ), benutzte die
Peitsche bei einem Gürteltier und wollte nicht einsehen, warum dasselbe
nicht auch bei Parapsychologin Hapgood klappte.
Dann fand ich die
goldene Kiste nicht. Tagelang durchsuchte ich ein Labyrinth, meinen Vorsatz,
nicht in die Lösung zu schauen, hatte ich schon lange aufgegeben. Es nutzte
nichts. Ich gab auf, zerriss Anleitung und Lösung, um mich von der Sucht zu
befreien.
Knapp fünf Jahre
später saß ich neben meinem Lieblingsbanknachbarn Hardy im Mathe-Grundkurs
der 13. Klasse. Wir hatten beide unser Mathe-Buch vergessen und hatten damit
einen noch besseren Grund als sonst, über andere Dinge zu reden. Irgendwie
kamen wir auf alte PC-Spiele, und als ich mein Lieblingsspiel erwähnte sagte
Hardy: „Du, das habe ich noch. Auf CD-Rom.“ Mir wurde sofort ganz warm,
meine Hände zitterten, meine Augen flimmerten. Ich konnte mich nicht
zurückhalten: „Leihst du’s mir?“
„Ach klar“, sagte
Hardy, Typ: Dealer für alles.
Dummerweise wusste
Hardy aus dem Kopf, wo die goldene Kiste lag, und dummerweise wusste ich
noch aus dem Kopf, in welcher Kiste meine mit Mühe wiederherstellbare
Anleitung und Lösung lagen (zusammen übrigens mit den unzähligen
Spiel-Disketten – im Zuge meiner ersten Sucht war ich zum Floppy-DJ
geworden).
Ich installierte also das Spiel, verdrängte, dass meine schöne Jugendliebe
vor meinen anspruchsvolleren Augen arg pixelig geworden war, gewöhnte mich
an den PC-Speaker-Sound, verprügelte Biff, probierte die Peitsche an Sofia
aus, fand die goldene Kiste – und spielte das Spiel trotzdem nicht durch. |
AUSGABE 48
DIE GESELLSCHAFT DER SPIELER
STARTSEITE
EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
DIE ZUKUNFT DES SPIELENS
ENDLICH MAL
RUNTERKOMMEN
SNIPERN, ROTZEN, RAUSROTZEN
INNOVATION UNTER DRUCK
MEIN LEBEN MIT (UND OHNE) DR.
JONES
FLUCHT IN DIE TRAUMWELT
SCHLEICHWERBUNG IN COMPUTERSPIELEN
HEIMWEH NACH ZUKUNFT
MOBILE GAMING
LILA GEGEN GRÜN
STEILVORLAGE FÜR DIE FANTASIE
DIE FASZINATION DER STEINE
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Zwei Tage
reichten mir nicht, um ein blödes U-Boot in einer Meereshöhle zu versenken.
Zum ersten Mal gebe ich diese Schmach zu. Der Misserfolg aber
hatte auch sein Gutes, denn hätte ich mich weiter als U-Boot-Kommandeur
versucht, hätte ich vermutlich auch mein Abitur versenkt. So machte ich
kalten Entzug, gab Hardy sein Spiel zurück und vernichtete Anleitung und
Lösung auf ewig.
Gespielt habe ich
seitdem nur noch Solitär, in ganz geringen Dosen. Fünf Jahre nach dem
letzten schweren Rückfall kann ich wohl behaupten, trocken zu sein. Als ich
allerdings las, ich solle mein Lieblingsspiel vorstellen, habe ich lange
überlegt, ob ich das wirklich tun sollte.
Ich hatte, ich
gebe es zu, diese kribbelnde Angst, auf der Suche nach Screenshots irgendwo
auf eine Demo zu stoßen.
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