Die Zukunft des Spielens



Interview
:
Björn Brückerhoff  Bild: Splinter Cell 
Video:
Electronic Arts

Maic Masuch ist Deutschlands erster und noch immer einziger Professor für Computerspiele. An der Universität Magdeburg leitet er die von ihm gegründete Arbeitsgruppe Computerspiele am Institut für Simulation und Grafik und beschäftigt sich mit der Wissensvermittlung durch elektronische Medien. Mit der Neuen Gegenwart hat er über die Spieler, Product Placements in Computerspielen, virtuelle Gemeinschaften und Trends in der Spielentwicklung gesprochen. 

Neue Gegenwart: Zuerst: Wer spielt Computerspiele?

Maic Masuch: Momentan beobachten wir, dass der durchschnittliche Spieler immer älter wird. Die Jugendlichen sind natürlich prozentual gesehen noch immer besonders deutlich vertreten, weil sie die meiste Zeit zum Spielen haben. Aber es wachsen Leute auf, die vor zehn oder 15 Jahren als Kinder bereits gespielt haben – und keinen Grund sehen, jetzt damit aufzuhören. Geht man von der Beschäftigungszeit mit Computerspielen aus, sind ganz klar die Jugendlichen führend. Geht man von der Menge der Spielekäufe aus, sind das eher Leute, die heute um die 30 Jahre alt sind. Das sieht man auch in den USA, die uns ja etwas voraus sind. Das durchschnittliche Spieleralter steigt an.

Neue Gegenwart: Damit wird sich wohl auch die Einstellung zum Spielen verändern?

AUSGABE 48
DIE GESELLSCHAFT DER SPIELER





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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF

DIE ZUKUNFT DES SPIELENS
ENDLICH MAL RUNTERKOMMEN
SNIPERN, ROTZEN, RAUSROTZEN
INNOVATION UNTER DRUCK
MEIN LEBEN MIT (UND OHNE) DR. JONES
FLUCHT IN DIE TRAUMWELT
SCHLEICHWERBUNG IN COMPUTERSPIELEN
HEIMWEH NACH ZUKUNFT
MOBILE GAMING
LILA GEGEN GRÜN
STEILVORLAGE FÜR DIE FANTASIE
DIE FASZINATION DER STEINE
SPIELE UND JUGENDMEDIENSCHUTZ
FRÜHE ZEICHEN DER GLOBALISIERUNG
CYBERSPORT, CHEATS UND VIEL GELD

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Masuch: Ich habe kürzlich bei Polylux ein interessantes Interview mit einem 65-Jährigen gesehen, der sehr stolz darauf war, noch immer gegen seinen Enkel im Egoshooter gewinnen zu können. Kein Wunder, der Mann hing auch von morgens bis abends vor dem Computer und war sozusagen gut im Training. Die breite Masse wird das natürlich noch lange nicht so machen. Es ist einfach so, dass die Generation unserer Eltern mit der Meinung aufgewachsen ist, Spielen sei nur etwas für Kinder; Freizeitverhalten. Dass das auch anders geht, erfahren jetzt die Jugendlichen, die gerade aufwachsen. Irgendwann wird es niemanden mehr verwundern, wenn auch im Seniorenheim LAN-Partys organisiert werden. Dann werden sich allerdings auch die Spiele-Inhalte geändert haben, weil die aktuellen Egoshooter vielleicht etwas zu schnell sind für Gamer im fortgeschrittenen Alter. Aber die Spiele passen sich auch den Bedürfnissen der Spieler an. Manche Spiele erfordern außerdem soviel Zeit, dass eigentlich nur Schüler, Studenten und Arbeitslose spielen können. So etwas kann man schwer mit einem regulären Job vereinbaren. Aber Senioren haben auch viel Zeit zum Spielen, ich denke, dass ist eher eine Frage der Zeit.




Spielszenen aus Need for Speed Most Wanted:
Nicht zur Nachahmung empfohlen

 

   

Neue Gegenwart: Wie sieht die Situation in Deutschland aus?

Masuch: Spiele werden bei uns gesellschaftlich viel extremer diskutiert, als dies im Ausland der Fall ist. In Österreich, zum Beispiel, gibt es, soweit ich weiß, keine Gewaltdebatte um Computerspielinhalte. Was die Entwicklung von Spielen angeht, sind wir technologisch in Deutschland gut aufgestellt, nur die Ausbildungsmöglichkeiten sind unzureichend – das merken wir auch an der Uni. Es ist nicht festgelegt, was ein Spieleentwickler überhaupt können muss; es gibt kein Diplom für Spieleentwickler. Momentan glauben wir, dass dies der Markt auch noch gar nicht aufnehmen würde. Wenn jedoch gute Leute ausgebildet werden, dann gründen sie Studios, die wieder gute Leute anziehen. Da würde man also eine Schleife anstoßen, die wir bisher leider noch vermissen. 16 Filmhochschulen gibt es in Deutschland, aber seltsamerweise keine Hochschule, die sich ausschließlich mit der Entwicklung von Computerspielen auseinandersetzt. Und wenn sich nicht um die Nachwuchsausbildung und Nachwuchsförderung gekümmert wird, kann man sich auch nicht wundern, dass die großen Nachwuchstalente ausbleiben. Das ist im Filmbereich zum Beispiel völlig anders.

Neue Gegenwart: In Filmen sind Product Placements und andere Werbeformen längst akzeptiert. Wie sieht das in Computerspielen aus?

Masuch: Product Placements machen häufig eine virtuelle Welt erst authentisch. Das ist ein entscheidender Unterschied zum Film oder generell zu Werbung. Es ist hier nicht so, wie wir das aus anderen Bereichen kennen, wo uns Werbung eher als lästig erscheint. So soll
Sam Fisher im neuen Splinter Cell-Abenteuer Telefone von Sony-Ericsson nutzen, was eher Authentizität vermittelt. Es gibt hier also eine Werbe-Akzeptanz, wie man sie beispielsweise auch in Fußballspielen sieht. Da müssen die richtigen Werbebanner auch dabei sein, weil man das aus den realen Fußballstadien kennt. Product Placements in Computerspielen sind jedoch erst im Anfangsstadium. Die Werbewirtschaft entdeckt dieses Medium erst, weil angenommen wird, dass die Anzahl der Rezipienten noch nicht groß genug ist. Ich erreiche vielleicht zehn- bis zwanzigtausend Konsumenten – und das bei einem relativ großen technischen Aufwand. Die Entlohnungsmodelle sind auch noch nicht klar. Bei einer Anzeige in einer überregionalen Zeitung weiß ich genau, dass sie 30.000 Euro pro Seite kostet. Was aber kostet Werbung in einem Computerspiel? Da gibt es noch keine Modelle und kaum Akquise seitens der Spieleproduzenten. Einige Großproduzenten, wie zum Beispiel Electronic Arts, versuchen jetzt Product Placements und virtuelle Werbeflächen zu verkaufen, das ist aber – wie gesagt – noch im Anfangsstadium.

Neue Gegenwart: Werbung in Computerspielen könnte über Internet-Verbindungen aktualisiert werden. Welche Szenarien sind denkbar?

Masuch: Technisch gesehen die Gleichen, wie sie bei Internet-Werbung momentan schon im Einsatz sind. Natürlich kann man in einer Fantasy-Welt schlecht Auto-Werbung einblenden. Aber da kann sich die Werbe-Industrie wieder ein paar neue Formate einfallen lassen – muss sie auch, denn die Akzeptanz der Beworbenen entscheidet auch über den Erfolg des Spiels als Produkt. Und Spieler merken schnell, wenn sie nur abgezockt werden.

Neue Gegenwart: Und sie reden miteinander, die Vernetzungsmöglichkeiten der Spieler nehmen zu. Bildet sich eine Parallelgesellschaft im Virtuellen?

Masuch: Virtuelle Dienstleistungen werden zunehmen. Wenn ich in einem Spiel, beispielsweise in „
World of Warcraft“, ein magisches Artefakt oder etwas derartiges benötige, oder die Eigenschaften meiner virtuellen Spielfigur verbessern – also „hochleveln“ – will, dann kann man sich durchaus vorstellen, dass in einer virtuellen Welt auch virtuelle Dienstleistungen angeboten und real bezahlt werden. Das ist eine Dienstleistung wie jede andere Dienstleistung auch. Das ist jetzt aber nicht so ungewöhnlich. Bei einer Telefonvermittlung ist der Kontakt ähnlich virtuell.

Neue Gegenwart: Die Vernetzungskomponente gehört im Internet bereits seit den Anfangstagen zum Standard und wird immer weiter verfeinert.

Masuch: Ich würde sogar entgegnen, dass die Spiele vorher da waren. Die Massive Multiplayer-Spiele sind eng verbunden mit sozialer Vernetzung. Historisch gesehen hat alles mit Adventures angefangen, bei denen sich mehrere Leute einloggen und zusammen spielen konnten, wie beispielsweise bei „Quest“. Aus solchen Funktionen ist dann erst die Internet-Community „
The Well“ entstanden und damit die Basis für unzählige derartige Online-Communities. Wir haben schon heute in Massive Multiplayer-Spielen eine sehr starke Vernetzung der Spieler. Innerhalb des Spiels geschieht dies in Clans und Gilden, außerhalb der Spielewelt durch Fansites und Clanssites. Die Vernetzung der Computerspieler ist also schon sehr hoch. Man definiert sich über bestimmte Communities und Clans, wie in „World of Warcraft“, „Ultima Online“ oder „Everquest“.

Neue Gegenwart: Können sie schon Trends benennen, wie sich die Spielewelten weiter entwickeln werden?

Masuch: Die meisten Prognosen sind ja leider dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nachher als falsch erweisen. Einige Trends lassen sich allerdings fortschreiben. Erstens: Spielen wird alltäglicher. Wir werden das an ganz unterschiedlichen Stellen sehen. Die Vernetzung wird so umfassend sein, das man die Spielewelt auch durch ganz unterschiedliche Medien betreten kann. So wird man beispielsweise die virtuellen Welten von überall betreten können: ob über die Großprojektion zu Hause, über ein mobiles Gerät in der Bahn oder eine Gruppenveranstaltung. Zweitens wird es auf der Seite der Hersteller weitere Konzentrationsprozesse geben, weil die Spielewelten inzwischen eine dermaßen große Komplexität und hohe Produktionskosten erreicht haben. Wir werden weniger neue Spiele, dafür aber teurere und aufwendigere Spiele sehen. Die Hersteller werden ihre Big Titles genauso bewerben müssen, wie das heute bei Kinofilmen der Fall ist. Fünfzig bis hundert Millionen Dollar-Produktionen kann ich mir mittelfristig durchaus vorstellen. Und natürlich wird es auch – drittens – nach wie vor kleinere Nischenmärkte geben, mit nicht so hohen Stückzahlen, aber dafür zum Beispiel mit innovativeren Ideen..

Weitere Trends sind sicherlich die Organisation von lokalen Gruppen-Events, also alle beteiligten Spieler im selben Raum sind wie bei LAN-Partys – und eben nicht über das Internet an allen möglichen Orten, aber mit teurer, aufwändiger Hardware. Da wird sich ein Eventcharakter für „location based entertainment“ entwickeln, ähnlich wie wir das beispielsweise im Kino schon haben. Man könnte dann zudem alle möglichen Interaktionsgeräte anbieten, eine Verschmelzung von realer und virtueller Welt wäre die Folge.

Neue Gegenwart: Wo sind weitere Aspekte der Verschmelzung von realer und virtueller Spielewelt denkbar?

Antwort: Einfach im Verschmelzen von Arbeit und Spiel. Viele Menschen, die ich kenne, verbringen sowieso den größten Teil ihres derzeitigen Lebens vor dem Rechner. Da liegt es nahe anzunehmen, dass Arbeits- und Spielewelt nahtlos ineinander übergehen können. Hier werden zukünftige Spiele die Grenze weiter aufweichen, wie es damals das Spiel „
Majestic“ probiert hat.

Neue Gegenwart: Die schwierigste Frage ganz zum Schluss. Was spielen Sie am liebsten?

Masuch: Das ändert sich natürlich immer wieder mit jedem tollen neuen Spiel, das rauskommt. Als Klassiker kann ich „Pac Man“ nennen. Das ist eine geniale Idee, ein tolles Spiel, in dem man das erste Mal einen virtuellen Charakter, ein richtiges Pop-Icon, erschaffen hat. Ebenfalls ein sehr gutes Spiel ist „Thief – The Dark Project“. Da ist jemand zum ersten Mal auf die Idee gekommen, einen Egoshooter zu machen, der in erster Linie darauf ausgelegt ist, möglicht jegliche Gewalt zu vermeiden. Das hat mir von der Idee und von der Umsetzung sehr gefallen. Betrachtet man das Interface und die grafische Gestaltung, ist „World of Warcraft“ oder auch „Warcraft 3“, als Vorlage für „World of Warcraft“, mein Favorit. Die Produzenten haben Spiele-Interfaces geschaffen, die sind einfach wunderbar. Auch die Verkaufszahlen zeigen diese Qualität. Das sind meine drei Favoriten, aber die ändern sich natürlich häufig.

Neue Gegenwart: Herr Professor Masuch, herzlichen Dank für das Gespräch.


Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Maic Masuch ist Juniorprofessor für grafische und interaktive Methoden für Computerspiele an der Universität Magdeburg. Masuch baute die Arbeitsgruppe während seiner Promotionszeit an der Fakultät für Informatik auf und ist nun Deutschlands erster und zugleich einziger Professor für Computerspiele. Sein Forschungsinteresse gilt der Wissensvermittlung in Computerspielen. Er ist zugleich geschäftsführender Gesellschafter der Impara GmbH, die sich mit der Entwicklung von Technologien und Produkten im Bereich  Edutainment befasst. Lernumgebungen und Computerspiele, in denen eine rechnerübergreifende Zusammenarbeit mehrerer Nutzer möglich ist, stehen dabei im Mittelpunkt.