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    Noch immer gelten Computerspieler vielen als 
    nachtaktive, sprachfaule Technikfreaks mit einem, sagen wir, etwas 
    eigentümlichen Humor und bisweilen besorgniserregenden 
    Ernährungsgewohnheiten – Nerds eben. 
    Längst werden jedoch – neben den im medienpolitischen Diskurs oft als 
    „Killerspiele“ bezeichneten gewalthaltigen Computerspielen – zahlreiche 
    Online Games für Senioren oder für den Schulunterricht angeboten, und mit 
    dem rasanten Wachstum sozialer Netzwerke im Internet wächst auch die 
    Verbreitung und Akzeptanz von Online Social Games in der Gesellschaft. Auf 
    den ersten, durchaus skeptischen Blick erscheinen die Spiele, von denen „Farmville“ 
    wohl das bekannteste ist, allenfalls als lustiger Zeitvertreib – aufgrund 
    ihres Suchtpotentials zwar mit Vorsicht zu genießen, aber an sich eine 
    drollige, harmlose Randerscheinung des „Web 2.0“. Dabei ist das Spiel eine 
    Jahrtausende alte Kulturtechnik, die aus der Entwicklung der Zivilisationen 
    wie aus der Sozialisation jedes einzelnen Menschen nicht wegzudenken ist. 
    Die sich im Internet entfaltende Spielkultur sollte daher nicht nur im 
    Hinblick auf ihre möglicherweise pathologischen und destruktiven Effekte, 
    sondern auch im Hinblick auf ihr Potenzial für die Bildung und Erneuerung 
    gesellschaftlicher Strukturen diskutiert werden.  
     
    Die meisten Spieler von Online Social Games bevorzugen – wie bei den 
    traditionellen „Offline“-Spielen – das gemeinsame Spielen mit Freunden und 
    Bekannten. Erst wenn sie eine fortgeschrittene Spielstufe erreicht haben, 
    suchen sie vermehrt den Kontakt zu fremden Mitspielern. Vor allem die so 
    genannten MMORPGs (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games) 
    verstärken jedoch den Trend zu häufigeren Interaktionen mit Fremden. In 
    solchen Spielen verbünden sich die Spieler zu Dutzenden in Clans und Gilden, 
    um gemeinsam Aufgaben zu lösen. Die Bedeutung „echter Freunde“ in Social 
    Games wird in Zukunft also aller Voraussicht nach abnehmen. Die Spieler 
    werden sich mehr und mehr auf das Zusammenspiel mit unbekannten Mitspielern 
    einlassen. Mit der zunehmenden Verbreitung von leistungsfähigen Smartphones 
    steigt auch die Nutzung von Mobile Social Games, die nicht selten in 
    sozialen Netzwerken integriert sind. Spielen beschränkt sich nicht länger 
    auf Mittagspausen im Büro oder auf den fernsehfreien Feierabend am 
    heimischen Multimedia-PC. In GPS-gestützten Mobile Social Games wird die 
    reale Umgebung, vor allem die Stadt oder das Stadtviertel, in das 
    Spielgeschehen integriert. Die virtuellen sozialen Netzwerke legen sich über 
    die reale Geographie unserer Städte. So wird die Stadt zu einem virtuellen 
    Spielfeld; die Netzwerke hingegen gewinnen an Raum. Dies hat zur Folge, dass 
    sich die Nähe zu den Mitspielern nicht mehr nur nach dem Grad der 
    Bekanntschaft („echte“ Freunde, Bekannte, Kollegen oder eben Unbekannte), 
    sondern nun auch und zunehmend nach dem Grad der räumlichen Entfernung 
    bemisst. Einmal mehr verschwimmen die Grenzen zwischen virtuell und real, 
    zwischen offline und online – und zwischen öffentlich und privat. Als Mobile 
    Social Games ziehen interaktive Spielformen aus der Privatsphäre wieder in 
    die Öffentlichkeit ein.  
     
    In seinem Anfang der 1970er Jahre erschienenen Werk „Verfall und Ende des 
    öffentlichen Lebens“ beschreibt der US-amerikanische Soziologe 
    
    
    
     Richard 
    Sennett das Absterben des öffentlichen Raumes in den westlichen 
    Gesellschaften. Sennett vertritt die These, dass die öffentliche Sphäre 
    insbesondere in den Großstädten des 20. Jahrhunderts nicht zuletzt aufgrund 
    eines auf Transparenz und Mobilität ausgerichteten Städtebaus entleert wird. 
    Wolkenkratzer, die komplett verglast sind, heben die Grenze zwischen Innen 
    und Außen nur scheinbar auf. Tatsächlich wird das Innere durch die Glaswände 
    hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Die ständige Beobachtbarkeit im 
    öffentlichen Raum, zum Beispiel in Großraumbüros, erleichtert nicht etwa, 
    sondern hemmt die zwischenmenschliche Kommunikation. Sennett nennt dies „das 
    Paradoxon der Isolation inmitten von Sichtbarkeit“ (2008: 39).  
     
    Ebenso verlieren Straßen, Promenaden und Plätze ihren Charakter als 
    öffentliche Räume in dem Maße, wie sie zu einem „Funktionselement von 
    Bewegung“, „etwas, das man durchquert, worin man sich nicht aufhält“ (2008: 
    40), gemacht werden. Der städtische Raum wird vor allem als Verkehrsnetz 
    wahrgenommen. Es gilt, möglichst viel Bewegungsfreiheit zu gewähren, 
    möglichst wenige Hemmnisse zu schaffen. „Der öffentliche Raum wird zu einer 
    Funktion der Fortbewegung“ (2008: 40). Dies verhindert soziale Interaktion, 
    unterminiert die Entstehung von Öffentlichkeit, und das trotz oder gerade 
    wegen einer zunehmenden wechselseitigen Sichtbarkeit und Beobachtbarkeit der 
    Individuen. Wie reagieren wir auf diese Isolation? Wir hüllen uns in 
    Schweigen. Wir bewegen uns durch den öffentlichen Raum wie in einer Blase. 
    Wir umgeben uns mit einer transparenten, aber undurchlässigen Schutzschicht, 
    die wir „Privatsphäre“ nennen. Das öffentliche Leben in den Großstädten – in 
    den Straßen und auf den Plätzen, in den Einkaufzentren und den Großraumbüros 
    – ist geprägt durch Schweigen und passives Beobachten. Sennett führt dieses 
    Phänomen auf die Psychologisierung und Personalisierung des öffentlichen 
    Handelns zurück. Wie sich allmählich die Vorstellung durchsetzte, das 
    äußerlich wahrnehmbare Handeln eines Menschen lasse unmittelbar auf sein 
    inneres Wesen, seine Persönlichkeit schließen („Man ist der, als der man 
    erscheint“), zogen sich die Menschen in die Rolle eines passiven Zuschauers 
    zurück, um nicht zuviel von sich selbst preiszugeben. Diese Vorstellung 
    beherrscht auch heute noch die Debatte über Datenschutz und 
    Persönlichkeitsrechte in sozialen Netzwerken. Gleichzeitig überfrachten 
    viele Menschen ihre persönlichen Beziehungen mit einem übersteigerten Maß an 
    Intimität und Selbstoffenbarung: der Seelen-Striptease als 
    Authentizitätstest der Persönlichkeiten und Aufnahmeprüfung für soziale 
    Beziehungen. Für Sennett beginnt damit die „Tyrannei der Intimität“, die den 
    gesellschaftlichen Umgang miteinander ins Leere laufen lässt und die 
    öffentliche Sphäre „privatisiert“.  
     
    Was hat es also zu bedeuten, wenn Menschen beginnen, über das Internet 
    inmitten des öffentlichen Raumes miteinander zu spielen? Was hat es zu 
    bedeuten, dass sie in Bewegung spielen? Dass es Spiele sind, die sie nicht 
    zum Halten zwingen, sondern die sie in Bewegung vollziehen können, ja, die 
    Bewegung, Fortbewegung sogar voraussetzen? Kann es nicht sein, dass diese 
    mobilen Spiele es den Menschen wieder gestatten, ihr voyeuristisches 
    Schweigen zu durchbrechen, ihre Passivität zu überwinden, sich aufeinander 
    einzulassen, und zwar gerade ohne den allgemeinen Zwang zur Intimität 
    „echter“ Freunde? Mobile Social Games tragen zu einer Entpsychologisierung 
    der sozialen Beziehungen im öffentlichen Raum bei, indem sie „Nähe“ nicht 
    mehr nur als affektive Kategorie definieren, sondern auch ihre 
    unpersönliche, geographische Dimension aufzeigen. Sie erlauben dem 
    Individuum die episodische, also die räumlich und zeitlich begrenzte 
    Übernahme von Rollen und damit den Aufbau von sozialen Beziehungen zu 
    anderen Individuen, ohne dem allgemeinen Intimitäts- und Authentizitätskult 
    verfallen, ohne die eigene Persönlichkeit, die inneren Gefühlsregungen und 
    Beweggründe offenbaren, ohne sich selbst in aller Öffentlichkeit entblößen 
    zu müssen. Womöglich haben Mobile Social Games damit in ihrer ganzen 
    Vielfalt das ungeahnte Potenzial, über neue Formen der öffentlichen 
    Interaktion auf einen erneuten Strukturwandel der Öffentlichkeit, nämlich 
    auf die Wiederentdeckung der Stadt – nicht als Farmville, sondern als Polis, 
    also als Raum bürgerlicher Öffentlichkeit – hinzuwirken. 
    „In dem Maße, wie die Menschen lernen können, ihre Interessen in der 
    Gesellschaft entschlossen und offensiv zu verfolgen, lernen sie auch, 
    öffentlich zu handeln. Die Stadt sollte eine Schule solchen Handelns sein, 
    das Forum, auf dem es sinnvoll wird, anderen Menschen zu begegnen, ohne dass 
    gleich der zwanghafte Wunsch hinzuträte, sie als Personen kennenzulernen. 
    Ich glaube nicht, dass dies ein müßiger Traum ist“ (Sennett 2008: 589).  
     
     
     
  
    
    Literatur 
     
    Sennett, Richard (2008): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. 
    Die Tyrannei der Intimität. Berlin Verlag.  | 
    
     
    
    Die Autorin 
     
     
    
      
    
     
    Julia Serong 
     
    Jahrgang 1982, hat in Münster Kommunikationswissenschaft, Wirtschaftspolitik 
    und Englische Philologie studiert. Sie ist seit 2009 wissenschaftliche 
    Mitarbeiterin am
    
    
     Institut 
    für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität 
    Berlin. 
    
    
    
     
     
     
    
     
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