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    Mit einer Tasse Kaffee in der Hand eilt Lukas Tillmann in sein Zimmer im Studentenwohnheim in 
    Washington D. C. Tillmann setzt sich an seinen Schreibtisch, auf dem ein schwarzes Notebook 
    steht. Mit einer geübten Bewegung klappt er den Laptop auf, und während er einen Schluck  Kaffee trinkt, erwacht der Monitor zum Leben. 
    Startbereit erscheint das Fenster des Internet-Browsers. Mit einem Klick in 
    die Favoritenleiste ruft er die Seite der Washington Post auf. Tillmann muss 
    schon in ein paar Minuten weiter. Aber trotzdem wird er die neuesten 
    Nachrichten im Internet abrufen. Das hat er sich  zur Gewohnheit 
    gemacht. “Ich habe Bookmarks zu allen News Sites, die ich lese, in der 
    Favoritenleiste angelegt, so brauche ich nur einen Klick, um sie 
    aufzurufen”, sagt der 24jährige Student aus Deutschland, der an der American 
    University in Washington D. C. an einem Journalismusprogramm teilnimmt: “Das 
    passt am besten dazu, wie ich Nachrichten lese, ohne feste Routine, immer 
    wenn ich Zeit habe.”  
     
    Wie Tillmann lesen auch viele andere interessierte, junge Menschen keine 
    gedruckten Zeitungen mehr. Sie verlassen sich auf News Sites, 
    Nachrichtenportale im Internet, etwa spiegel.de oder 
    sueddeutsche.de 
    in Deutschland, huffingtonpost.com in den Vereinigten Staaten. Schon über 
    60 Prozent der Amerikaner informieren sich zumindest teilweise über neueste 
    Ereignisse online.  
     
    Aus Angst vor US-amerikanischen Verhältnissen machen deutsche Verleger und 
    Chefredakteure seit einiger Zeit mobil gegen das Internet. Sie sehen die 
    Printmedien und manchmal den Journalismus im Ganzen bedroht. Zwar sind die 
    Auswirkungen hierzulande bisher nur gering, aber ein Blick auf die andere 
    Seite des Atlantiks verheißt Unheilvolles. Die amerikanischen Zeitungen 
    stecken seit mehreren Jahren in einer tiefen Krise. Dort wird das tägliche 
    Lesen der Zeitung immer mehr durch den Besuch von News Sites im Internet 
    ersetzt. Das bestätigt die 2009 erschienene Untersuchung “ The State of the 
    News Media” des amerikanischen  
    
     Project for Excellence in Journalism: Die 
    Zahl derer, die sagen, dass sie am Vortag eine Zeitung gelesen haben, liegt 
    bei 34 Prozent, gegenüber 40 Prozent vor zwei Jahren. Dagegen ist die Zahl 
    derer, die angaben, am Vortag Nachrichten online gelesen zu haben, auf 29 
    Prozent gestiegen, gegenüber 23 Prozent zwei Jahre zuvor. Gleichzeitig 
    sinken die Einnahmen der Zeitungen durch Werbeanzeigen in alarmierender 
    Weise. Neueste Zahlen ergeben, dass amerikanische Zeitungen große Teile 
    ihrer Werbeumsätze einbüßen mussten. Elf US-amerikanische Großstadtzeitungen 
    mussten deswegen schon schließen. Entsprechend besorgt sind viele 
    Journalisten und Experten um die Zukunft der Printmedien in den USA. Im 
    September 2009 sagte der bekannte amerikanische Politikjournalist  
    
     Bob Schieffer in einer Diskussionsrunde: “Ich befürchte, dass Zeitungen nicht 
    überleben werden.” Tom Rosenstiel, der Direktor des Project for Excellence 
    in Journalism, sieht ebenfalls eine düstere Zukunft für die Printmedien. Er 
    erklärte in einer anderen Diskussion: “Printzeitungen werden aushalten so 
    lange sie können, aber sie werden nicht überleben. Wir werden einige 
    dieser Institutionen sterben sehen.” Angesichts einer schrumpfenden 
    Leserschaft und fallender Werbeeinnahmen der amerikanischen Printmedien 
    gegenüber steigenden Einnahmen und Userzahlen von News Sites, scheinen die 
    Befürchtungen berechtigt zu sein.  
  
    Lukas Tillmann, der selbst nur noch online Nachrichten liest, hat eine 
    Erklärung für die Abnahme von Reichweite und Leserschaft der Printmedien. Er 
    sagt, Computer seien für ihn im täglichen Leben mittlerweile an mehr Orten 
    verfügbar als gedruckte Zeitungen. Außerdem schätzt er die Benutzerfreundlichkeit von Laptops und Handys als wesentlich höher ein. 
    „Computer sind heute überall. Sie sind klein und nicht besonders schwer. 
    Jedes Handy ist heute ein Minicomputer mit Internetzugang”, erklärt er: 
    „Während ich mein Handy jederzeit und auch in einer vollen U-Bahn benutzen 
    kann, braucht eine Zeitung unglaublich viel Platz. Außerdem leidet die 
    Zeitung beim Falten und Entfalten, bis sie kaum noch lesbar ist. Das 
    passiert mir bei einem Handy oder Laptop nicht.“ Früher hatte Tillmann auch 
    einmal eine gedruckte Tageszeitung abonniert, die ‚Süddeutsche Zeitung’. 
    Aber er konnte nicht die Zeit aufbringen, sie jeden Tag zu lesen. “Ich hatte 
    jede Woche sechs Ausgaben, aber ich hatte nur zwei- oder dreimal die Woche 
    genug Zeit, um sie zu lesen“, sagt er: „Von den anderen habe ich nur ein 
    oder zwei Artikel lesen können. Das war mir das Geld nicht wert.” 
    Schließlich kündige er sein Abonnement. Seitdem informiert sich Tillmann 
    online, am Laptop in seinem Studentenzimmer, an den öffentlichen Computern 
    der Bibliothek seiner Universität, oder mit dem Handy. Das gehe schneller, 
    sei aktueller, flexibler und  einfacher als bei einer gedruckte Zeitung, 
    sagt er. Viele andere Nutzer von Online-Nachrichten denken ähnlich. 
    Nachrichten können über das Internet jederzeit aktualisiert werden. Dagegen 
    erscheint eine Zeitung in der Regel maximal einmal am Tag. Eine Aktualisierung dauert 
    also mindestens 24 Stunden. Auf den Punkt brachte das zum Beispiel Udo 
    Vetter, Anwalt und Dozent der Uni Düsseldorf, als er am Abend des 21. April 
    2010 das Rücktrittsgesuch des Augsburger Bischofs Walter Mixa mit den Worten 
    kommentierte: „Bischof Mixa tritt zurück 
    – 
    
    übermorgen auch in Ihrer 
    gedruckten Zeitung.“ 
     
    Lukas Tillmann ist sich sicher: Die Zukunft der Nachrichten liegt im 
    Internet und den mobilen Endgeräten, mit denen man sie überall schnell und 
    aktuell erhalten kann. „Es liegt vor allem wesentlich näher an den 
    Nutzungsgewohnheiten junger Menschen”, sagt er. Doch das Internet bietet 
    auch Chancen für die Printmedien. Während eine Reihe amerikanischer 
    Zeitungen infolge der Printkrise eingestellt werden musste, haben andere 
    einen Weg gefunden auch in finanziell schwierigen Zeiten weiterexistieren zu 
    können. Der Seattle Post-Intelligencer, der Christian Science Monitor und 
    die Ann Arbor News, die gezwungen waren, ihre Printredaktionen zu schließen, 
    erscheinen nun online. Der vermeintliche Grund ihres 
    Untergangs, das Internet, hat sich für diese Zeitungen gleichzeitig als 
    Rettungsinsel erwiesen. Auch hat sich die Zahl derer, die Nachrichten lesen, 
    nicht, wie man meinen könnte, verringert. Zwar hat die Anzahl der Leser von 
    Printmedien abgenommen, die steigenden Nutzerzahlen der News Sites dieser 
    Zeitungen im Internet kompensieren die Verluste aber wieder und steigern die 
    Gesamtzahl der Leser sogar.
    Valerie Strauss, langjährige Redakteurin bei der Washington Post, bestätigt: 
    “Die Reichweite von gedruckten Zeitungen ist nicht mehr das, was sie einmal 
    war. Aber wenn man die Zugriffszahlen auf unser Onlineangebot zu denen 
    unserer Printleser hinzurechnet, dann haben wir mehr Leser als jemals 
    zuvor.”
    Auch Untersuchungen des Project for Excellence in Journalism unterstützen 
    diese Aussage. Danach sank zwar die Reichweite amerikanischer Zeitungen in 
    den letzten Jahren konstant, für den Zeitraum von April bis September 2009 
    um 10,6 Prozent für Tageszeitungen und 7,1 Prozent für Sonntagszeitungen. 
    Dem gegenüber stieg aber die Anzahl der Unique Visitors von News Sites, also 
    von unterschiedlichen Personen, die die Internetpräsenz einer Zeitung 
    besuchen, im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent im dritten Quartal 2009. 
    Die  Leserschaft insgesamt, also die Anzahl von Personen, die eine Zeitung 
    entweder online oder gedruckt lasen, blieb dadurch konstant.  
     
    
    
     Amy Eisman, 
    Professorin an der School of Communication der American University in 
    Washington, D. C. und langjährige Online-Journalistin, verweist dagegen auf 
    einen anderen Aspekt: „Die Lesers sind nicht das Problem. Das Problem sind 
    die Werbetreibenden, die die Zeitungen verlassen haben, von denen diese aber 
    abhängig sind.“ Eine durchschnittliche amerikanische Zeitung bezieht nur 15 
    bis 20 Prozent ihres Umsatzes aus den Zeitungsverkäufen. Die meisten 
    amerikanischen Zeitungsverlage verkaufen ihre Printprodukte gerade einmal zu 
    einem Viertel des Preises, den sie in der Herstellung kosten. Den Großteil 
    ihres Umsatzes erhalten sie aus anderen Geldquellen, was in der 
    Vergangenheit mit durchschnittlich 80 Prozent Anteil am Gesamtumsatz die 
    Werbeanzeigen waren. Doch diese sind in den letzten Jahren drastisch 
    eingebrochen. Nach Zahlen aus dem März 2010 des Project for Excellence in 
    Journalism haben amerikanische Zeitungen in den letzten drei Jahren 43 
    Prozent ihrer Werbeumsätze verloren und damit etwa Drittel ihres 
    Gesamtumsatzes. Werbetreibende haben in den vergangenen Jahren im Internet 
    eine reichhaltige und kostengünstigere Möglichkeit gefunden, ihre Produkte 
    zu bewerben. Dort lässt sich Raum für Werbeanzeigen zu wesentlich geringeren 
    Preisen erstehen als in Printmedien. Und oft erscheinen diese Werbeanzeigen 
    mittlerweile auf Internetseiten, hinter denen keine Medienorganisation steht. 
    Auf die daraus resultierenden Einnahmeverluste reagierten viele 
    amerikanische Nachrichtenunternehmen mit groß angelegten Kostenreduzierungen 
    und der Entlassung von Teilen ihrer Redaktionen. 
     
    Trotz aller Anstrengungen der Printmedien gibt es bisher kein Zeichen dafür, 
    dass die Werbetreibenden in naher Zukunft zu den Zeitungen zurückkehren 
    werden. Auch können die Einnahmen aus Werbeanzeigen auf den News Sites der 
    Medienunternehmen die Verluste aus dem Anzeigengeschäft in den Printausgaben 
    nicht kompensieren.  
     
    Valerie Strauss von der Washington Post bestätigt: “Websites verdienen nicht 
    die selben Kontaktpreise für Werbung wie Printzeitungen. Deswegen kommen die 
    Erlöse bisher nicht einmal dem nahe, was wir an Einnahmen im Printbereich verloren 
    haben. Ob das je passieren wird, kann bis jetzt noch niemand sagen.”
    Trotzdem ist  Amy Eisman davon überzeugt, dass wir in Zukunft 
    nicht auf übersichtliche und tiefgehende gedruckte Nachrichten verzichten 
    müssen. “Printzeitungen werden sich zu etwas für den zweiten Tag entwickeln, 
    elitärer und stärker auf eine spezifische Leserschaft ausgerichtet”, erklärt 
    sie ihren Standpunkt zur Zukunft der Zeitung: “Schlaue Unternehmen werden 
    sich ihren Lesern mit einem einzigartigen Versprechen, einer einzigartigen 
    Marke präsentieren. Das sieht man schon auch jetzt schon. Jeder versucht, 
    seine spezifische Themennische zu finden. Schauen sie sich 
    
     politico.com an, 
    die in dieser Hinsicht sehr clever ausgerichtet sind.  
  
    Lukas Tillmann liest die letzten Sätze eines vor wenigen Minuten online 
    gestellten Artikels auf washingtonpost.com. Er ist sich sicher: Auch wenn 
    sich Zeitungen in Zukunft stark verändern werden, der Journalismus an sich 
    wird überleben: “Vielleicht werden wird bald die Nachrichten nur noch über 
    unsere Handys oder andere vernetzte Endgeräte erfahren. Aber wir werden 
    Nachrichten immer noch lesen wollen, nur schneller, aktueller und mobiler 
    als bisher. Es sind nicht die Nachrichten oder der Journalismus, die sich 
    verändern, es ist nur das Medium, über das sie uns erreichen.”   | 
    
     
    Der Autor 
     
     
    
      
    
     
    Eico Schweins 
     
    
    Eico 
    Schweins, 27, studiert Kommunikationswissenschaft, Journalismus, Philosophie 
    und Germanistik in Münster und Washington D. C. Sein Interessensschwerpunkt 
    ist die (Um-)Nutzung von Medien und deren Anpassung an die sich verändernde 
    Medienumwelt. Neben dem Studium arbeitet er beim WDR Münster.  |