NEUER EXTREMSPORT
Schluchten und
Gräben zum Trotz
TEXT:
RICARDA
LYNN OTTE
BILD: URBANFREEFLOW.COM
Geschmeidig und kräftig wie Panther bewegen sie sich
über Dächer, Parks und Hauswände ihrer Heimatstädte. Mit Sprüngen, Salti und
– scheinbar mit Saugnäpfen an Händen und Füßen –
überwinden die „Traceure“ atemberaubende Höhen, Breiten und Tiefen.
Beim Anblick der „Moves“ bleibt einem das Herz stehen. Und doch
überwiegt die Faszination, das ästhetische Empfinden
verlangt nach mehr.
Die Menschheit hat einen neuen Sport.
„Le Parkour“ (PK). Oder „free-running“. Oder „urban freeflow“.
Beim PK geht es nicht um höher, schneller oder weiter.
Zumindest nicht hauptsächlich. Auch Wettkämpfe gibt es nicht, allein der
Spaß soll zählen. Die Stadt ist das Spielplatz, der belebt werden will.
Mit gleichmäßigen, federnden Schritten. „Im echten Manne ist ein Kind
versteckt: das will spielen.“ (Nietzsche: Also sprach
Zarathustra).
Die Entstehungsgeschichte von PK ist
inzwischen zum Mythos geworden: Ein paar kleine Jungs in einem
Pariser Vorort langweilten sich und spielten Ninja: sie jagten sich und
rannten durch ihre imaginäre Welt. Nach der Schule gingen sie trainieren,
fanden sich in Gruppen zusammen, „besprangen“ Dächer, Treppen, Häuser. Sie
wurden besser, stärker und bestimmter.
Der erste Startschuss in den Medien fiel mit dem actionreichen
Spielfilm „Yamakasi - Les samouraï
des temps modernes“, produziert von Luc Besson („Das fünfte
Element“, „Leon, der Profi“), in den Hauptrollen sieben Freerunner. Sie
retten das Leben eines Jungen, der so sein wollte wie sie –
ein durch die Lüfte springender und vom Klettern Besessener
– und der dabei lebensgefährlich verletzt wird.
Natürlich tun sie dies nicht auf legale Weise, was die Polizei auf den Plan
bringt.
„Yamakasi“, so hieß die erste Gruppe des wohl populärsten Traceurs:
Sébastien Foucan. Er hatte sich dagegen gesträubt, eine der Rollen in
Bessons Film zu übernehmen. Zwei Jahre später hatte man auch ihn auf der
Leinwand: für Nike, für Toyota und besonders für
„Jump London“ auf Channel 4 in Großbritannien. Eine kunstvoll inszenierte
Performance, in der drei Pariser Freerunner (mit Foucan als Anführer) auf 14
der wichtigsten Gebäude Londons herumturnen. Ohne Netz versteht sich, dafür
mit einem Tross aus Physiotherapeuten, Kameraleuten und PR-Beratern, denen
es unter anderem gelingt, die Tate Modern, Somerset
House, Royal Albert Hall und das Kriegsschiff HMS Belfast für
den Sport-, Werbe- und Lifestyle-Rummel
zu gewinnen. Der Dreh ging im Juni 2003 über die
Bühne und spätestens mit der Ausstrahlung der
Dokumentation „Jump London“ im September 2003 hat der Run auf die
Extremsportart endgültig begonnen.
Natürlich meldeten sich sofort auch kritische Stimmen, besonders aus
den eigenen Reihen. Einerseits will man, dass PK seine
ansteckende Art behält und die Community größer wird;
andererseits fürchtet die Szene den
Verlust von Philosophie, Underground-Status und Unabhängigkeit von Medien
und Sponsoren.
PK ist (noch) nicht verboten, dafür ist die Bewegung zu jung.
Der Bürgermeister der Heimatgemeinde des gefährlichen
Sports, dem Pariser Vorort Lisses, sagt kleinlaut im
Interview: „Wir können es ihnen nicht verbieten, sie sind freie Menschen.
Wir müssen sie auf die Gefahren hinweisen und sie mit dem Nötigsten
ausrüsten.“ Free-running wird nicht nur durch Eleganz und Mut geprägt,
sondern durch ein enorm hohes Risiko. Es bleibt unklar, in welche Richtung
sich PK entwickeln kann. Eine breite Masse kann der Sport
nur ansprechen, wenn Räume geschaffen werden, in denen unter fachmännischer
Anleitung das Verletzungsrisiko minimiert wird. |
AUSGABE 39
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–
DER SPORT"
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EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
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